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Hautkrebs mit „Genspritze“ geschrumpft

Der erste klinische Ver­such zum direkten Gentransfer wurde erfolgreich abgeschlossen. Wie Gary Nabel und seine Mitarbeiter vom Medizinischen Zentrum der Universität Michigan in der jüngsten Ausgabe der Fachzeitschrift PNAS berichten, konnte das „therapeutische Potential“ und die Sicherheit der Methode an fünf Patienten bestätigt werden, die unter einem malignen Melanom des Stadiums IV litten.

Im Rahmen der klinischen Phase-I-Studie injizierten die Forscher eine Mischung aus Liposomen und nackter Erbsubstanz jeweils sechs Mal direkt in die Tumoren. Die Konzentration der eingesetzten DNA übertraf dabei diejenige in den vorausgegangenen Tierversuchen um den Faktor sechs. Es handelte sich dabei um Gensequenzen, welche für das Transplantationsantigen HLA-B7 codieren. HLA-B7, das bei den Probanden zuvor nicht nachweisbar war, wurde daraufhin von bis zu zehn Prozent der Tumorzellen in der Nähe der Einstichstelle synthetisiert.

Anschließend habe man starke Hin­weise auf eine verstärkte Reaktivität zytotoxischer T-Zellen gegen das frem­de Antigen gefunden, berichtete Nabel. Eine Immunantwort gegen die Fremd-DNA wurde dagegen nicht beobachtet. „Alle Patienten tolerierten die Behand­lung gut; akute Komplikationen gab es nicht.“

In einem Fall wurde nach kutaner Injektion eine vollständige Regression nicht nur des behandelten Knotens er­zielt, sondern auch entfernter Metasta­sen, darunter ein drei Zentimeter durchmessendes Geschwür der Lunge. Vorausgegangene chirurgische Maßnahmen waren bei diesem Patienten ebenso wirkungslos geblieben wie Strahlen- und Chemotherapie, die Gabe von Interferon sowie eine Immunthe­rapie mit BCG und Interleukin 2.

Auf einem Symposium des Verbundes Klinisch-Biomedizinische Forschung hatte Nabel kürzlich in Heidelberg eingeräumt, daß die direkte Injektion nackter DNA in den Tumor „wenig elegant“ erscheinen möge. „Aber wenn man Gene an einen bestimmten Ort im Körper des Patienten haben will, sollte man sie einfach dort platzieren. Liposomen bilden dabei eine wichtige und möglicherweise sicherere Alternative gegenüber den gebräuchlichen viralen Vektoren.“

(Original-Manuskript für einen Artikel in der Ärzte-Zeitung vom 2. Dezember 1993. Eine Publikumsversion wurde gesendet im Deutschlandfunk am 1. Dezember 1993.)

Quelle: Nabel GJ, Nabel EG, Yang ZY, Fox BA, Plautz GE, Gao X, Huang L, Shu S, Gordon D, Chang AE. Direct gene transfer with DNA-liposome complexes in melanoma: expression, biologic activity, and lack of toxicity in humans. Proc Natl Acad Sci U S A. 1993 Dec 1;90(23):11307-11. doi: 10.1073/pnas.90.23.11307.

Mineralfasern schuld am Sick-Building-Syndrom?

Mineralfasern könnten wenigstens zum Teil die Ursache von Erkrankungen sein, die als „Sick building syndrome“ (SBS) zusammengefaßt werden. Dagegen war weder für die Luftqualität noch für die Zahl der Raucher in Büroräumen ein eindeutiger Zusammenhang mit den Beschwerden von Angestellten herzustellen.

Zu diesem Ergebnis kommen Wissenschaftler der Universität Cornell im US-Bundesstaat New York nach der Auswertung von mehr als 4000 SBS-Fällen aus Bürogebäuden der östlichen USA. Symptome sind Kopfschmerzen, Müdigkeit, Hautausschläge, Konzentrationsschwäche, Gelenkschmerzen und Anfälligkeit für Infektionen.

