Die Liste der Beschwerden ist lang: Hit­zewallungen und Herzklopfen, Schweiß­ausbrüche und Schlafstörungen, Kopf­schmerzen und Reizbarkeit zählen noch zu den harmloseren Problemen. Doch damit nicht genug. Wie eine schlecht gelaunte Di­va scheint die Natur ihre schützende Hand zurückzuziehen, kaum daß die weibliche Hälfte der Menschheit ihren Beitrag zur Arterhaltung geleistet hat: Knochenschwund und ein erhöhtes Risiko für Herz-Kreislauferkrankungen begleiten die radikale Umstellung des Hormon­haushaltes, die sich hinter dem Wörtchen „Menopause“ ver­birgt.

„Das ist ein riesengroßes Gesundheits­problem“, erklärt Dr. Ursula-Friederike Habenicht. Ein Problem, mit dem sich die Reproduktionsbiologin nicht ein­fach abfinden will. „Ich empfände es als verantwortungslos, untätig zu bleiben, wenn ich Leiden verhindern kann“,  lautet ihre Kampfansage. Für diejenigen, die beispielsweise wegen einer Osteoporose einen Oberschenkel­halsbruch oder eine Wirbelfraktur mit all ihren Folgen erdulden müssen sei der Hinweis auf den „natürlichen Lauf der Dinge“ wenig trostreich. In der Forschungsabteilung Fertilitätskontrolle und Hormontherapie der Schering AG leistet Dr. Habenicht deshalb in dop­peltem Sinne Knochenarbeit.

An den nur scheinbar toten Knochen nämlich hinterläßt der mit der Meno­pause verbundene Rückgang an Sexualhormonen deutliche Spuren. Nach dieser letzten, vom Eierstock gesteuerten, Regelblutung wird die Produktion von Östrogen eingestellt. Dadurch beschleunigt sich der Abbau der Knochen­substanz, der schon nach dem 30 Lebensjahr einsetzt: „Jede vierte Frau jen­seits der Wechseljahre leidet unter Osteopo­rose. Mir kommt es vor allem darauf an, diesen Frauen eine Therapie anzubieten“, betont der Dr. Matthias Bräutigam. Die Suche nach neuen Ansätzen im Kampf gegen den Knochen­schwund hat für den Abteilungsleiter deshalb höchste Priorität.

Zwar läßt sich der Abbauprozeß durch die tägliche Einnahme östrogenhaltiger Arzneimittel verlangsamen, doch wächst bei alleiniger Gabe des Hormons das Risiko für eine Krebserkrankung der Gebärmutterschleim­haut. Ein zweites Hormon aus der Familie der Gestagene sorgt daher in modernen Präparaten für den Schutz der gefährdeten Zellen und macht das zweischneidige Schwert Östrogen zu einer potenten Waffe gegen den Knochenabbau. Doch auch die bisher gebräuchlichen Kombinationen aus Östrogen und Gestagenen bieten keine per­fekte Lösung: Über Jahre hinweg kann es zu monatlichen „Entzugsblutungen“ kom­men, die von vielen Frauen nicht akzeptiert werden. Wenn sich auch diese Nebenwir­kung noch durch die Aus­wahl und ge­schickte Kombination verschie­dener Bo­tenstoffe vermeiden ließe, wäre das größte Hindernis für eine breite An­wendung der Hormoner­satztherapie über­wunden.

Doch bis dahin ist es noch ein langer Weg. „Selbst bei den ´klassischen´ Hormo­nen, den Östrogenen, weiß man bis heute nicht genau, wo sie am Knochen angreifen, was sie da tun und wie sie das Zusammen­spiel der Zellen beeinflußen“, stellt Dr. Ha­benicht nüchtern fest. Neu ins Spiel kom­men jetzt zusätzlich die Gestagene. Hier gibt es Hinweise, daß sie den Knochen womöglich auch alleine schützen können. Die verwirrende Vielfalt dieser Substanz­klasse erschwert die Suche der zehnköpfi­gen Arbeitsgruppe in der Berliner Zentrale der Schering AG allerdings beträchtlich. „Knochenversuche bedeuten Knochenarbeit und man muß viel Geduld mitbringen.“

Dr. Habenicht weiß, wovon sie redet, denn kaum ein Experiment in ihrem Labor nimmt weniger als drei Monate in An­spruch. An weiblichen Ratten muß zunächst die Zufuhr an schützenden Geschlechts­hormonen unterbro­chen und so ein Verlust der Knochenmasse eingeleitet werden. Dies geschieht durch die operative Entfernung der Gebärmutter. Anschließend werden den Tieren verschiedene Testsubstanzen gespritzt – je nach Versuch meist eines der vielen Gesta­gene mit oder ohne Östrogen, wobei zu­sätzlich noch die Konzentrationen der Hormone variiert werden.

