Die von Umweltminister Klaus Töpfer in der letzten Woche vorgelegte Sommersmog-Verordnung der Bundesregierung ist unter Beschuß geraten, noch bevor sie dem Bundesrat zur Beratung zugeleitet werden konnte. Die Festlegung von Konzentrationswerten für Stickoxide, Benzol und Ruß erleichtert zwar verkehrsrechtliche Maßnahmen durch die örtlichen Behörden – eine deutliche Verminderung des bodennahen Ozons aber wird Kritikern zufolge durch die neue Verordnung nicht erreicht.

Erst wird gemessen, ab dem 1. Juli 1995 darf dann gehandelt werden. Mit diesem Datum treten die neuen Konzentrationswerte in Kraft, die nach langem Tauziehen zwischen Umwelt- Verkehrs- und Wirtschaftsministerium festgelegt wurden. Ziel der Verordnung ist es, den verkehrsbedingten Sommersmog zu bekämpfen. Als Indikatorsubstanzen wählte man Stickoxide (NOx), Benzol und Ruß. Während Benzol und Ruß vor allem wegen ihres krebserregenden Potentials von Bedeutung sind, führen Stickoxide zusammen mit flüchtigen Kohlenwasserstoffen unter Sonneneinstrahlung zur Bildung des Reizgases Ozon.

Der „Ernstfall“ tritt nach dem Willen der Bundesregierung ein, wenn im Jahresmittel mehr als 160 Mikrogramm NOx pro Kubikmeter Luft gemessen, oder aber kurzfristig 320 Mikrogramm (μg) überschritten werden. Für Ruß gilt zunächst ein Jahresmittelwert von 14 μg, der zum 1. Juli 1998 auf 8 μg abgesenkt wird. Auch bei Benzol sind zwei Stufen vorgesehen: Im ersten Schritt gilt ein Konzentrationswert von 15 μg, der drei Jahre später auf 10 μg reduziert wird.

Aus Stichproben weiß man, daß sämtliche Werte vielerorts deutlich überschritten werden, besonders wenn die Meßungen – wie vorgesehen – in engen Straßenschluchten mit geringer Luftzirkulation ausgeführt werden.

Die „erforderlichen Verkehrsmaßnahmen“ – sprich Umleitungen und Straßensperrungen, Geschwindigkeitsbeschränkungen und Fahrverbote – scheinen daher unvermeidlich, drohen aber erst in zwei Jahren. Welche Schritte dann im Einzelnen eingeleitet werden, bleibt den zuständigen Verkehrsbehörden überlassen. „Wir können nicht von Bonn aus beurteilen, welche Maßnahmen vor Ort sinnvoll sind“, begründet Töpfer das Verfahren. Eine Verwaltungsvorschrift, die jetzt noch zwischen der Bundesregierung und den Ländern ausgehandelt werden muß, soll jedoch Prioritäten setzen und eine „Harmonisierung“ der Bemühungen erreichen.

Den Kommunen bleibt trotz der scheinbar großzügig bemessenen Frist bis zum Juli 1995 nicht viel Zeit: Während Staub und Schwefeldioxid, Ozon und Stickoxide bereits flächendeckend erfaßt werden, fehlen die Geräte zur Meßung von Benzol und Ruß. Sie kosten zwischen 100000 und 300000 Mark pro Anlage und müßen trotz technischer Unvollkommenheiten bei der Rußmeßung spätestens im Sommer 1994 einsatzbereit sein, damit ein Jahr später die geforderten Jahresdurchschnittswerte zur Verfügung stehen.

Von den Neuanschaffungen – in der Stadt Hamburg werden beispielsweise vier neue Geräte benötigt – profitieren in erster Linie die Anwohner vielbefahrener Straßen. Sie leiden am stärksten unter den krebserregenden Benzol- und Ruß-Emissionen der Autos. Mit der Festschreibung von Konzentrationswerten wird ihnen ein mächtiges Druckmittel in die Hand gegeben, denn kaum ein Straßenverkehrsamt wird sich dem Vorwurf aussetzen wollen, dem Überschreiten dieser Werte tatenlos zuzusehen. Bis zu zehn zusätzliche Leukämiefälle pro 100000 Einwohner gehen nach Schätzungen allein auf das Konto des leichtflüchtigen Kohlenwasserstoffs Benzol, der zu 90 Prozent im Zusammenhang mit dem Kraftfahrzeugverkehr freigesetzt wird.

