Eine akute Gefährdung des gesamten südeuropäischen Raumes stellt das einzige bulgarische Kernkraftwerk Kozloduj nach Meinung der Betriebsmannschaft dar. In einem inoffiziellen Hilfeersuchen an die Wiener Atomenergiebehörde IAEA ist die Rede davon, daß besonders die Dampferzeuger in dem Kraftwerk sowjetischer Bauart zu versagen drohten. Aber auch der Druckbehälter und der primäre Kühlkreislauf der Blöcke I und II befinden sich in einem „bedenklichen Zustand“.

Wie der Sprecher der IAEA, Hans-Friedrich Meyer, erklärte, habe man gerade eine dreiwöchige intensive Überprüfung der Anlage vorgenommen: „Das Team der IAEA fand das Kraftwerk in einem sehr schlechten Zustand vor, mit einer Anzahl sicherheitsrelevanter Mängel.“ Man habe die bulgarische Regierung gebeten, sofortige Maßnahmen zu ergreifen, doch wollte Sofia dieser Bitte wegen des Energienotstandes im Land keine Folge leisten.

Die Anlage, die sich rund 130 Kilometer nördlich von Sofia an der rumänischen Grenze befindet, deckt etwa 30 Prozent des bulgarischen Strombedarfs. Bei den Atommeilern vom Typ WWER mit jeweils 440 Megawatt Leistung handelt es sich um Bulgariens älteste Kernkraftwerke. Sie wurden bereits Mitte der siebziger Jahre erbaut.

Mittlerweile wurde bekannt, daß Bundesumweltminister Klaus Töpfer den Generaldirektor der IAEA gebeten hat, für den 9. Juli eine Konferenz mit Beteiligung westlicher Nationen und der Weltwirtschaftsbank einzuberufen. Offensichtlich befürchtet man ein Versagen der beiden noch nicht stillgelegten Blöcke, die baugleich mit denen im stillgelegten deutschen Kernkraftwerk Greifswald sind. Ein bereits fertiggestellter sechster Block wurde bisher nicht angeschaltet. Bei dessen Inbetriebnahme droht nach Meinung der Angestellten eine „Katastrophe wie in Tschernobyl“.

Während in Greifswald pro Reaktorblock acht sowjetische Experten zur Ausbildung und für Notmaßnahmen bereitstanden, mußte deren Zahl für die schlecht ausgebildete bulgarische Bedienungsmannschaft verdoppelt werden. Alle 32 sowjetischen Spezialisten, die mit dem russischen Reaktortyp WWER gut vertraut waren, wurden aber schon vor Monaten abgezogen, angeblich weil die bulgarische Regierung in Zahlungsschwierigkeiten geriet. Um Sofia doch noch zum Einlenken zu bewegen, wäre es denkbar, Strom aus westeuropäischen Ländern zur Verfügung zu stellen. Dieser könnte über eine Kupplungsstelle in Österreich in das osteuropäische Netz eingespeist werden.

(erschienen in „DIE WELT“ am 29. Juni 1991)

Was wurde daraus? Keine Ahnung, ob die Sorgen damals vor dem Hintergrund der Reaktorkatastrophe von Tschernobyl übertrieben waren, oder ob wir einfach nur Glück hatten, dass nichts passiert ist. Jedenfalls wurden alle 4 hier beschriebenen Blocks noch bis 2002 bzw. 2006 weiter betrieben, und seitdem läuft Kosloduj mit zwei neueren Reaktoren (Baujahre 1988 bzw. 1993), die angeblich westlichen Sicherheitsstandards entsprechen.