Erste Anhaltspunkte, daß mit dem Kno­chen überhaupt etwas passiert, finden sich auch mit den modernsten Untersuchungs­methoden frühestens nach 14 Tagen. Nach zwei weiteren Wochen sind die Verände­rungen zwar ausreichend für eine erste vor­sichtige Bewertung, sichtbar werden sie aber erst nach einer aufwendigen „Zubereitung“ des Knochens. Erneut ver­streicht ein Monat, bis unter dem Einfluß von Farbstoffen und Fixiermitteln die Hauptdarsteller ihre Masken fallen lassen: Osteoblasten, verantwortlich für den Auf­bau des Knochens, heben sich jetzt deutlich von ihren Gegenspielern, den Osteoklasten ab. Wie auf dem Luftbild einer Großstadt kann das Auge des Experten Neubaugebiete von Abrißregionen unterscheiden, wenn der präparierte Knochen erst einmal in hauch­dünnen Scheibchen unter dem Mikroskop liegt.

Doch damit nicht genug. Um aus den bunten Bildern harte Daten zu extra­hieren, muß das Gesehene auch noch genau ver­messen werden. Erst wenn  – ein Vierteljahr nach Beginn des Experimentes – die nackten Zahlenkolonnen vorliegen, wird klar, ob die geteste Hormonkombination wirklich einen Vor­teil gegenüber den bekannten Mi­schung­en verspricht.

Ergänzt werden die histologischen Arbei­ten seit kurzem auch durch moleku­larbiolo­gische Methoden und Beobachtungen an Zellkulturen. So weiß man, daß die Östro­gene ihrerseits bestimmte Botenstoffe wie Interleukin-1 kontrollieren können, mögli­cherweise auch den Tumor Nekrose Faktor TNF-. Das aus Biologen, Medizinern und Pharmakologen zusammengesetzte Sche­ring-Team ist dieser Spur nachgegangen und hat versucht, die Effekte der Östrogene durch Antikörper und Rezeptorenblocker nachzuahmen. „Es ist uns gelungen, weiter hinten in der Befehlskaskade einzugreifen“, vermeldet Bräutigam. Der Pharmakologe ist allerdings skeptisch, ob sich aus diesem Fortschritt eine Therapie entwickeln läßt, denn eine langjährige Behandlung mit den getesteten Molekülen würde sich vermutlich auch auf das menschliche Immunsystem auswirken.

Immer wieder tun sich vor den Wissen­schaftlern Abgründe der Ahnungslo­sigkeit auf. „Ein Knochen ist ein enorm kompli­zier­tes Organ. Wir sind dabei, kleine Stein­chen des Mosaiks zu sammeln, aber wir ha­ben das komplette Bild noch nicht zu­sam­men“, lautet die bescheidene Bilanz von Dr. Habenicht, die neben ihrer Laborarbeit als Privatdozentin an der Freien Universität Berlin tätig ist.

Glücklicherweise helfen die meisten Arz­neimittel auch ohne detailierte Kenntnisse über deren Wirkungsmechanismus. Der Gynäkologe Dr. Vladimir Hanes kann dies aus eigener Erfahrung bestätigen. „Es ist überhaupt keine Frage: Östrogen beugt der Osteoporose vor, egal wie es verabreicht wird, sobald eine Konzentration von 30-40 Pikogramm pro Milliliter Serum erreicht wird.“ Als wissenschaftlicher Mitarbeiter der Klinischen Entwick­lung Fertilitätskontrolle und Hormonthera­pie will Hanes diesen handfesten Vorteil ei­ner möglichst großen Anzahl von Frauen zugänglich machen.

Neben all den Schmerzen, die durch vor­beugende Maßnahmen vermieden werden könnten, nennt der gebürtige Slowake auch wirtschaftliche Gründe, die für einen Ersatz der fehlenden Hormone sprechen. So zäh­len Oberschen­kelhals- und Unterarmbrüche, Hüft- und Wirbelfrakturen besonders bei älteren Menschen zu den häufigsten Folgen der Osteoporose. Nach oft wochenlangem Krankenhausaufenthalt wird ein großer Teil dieser Patienten pflegebedürftig – die Ko­sten dafür schlagen weltweit mit jährlich sieben Milliarden Dollar zu Buche. Die Tendenz ist weiter steigend, denn der Anteil an über Sechzigjährigen unter der Gesamt­bevölke­rung wird von gegenwärtig zehn Prozent bis zum Jahr 2020 auf ein Viertel anwachsen.