Allzu hohe Konzentrationen dieses Schadstoffes sollen gemäß der neuen Verordnung nun in erster Linie durch verkehrsplanende und verkehrslenkende Maßnahmen verhindert werden, was letztlich aber nur zu einer Umverteilung der Schadstoffe führen würde. Fahrverbote sind erst an zweiter Stelle vorgesehen, wobei Autos, die mit einem Katalysator ausgestattet sind, sowie Diesel mit einem Partikelwert von weniger als 0,08 Gramm je Kilometer verschont blieben.

Durch einen geregelten Drei-Wege-Katalysator kann nämlich der Ausstoß an Stickoxiden um 90 Prozent, der an Benzol um bis zu 85 Prozent reduziert werden. Im Stadtverkehr allerdings werden diese Werte in der Regel deutlich unterschritten, weil die optimale Betriebstemperatur auf den meist nur kurzen Strecken nicht erreicht wird. Gegenwärtig sind etwa 40 Prozent der deutschen Fahrzeugflotte mit einem Katalysator ausgerüstet; die 100-Prozent Marke hofft Töpfer in fünf Jahren zu erreichen, wenn die „schmutzigen“ Wagen älterer Baujahre weitgehend von den Straßen verschwunden sind.

Von der jetzt vorgelegten Sommersmog-Verordnung erwartet der Umweltminister jedoch nicht nur die Reduktion krebserregender Stoffe in der Atemluft. Zusammen mit anderen Maßnahmen glaubt Töpfer vielmehr eine „deutliche Minderung der Emissionen von Vorläufersubstanzen für Ozon“ bewirken zu können – und zwar „trotz der erwarteten Zunahme des Verkehrs.“

Ganz anders sieht dies das Berliner Umweltbundesamt. Von lokalen Maßnahmen seien keine großen Änderungen bei den Vorläufersubstanzen zu erwarten, hieß es aus der zentralen Umweltbehörde des Bundes, die auch für die wissenschaftliche Beratung des Ministers zuständig ist. Selbst weitgehende Sperrungen der Innenstädte brächten demnach lediglich „Veränderungen im Prozentbereich“, erklärte Pressesprecher Dr. Holger Brackemann.

Nötig seien dagegen Reduktionen der Vorläufersubstanzen um 70 bis 80 Prozent, um die 120 μg pro Kubikmeter Luft nicht wesentlich zu überschreiten, die vom VDI als Orientierungswert für Risikogruppen angesetzt werden. Auch die Ausrüstung der gesamten Pkw-Flotte mit geregeltem Drei-Wege-Kat würde dafür nicht ausreichen.

Gefordert sei deshalb ein generelles Tempolimit von 100 Stundenkilometern auf Autobahnen und Tempo 80 auf Landstraßen, sagte Dr. Klaus Kübler, stellvertretender Sprecher der SPD-Bundestagsfraktion in der Enquete-Kommission „Schutz der Erdatmosphäre“. Erst vor wenigen Wochen war die Hessische Landesregierung mit einer „Ozon-Verordnung“ vorgeprescht und hatte Töpfer damit unter Zugzwang gesetzt.

Trotz juristischer Unsicherheiten wurde in Wiesbaden beschlossen, ein Tempolimit zu verhängen, wenn mindestens drei der 33 Meßstellen des Landes Ozonwerte über 240 Mikrogramm pro Kubikmeter Luft melden. Auf Autobahnen dürfen dann nur noch 90, auf Landstraßen 80 Stundenkilometer gefahren werden. Während Umwelt- und Verkehrsministerium in dem rot-grün regierten Bundesland an einem Strang ziehen und ein Tempolimit auch ohne Ozonalarm für sinnvoll halten, ist die Lage in Bonn weniger harmonisch:

Nach Darstellung des SPD-Umweltexperten Michael Müller leisteten sowohl das Bonner Verkehrs- als auch das Wirtschaftsministerium Widerstand gegen die ursprünglich von Töpfer vorgeschlagenen Konzentrationswerte für Ruß und Benzol, die nun erst ab 1998 gelten werden.

(Originalversion eines Artikels für die VDI-Nachrichten, erschienen am 30. Juli 1993)

Weitere Infos:

Hintergrundpapier Sommersmog des Umweltbundesamtes