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Rezepte gegen das Waldsterben

Der Wald kommt unter die Räder. So lautete bisher die auf den Punkt gebrachte Befürchtung von Naturschützern, Umweltforschern und Forstbesitzern. Immer deutlicher wurde in den letzten Jahren, daß die beachtlichen Erfolge bei der Luftreinhaltung zunichte gemacht werden durch die scheinbar unaufhaltsame Zunahme der Verkehrs, durch unser aller Drang nach der Freiheit auf den eigenen vier Rädern.

Gewachsen ist aber auch die Einsicht, daß die früher als „natürlich“ eingestuften Abfälle einer hochtechnisierten Landwirtschaft dem deutschen Wald heute nicht weniger schaden als die rauchenden Schornsteine der Nachkriegsjahre.

In zehn Jahren Waldschadensforschung  wurden gut 700 Projekte von Bund, Ländern und der Deutschen Forschungsgemeinschaft finanziert, auf etwa 360 Millionen Mark beläuft sich inzwischen die Rechnung. Dazu kommen 420 Millionen Mark aus Steuergeldern für „flankierende forstliche Maßnahmen“, die es den Waldbesitzern ermöglichen sollten, die Widerstandsfähigkeit der Waldökosysteme zu erhalten und zu verbessern. Eine schmerzfreie und billige Lösung des Problems ist dennoch nicht in Sicht.

„Die Forstwirtschaft hat relativ wenige Möglichkeiten, zu reagieren. Die Wälder sind den Emissionen schutzlos preisgegeben“, sagt Professor Karl Kreutzer vom Lehrstuhl für Bodenkunde der Forstwirtschaftlichen Fakultät der Universität München. Auch die Kalkung, mit der die Versauerung der Böden bekämpft werden soll, ist kein Allheilmittel. Auf seinen Versuchsflächen im Höglwald zwischen München und Augsburg wies Kreutzer nach, daß vermehrt Nitrat gebildet wird. Die Ionen werden mit dem Regen ausgeschwemmt und stellen eine langfristige Bedrohung für das Trinkwasser dar.

Zu den trüben Zukunftsaussichten kommt die Tatsache hinzu, daß die bisherigen Maßnahmen zur Luftreinhaltung am Gesundheitszustandes des deutschen Waldes wenig zu ändern vermochten. Während sich Nadelbaumarten seit Jahren langsam erholen, geht es mit den wichtigsten Laubbäumen weiter bergab. Dabei wurden in den letzten 15 Jahren eine ganze Reihe von Gesetzen und Verordnungen erlassen, die oftmals mit hohen Erwartungen verknüpft waren:

Noch zu Beginn der achtziger Jahre wurden in der alten Bundesrepublik weit über drei Millionen Tonnen Schwefeldioxid jährlich in die Luft geblasen, von denen vier Fünftel auf das Konto von Kraftwerken und Industrie gingen. Mit der Großfeuerungsanlagen-Verordnung von 1983 ging die Ära der rauchenden Schornsteine dann zu Ende. Vor allem der Einführung von Rauchgas-Entschwefelungsanlagen ist es zu verdanken, daß die SO2-Emissionen der alten Bundesländer mittlerweile um siebzig Prozent zurückgegangen sind. Durch Betriebsstilllegungen und die Umrüstung bestehender Anlagen klärt sich der Himmel über Ostdeutschland deutlich schneller, doch liegen noch keine neuen Zahlen vor.

Ob die bisherigen Anstrengungen dem Wald geholfen haben, ist schwer zu beurteilen. Wie Professor Wolfram Elling an der Fachhochschule Weihenstehphan in Freising zeigen konnte, scheint es bei Tannen und Fichten schon in der ersten Hälfte der achtziger Jahre zu einer Art Trendwende gekommen zu sein. An der besonders stark von den neuartigen Waldschäden betroffenen Weißtanne ließ sich dies an den immer breiter werdenden Jahresringen ablesen.

Allerdings gilt diese Beobachtung nur für noch erholungsfähige Bäume, wie der Dendrochronologe betont. Aber während Frost und Dürre für das Sterben der Weißtannen ebenso wie die Versauerung der Böden anscheinend nur von untergeordneter Bedeutung sind, ist der Zusammenhang zwischen örtlicher Schwefelbelastung und dem Schädigungsgrad dieser Baumart eindeutig.

Ein weiterer Hinweis darauf, daß die Reduktion des Schwefeldioxidausstoßes zumindest eine Entlastung für den Wald gebracht hat, stammt von Untersuchungen, bei denen die Nadelmasse von Fichten im Flachland bestimmt wurde. Sie nahm etwa ab 1985 so stark zu, daß die früheren Verluste heute kaum mehr zu erkennen sind. „Erholungsfähige“ Bäume, die auf 800 Metern Höhe im Fichtelgebirge geschlagen wurden, zeigen außerdem den bereits bei den Weißtannen beobachteten Zuwachs in der Breite der Jahresringe. „Die sehr deutliche Drosselung der Schwefeldioxidemissionen während des letzten Jahrzehnts kann hier mitspielen, liefert aber keine ausreichende Erklärung“, relativiert Professor Elling.

Eine Reduktion der Stickoxide hatte man sich von der im Sommer 1983 beschlossenen Einführung des Katalysators bei Personenkraftwagen erhofft. Die Vereinigten Staaten und Japan hatten zu diesem Zeitpunkt schon vorexerziert, daß der Ausstoß dieser Gase am Einzelfahrzeug durch den Einbau des Kat um 90 Prozent veringert werden kann. Dagegen hatten sich die NOx-Emissionen aus dem bundesdeutschen Kraftfahrzeugverkehr zwischen 1970 und 1982 fast verdoppelt: 1,4 Millionen Tonnen Stickoxide jährlich strömten damals durch den Auspuff in die Umwelt. Mit steuerlichen Anreizen und der europaweiten Einführung von bleifreiem Benzin hoffte man, diesen Betrag bis 1990 mindestens zu halbieren.

Inzwischen hat sich diese Kalkulation aber als Milchmädchenrechnung erwiesen, die Emissionen sind gegenüber 1982 um ein Drittel gestiegen. Seit der Einführung des Katalysator-Autos vor zehn Jahren wuchs die Zahl der Pkw in den alten Bundesländern von 24 auf über 32 Millionen. Die wiedervereinigten Deutschen legten 1991 zusammen 866 Milliarden Kilometer zurück, das entspricht etwa 6000 Mal der Entfernung von der Erde zur Sonne. Vier von fünf Kilometern wurden dabei im Auto gefahren, mit steigender Tendenz seit 1970.

Zwar werden mittlerweile 99 Prozent aller neuzugelassenen Pkw mit geregeltem Drei-Wege-Kat ausgeliefert, auf den Straßen rollen aber momentan noch sechs von zehn Karossen „hinten ohne“. Verschärfend kommt noch hinzu, daß der durchschnittliche Verbrauch der in Deutschland zugelassenen Pkw 1991 noch immer 9,9 Liter auf 100 Kilometer betrug, gegenüber 10,7 Litern im Jahre 1975. Die technischen Verbesserungen der letzten 16 Jahre kamen also nicht der Umwelt zugute sondern gingen laut einer Erklärung des Umweltbundesamtes einher mit einem „Trend zu leistungsstärkeren und schwereren PKW, die mit höheren Geschwindigkeiten gefahren werden.“

Für den Vorsitzenden des Bund für Umwelt und Naturschutz Deutschland (BUND), Hubert Weinzierl, stellt sich daher die Frage: „Sind wird bereit, den Wald unserer überbordenden Mobilität zu opfern?“. Auch Waldschadensforscher Kreutzer fordert „nicht nur den Kat, sondern kleinere Autos mit geringerem Treibstoffverbrauch.“

Die im Juli angekündigte sogenannte Sommersmogverordnung aber bringt in dieser Hinsicht keine Verbessserung. Im Auftrag der Bundesregierung hatte das Umweltministerium einen Entwurf ausgearbeitet, nach dem „Konzentrationswerte“ für Stickoxide, Benzol und Ruß ab Juli 1995 in Kraft treten und drei Jahre später nochmals verschärft werden sollen. Die örtlichen Behörden dürfen bei Überschreiten der Werte auf die Bremse treten und den Verkehr durch Umleitungen, Straßensperren, Geschwindigkeitsbeschränkungen und Fahrverbote drosseln.