„Das wichtigste aber ist die Erkenntnis, daß man mit Östradiol und anderen Östro­genen nach der Menopause nicht nur der Osteoporose vorbeugen, sondern auch das Risiko von Herz-Kreislauferkankungen senken kann“, lenkt Hanes das Augenmerk auf eine Reihe großer epidemiologischer Studien. Vor die­ser häufigsten Todesursache überhaupt sind Frauen bis zu den Wechsel­jahren verhält­nismäßig gut geschützt – Infarkte und Schlaganfälle werden weitaus seltener re­gistriert als unter der männlichen Bevölke­rung. Nach der Menopause aber holen die Frauen die Männer ein oder überholen sie sogar.

Und wieder spielen fehlende Östrogene die entscheidende Rolle: Die weiblichen Geschlechtshormone können nämlich die „bösen“ Bluttfette Cholesterol und LDL re­duzieren, den Gehalt an „gutem“ HDL da­gegen erhöhen. Darüber hinaus deuten neueren Untersuchngen auf einen direkten schützenden Effekt der Östrogene auf die Blutgefäße hin. Das Resultat: Frauen, die über mehrere Jahre Östrogene einnehmen, haben um 50 Prozent weniger Infarkte und Schlaganfälle. Auch die Sterb­lichkeit ist gegenüber der Normalbevölke­rung fast um die Hälfte reduziert. „Das ist wirklich toll“ begeistert sich Hanes.

Dennoch gibt es auch Probleme. Die größte Sorge lau­tet, daß die langjäh­rige Einnahme von Östrogen das Brustkrebs-Risiko erhöhen könnte. Aller­dings widersprechen sich die vorliegenden Studien in ihren Aussagen. Gera­dezu paradox scheint das Ergebnis der neuesten und sorgfältigsten Untersu­chungen: Demnach wird Brustkrebs zwar etwas häufiger diagnostiziert bei Frauen die Östrogen erhalten; diese Patientinnen haben aber eine bessere Prognose als ihre Lei­densgenossinen, die kein Östrogen ein­nahmen. Dies mag damit zusammenhängen, daß sich der Brustkrebs bei den östrogenbe­handelten Frauen fast immer als gutartig erweist. Möglicherweise läßt sich das überraschende Resultat aber auch damit erklären, daß die ärztliche Überwa­chung während einer Hormonersatztherapie engmaschiger ist als bei unbe­handelten Frauen – der Brustkrebs würde also gar nicht häufiger auftreten, sondern nur seltener übersehen.

„Unter dem Strich ist der Nutzen einer Hormonersatztherapie so groß, daß man dies fast jeder Frau empfehlen kann“, versi­chert Hanes. Diese Erkennt­nis hat sich je­doch längst noch nicht überall durchgesetzt: Selbst in den Vereinigten Staaten, wo offener über die Wechseljahre und ihre Folgen gespro­chen wird, als in den meisten anderen Län­dern, nehmen lediglich 15 Prozent der me­nopausalen Frauen den Schutz der Hormo­ne in Anspruch. Im Vor­dergrund steht da­bei die kurzfristige Be­handlung klimakteri­scher Symptome wie Hitzewallungen und Reizbarkeit mit Östrogenen.

Noch weitaus seltener verschreiben euro­päische Ärzte ihren Patientinnen eine Hor­monersatztherapie. In südlichen Ländern oder auch in Japan werden Klimakteriums­beschwerden kaum als behandlungsbedürf­tig angesehen. Wer unter diesen Umständen einer langjährigen Prävention durch die täg­liche Einnahme eines Hormonpräparates das Wort reden will, muß schon eine be­sondere Überzeugungskraft mitbringen. Oder ein Medikament ohne Nebenwir­kungen.

Langsam tastet man sich bei Schering an dieses Ziel heran. Von seinem Büro im 9. Stock der Berliner Zentrale bewahrt Hanes den dafür nötigen Überblick. Der ständige Strom der Daten aus den unter ihm liegen­den Labo­ratorien soll schließlich möglichst vielen Frauen zugute kommen. Klinische Prüfungen in Zusammenarbeit mit deutschen und britischen Universitäten werden von hier aus geplant und koordiniert.