„Obwohl viele Menschen davon ausgehen, daß SBS mit gasförmigen Luftschadstoffen in Zusammenhang steht, haben viele Studien einschließlich unserer eigenen diesen Zusammenhang nicht belegen können“, sagte Alan Hedge, Professor für Design und Umweltanalyse. Ein Teil dieser Ergebnisse ist jetzt in den „Proceedings of the Building Design and Technology Conference“ (Brüssel, 1993) veröffentlicht worden.

„Wenn wir dagegen die industriellen Mineralfasern betrachten, die oftmals nicht gemessen werden, so finden wir Berichte über SBS viel häufiger an Orten mit einer hohen Konzentration von Mineralfasern“, erklärte Hedge. Darüber hinaus habe die Verwendung von Filtern einen drastischen Rückgang der Beschwerden bewirkt.

(erschienen in der Ärzte-Zeitung am 26. November 1993)

Winterdepression: Johanniskraut könnte Lichttherapie verstärken

Bei der Therapie von Patienten mit saisonal abhängiger Depression (SAD) zeigt ein Johanniskraut (=Hypericum) -Extrakt eine gute Wirkung und Verträglichkeit, berichtete Professor Siegfried Kasper, Bonn. In der ersten kontrollierten Studie zur Wirkung des Johanniskraut-Extraktes bei diesem Krankheitsbild untersuchte Kasper 20 SAD-Patienten.

Gefragt wurde nicht nur nach der Wirkung des Hypericum-Extraktes, sondern auch danach, ob die Arznei den positiven Einfluß einer Lichttherapie zu potenzieren vermag. Alle Patienten erhielten über vier Wochen 900 mg Hypericum-Extrakt LI 160 (Jarsin®) täglich und randomisiert zusätzlich entweder therapeutisches Licht von 3000 Lux oder „Placebo-Licht“ von weniger als 300 Lux.

Die Lichttherapie wurde dabei täglich für die Dauer von zwei Stunden durchgeführt. Als wichtigster Parameter wurde die Veränderung des mittleren Hamilton-Gesamtscores bestimmt. Bei den Patienten mit Hypericum-Extrakt plus therapeutischem Licht sank er von 21,9 auf 6,1 Score-Einheiten, was einer Reduktion um 73 Prozent entspricht.

In der Gruppe mit Placebo-Licht sank der Gesamtscore ebenfalls; die Reduktion betrug hier 59 Prozent. Der deutlich positive Effekt einer Hypericum-Behandlung scheint also durch zusätzliche Lichttherapie verstärkt zu werden, wenn auch diese Aussage aufgrund der kleinen Patientenzahl nicht statistisch signifikant belegt werden konnte.

Hervorgehoben wurde von Kasper besonders die gute Verträglichkeit des Johanniskraut-Extraktes im Vergleich zu synthetischen Antidepressiva.

(erschienen als Teil eines, vom Hersteller Lichtwer finanzierten, Sonderberichtes für die Ärzte-Zeitung am 14. September 1993)

Quelle:

Symposium „Therapie mit pflanzlichen Antidepressiva. Forschungsergebnisse 1991 – 1993“, Düsseldorf

Schizophrenie: Minussymptomatik schwer zu behandeln

Neuentwickelte Medikamente zur Therapie der chronischen schizophrenen Minussymptomatik haben bisher nur zu „sehr bescheidenen“ Erfolgen geführt, wenn auch diese Präparate weniger unerwünschte Nebenwirkungen hervorrufen. Dies sagte Professor Hans-Jürgen Möller anläßlich des Symposiums „Fortschritte in der Diagnostik und Therapie schizophrener Minussymptomatik“ an der Psychiatrischen Klinik Bonn.