Der Anreiz zum Kauf eines Katalysatorautos besteht darin, daß diese von Fahrverboten verschont bleiben sollen. Ursprünglich wollte Umweltminister Klaus Töpfer die schärferen Werte schon zum früheren Datum durchsetzen. Wie frustrierte Mitarbeiter hinter vorgehaltener Hand bekennen, scheiterte der Vorstoß aber am Widerstand der Ministerien für Verkehr und Wirtschaft, die zudem noch die Stimme des Kanzlers auf ihrer Seite wußten.

Durch die Sommersmogverordnung werden in erster Linie die Anwohner vielbefahrener Straßen entlastet. Sie dürfen darauf hoffen, in Zukunft weniger Gifte schlucken zu müssen. „Eine deutliche Minderung der Emissionen von Vorläufersubstanzen für Ozon“, wie sie Umweltminister Klaus Töpfer erwartet hält Dr. Holger Brackemann, Pressesprecher im Umweltbundesamt, aber für unrealistisch. Selbst bei weitgehenden Sperrungen der Innenstädte ergäben sich lediglich Veränderungen im Prozentbereich. Nötig seien aber Reduktionen um 70 bis 80 Prozent, hieß es bei der Behörde, die unter anderem für die wissenschaftliche Beratung des Umweltministers verantwortlich ist.

Derzeit liegt die Sommersmogverordnung ohnehin auf Eis. „Sie wird auf absehbare Zeit nicht in Kraft treten, es gibt Probleme, die Verordnung in der Bundesregierung konsensfähig zu machen und im Bundesrat durchzubringen.“, räumte Dr. Görgen ein. Widerstand kommt besonders von den Finanzministern der Länder, denen die voraussichtlichen Kosten zu hoch erscheinen, „den Umweltministern wiederum ist die Verordnung viel zu lasch“, schildert Görgen das Gerangel.

Erschwert wird die Durchsetzung von Schutzgesetzen für den Wald auch durch eine mangelnde Haftungspflicht. Hätten Waldbesitzer ein Recht auf Ausgleich der gewaltigen Verluste, die ihnen letztlich durch die Luftverschmutzung entstehen, so könnte dies zu einer Versöhnung der Gegensätze zwischen Umwelt- und Finanzministern führen.

Als Beleg für den mangelnden Handlungswillen der Bundesregierung verweisen Naturschützer gerne auf eine höchstrichterlich dokumentierte Gesetzeslücke: Schon vor sechs Jahren urteilte der Bundesgerichtshof gegenüber der Stadt Augsburg und einem Schwarzwälder Waldbesitzer, die auf Schadensersatz geklagt hatten, daß dafür die entsprechende Rechtsgrundlage fehle. Der Sache nach seien die Waldschäden jedoch „entschädingungswürdig und entschädigungsbedürftig“.

Nun muß das Verfassungsgericht darüber urteilen, wer wen entschädigen muß und mit wessen Geld dies geschehen soll. Ministerialrat Peter Splett, der im Landwirtschaftsministerium für die neuartigen Waldschäden zuständig ist, weiß, das die Forderung nach Ausgleichszahlungen leicht zu stellen, aber nur schwer umzusetzen ist. „Eine Entschädigung setzt voraus, daß man die Ansprüche juristisch klar formulieren kann.“ Dies sei aber angesichts der hochkomplexen Vorgänge im Ökosystem Wald fast unmöglich. Gegenüber dem Finanzministerium konnte man deshalb nicht einmal ungefähre Angaben über die Höhe der zu erwartenden Forderungen machen.

So steht zu befürchten, daß auch die Landwirte sich den Auflagen widersetzen werden, die derzeit in Bonner Ministerien angedacht werden. Ausgangspunkt der Überlegungen ist die Erkenntnis, daß in Folge einer intensiven Tierhaltung und der damit zusammenhängenden überreichlichen Ausbringung der anfallenden Gülle enorme Mengen an Stickstoff in Form von Ammoniak freigesetzt werden.

Unter dem Strich schädigt die Landwirtschaft den Wald daher noch stärker als der Individualverkehr, so die Bilanz eines Hintergrundpapiers aus dem Bundesforschungsministerium. Laut Abteilungsleiter Helmut Schulz soll mit einer Düngeverordnung, „die mittlerweile von der Bundesregierung in Angriff genommen wurde“, erreicht werden, daß Stickstoff in der Landwirtschaft nur noch dort eingesetzt wird, wo die Pflanzen ihn wirklich brauchen.

Vorgesehen ist auch, daß in Großtieranlagen Schadstofffilter eingebaut werden müssen. Dies wäre dann ein weiteres Mosaiksteinchen in der kaum noch überschaubaren Fülle von Gesetzen, Verordnungen, Abgaben, Steuern und technischen Maßnahmen, mit denen der Wald gerettet werden soll, ohne den Wähler zu verprellen.

(Originalmanuskript zu einem Artikel für Bild der Wissenschaft, erschienen in der Dezember-Ausgabe 1993)

Weitere Infos:

  1. Wolfram Elling, Waldschäden und Waldschadensforschung – eine kritische Zwischenbilanz, Naturwissenschaftliche Rundschau Heft 5/92, Seite 184.
  2. Caroline Möhring/BMFT, 10 Jahre Waldschadensforschung, Bonn 1992
  3. Umweltbundesamt, Jahresbericht 1992

Dioxin – Wie gefährlich ist es wirklich?

Dioxin ‑ ein einziges Wort genügt, um auch heute noch, 17 Jahre nach dem Chemieunfall im italienischen Seveso, Angst und Schrecken zu verbreiten. Die Bilder der vom Gift entstellten Gesichter, der toten Tiere und der Bagger, die monatelang den verseuchten Boden abtrugen, haben ihre Spuren hinterlassen. Als 1982 auch noch die 2400 Einwohner des amerikanischen Städtchens Times Beach ihre Heimat wegen Dioxin‑verseuchter Böden verlassen mußten, war die Substanz endgültig zum „Supergift“ geworden.

Mit immer empfindlicheren Geräten haben Wissenschaftler sich daraufhin auf die Suche gemacht. Dabei fand man heraus, daß über 200 verschiedene Arten von Dioxinen und den verwandten Furanen immer dann gebildet werden, wenn chlorhaltige Substanzen bei Temperaturen über 250 Grad verbrennen. Die „Kinder des Feuers“, wie sie manchmal bezeichnet werden, entweichen nicht nur aus Müllverbrennungsanlagen, sondern auch aus Hausheizungen und den Auspuffrohren unserer Autos, beim Rauchen und beim Schmelzen von Metallen.

Nicht alle dieser Verbindungen sind gleichermaßen giftig, die Suche der Forscher konzentriert sich deshalb auf rund drei Dutzend Stoffe, unter denen das Seveso‑Gift an erster Stelle steht. Inzwischen ist es möglich, ein einziges Dioxin‑Molekül unter einer Billion anderer Teilchen aufzuspüren. Kein Wunder also, daß die Wissenschaftler fast überall fündig wurden: Im Waldboden ebenso wie im Zeitungspapier, in Kaffeefiltern und Kosmetika, auf Kinderspielplätzen und in der Muttermilch.

