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Eine Socke für die Gasleitung

Gewaltige Probleme bei der Umstellung der Gasversorgung sind für Berto Schnichels nichts Neues: Der Betriebsdirektor der Bonner Stadtwerke erinnert sich noch an den Beginn der sechziger Jahre: „Bei Goch am Niederrhein hatten sie damals so viele Lecks – da waren fast schon Gasfelder in der Straße.“ Keine Schlamperei am Bau, sondern die „einfache“ Umstellung der Versorgung von feuchtem Stadt- auf trockenes Erdgas hatte die Lecks hervorgerufen.

Kleine Ursache – große Wirkung: Weil jede Muffe im Netz mit Hanffasern abgedichtet worden war, gab es mit einem Mal reichlich Arbeit. Die Fasern, die von dem durchziehenden Stadtgas ständig  feuchtgehalten worden waren, hatten an Volumen verloren, sobald nur noch das trockene Erdgas durch die Leitungen strömte, und begannen, ihren Dienst zu versagen. Bei sechs Meter langen Rohrstücken mußte natürlich im gleichen Abstand mit Leckagen gerechnet werden. Gefahr drohte vor allem dort, wo das explosive Gas in Keller oder Postschächte hätte eindringen können.

Die Geschichte – von den Versorgungsunternehmen längst zu den Akten gelegt – wiederholt sich jetzt im östlichen Teil Deutschlands, wo zu DDR-Zeiten das auf der Grundlage von Braunkohle erzeugte Synthesegas verbrannt wurde. Zusätzlich zur Umstellung mußten die alten Rohre nach der Wende auch noch eine Druckanhebung von 11 auf 22 Millibar verkraften. Sie wurde erforderlich, um der wachsenden Nachfrage nach dem neuen, sauberen, Energieträger gerecht zu werden. Allein die Vereinigten Elektrizitätswerke Westfalen AG (VEW), die mit ihren Partnern 60 Prozent der Gasversorgung in der ehemaligen DDR abdecken, haben inzwischen 350000 Haushalte umgestellt und wollen bis Ende des Jahres weitere 300000 ans Netz anschließen.

Am gravierendsten ist das Problem in Berlin, wo „so etwa 17000 Leckstellen“ bis 1995 abgedichtet werden sollen. „Aber es waren auch schon ´mal mehr“, tröstet Jürgen Stur, Pressesprecher der Berliner Gaswerke. Immerhin wurden seit dem Fall der Mauer gut 5000 Löcher gestopft. Etwa zwei Drittel von insgesamt 6685 Kilometer Gasleitungen im Berliner Untergrund verlaufen im ehemaligen Westteil der Stadt und sind recht gut in Schuß. Dagegen finden sich in den östlichen Stadtteilen über 1200 Kilometer Gußrohre, die teilweise noch in der ersten Hälfte des vergangenen Jahrhunderts gelegt wurden. Durch die Lecks können offensichtlich auch Wachstumsschäden an Straßenbäumen hervorgerufen werden. Rund 3000 Exemplare waren betroffen, durch die Sanierungsmaßnahmen sei jedoch eine „deutliche Entlastung“ erreicht worden.

Rund 700 Kilometer sind laut Stur noch zu sanieren; die Berliner hätten demnach allen Grund, sich auf umfangreiche Bauarbeiten samt zugehöriger Verkehrsstaus, Umleitungen, und lärmträchtiger Erdarbeiten gefaßt zu machen. Einem in Japan entwickelten Verfahren zur Schlauchauskleidung von Druckrohren haben es die gestreßten Großstadtbewohner nun zu verdanken, daß sich der Ärger in Grenzen hält.

Die Methode, mit der die Gasleitungen vor den in Japan häufigen Erdbeben geschützt werden sollten, ist das Resultat einer engen Zusammenarbeit zwischen der Tokyo Gas Company und dem Ashimori-Konzern. Beim sogenannten Paltem-Verfahren werden nicht nur die Nerven der Anwohner, sondern auch die öffentlichen Kassen geschont. Die vergleichsweise geringen Erdarbeiten machen die Methode zumindest in Großstädten und anderen verkehrsreichen Regionen zu einer preiswerten Alternative. Statt die Straße auf ganzer Länge aufzureißen und neue Rohre zu legen, müssen nämlich lediglich einige Kopflöcher geöffnet werden. Nach einer gründlichen Reinigung des zu sanierenden Leitungsabschnitts wird durch diese Öffnungen dann ein extrem belastbarer Gewebeschlauch aus Polyesterfasern unter Luftdruck in die alten Leitungen eingestülpt.