Dieser Symptombereich der Schizophrenie, der unter ande­rem mit Effektverarmung, ver­minderter Belastbarkeit und sozialem Rückzug einhergeht, hat auch heute noch eine be­sonders schlechte Prognose, berichtete der Klinikdirektor. Jeder zweite Patient tendiere zu ei­nem ungünstigen bis schlechten Verlauf.

Schwierig ist schon die Dia­gnose, vor allem wenn die Be­troffenen noch keine akute Krankheitsphase durchgemacht haben. Da sich Schizophrene im Gegensatz zu Depressiven sel­ten als krank einstufen, sind es meistens die Angehörigen, welche bei schweren Fällen auf die Minussymptomatik aufmerk­sam machen. Mit der kürzlich erfolgten Einrichtung einer Angehörigengruppe verfolgt man an der Bonner Klinik auch das Ziel, eine bessere Compliance zu erreichen.

Angesichts der Tatsache, daß von einem einprozentigen Lebenszeitrisiko zur Entwicklung einer Schizophrenie ausgegangen werden muß, stellt die Minussymptomatik auch ein gewaltiges sozioökonomisches Problem dar. Die Bettlägerigkeit der Patienten geht in den meisten Fällen mit Arbeitslosigkeit einher, sagte Gerd Laux, Oberarzt an der Psychiatrischen Klinik Bonn. „Selbst kleine Fortschritte in der Therapie können bedeuten, daß die Betroffenen im Kreise ihrer Familie leben können und nicht hospitalisiert werden müssen“, begründete Laux die Forderung nach mehr Personal und verhaltenstherapeutischen Programmen.

(erschienen in der Ärzte-Zeitung am 14. September 1993)

Lebensqualität bei Schwerkranken

Erfolge bei der Behandlung schwerkranker Patienten werden heute nicht mehr ausschließlich anhand klinischer Parameter gemessen. Zunehmend betonen Ärzte, Kranke und deren Angehörige die Bedeutung der Lebensqualität. Während diese schwer zu quantifizierende Eigenschaft in Australien sogar schon bei der Zulassung von Arzneimitteln berücksichtigt wird, steckt ihre Erforschung und Bewertung in Deutschland noch in den Kinderschuhen.

„Die Messung der Lebensqualität im Rahmen von Therapiestudien genügt meist nicht wissenschaftlichen Ansprüchen“, bemängelte Professor Fritz Muthny im Rahmen der diesjährigen Paul-Martini-Vorlesung der Medizinisch-Pharmazeutischen Studiengesellschaft. So fanden sich bei einer Literaturanalyse zum Bronchialkarzinom zwar 130 Arbeiten zum Stichwort „Lebensqualität“, darunter aber nur 12 Studien mit einem Randomisierungsdesign, von denen wiederum keine einzige gleichzeitig Fremd- und Selbsteinschätzungen ermittelte.

Grundsätzlich sollte aber ein möglichst breites Spektrum erfaßt werden, darunter Daten zum Gesundheitszustand und den Beschwerden der Patienten, zur Funktions- und Leistungsfähigkeit in verschiedenen Lebensbereichen, zum emotionalen Befinden sowie Anzahl und Güte der Beziehungen, forderte der Leiter des Instituts für Medizinische Psychologie der Westfälischen Wilhelms-Universität Münster. „Sehr wichtig ist es auch, das Verfahren im Kontakt mit den Patienten zu entwickeln“, sagte Muthny.

Unter Beachtung dieser Richtlinien kann die Lebensqualitäts-Forschung durchaus von Nutzen für die Praxis sein, wie der promovierte Mediziner und Psychologe anhand eigener Untersuchungen belegte: In einer multizentrischen Studie an jeweils etwa 300 Krebspatienten der Diagnosen Bronchialkarzinom, Leukämien und Lymphome sowie colorecatale Karzinome konnten Gemeinsamkeiten in den meisten erfragten psychischen und psychosomatischen Beschwerden aufgezeigt werden: Gereiztheit, Angstgefühle, Niedergeschlagenheit, Schlafstörungen sowie Gedächtnis- und Konzentrationsstörungen wurden in allen drei Gruppen mit der gleichen Häufigkeit festgestellt. Zwischen 7 und 10 Prozent der Befragten gaben an, die genannten Symptome in starkem Maße zu erfahren.