Trotz alledem ist die Gefahr nicht so groß, wie die Schlagzeilen vermuten lassen. Im Gegensatz zu anderen Schadstoffen wie Asbest und Benzol streiten sich die Gelehrten noch immer darüber, ob kleine Mengen Dioxin beim Menschen Krebs verursachen können.

Selbst unter den 10000 Erwachsenen und Kindern von Seveso konnte man bisher weder eine erhöhte Krebsrate noch Anzeichen für eine Schädigung der Immunabwehr finden.

Alles deutet darauf hin, daß Menschen längst nicht so empfindlich gegenüber dem „Supergift“ sind, wie man früher vermutete. Für die zuständigen Behörden ‑ das Umweltbundesamt und das Bundesgesundheitsamt ‑ bleibt Vorsicht dennoch oberstes Gebot. Sie wiederholten kürzlich ihre Forderung nach neuen Maßnahmen, um Mensch und Umwelt zu schützen.

Um ganz sicher zu gehen, sollten täglich nicht mehr als ein billionstel Gramm Dioxin je Kilogramm Körpergewicht aufgenommen werden, verlangten die Gesundheitswächter in einem Bericht zum 2. Internationalen Dioxin‑Symposium. Die tatsächliche Belastung liegt in Deutschland etwa doppelt so hoch, doch ist auch diese Menge so winzig, daß selbst im Laufe von 100 Jahren alle Deutschen zusammen nicht einmal ein halbes Gramm abbekämen.

Der weitaus größte Teil der Schadstoffe, nämlich 95 Prozent, wird dabei über die Nahrung aufgenommen, vor allem über Fleisch und Fisch, Eier und Milchprodukte. Auch Muttermilch enthält Dioxin in vergleichsweise hohen Konzentrationen, weil aber „die Belastung nur kurze Zeit stattfindet und das Stillen nachweislich von großem Nutzen ist“, sind sich die Experten darin einig, daß alle Säuglinge trotzdem vier bis sechs Monate voll gestillt werden sollten.

Mit einer Reihe von Verordnungen und Verboten hat Umweltminister Klaus Töpfer inzwischen erste Erfolge im Kampf gegen die Dioxine erzielt. Die 50 deutschen Müllverbrennungsanlagen, aus deren Schornsteinen noch vor fünf Jahren insgesamt 400 Gramm Dioxinäquivalente entwichen, sind dank modernster Technik schon deutlich sauberer geworden und sollen in drei Jahren nur noch vier Gramm freisetzen.

Chlorhaltige Zusatzstoffe im Benzin wurden verboten und auch die einheimischen Papier‑ und Zellstoffstoffhersteller verzichten mittlerweile auf das Element, dessen Gegenwart die Entstehung des „Supergiftes“ begünstigt.

Eine Dioxinverordnung, mit der schon im Januar die weltweit niedrigsten Grenzwerte für 25 Verbindungen festgelegt wurden, ist allerdings noch immer nicht rechtskräftig: Schlimmstenfalls wird man in Bonn ein ganzes Jahr auf die nötige Zustimmung der Brüsseler EG‑Bürokraten warten müssen.

Geschrieben für die Neue Apotheken Illustrierte, Erscheinungsdatum unbekannt

Quelle: Bericht zum 2. Internationalen Dioxin-Symposium.

Dioxin – die Fakten

Seveso ist überall heißt ein Klassiker der Umweltschutz-Literatur. Untertitel des 1989 erschienen Werkes von Egmont R. Koch und Fritz Vahrenholt: „Die tödlichen Risiken der Chemie.“ Es steht auch in meinem Bücherschrank und hat wesentlich zur Sensibilisierung gegenüber der Umweltverschmutzung beigetragen. Der so aufgebaute Druck dürfte wesentlich dazu beigetragen haben, dass innerhalb weniger Jahre sehr strenge Schutzmaßnahmen ergriffen wurden und die Belastung durch das „Supergift“ deutlich gesunken ist. Wer es etwas genauer wissen will findet hier einen Artikel, den ich anhand der Unterlagen zum 2. Internationalen Dioxin-Symposium in Berlin für die Pharmazeutische Zeitung vom 9. September 1993 geschrieben habe:

Obwohl in Deutschland heute wesentlich weniger Dioxine und Furane freigesetzt werden als noch vor einigen Jahren, sind weitere Maßnahmen möglich und erforderlich, um die Schadstoffbelastung der Umwelt zu reduzieren. Diese Forderung erhoben Experten des Bundesgesundheitsamtes und des Umweltbundesamtes kürzlich in einem Sonderheft des Bundesgesundheitsblattes.

Die Ableitung einer »gesundheitlich unschädlichen« Dosis wird erschwert durch einen Mangel an verwertbaren Hinweisen aus epidemiologischen Studien am Menschen. Der Beweis einer krebserzeugenden Wirkung von niedrigen Dosen des »Seveso-Giftes« 2,3,7,8-Tetrachlor-Dibenzo-p-Dioxin steht für den Menschen noch aus, wird in der Auswertung des 2. Internationalen Dioxin-Symposiums mitgeteilt. Allerdings werden die Ergebnisse des Follow-Up in Seveso erst in einigen Jahren vorliegen, und die Daten aus verschiedenen Untersuchungen zeigten, »daß es sich beim 2,3,7,8-TCDD mit hoher Wahrscheinlichkeit um ein Humankanzerogen handelt«.

Weniger deutlich sind die Hinweise auf eine Störung des Immunsystems oder der Reproduktionsfähigkeit durch die verschiedenen Vertreter der polychlorierten Dibenzo-p-dioxine und -furane (PCDDVF). Derzeit gibt es keine verläßlichen Anhaltspunkte dafür, daß derartige Effekte beim Menschen durch geringe Dosen dieser Substanzgruppe ausgelöst werden können.

Schwierig ist auch die Beurteilung von schädlichen Einflüssen auf das Zentralnervensystem. An Personen, die längerfristig beruflich oder durch Chemieunfälle exponiert waren, wurde zwar eine Reihe von Befindlichkeitsstörungen, Beschwerden und Befunden immer wieder registriert. So klagten Betroffene nach akuter Exposition mit hohen Dosen über Kopfschmerzen, Übelkeit, Schlafstörungen und Impotenz und waren zudem leicht reizbar. Chronische Exposition hatte unter anderem abgeschwächte oder nicht auslösbare Muskeleigenreflexe und Empfindungsstörungen in den Extremitäten zur Folge. In umfangreichen psychologischen Studien wurde lediglich »eine vermehrte psychosomatische Störbarkeit und eine erhöhte Verstimmbarkeit« aufgezeigt.

Probleme mit Richt- und Grenzwerten

»Eine eindeutige oder gar dosisabhängige neurotoxische Wirkung für PCDD/F konnte bei der Mehrzahl der Untersuchten nicht festgestellt werden«, bilanzierten Professor Jörg Schuster und Dr. Jutta Dürkop. Schwierigkeiten bereitet den Experten die Vielzahl der Dioxine und Furane, die trotz des gemeinsamen Wirkmechanismus ein stark unterschiedliches toxikokinetisches Verhalten zeigen. Die wissenschaftliche Basis der TCDD-Äquivalenzfaktoren (TEF), die in Form von Richt- und Grenzwerten in die Gesetzgebung eingehen, ist daher umstritten. TEF stützen sich im Wesentlichen auf Versuche zur chronischen Toxizität, die Induktion von Monooxygenasen bei der Ratte und auf teratogene Wirkungen. Aussagen zur möglichen Kanzerogenität und zur Immuntoxizität stehen somit auf wackeligen Beinen.