Dieser Kunststoffschlauch wurde zuvor mit einem Zweikomponentenkleber gefüllt und in einem Druckkessel auf eine Trommel gewickelt. Mit dem Einleiten von Druckluft wird der Schlauch dann umgestülpt wie eine alte Socke, wobei der Kleber an die Rohrwand gepreßt wird. Im nächsten Arbeitsschritt wird von einem mobilen Heißdampferzeuger produzierter Dampf in die Leitung geschickt, wodurch der Kleber innerhalb von zwei Stunden aushärtet. Schließlich müssen noch die zugeklebten Hausanschlüße durch einen videoüberwachten Roboter vom Rohr aus wieder aufgeschnitten werden. Der ganze Prozeß dauert etwa zwei bis drei Tage je Rohrabschnitt. Bei einer Zugfestigkeit des „Liners“ von 150 N/mm und einem Berstdruck von 5 bar sind die sanierten Leitungen dann auch gegen starke Beanspruchungen bestens gewappnet.

„Wir sind voll beschäftigt“, verkündet Dieter Hausdorf, Geschäftsführer der Kanal-Müller-Gruppe, die seit Juli des vergangenen Jahres mit dem Paltem-Verfahren arbeitet. Während damals vorwiegend im Raum Halle/Leipzig saniert wurde, hat man sich jetzt mit Dortmund erstmals auch einem Standort in den alten Ländern zugewandt. Dort sind die Leitungen zwar in der Regel in einem besseren Zustand, dennoch müssen auch die 227000 Kilometer „westdeutscher“ Rohre instandgehalten werden, deren mittlere Lebenserwartung etwa 80 Jahre beträgt. Die Kosten dafür beliefen sich nach Angaben des Bundesverbandes der deutschen Gas und Wasserwirtschaft im letzten Jahr auf 5,7 Milliarden Mark; bis 1995 rechnet man mit weiteren 17 Milliarden Mark, wobei für die neuen Länder noch keine Kostenschätzung vorliegt.

Nicht immer lohnt sich das Schlauchrelining, aber „je schwieriger die Umgebung, umso größer ist das Preisgefälle zwischen Auswechseln und Sanieren“, erklärt Hausdorf. Je nach Boden und Verkehrsverhältnissen muß für den Neubau einer Leitung mit 70 bis 300 Mark pro Meter gerechnet werden. Für eine Standardleitung von 150 Millimetern kostet das Paltem-Verfahren etwa 150 Mark je laufenden Meter, die Erdarbeiten schlagen hier nur mit durchschnittlich 25 Mark zu Buche. Begrenzt wird der Einsatz der Methode ebenso wie das verwandte Phoenix-Verfahren zum einen durch die Reduktion der Rohrkapazität als Folge des verringerten Durchmessers. Auch bei einer allzu hohen Zahl von Hausanschlüßen, die ja nachträglich wieder eröffnet werden müssen, kann die Rentabilitätsgrenze unterschritten werden. Außerdem werden parallel verlaufende Gas und Wasserleitungen aus Kostengründen oftmals gemeinsam erneuert.

Doch auch hier zeichnen sich Fortschritte ab: Weil das Verfahren prinzipiell auch auf die Sanierung von Wasserleitungen zu adaptieren wäre, blickt man bei der Kanal-Müller-Gruppe optimistisch in die Zukunft. Für den Praktiker Berto Schichels steht jedenfalls fest: „Das Folien-Relining ist heute sicherlich eines der besten Sanierungsverfahren“.

(geschrieben für die VDI-Nachrichten im Juni 1993. Erscheinungsdatum unbekannt.)

Umweltpolitik: Viele Ideen, wenig Action

Eines der Hauptthemen des Umweltgipfels in Rio ist die Bedrohung der Menschheit durch die von Wissenschaftlern vorhergesagte globale Erwärmung. Weniger häufig wird darüber gesprochen, daß die gleichen Experten auch sehr konkrete Vorschläge unterbreitet haben, wie das Problem am besten anzugehen sei. Für die Bundesrepublik, die in den Augen vieler Entwicklungsländer eine Vorreiter-Rolle hat, gibt es sogar ein „nationales CO2-Minderungsprogramm zum Klimaschutz“.