Unterschiede gab es dagegen bei den physischen Beschwerden. So litten Bronchialkarzinompatienten erwartungsgemäß am stärksten unter Kurzatmigkeit, Husten und Schmerzen. Leukämie- und Lymphompatienten klagten indessen vorwiegend über Haarausfall, Stomatitis, Übelkeit und Geschmacksstörungen als Folge von Strahlen- und Chemotherapie.

Die relativ höchste Unzufriedenheit wurde bei der körperlichen Leistungsfähigkeit und beim Sexualleben festgestellt. Fast ein Drittel der Patienten gab an, mit diesen Lebensbereichen „unzufrieden“ zu sein. Verzeichnet wurde aber auch eine überraschend hohe Zufriedenheit mit der sozialen Situation. Rund 80 Prozent der Kranken gaben an, mit dem Familienleben und ihrer Stellung in der Familie „zufrieden“ zu sein, davon war die Hälfte sogar „sehr zufrieden“. Auch mit der Anzahl von Freunden und Bekannten und mit dem Verhalten des Partners zeigten sich 70 Prozent der Befragten „zufrieden“.

Überraschendes förderte Muthny auch mit einer anderen Untersuchung zu Tage, bei der vier Gruppen chronisch Kranker verglichen wurden. An der Studie nahmen 451 Patientinnen mit den Diagnosen Herzinfarkt, chronische Niereninsuffizienz, Mamma- und Unterleibskrebs sowie Multiple Sklerose teil. Dabei zeigte sich, daß die Krebspatientinnen nicht wie erwartet die ungünstigste Lebensqualität hatten, sondern zusammen mit den Herzinfarkt-Patientinnen eine Gruppe vergleichsweise hoher Lebenszufriedenheit bildeten. Die höchsten Depressionswerte und die höchste Beschwerdesumme zeigte die Gruppe der Dialysepatientinnen; zusammen mit den MS-Kranken bildeten sie ein Kollektiv chronisch Kranker mit deutlich verringerter Lebenszufriedenheit.

Welch große Bedeutung dem „inneren Referenzmaßstab“ zukommt, geht aus einem Vergleich zwischen Gesunden sowie Herzinfarkt- und Bronchialkarzinom-Patienten hervor, an dem insgesamt fast 700 Personen teilnahmen. Dabei zeigte sich, daß in der Kategorie „sehr zufrieden mit der generellen Lebenssituation“ Bronchialkarzinom-Patienten am häufigsten vertreten waren, obwohl sie die objektiv ungünstigste Prognose hatten. An zweiter Stelle folgten die Herzinfarkt-Patienten; am geringsten war der Prozentsatz der sehr Zufriedenen unter den Gesunden.

Muthnys Interpretion lautet: „Wer dem Tod von der Schippe gesprungen ist, kann selbst mit sehr eingeschränkten Lebensverhältnissen sehr viel zufriedener sein, als ein Gesunder, der eine ausgeprägte Diskrepanz zwischen hohen Erwartungen und tatsächlichen Möglichkeiten erlebt.“ Die dem Mediziner möglicherweise paradox erscheinenden Verhältnisse machten die Erhebung subjektiver Lebensqualitätsdaten keineswegs sinnlos, erklärte Muthny. Sie seien vielmehr als Hinweis zu werten, daß zukünftige Forschungen den Referenz-Maßstab des Patienten stärker beachten müssen.