Die Bandbreite der gesundheitsbezogenen Richtwerte im verschiedenen Ländern ist dennoch relativ gering. Die vom Regionalbüro Europa der Weltgesundheitsorganisation errechnete »hinnehmbare tägliche Aufnahme« von zehn Picogramm 2,3,7,8-TCDD pro Kilogramm Körpergewicht und Tag wurde von Kanada, den Niederlanden und Großbritannien akzeptiert. Der Nordische Rat hat für die skandinavischen Länder fünf Picogramm festgelegt, in Deutschland geht man von einem bis zehn Picogramm aus, wobei ein Sicherheitsfaktor von 100 bis 1000 zugrunde gelegt wurde.

Kinder stark belastet

Zumindest die untere Grenze dessen, was die Experten hierzulande als »hinnehmbar« ansehen, wird in der Regel überschritten. Erwachsene nehmen in Deutschland durchschnittlich zwei Picogramm Toxizitätsäquivalente (TE) pro Tag und Kilogramm Körpergewicht auf, einjährige Kinder etwa das Doppelte.

Am stärksten betroffen sind Säuglinge, die beim Stillen täglich im Durchschnitt 150 Picogramm TE je Kilogramm Körpergewicht aufnehmen. Wie Dr. Dietrich Schulz vom Umweltbundesamt mitteilte, deuten Untersuchungen aus Nordrhein-Westfalen darauf hin, daß die durchschnittlichen Konzentrationen in der Frauenmilch zwischen 1989 und 1991 um etwa ein Drittel abgenommen haben. Als dichtbesiedeltes und hochindustrialisiertes Land nimmt die Bundesrepublik damit weiterhin eine unerfreuliche Spitzenstellung ein. Trotz dieser Belastung sieht das BGA aber keine gesundheitliche Gefährdung des Säuglings und empfiehlt nach wie vor allen Müttern, vier bis sechs Monate voll zu stillen.

Eine Reihe von Schutzmaßnahmen wurde in den letzten Jahren eingeleitet, um die freigesetzten Dioxinmengen zu begrenzen. Doch werden nach Schätzungen zwischen einem und zwei Kilogramm Dioxin-Toxizitätsäquivalente jährlich auf der Gesamtfläche der alten Bundesländer deponiert. Für die Niederlande geht man von fast einem Kilogramm aus, in Schweden, wo die Gesamtemissionen innerhalb von sieben Jahren um achtzig Prozent verringert wurden, rechnet man mit 120 bis 290 Gramm TE auf der gesamten Landesfläche.

Dioxine aus der Müllverbrennung

Während früher die chemische Industrie die Hauptquelle für Dioxine war und »als Ursache für heutige Altlasten anzusehen ist«, so der Bericht, spielen mittlerweile thermische Prozesse wie die Abfallverbrennung und Metallschmelzen die wichtigste Rolle. Die 17. Bundesimmissionsschutzverordnung (BimSchV) verlangt, daß die 400 Gramm Dioxin-TE, die noch 1989 aus Müllverbrennungsanlagen entwichen, spätestens bis 1996 auf vier Gramm reduziert werden.

Eine wichtige Voraussetzung für die Umsetzung der Verordnung bilden neue Erkenntnisse zur Dioxinbildung, die am Kernforschungszentrum Karlsruhe von Professor Hubert Vogg gewonnen wurden. Sie erlauben es, durch eine präzise Steuerung des Verbrennungsprozesses die Bildung der Schadstoffe auf weniger als ein zehnmilliardstel Gramm pro Kubikmeter Abluft zu reduzieren. Fraglich ist allerdings, ob der BImSchV-Grenzwert von 0,1 Nanogramm Dioxin-TE pro Kubikmeter Abluft auch beim Schmelzen von Eisen und Stahl, beim Umschmelzen von Aluminium oder der Kupferrückgewinnung eingehalten werden kann. Nach groben Schätzungen dürften diese Anlagen mehr als doppelt so viel Dioxin freisetzen wie alle fünfzig deutschen Müllverbrennungsanlagen zusammen.

Probleme gibt es auch bei der Umset­zung der bereits im Januar vom Kabi­nett verabschiedeten Dioxinverord­nung. Zu Jahresbeginn hatte man laut Umweltminister Klaus Töpfer die »weltweit niedrigsten Grenzwerte für Dioxine in Stoffen, Zubereitungen und Erzeugnissen festgelegt«. Alle toxiko­logisch relevanten chlorierten Dioxi­ne, 17 an der Zahl, wurden erfaßt; erstmalig gab es auch Grenzwerte für acht bromierte Dioxine und Furane. Rechtskräftig ist die Verordnung in­des noch nicht, weil die Notifizierung durch die zuständigen EG-Behörden noch aussteht. Bis zu einem Jahr dür­fen sich die Brüsseler Bürokraten Zeit lassen, um die deutsche Verordnung zu begutachten.

Quellen:

Bundesgesundheitsblatt – Sonderheft 1993, Hrsg.: Jörg Schuster und Jutta Dürkop. 2 Interna­tionales Dioxin-Symposium und 2. fachöffentliche Anhörung des Bundesgesundheitsamtes und des Umweltbundesamtes zu Dioxinen und Furanen in Berlin vom 9. bis 13. November 1992. 1. Auswer­tung.

Maßnahmen gegen Sommersmog

Die von Umweltminister Klaus Töpfer in der letzten Woche vorgelegte Sommersmog-Verordnung der Bundesregierung ist unter Beschuß geraten, noch bevor sie dem Bundesrat zur Beratung zugeleitet werden konnte. Die Festlegung von Konzentrationswerten für Stickoxide, Benzol und Ruß erleichtert zwar verkehrsrechtliche Maßnahmen durch die örtlichen Behörden – eine deutliche Verminderung des bodennahen Ozons aber wird Kritikern zufolge durch die neue Verordnung nicht erreicht.

Erst wird gemessen, ab dem 1. Juli 1995 darf dann gehandelt werden. Mit diesem Datum treten die neuen Konzentrationswerte in Kraft, die nach langem Tauziehen zwischen Umwelt- Verkehrs- und Wirtschaftsministerium festgelegt wurden. Ziel der Verordnung ist es, den verkehrsbedingten Sommersmog zu bekämpfen. Als Indikatorsubstanzen wählte man Stickoxide (NOx), Benzol und Ruß. Während Benzol und Ruß vor allem wegen ihres krebserregenden Potentials von Bedeutung sind, führen Stickoxide zusammen mit flüchtigen Kohlenwasserstoffen unter Sonneneinstrahlung zur Bildung des Reizgases Ozon.

Der „Ernstfall“ tritt nach dem Willen der Bundesregierung ein, wenn im Jahresmittel mehr als 160 Mikrogramm NOx pro Kubikmeter Luft gemessen, oder aber kurzfristig 320 Mikrogramm (μg) überschritten werden. Für Ruß gilt zunächst ein Jahresmittelwert von 14 μg, der zum 1. Juli 1998 auf 8 μg abgesenkt wird. Auch bei Benzol sind zwei Stufen vorgesehen: Im ersten Schritt gilt ein Konzentrationswert von 15 μg, der drei Jahre später auf 10 μg reduziert wird.

Aus Stichproben weiß man, daß sämtliche Werte vielerorts deutlich überschritten werden, besonders wenn die Meßungen – wie vorgesehen – in engen Straßenschluchten mit geringer Luftzirkulation ausgeführt werden.

Die „erforderlichen Verkehrsmaßnahmen“ – sprich Umleitungen und Straßensperrungen, Geschwindigkeitsbeschränkungen und Fahrverbote – scheinen daher unvermeidlich, drohen aber erst in zwei Jahren. Welche Schritte dann im Einzelnen eingeleitet werden, bleibt den zuständigen Verkehrsbehörden überlassen. „Wir können nicht von Bonn aus beurteilen, welche Maßnahmen vor Ort sinnvoll sind“, begründet Töpfer das Verfahren. Eine Verwaltungsvorschrift, die jetzt noch zwischen der Bundesregierung und den Ländern ausgehandelt werden muß, soll jedoch Prioritäten setzen und eine „Harmonisierung“ der Bemühungen erreichen.