Das Programm, beschlossen vom Kabinett am 7. November 1990, umfaßt elf Punkte und soll sicherstellen, daß Deutschland seine öffentliche Verpflichtung erfüllt, den Kohlendioxid-Ausstoß bis zum Jahr 2005 um mindestens ein Viertel zu reduzieren. Umweltminister Klaus Töpfer damals: „Mit dem heutigen Beschluß hat die Bundesregierung bewiesen, wie ernst sie die globale Klimagefährdung nimmt.“

Aber noch immer fehlen die unter Punkt 1 der Vorlage vorgeschlagenen „ökonomischen Instrumente“ (sprich Klimasteuern). Die geplante Novelle des Energiewirtschaftgesetzes steht ebenso aus wie die beschlossenen Zusätze zu den Verordnungen über Klein- und Großfeuerungsanlagen, über Wärmeschutz und Heizungsanlagen.

Zwar hat die deutsche Automobilindustrie sich freiwillig bereiterklärt, den Energieverbrauch ihrer Fahrzeuge deutlich zu senken. Einstweilen haben die Konkurrenten aus Japan, Frankreich und Italien aber hier die Nase vorn. Die – ebenfalls 1990 beschlossene – Einführung einer schadstoffbezogenen Fahrzeugsteuer läßt noch immer auf sich warten.

Ohnehin hat das CO2-Minderungsprogramm nur einen kleinen Bruchteil dessen berücksichtigt, was die Experten an Problemlösungen anzubieten haben: Die Enquete-Kommission „Vorsorge zum Schutz der Erdatmosphäre“ hatte bereits vor zwei Jahren auf 9173 Seiten dargestellt, was machbar wäre: Sie wertete 150 Studien aus, die alle klimarelevanten Fragen der Energienutzung untersuchen. Seitdem steht das zehnbändige Werk, das nach den Worten seiner Herausgeber die „Klimapolitik der nächsten Jahrzehnte“ bestimmen sollte, in den Bibliotheken.

Eine neue Enquete-Kommission („Schutz der Erdatmosphäre“) hat die Arbeit ihrer Vorgänger fortgesetzt. In dem gerade veröffentlichten Bericht wird dem Bundestag und der Bundesregierung empfohlen, in Zusammenarbeit mit anderen Industrieländern die politische Initiative zu ergreifen, um ein solarthermisches Kraftwerk im Sonnengürtel der Erde zu bauen. Seit mehreren Jahren werden derartige Kraftwerke mit einer Leistung von 350 Megawatt in Kalifornien betrieben; zuverlässig und bereit für die weltweite Markteinführung. Obwohl in Spitzenverbrauchszeiten zusätzlich mit Erdgas gefeuert werden muß, lohnt sich die Sache dreifach: Die Brennstoffkosten sinken auf ein Viertel, die Luftverschmutzung geht gegen Null und natürlich sinkt auch der CO2-Ausstoß drastisch.

Um den Entwicklungsländern die hohen Anschaffungskosten zu versüßen, schlägt die Enquete-Kommission einen „verlorenen Zuschuss“ in Höhe von einem Drittel der Investitionskosten vor, das sind rund 115 Millionen Mark. Konkrete Planungen gibt es für Indien und Brasilien.

Ein zweiter Vorschlag der Kommission wäre billiger zu verwirklichen: Durch einfache Isolationsmaßnahmen ließen sich die Verluste beim Transport von Erdgas drastisch reduzieren. Aus den 220.000 Kilometern Fernwärmeleitungen der ehemaligen Sowjetunion gehen wegen Lecks und technisch überholter Kompressorstationen mindestens acht Prozent des transportierten Erdgases verloren – in Westeuropa und Nordamerika sind es nur 0,5 Prozent.

Vierzig Milliarden Kubikmeter, die Hälfte des deutschen Jahresverbrauches verschwinden so in der Luft. Dabei sind weitere 250.000 Kilometer Leitungen, die benötigt werden, um den Brennstoff zum Verbraucher zu bringen, noch gar nicht mitgerechnet. Aus den Lecks strömt das Treibhausgas Methan, welches den größten Bestandteil des Erdgases ausmacht, direkt in die Atmosphäre. An den Kompressorstationen wird es zu Kohlendioxid verbrannt.

Mit deutscher Hilfe könnten diese Löcher gestopft werden. Dazu die Enquete-Kommission: „Es kann davon ausgegangen werden, daß die zusätzlichen Einnahmen bei einer Sanierung die Ausgaben übersteigen werden“.

(erschienen in „DIE WELT“ am 12. Juni 1992)