Bei sorgfältiger Durchführung sowie enger Kooperation zwischen Vertretern der klinischen Medizin und der psychosozialen Fächer erhofft sich Muthny von der Lebensqualitätsforschung einen vielfältigem Nutzen für die Onkologie. Die adäquatere Erfassung des Begleitwirkungen einer Therapie werde ebenso ermöglicht wie eine bessere Beurteilung des Krankheitsverlaufs. Weitere Vorteile sieht der Institutsleiter in einer Schulung der ärtztlichen Wahrnehmung in diesem Bereich sowie in gezielten Hinweisen darauf, wo die Schwerpunkte bei der psychosozialen Versorgung zu setzen sind.

(Erschienen in der Ärzte-Zeitung am 25. August 1993)

Krebshilfe fördert Palliativmedizin

Knapp 37 Millionen DM hat die Deutsche Krebshilfe in den letzten zehn Jahren in die Palliativmedizin investiert. Mittlerweile gibt es nach Angaben des Vorstandsmitglieds der Deutschen Krebshilfe Dr. Robert Fischer bundesweit 30 stationäre Hospiz- und Palliativeinrichtungen, die das Ziel verfolgen, die Leiden terminal krebskranker Menschen zu lindern.

Als Vorreiter bei der Fortentwicklung des Palliativ-Gedankens hat Nordrhein-Westfalen (NRW) inzwischen eine Ansprechstelle zur Pflege Sterbender, zur Hospizarbeit und zur Angehörigenbegleitung (ALPHA) eingerichtet. ALPHA berät zudem bestehende und neue Initiativen in der Sterbebegleitung.

Trotz der positiven Entwicklung wurden am Rande des Symposiums „Palliativ Medizin Heute“ auch Mißstände angeprangert. So kritisierte Fischer, daß noch immer zu viele Patienten Schmerzen erleiden müßten, weil die behandelnden Ärzte nicht ausreichend über die verbesserten Möglichkeiten der geänderten Betäubungsmittel-Verschreibungsverordnung informiert seien. Von den 170.000 Menschen, die jährlich in Deutschland an Krebs sterben, leiden etwa 60 Prozent unter starken Schmerzen, sagte Dr. Eberhard Klaschik, Chefarzt der Abteilung für Schmerztherapie am Bonner Malteser-Krankenhaus.

(erschienen in der Ärzte-Zeitung am 24. Mai 1993)

Zu wenig Selen in Pflanzenkost

Bei den aus Gesundheitsgründen häufig empfohlenen pflanzlichen Diäten müsse auf den Selenspiegel geachtet werden, meint Dr. Jörg Brüggemann von der Bundesanstalt für Getreide-, Kartoffel- und Fettforschung in Detmold. Wegen des niedrigen Selengehaltes in deutschem Brot könne eine solche Diät Selenmangel provozieren. Diesen bringen manche Ernährungswissenschaftler mit Herz-Kreislaufkrankheiten in Verbindung.

Die Welternährungsorganisation FAO hält eine tägliche Selenzufuhr von 70 Mikrogramm pro Person für das Minimum; 90 bis 200 Mikrogramm gelten unter Experten als optimal. Dies erfordert einen entsprechend hohen Anteil des Halbmetalls in den Grundnahrungsmitteln, ein Anspruch, der aufgrund extrem selenarmer Böden in Deutschland ohne Zusätze kaum zu erfüllen ist.

So ergeben die jährlichen Brotqualitätsprüfungen der Deutschen Gesellschaft für Ernährung (DGE) nach wie vor Werte zwischen 10 und 30 Mikrogramm pro Kilo Weizen- oder Roggenbrot. Bezüglich ihres Selenanteils seien auch Bio- und Vollkornbrote „so gesund oder ungesund wie alle anderen“, sagte Brüggemann auf einer Tagung der DGE in Bonn. Bei einem in der Bundesrepublik üblichen Brotverzehr von 220 Gramm pro Tag und Person würden kaum zehn Prozent der von der FAO empfohlenen Zufuhr erreicht. Auch beim Milchvieh könne eine ausreichende Versorgung mit dem Spurenelement nur durch supplementiertes Kraftfutter gewährleistet werden.