Den Kommunen bleibt trotz der scheinbar großzügig bemessenen Frist bis zum Juli 1995 nicht viel Zeit: Während Staub und Schwefeldioxid, Ozon und Stickoxide bereits flächendeckend erfaßt werden, fehlen die Geräte zur Meßung von Benzol und Ruß. Sie kosten zwischen 100000 und 300000 Mark pro Anlage und müßen trotz technischer Unvollkommenheiten bei der Rußmeßung spätestens im Sommer 1994 einsatzbereit sein, damit ein Jahr später die geforderten Jahresdurchschnittswerte zur Verfügung stehen.

Von den Neuanschaffungen – in der Stadt Hamburg werden beispielsweise vier neue Geräte benötigt – profitieren in erster Linie die Anwohner vielbefahrener Straßen. Sie leiden am stärksten unter den krebserregenden Benzol- und Ruß-Emissionen der Autos. Mit der Festschreibung von Konzentrationswerten wird ihnen ein mächtiges Druckmittel in die Hand gegeben, denn kaum ein Straßenverkehrsamt wird sich dem Vorwurf aussetzen wollen, dem Überschreiten dieser Werte tatenlos zuzusehen. Bis zu zehn zusätzliche Leukämiefälle pro 100000 Einwohner gehen nach Schätzungen allein auf das Konto des leichtflüchtigen Kohlenwasserstoffs Benzol, der zu 90 Prozent im Zusammenhang mit dem Kraftfahrzeugverkehr freigesetzt wird.

Allzu hohe Konzentrationen dieses Schadstoffes sollen gemäß der neuen Verordnung nun in erster Linie durch verkehrsplanende und verkehrslenkende Maßnahmen verhindert werden, was letztlich aber nur zu einer Umverteilung der Schadstoffe führen würde. Fahrverbote sind erst an zweiter Stelle vorgesehen, wobei Autos, die mit einem Katalysator ausgestattet sind, sowie Diesel mit einem Partikelwert von weniger als 0,08 Gramm je Kilometer verschont blieben.

Durch einen geregelten Drei-Wege-Katalysator kann nämlich der Ausstoß an Stickoxiden um 90 Prozent, der an Benzol um bis zu 85 Prozent reduziert werden. Im Stadtverkehr allerdings werden diese Werte in der Regel deutlich unterschritten, weil die optimale Betriebstemperatur auf den meist nur kurzen Strecken nicht erreicht wird. Gegenwärtig sind etwa 40 Prozent der deutschen Fahrzeugflotte mit einem Katalysator ausgerüstet; die 100-Prozent Marke hofft Töpfer in fünf Jahren zu erreichen, wenn die „schmutzigen“ Wagen älterer Baujahre weitgehend von den Straßen verschwunden sind.

Von der jetzt vorgelegten Sommersmog-Verordnung erwartet der Umweltminister jedoch nicht nur die Reduktion krebserregender Stoffe in der Atemluft. Zusammen mit anderen Maßnahmen glaubt Töpfer vielmehr eine „deutliche Minderung der Emissionen von Vorläufersubstanzen für Ozon“ bewirken zu können – und zwar „trotz der erwarteten Zunahme des Verkehrs.“

Ganz anders sieht dies das Berliner Umweltbundesamt. Von lokalen Maßnahmen seien keine großen Änderungen bei den Vorläufersubstanzen zu erwarten, hieß es aus der zentralen Umweltbehörde des Bundes, die auch für die wissenschaftliche Beratung des Ministers zuständig ist. Selbst weitgehende Sperrungen der Innenstädte brächten demnach lediglich „Veränderungen im Prozentbereich“, erklärte Pressesprecher Dr. Holger Brackemann.

Nötig seien dagegen Reduktionen der Vorläufersubstanzen um 70 bis 80 Prozent, um die 120 μg pro Kubikmeter Luft nicht wesentlich zu überschreiten, die vom VDI als Orientierungswert für Risikogruppen angesetzt werden. Auch die Ausrüstung der gesamten Pkw-Flotte mit geregeltem Drei-Wege-Kat würde dafür nicht ausreichen.

Gefordert sei deshalb ein generelles Tempolimit von 100 Stundenkilometern auf Autobahnen und Tempo 80 auf Landstraßen, sagte Dr. Klaus Kübler, stellvertretender Sprecher der SPD-Bundestagsfraktion in der Enquete-Kommission „Schutz der Erdatmosphäre“. Erst vor wenigen Wochen war die Hessische Landesregierung mit einer „Ozon-Verordnung“ vorgeprescht und hatte Töpfer damit unter Zugzwang gesetzt.

Trotz juristischer Unsicherheiten wurde in Wiesbaden beschlossen, ein Tempolimit zu verhängen, wenn mindestens drei der 33 Meßstellen des Landes Ozonwerte über 240 Mikrogramm pro Kubikmeter Luft melden. Auf Autobahnen dürfen dann nur noch 90, auf Landstraßen 80 Stundenkilometer gefahren werden. Während Umwelt- und Verkehrsministerium in dem rot-grün regierten Bundesland an einem Strang ziehen und ein Tempolimit auch ohne Ozonalarm für sinnvoll halten, ist die Lage in Bonn weniger harmonisch:

Nach Darstellung des SPD-Umweltexperten Michael Müller leisteten sowohl das Bonner Verkehrs- als auch das Wirtschaftsministerium Widerstand gegen die ursprünglich von Töpfer vorgeschlagenen Konzentrationswerte für Ruß und Benzol, die nun erst ab 1998 gelten werden.

(Originalversion eines Artikels für die VDI-Nachrichten, erschienen am 30. Juli 1993)

Weitere Infos:

Hintergrundpapier Sommersmog des Umweltbundesamtes

Umweltpolitik: Viele Ideen, wenig Action

Eines der Hauptthemen des Umweltgipfels in Rio ist die Bedrohung der Menschheit durch die von Wissenschaftlern vorhergesagte globale Erwärmung. Weniger häufig wird darüber gesprochen, daß die gleichen Experten auch sehr konkrete Vorschläge unterbreitet haben, wie das Problem am besten anzugehen sei. Für die Bundesrepublik, die in den Augen vieler Entwicklungsländer eine Vorreiter-Rolle hat, gibt es sogar ein „nationales CO2-Minderungsprogramm zum Klimaschutz“.

Das Programm, beschlossen vom Kabinett am 7. November 1990, umfaßt elf Punkte und soll sicherstellen, daß Deutschland seine öffentliche Verpflichtung erfüllt, den Kohlendioxid-Ausstoß bis zum Jahr 2005 um mindestens ein Viertel zu reduzieren. Umweltminister Klaus Töpfer damals: „Mit dem heutigen Beschluß hat die Bundesregierung bewiesen, wie ernst sie die globale Klimagefährdung nimmt.“

Aber noch immer fehlen die unter Punkt 1 der Vorlage vorgeschlagenen „ökonomischen Instrumente“ (sprich Klimasteuern). Die geplante Novelle des Energiewirtschaftgesetzes steht ebenso aus wie die beschlossenen Zusätze zu den Verordnungen über Klein- und Großfeuerungsanlagen, über Wärmeschutz und Heizungsanlagen.

Zwar hat die deutsche Automobilindustrie sich freiwillig bereiterklärt, den Energieverbrauch ihrer Fahrzeuge deutlich zu senken. Einstweilen haben die Konkurrenten aus Japan, Frankreich und Italien aber hier die Nase vorn. Die – ebenfalls 1990 beschlossene – Einführung einer schadstoffbezogenen Fahrzeugsteuer läßt noch immer auf sich warten.