Die Fortschritte sind beachtlich. Präparate wie das auf dem deutschen Markt erhältli­che „Climen“ bie­ten schon heute Schutz vor Knochenabbau, Herzinfarkt und Schlaganfall und verhin­dern dabei gleichzeitig Wucherungen der Gebärmutterschleimhaut. Erreicht wird dies durch die feine Balance zwischen einem Östrogen (Estradiolvalerat) und einem Ges­tagen (Cyproteronacetat). Bei die­ser „sequentiellen“ Darreichungsform ent­halten die Pillen in den ersten elf  Tagen des Monats ausschließlich Östrogen; für zehn weitere Tage kommt dann noch das Gestagen hinzu; schließlich folgt eine einwöchige Pause.

Als störend werden jedoch besonders von älteren Frauen die monatlichen Entzugsblu­tungen empfunden, mit denen unter dieser Behandlung in vier von fünf Fällen gerechnet werden muß. Dies mag gegenüber dem beträchtlichen Nutzen der Hormonsubstitution als geringfügiges Manko erscheinen, zeigt aber gleichzeitig den Weg für weitere Verbesserungen. Neuere Untersuchungen weisen darauf hin, daß die als lästig empfundenen Blutungen in etwa 75 Prozent aller Fälle gänzlich vermieden werden könnten, wenn die Einnahme der Hormone in einen anderen „Rhythmus“ erfolgt. Im Gespräch ist deshalb die „kontinuierlich-kombinierte“ Einnahme, bei der Östrogen und eine minimale Menge Gestagen täglich in einer Pille geschluckt werden.

Doch selbst damit will Hanes sich nicht zufrieden geben: „Erst wenn wir ein Präpa­rat haben, das die Blutungen bei gleicher Wirksamkeit und Sicherheit 100-prozentig verhindert, ist das Optimum erreicht.“ Zu einem neuen Hoffnungsträger scheinen sich die Anti-Gestagene zu entwicklen. Die von findigen Chemikern synthetisierten Sub­stanzen konkurrieren mit ihren natür­lichen Verwandten – den Gestagenen – nicht nur um die gleichen Bindungs­stellen auf der Zelloberfläche. Sie scheinen außerdem auch selbst in die Rolle eines Rezeptors schlüpfen zu können. Die Erfindung der Anti-Gesta­gene habe „eine wahre Revolution auf dem Ge­biet der Endokrinologie“ ausgelöst, be­geistert sich Hanes. Ständig werden neue Wirkungen dieser Laborprodukte auf das komplizierte Geflecht hormoneller Befehls­ketten entdeckt. Erprobt werden die Anti-Gestagene derzeit gegen den Brustkrebs und gegen die als Myome bekannten, gutar­tigen Geschwülste der Gebärmutter, die be­vor­zugt um die Menopause eintreten. Weil Substanzen wie das bei Schering entwic­kelte Onapriston auch den Gebärmutterhals erweitern können, besteht außer­dem eine gute Chance, die Komplikationsrate bei schwierigen Gebur­ten zu senken und gleichzeitig die Schmer­zen werdender Mütter ohne Angst vor Nebenwirkungen zu lindern. Prinzipiell können Anti-Gestagene aber auch dazu genutzt werden, einen früh­zeitigen Schwangerschaftsabbruch herbei­zu­führen. Hanes legt deshalb großen Wert auf die Feststellung, daß Schering diese Forschungsrichtung nicht unterstützt.

Statt dessen geht man lieber der Frage nach, wie sich jener Ba­lanceakt der Hor­mone noch perfekter gestalten läßt, von dem die Lebensqualität postme­nopausaler Frauen in entscheidender Weise beeinflußt wird. In vier bis fünf Jahren, so rechnet Hanes, wird sich zeigen, ob das Zusammen­spiel der vielversprechen­den Newcomer mit den altbewährten Östrogenen endlich den ersehnten Durch­bruch bringt. Für Frauen jenseits der Wech­seljahre bestünde dann die Möglichkeit, den Launen der Natur ein Schnippchen zu schlagen. Unter dem Schutz einer Hormonersatztherapie ohne Nebenwirkungen hätten sie einen Grund mehr, auch das Lebensdrittel nach der Me­nopause in vollen Zügen zu genießen.

(Entwurf für einen Beitrag, der in redigierter Form im Schering Forschungsmagazin 1994 erschienen ist.)