Zur Beseitigung des Selenmangels gibt es einige Vorschläge. In bestimmten Gemüsesamen können beim Keimen in selenhaltigen Nährlösungen bis zu 250 Milligramm pro Kilo gebunden werden. Derartige Produkte ließen sich dann als Zusatzstoffe verwenden, so Brüggemann. In der Schweiz, wo die Böden ebenfalls Selen-arm sind, wird der Mangel durch Import amerikanischen Weizens ausgeglichen. Ein gutes Beispiel ist auch Finnland, wo seit 1984 selenhaltige Dünger eingesetzt werden: Der Anteil des Selens im Getreide stieg um das Achtfache.

(Titelgeschichte der Ärzte-Zeitung am 18. Mai 1993)

Was wurde daraus? Auf der Webseite der in dieser Frage wohl tonangebenden DGE lese ich unter anderem:

  • Zur Selenzufuhr in Deutschland gibt es keine aktuellen Daten,
  • Vegetarier und vor allem Veganer sind durchschnittlich schlechter mit Selen versorgt,
  • es besteht kein Zusammenhang zwischen einer Selensupplementation und der Vorbeugung von Herz-Kreislauf-Krankheiten,
  • es wird diskutiert, dass Selen das Risiko für Krebs, insbesondere Darm-, Lungen- und Prostatakrebs, senken kann.

Gentechnik für Lebensmittel: sicher oder nicht?

Schon vor 30 Jahren wurde über die Sicherheit gentechnisch veränderter Lebensmittel gestritten. Die Diskussion war wichtig, aber im Gegensatz zu Bio-Sprossen und Bibeleskäs ist bisher niemand an Genfood gestorben. Hier im Rückblick zwei Standpunkte, über die ich damals mit wenigen Tagen Abstand in der Ärzte-Zeitung berichtet habe:

Pro

Gentechnisch modifizierte Lebensmittel sind a priori nicht unsicherer als konventionell hergestellte. Dieser Meinung ist Professor Dr. Klaus Dieter Jany von der Karlsruher Bundesforschungsanstalt für Ernährung.

Im Ernährungsbereich habe die Gewinnung von Hilfs- und Zusatzstoffen mit Hilfe der neuen Technologie das Experimentierstadium bereits hinter sich gelassen. Dasselbe gelte für den Einsatz intakter genmanipulierter Mikroben und Pflanzen. Lediglich bei der Züchtung transgener Tiere sei man noch in der Entwicklung, so der Ernährungsphysiologe auf dem 30. Wissenschaftlichen Kongreß der Deutschen Gesellschaft für Ernährung in Bonn.

Bio- und Gentechnologie spiegelten die konsequente Fortentwicklung traditioneller Verfahren zum Wohle des Menschen wider. Auch bei der konventionellen Züchtung von Tieren, Pflanzen und Mikroben stehe der Wunsch im Vordergrund, den Organismen neue Eigenschaften zu verleihen. An die Stelle der willkürlichen und zufälligen Erbgutänderungen in der klassischen Zucht trete die gezielte Genverpflanzung. „Die potenziellen Risiken der Gentechnik im Ernährungsbereich sind daher nicht anders zu bewerten als die der konventionellen Zuchtmethoden; die veränderten Nukleinsäuren selbst stellen kein Risikopotential dar.“

Allerdings seien an die Molekularbiologen eine Reihe von Forderungen zu richten, fügte Jany einschränkend hinzu. Dazu gehörten die genaue Kenntnis des Spender- und des Empfängerorganismus sowie der

Übertragungsmethode und anderer biologischer Parameter. Der „Ehrenkodex“ gebiete, daß gentechnisch veränderte Organismen, wie sie etwa in Bier oder Joghurt zum Einsatz kommen· können, keine Antibiotikaresistenzgene mehr enthalten dürften. Hinsichtlich der neuen Produkte müßten schließlich auch die Gebrauchs-, Verbrauchs- und Verkehrsgewohnheiten der Konsumenten im Detail berücksichtigt werden, um zum Beispiel die Entstehung von Allergien zu verhindern.