Ohnehin hat das CO2-Minderungsprogramm nur einen kleinen Bruchteil dessen berücksichtigt, was die Experten an Problemlösungen anzubieten haben: Die Enquete-Kommission „Vorsorge zum Schutz der Erdatmosphäre“ hatte bereits vor zwei Jahren auf 9173 Seiten dargestellt, was machbar wäre: Sie wertete 150 Studien aus, die alle klimarelevanten Fragen der Energienutzung untersuchen. Seitdem steht das zehnbändige Werk, das nach den Worten seiner Herausgeber die „Klimapolitik der nächsten Jahrzehnte“ bestimmen sollte, in den Bibliotheken.

Eine neue Enquete-Kommission („Schutz der Erdatmosphäre“) hat die Arbeit ihrer Vorgänger fortgesetzt. In dem gerade veröffentlichten Bericht wird dem Bundestag und der Bundesregierung empfohlen, in Zusammenarbeit mit anderen Industrieländern die politische Initiative zu ergreifen, um ein solarthermisches Kraftwerk im Sonnengürtel der Erde zu bauen. Seit mehreren Jahren werden derartige Kraftwerke mit einer Leistung von 350 Megawatt in Kalifornien betrieben; zuverlässig und bereit für die weltweite Markteinführung. Obwohl in Spitzenverbrauchszeiten zusätzlich mit Erdgas gefeuert werden muß, lohnt sich die Sache dreifach: Die Brennstoffkosten sinken auf ein Viertel, die Luftverschmutzung geht gegen Null und natürlich sinkt auch der CO2-Ausstoß drastisch.

Um den Entwicklungsländern die hohen Anschaffungskosten zu versüßen, schlägt die Enquete-Kommission einen „verlorenen Zuschuss“ in Höhe von einem Drittel der Investitionskosten vor, das sind rund 115 Millionen Mark. Konkrete Planungen gibt es für Indien und Brasilien.

Ein zweiter Vorschlag der Kommission wäre billiger zu verwirklichen: Durch einfache Isolationsmaßnahmen ließen sich die Verluste beim Transport von Erdgas drastisch reduzieren. Aus den 220.000 Kilometern Fernwärmeleitungen der ehemaligen Sowjetunion gehen wegen Lecks und technisch überholter Kompressorstationen mindestens acht Prozent des transportierten Erdgases verloren – in Westeuropa und Nordamerika sind es nur 0,5 Prozent.

Vierzig Milliarden Kubikmeter, die Hälfte des deutschen Jahresverbrauches verschwinden so in der Luft. Dabei sind weitere 250.000 Kilometer Leitungen, die benötigt werden, um den Brennstoff zum Verbraucher zu bringen, noch gar nicht mitgerechnet. Aus den Lecks strömt das Treibhausgas Methan, welches den größten Bestandteil des Erdgases ausmacht, direkt in die Atmosphäre. An den Kompressorstationen wird es zu Kohlendioxid verbrannt.

Mit deutscher Hilfe könnten diese Löcher gestopft werden. Dazu die Enquete-Kommission: „Es kann davon ausgegangen werden, daß die zusätzlichen Einnahmen bei einer Sanierung die Ausgaben übersteigen werden“.

(erschienen in „DIE WELT“ am 12. Juni 1992)

Viele Schlupflöcher für den illegalen Tierhandel

Seit fünfzehn Jahren gilt in der Bundesrepublik das Washingtoner Artenschutzübereinkommen (WA), mit dem der internationale Handel mit gefährdeten Tieren und Pflanzen geregelt werden sollte. Westdeutschland unterzeichnete damals als erster EG-Staat; mittlerweile haben sich 110 Nationen dem Abkommen angeschlossen. Ein Grund zum Jubeln? Die Meinungen gehen auseinander.

Noch vor zwei Jahren wurden von den zuständigen Bundesämtern insgesamt 715 Verstöße gegen das Bundesnaturschutzgesetz verfolgt. Fast die Hälfte der Verfahren wurde eingestellt, in 80 Fällen kam es zu einer schriftlichen Verwarnung; die Summe der verhängten Bußgelder belief sich auf exakt 27280 Mark. Obwohl von gesetzlicher Seite ein Höchststrafmaß von fünf Jahren Freiheitsentzug vorgesehen ist, kam es bisher noch nie zu einem solchen Urteil. Ein Freibrief also für Gesetzesbrecher? Diese scheinen sich jedenfalls nicht von den langen Listen des WA beeindrucken zu lassen, auf denen mittlerweile über 2000 Tierarten und rund 30000 Pflanzenarten verzeichnet sind.

Mit der bisherigen Rechtsprechung in Sachen Artenschutz ist Umweltminister Klaus Töpfer ebenso unzufrieden wie die Aktionsgemeinschaft Artenschutz oder die Umweltstiftung WWF Deutschland. Auf einer Pressekonferenz am Frankfurter Flughafen, der deutschen Drehscheibe für den illegalen Handel mit geschützten Tieren und Pflanzen, machte der Minister seinem Ärger Luft: „Die Gerichte sollen das Strafmaß voll und ganz ausschöpfen“, so Töpfer, der hinzufügte: „Ich bin für ein Mindestmaß an Freiheitsstrafe in gewissen Fällen.“

Damit enden allerdings die Gemeinsamkeiten zwischen empörten Tierschützern und dem Umweltminister. Der WWF verweist darauf, daß für den deutschen Heimtiermarkt jährlich noch immer 35000 bis 40000 lebende Papageien, 500 bis 1000 Krokodile und Warane sowie mehrere tausend Riesenschlangen eingeführt werden, für die in der Regel weder beim Händler, noch beim Käufer eine artgerechte Unterbringung gewährleistet sei.

Die Aktionsgemeinschaft Artenschutz (AGA) unter ihrem Vorsitzenden Günther Peter schlägt in die gleiche Kerbe: „Im Gegensatz zur Bundesregierung hat die AGA nichts Positives über den Vollzug des Übereinkommens zu berichten.“ Seit dem Beitritt vor 15 Jahren habe sich Deutschland zu einem der weltweit größten Verbraucher bedrohter Arten entwickelt.

Dem widerspricht der Bundesumweltminister, der auf die stark gesunkenen Einfuhrzahlen etwa für Elfenbein, Landschildkröten und Wildkatzen verweist. Während 1979 noch 66 Tonnen Rohelfenbein von afrikanischen Elefanten in die Bundesrepublik importiert wurden, ging diese Menge auf 0,43 Tonnen einschließlich Elfenbeinschnitzereien im letzten Jahr zurück. Ausschlaggebend für diesen Erfolg dürfte das Inkrafttreten eines internationalen Handelsverbots sein, dessen Verlängerung derzeit heftig umstritten ist. Die Felle wildlebender Katzenarten wie des Ozelot werden gar nicht mehr importiert; 1979 erreichte ihre Zahl noch 121000.

Diese Zahlen sind zwar erfreulich, aber nicht unbedingt sehr aussagekräftig. Sie reflektieren die Tatsache, daß der afrikanische Elefant oder bestimmte Raubkatzen im Laufe der letzten Jahre in die Liste des WA aufgenommen wurden. Die illegalen Importe geschützter Tiere, Tierprodukte und Pflanzen haben dagegen ständig zugenommen. Schuld an dieser Entwicklung sei auch die „katastrophale Unkenntnis“ von Beamten in den neuen Bundesländern und die personelle Unterbesetzung der Artenschutzbeamten in der Bundesrepublik, so die AGA.

Wie Töpfer mitteilte, sollen in einem neuzuschaffenden Bundesamt für Naturschutz 12 zusätzliche Stellen für den Artenschutz geschaffen werden. Detlef Szymanski, Referatsleiter Artenschutz im hessischen Ministerium für Naturschutz, teilte auf Anfrage mit, für den Vollzug der Artenschutzgesetze stünden 13 Beamte zur Verfügung, mit denen „die vorgegebenen Aufgaben erledigt werden könnten, ohne größere Rückstände entstehen zu lassen“.

Einen anderen Weg zum Schutz bedrohter Arten will der Zentralverband zoologischer Fachbetriebe Deutschlands einschlagen, der jetzt eine „Selbstbeschränkung im Handel mit Heimtieren“ beschlossen hat. Über die Artenschutzliste des WA hinaus sollen eine Reihe von Arten nicht mehr öffentlich präsentiert werden. Der Verkauf weiterer Arten, die besondere Ansprüche an die Haltung stellen, wird für die Mitglieder des Verbandes künftig mit einer Beratungspflicht gekoppelt.

(erschienen in „DIE WELT“ am 3. Juli 1991)

Bulgarien droht ein Tschernobyl

Eine akute Gefährdung des gesamten südeuropäischen Raumes stellt das einzige bulgarische Kernkraftwerk Kozloduj nach Meinung der Betriebsmannschaft dar. In einem inoffiziellen Hilfeersuchen an die Wiener Atomenergiebehörde IAEA ist die Rede davon, daß besonders die Dampferzeuger in dem Kraftwerk sowjetischer Bauart zu versagen drohten. Aber auch der Druckbehälter und der primäre Kühlkreislauf der Blöcke I und II befinden sich in einem „bedenklichen Zustand“.

Wie der Sprecher der IAEA, Hans-Friedrich Meyer, erklärte, habe man gerade eine dreiwöchige intensive Überprüfung der Anlage vorgenommen: „Das Team der IAEA fand das Kraftwerk in einem sehr schlechten Zustand vor, mit einer Anzahl sicherheitsrelevanter Mängel.“ Man habe die bulgarische Regierung gebeten, sofortige Maßnahmen zu ergreifen, doch wollte Sofia dieser Bitte wegen des Energienotstandes im Land keine Folge leisten.

Die Anlage, die sich rund 130 Kilometer nördlich von Sofia an der rumänischen Grenze befindet, deckt etwa 30 Prozent des bulgarischen Strombedarfs. Bei den Atommeilern vom Typ WWER mit jeweils 440 Megawatt Leistung handelt es sich um Bulgariens älteste Kernkraftwerke. Sie wurden bereits Mitte der siebziger Jahre erbaut.

Mittlerweile wurde bekannt, daß Bundesumweltminister Klaus Töpfer den Generaldirektor der IAEA gebeten hat, für den 9. Juli eine Konferenz mit Beteiligung westlicher Nationen und der Weltwirtschaftsbank einzuberufen. Offensichtlich befürchtet man ein Versagen der beiden noch nicht stillgelegten Blöcke, die baugleich mit denen im stillgelegten deutschen Kernkraftwerk Greifswald sind. Ein bereits fertiggestellter sechster Block wurde bisher nicht angeschaltet. Bei dessen Inbetriebnahme droht nach Meinung der Angestellten eine „Katastrophe wie in Tschernobyl“.

Während in Greifswald pro Reaktorblock acht sowjetische Experten zur Ausbildung und für Notmaßnahmen bereitstanden, mußte deren Zahl für die schlecht ausgebildete bulgarische Bedienungsmannschaft verdoppelt werden. Alle 32 sowjetischen Spezialisten, die mit dem russischen Reaktortyp WWER gut vertraut waren, wurden aber schon vor Monaten abgezogen, angeblich weil die bulgarische Regierung in Zahlungsschwierigkeiten geriet. Um Sofia doch noch zum Einlenken zu bewegen, wäre es denkbar, Strom aus westeuropäischen Ländern zur Verfügung zu stellen. Dieser könnte über eine Kupplungsstelle in Österreich in das osteuropäische Netz eingespeist werden.

(erschienen in „DIE WELT“ am 29. Juni 1991)

Was wurde daraus? Keine Ahnung, ob die Sorgen damals vor dem Hintergrund der Reaktorkatastrophe von Tschernobyl übertrieben waren, oder ob wir einfach nur Glück hatten, dass nichts passiert ist. Jedenfalls wurden alle 4 hier beschriebenen Blocks noch bis 2002 bzw. 2006 weiter betrieben, und seitdem läuft Kosloduj mit zwei neueren Reaktoren (Baujahre 1988 bzw. 1993), die angeblich westlichen Sicherheitsstandards entsprechen.

Strahlende Hinterlassenschaft

Geld spielte für die Sowjetunion keine Rolle, solange es um die Ausbeutung der Rohstoffe in der ehemaligen DDR ging. Bis zum Zehnfachen der Weltmarktpreise für Uran musste die Wismut AG anlegen, um den Böden Sachsens und Thüringens das begehrte Metall abzugewinnen. Der Urananteil im Gestein war nämlich mit einem Tausendstel so gering, dass ganze Täler ausgebaggert werden mussten, um den Hunger nach billigem Kernbrennstoff und atomaren Sprengsätzen zu sättigen. Dabei entwickelte sich die deutsch-sowjetische Aktiengesellschaft allmählich zu einem „Staat im Staate“, komplett mit Spitzengehältern und eigener Handelskette.

Auch wenn jetzt im Januar die „kontrollierte Stilllegung“ der Anlage Seelingstädt eingeleitet wird, werden die Einwohner des Erzgebirges noch lange Zeit an den Schäden zu tragen haben, die ihnen der maßlose Bergbau in der Region gebracht hat. Zusätzlich zu den Narben in der Landschaft, den Absetzbecken mit Hunderten von Millionen Tonnen Rückständen und den 3000 Hügeln der Abraumhalden sind die Einwohner noch mit einem weiteren Problem konfrontiert: Radon, ein radioaktives Edelgas, entweicht aus dem Boden der Region.

Klaus Töpfer – hier im Jahr 2009 – war ein kompetenter und glaubwürdiger Umweltminister (Foto: Heinrich Böll Stiftung Berlin, Conference: Countdown to Copenhagen CC BY-SA 2.0 via Wikipedia)

„Meine Sorge ist nicht geringer geworden“, meinte Umweltminister Klaus Töpfer nach der Besichtigung des Wismuth-Erbes und sieht sich vor gewaltigen Aufgaben. Bei Lichtenberg, wo der Tagebau vor zwölf Jahren eingestellt wurde, ist der Krater heute noch 160 Meter tief und entwickelt auf dem Boden den Fäulnisgeruch von schwefeligen Gasen. Direkt angrenzend befindet sich eine wilde Deponie, die Ende des Jahres geschlossen wird. Ölreste und eine möglicherweise brisante Mischung an undefinierten Abfallstoffen wurden hier – nach der Wende – abgelagert und stinken nun zum Himmel.

In der Anlage Königstein wurden mehrere Millionen Kubikmeter Säure in den Boden gepumpt, um das dort befindliche Erz zugänglich zu machen. Dieser Betrieb kann nicht einfach stillgelegt werden, weil die Säuremassen sonst das Grundwasser gefährden würden. Trotz der unzähligen Halden und alten Anlagen mit ihren gewaltigen Mengen an Schwermetallen trägt aber das radioaktive Gas Radon am meisten zur Strahlenbelastung der Bevölkerung bei. Jede hundertste Wohnung in Schneeberg weist so hohe Mengen an Radon auf, dass sie „der direkten Sanierung bedürftig“ ist, so Töpfer.