Contra

Was für Arzneimittel üblich ist, fordert der Allergiker-und Asthmatikerbund (AAB) auch für Nahrungsmittel und Kosmetika: Eine Deklarationspflicht für alle Inhaltsstoffe, deren prozentualen Gehalt sowie zusätzlich die Angabe des Herkunftslandes. Die Realisierung des EG-Binnenmarktes habe dagegen eine weitere Verwässerung des ohnehin schon mangelhaften deutschen Lebensmittelrechtes erbracht, sagte der Vorsitzende der Organisation Professor Martin Schata auf dem 8. Deutschen Allergie- und Asthmatag.

Derzeit leiden etwa 14 Prozent der Bevölkerung an einer Nahrungsmittelallergie. Sie reagieren mit Magen-Darm-Störungen, Migräne, Gelenkschmerzen, Atemnot, Nesselfieber und anderen Symptomen auf den Genuß „ihrer“ Allergene, so Schata. Besonders gefährdet durch eine ungenügende Deklarationspflicht seien dabei diejenigen Allergiker, die bereits auf kleine Mengen Milchproteine oder Zusatzstoffe reagieren.

Schata kritisierte auch die EG-weite Absenkung des Qualitätsmaßstabes auf den kleinsten gemeinsamen Nenner. Es könne zum Beispiel nicht im Sinne der Betroffenen sein, daß Aromastoffe auf dem deutschen Markt zugelassen werden, nur weil sie bereits in anderen EG-Ländern gebraucht werden.

Gefahr droht nach Angaben des Verbands auch von einer veränderten Handhabung der Verkehrssprache. Produkte, die auf den deutschen Markt gelangen, müßten für den Käufer klar – also auch in deutscher Sprache – deklariert werden. „Mit großer Sorge betrachten wir den Einzug der Gentechnik in die Nahrungsmittelproduktion“, so Schata.

Zwar setze man große Hoffnung auf diese Methode, was die Herstellung von Arzneimitteln und die Entwicklung neuer Therapien angehe, in der Lebensmittelproduktion sei die Gentechnik jedoch „völlig überflüssig.“ Erste Untersuchungen in seinem Labor hätten gezeigt, daß gentechnologisch hergestellte Enzyme beim Einsatz in Nahrungsmitteln eine wesentlich erhöhte Allergenität aufwiesen gegenüber naturbelassener Nahrung.

(erschienen am 18. Mai und 29. April 1993 in der Ärzte-Zeitung)

Polio-Opfer lehnten Impfung aus Glaubensgründen ab

Bei der jüngsten Poliomyelitis-Epidemie in den Niederlanden sind bislang 68 Erkrankungen erfaßt worden, zwei dieser Patienten sind an der Krankheit gestorben. Das hat Dr. Tom van Loon aus Bilthofen auf einem Symposium, das im Hygieneinstitut der Universität Bonn stattfand, berichtet. Wie der Leiter der Virologischen Abteilung am Reichsinstitut für Volksgesundheit und Umwelthygiene Bilthofen erläuterte, wurden Lähmungen der Extremitäten bei 42 Kranken registriert, bei sieben Patienten war eine künstliche Beatmung erforderlich, außerdem erkrankten elf Infizierte an einer Meningitis.

Trotz eines mittleren Durchimpfungsgrades von 97 Prozent ist nach Angaben von van Loon in manchen eng begrenzten Regionen der Niederlande jeder zehnte ungeschützt. Außer Menschen, die während des Zweiten Weltkrieges geboren wurden und dadurch in eine „Impflücke“ fielen, handelt es sich vorwiegend um jene 80.000 Angehörigen verschiedener religiöser Gemeinschaften, welche Impfungen aus Glaubensgründen ablehnen. Bis auf eine Ausnahme zählten alle 68 Opfer der jüngsten Epidemie zu diesem Personenkreis. Bei der Epidemie des Jahres 1978 sei der gleiche sozio-geographische „Cluster“ betroffen gewesen, sagte van Loon. Damals habe es 110 Opfer gegeben.