Über 15.000 radioaktive Zerfälle je Kubikmeter Raumluft werden in diesen Räumen gemessen und gefährden auf lange Sicht die Gesundheit der Bewohner. Noch wurden Messungen nur stichprobenartig genommen, doch gewinnt das Bild zunehmend an Klarheit, während das Bundesamt für Strahlenschutz ständig neue Daten gewinnt. Konfrontiert mit den Sorgen der Bewohner dieser Häuser, empfahl Töpfer als erste Sanierungsmaßnahmen für die betroffenen Häuser ein verstärktes Lüften, das Abdichten der Kellerräume und die Installation von Drainagen. Um der großen Skepsis der Einwohner gegenüber amtlichen Verlautbarungen zu begegnen, soll jetzt eine Beratungsstelle eingerichtet werden, in der Betroffene sich darüber informieren können, welche Sanierungsmaßnahmen für ihre spezielle Situation am geeignetsten sind.

Radon ist auch in anderen Ländern ein Problem, doch kommt es wegen der geologischen Besonderheiten im Erzgebirge zu extremen Schwankungen in den frei gesetzten Radonmengen. Ehemals uranhaltige Lagen liegen hier fast senkrecht im Boden; die Schächte münden in extremen Fällen in den Kellergewölben der Einwohner und dienen so als „Fluchtweg“ für das Radon das aus dem Gestein entweicht. Direkt angrenzende Lagen führen häufig nur sehr wenig Uran, so dass dort drastisch geringere Konzentrationen gemessen werden.

Trotz der zweifellos skandalösen Lage in den ehemaligen Uranbergbaugebieten ist in der Bevölkerung auch Optimismus zu vernehmen. Anlässlich einer Bürgerversammlung in der Hospitalkirche der Gemeinde Schneeberg sprach Pfarrer Andreas Tusche von einem Zeichen der Hoffnung: „22 Tage nach der Vereinigung, ist etwas geschehen, was hier 40 Jahre lang nicht möglich war: Ein Minister hat sich den Sorgen und Ängsten der Bevölkerung gestellt.“

(Bericht von einer Dienstreise mit Klaus Töpfer auf Einladung des Umweltministeriums. Erschienen in der WELT vom 27. Oktober 1990. Letzte Aktualisierung 17. April 2017)

Was ist daraus geworden? Mehrmals durfte ich in meiner „Bonner Zeit“ Klaus Töpfer begleiten und auf Pressekonferenzen erleben. Im Gegensatz zu so manchen Nachfolgern habe ich ihn als kompetent und glaubwürdig erlebt. Diesem Thema blieb er auch treu und wurde später unter anderem Exekutivdirektor des Umweltprogrammes der Vereinten Nationen. Das Uranaufbereitungswerk in Seelingstädt wurde wie fast alle Anlagen nach der Wende geschlossen und das Gelände saniert. Die Belastung durch Radon ließ sich jedoch nicht überall beseitigen, und sie besteht nicht nur in den ehemaligen Uranerzabbaugebieten der Wismut. Rechnerische Abschätzungen aus der Lungenkrebshäufigkeit von Bergarbeitern haben ergeben, dass Radon für etwa 10 % der Lungenkrebstodesfälle verantwortlich ist, so die Wikipedia. „Diese Größenordnung wurde inzwischen durch epidemiologische Studien belegt. Damit gehen pro Jahr in der EU 20.000 Lungenkrebstodesfälle und in Deutschland etwa 1.900 auf Radon zurück.“

Milliarden-Schäden durch Uranabbau im Erzgebirge

Schneeberg. Der Uranbergbau in der ehemaligen DDR hat schwerwiegende Umweltprobleme hinterlassen. Umweltminister Klaus Töpfer zeigte sich erschrocken über das Ausmaß der Verwüstungen und den sorglosen Umgang mit schwach radioaktiven Substanzen, der im Erzgebirge jahrzehntelang betrieben wurde und teilweise noch anhält. Anlässlich einer Bürgerversammlung im sächsischen Schneeberg warb Töpfer um Vertrauen für die Umweltpolitik der Bundesregierung.

Abraumhalden bei Schneeberg im Erzgebirge (Copyright 1990, Michael Simm)

Der größte Bergbaubetrieb der Region, die Wismut AG mit derzeit 30.800 Arbeitern, hat seit dem Ende des zweiten Weltkrieges 220.000 Tonnen aufbereitetes Uran (yellow cake) in die Sowjetunion geliefert, ebenso viel wie die Vereinigten Staaten im gleichen Zeitraum produzierten. Das Metall, welches nach einer weiteren Anreicherungsstufe als Kernbrennstoff‘ oder Sprengsatz für Nuklearwaffen dient, wurde unter immensen Kosten für Mensch und Natur gefördert.

Schlammartige Rückstände der Erzaufbereitung werden in gigantischen Absetzbecken von der Größe mittlerer Baggerseen gelagert, die allmählich austrocknen und dabei radioaktiven Staub freisetzen. Erst wenn alle Becken mit Abdeckmaterialien versiegelt sind, ist auch die Gefahr einer Verseuchung von Grund- und Oberflächenwasser durch diese Becken gebannt.

Arbeiten dazu sind bereits in Gang, doch die Beseitigung der riesigen Abraumhalden, die bei der Erzförderung anfielen, wird längere Zeit in Anspruch nehmen: Über 3000 dieser Halden, die bis zu 130 Meter hoch sind, produzieren säurehaltige Sickerwässer, die ebenfalls unkontrolliert ins Grundwasser gelangen.

Die Wismut AG ist eine deutsch-sowjetische Aktiengesellschaft, die noch zu Zeiten des alten Regimes gegründet wurde. Jetzt soll sie unter dem im April berufenen Generaldirektor Horst Richter einen umfassenden Sanierungsplan erstellen. Die unmittelbaren Kosten für die Beseitigung der Schäden dieses Raubbaus schätzt Richter auf 5,4 Milliarden Mark. Eine Beteiligung der Sowjets an den Kosten halten sowohl Töpfer als auch Richter für unwahrscheinlich.

Hohe Priorität gilt auch der Sicherung medizinischer Daten der Wismut-Mitarbeiter. Nach Schätzungen standen fast eine Million Menschen zeitweilig in den Diensten der Gesellschaft. Derzeit befinden sich deren Daten noch im Arbeitshygienischen Zentrum der Region Wismut, doch ist bereits ein unabhängiges Institut mit der Auswertung beauftragt worden.

(erschienen auf der Titelseite der WELT am 27. Oktober 1990. Letzte Aktualisierung am 17. April 2017)

Was ist daraus geworden? Eine extrem umfangreiche Aufarbeitung dieser Geschichte findet sich mittlerweile auf der Wikipedia. Auch zahlreiche Bücher wurden über die Hinterlassenschaft der Wismut geschrieben, darunter auch „Uran für Moskau“ von Rainer Karlsch. Einen Fachartikel mit dem Thema „Gesundheitliche Folgen der beruflichen Strahlenbelastung im deutschen Uranbergbau“ von Maria Schnelzer, Nora Fenske, Linda Walsh, Michaela Kreuzer fand ich im Umwelt und Mensch – Informationsdienst, Nr. 01/2015, der gemeinsam vom Bundesamt für Strahlenschutz (BfS), Bundesinstitut für Risikobewertung (BfR), Robert Koch-Institut (RKI), und Umweltbundesamt (UBA) herausgegeben wird. Demnach wurden 60000 frühere Wismut-Arbeit über viele Jahe hinweg regelmäßig untersucht mit dem Ergebnis: „Bis Ende 2008 waren 25.438 Personen (43% der Kohorte) verstorben, 3.500 von ihnen an Lungenkrebs. Dies entspricht im Vergleich zur Allgemeinbevölkerung einer Verdoppelung der Lungenkrebssterblichkeit, welche vorwiegend auf die berufliche Radonbelastung und in geringerem Maß auch auf die Belastung mit Quarzfeinstaub zurückzuführen ist.“