Die Chronologie der jüngsten Ereignisse belegt nach Ansicht des Virologen außer der Notwendigkeit von Schutzimpfungen auch die Effizienz des niederländischen Gesundheitswesens: Am 17. September des vergangenen Jahres wurden Lähmungserscheinungen bei einem 14jährigen Jungen aus Streefkerk bei Rotterdam registriert.

Innerhalb weniger Tage ergaben epidemiologische und molekularbiologische Befunde die Diagnose „Polio Typ III“, so daß schon am 21. September allen Personen ohne ausreichenden Impfschutz in einem Umkreis von 55 Kilometern um Streefkerk die Poliovakzine angeboten werden konnte – womit laut van Loon Schlimmeres verhindert worden ist. Die Herkunft des Virus sei aber noch immer unbekannt, es weise lediglich eine entfernte Ähnlichkeit mit einem indischen lsolat auf.

Aus Genf lobte inzwischen Robert Kim-Farley, Direktor des WHO-lmpfprogrammes, die „effiziente und professionelle Arbeit der holländischen Kollegen“, fügte aber gleichzeitig eine Warnung hinzu: Die Lektion besteht darin, daß selbst die Länder mit dem besten Impfschutz dem Risiko importierter Infektionen und Epidemien ausgesetzt sind, solange das Poliovirus nicht völlig von diesem Planeten verschwunden ist.“

(erschienen in der Ärzte-Zeitung am 8. April 1993)

Schlüssellochchirurgie: Beim Lungenkrebs meist fraglich

Die minimal-invasive Chirurgie (MIC} gewinnt auch bei Thoraxoperationen zunehmend an Bedeutung. Allerdings sind der Methode bei der Behandlung maligner Lungentumoren Grenzen gesetzt – bei jenen Eingriffen also, die den größten Teil der Thoraxchirurgie ausmachen. Obwohl sämtliche deutschen Spezialkliniken mittlerweile die MIC in ihrem Repertoire haben, schätzt Professor Dr. Joachim Hasse aus Freiburg den Anteil dieses Verfahrens auf weniger als fünf Prozent aller Eingriffe am Brustkorb.

Zu den Domänen der minimalinvasiven Thoraxchirurgie zählen nach den Worten von Hasse derzeit die teilweise oder weitgehende Entfernung des Rippenfells, die Beseitigung von Zysten und kleinen gutartigen Tumoren sowie die Resektion kleiner gutartiger Knoten am äußeren Lungenmantel.

Hasse warnte auf der 22. Jahrestagung der Deutschen Gesellschaft für Thorax-, Herz- und Gefäßchirurgie in Bonn vor einer unkritischen Anwendung der MIC, die auch ohne ersichtliche Komplikationen enormen Schaden anrichten könne. Dies gelte vor allem für das Bronchialkarzinom. Allein die offene Thorakotomie ermögliche Radikalität, Festlegung der Resektionsgrenzen und Stadieneinteilung des Bronchialkarzinoms, erklärte Professor Dr. lngolf Vogt-Moykopf von der Heidelberger Thoraxklinik.

Einigkeit herrschte unter den Experten auch darüber, daß die Kosten endoskopischer Eingriffe in der Thoraxchirurgie höher liegen als bei offenen Operationen. Dafür leide der Patient jedoch weniger an postoperativen Schmerzen. Die Traumatisierung von Organen und Strukturen seien verringert, was sich in einer verkürzten Krankheitsdauer niederschlage. Voraussetzung für minimal-invasives Operieren ist nach Ansicht von Hasse die „meisterhafte Beherrschung“ der offenen Thoraxchirurgie, weil bei Komplikationen ein Methodenwechsel jederzeit möglich sein müsse.

(erschienen in der Ärzte-Zeitung am 9. März 1993)