Zum Hauptinhalt springen

Strahlende Hinterlassenschaft

Geld spielte für die Sowjetunion keine Rolle, solange es um die Ausbeutung der Rohstoffe in der ehemaligen DDR ging. Bis zum Zehnfachen der Weltmarktpreise für Uran musste die Wismut AG anlegen, um den Böden Sachsens und Thüringens das begehrte Metall abzugewinnen. Der Urananteil im Gestein war nämlich mit einem Tausendstel so gering, dass ganze Täler ausgebaggert werden mussten, um den Hunger nach billigem Kernbrennstoff und atomaren Sprengsätzen zu sättigen. Dabei entwickelte sich die deutsch-sowjetische Aktiengesellschaft allmählich zu einem „Staat im Staate“, komplett mit Spitzengehältern und eigener Handelskette.

Auch wenn jetzt im Januar die „kontrollierte Stilllegung“ der Anlage Seelingstädt eingeleitet wird, werden die Einwohner des Erzgebirges noch lange Zeit an den Schäden zu tragen haben, die ihnen der maßlose Bergbau in der Region gebracht hat. Zusätzlich zu den Narben in der Landschaft, den Absetzbecken mit Hunderten von Millionen Tonnen Rückständen und den 3000 Hügeln der Abraumhalden sind die Einwohner noch mit einem weiteren Problem konfrontiert: Radon, ein radioaktives Edelgas, entweicht aus dem Boden der Region.

Klaus Töpfer – hier im Jahr 2009 – war ein kompetenter und glaubwürdiger Umweltminister (Foto: Heinrich Böll Stiftung Berlin, Conference: Countdown to Copenhagen CC BY-SA 2.0 via Wikipedia)

„Meine Sorge ist nicht geringer geworden“, meinte Umweltminister Klaus Töpfer nach der Besichtigung des Wismuth-Erbes und sieht sich vor gewaltigen Aufgaben. Bei Lichtenberg, wo der Tagebau vor zwölf Jahren eingestellt wurde, ist der Krater heute noch 160 Meter tief und entwickelt auf dem Boden den Fäulnisgeruch von schwefeligen Gasen. Direkt angrenzend befindet sich eine wilde Deponie, die Ende des Jahres geschlossen wird. Ölreste und eine möglicherweise brisante Mischung an undefinierten Abfallstoffen wurden hier – nach der Wende – abgelagert und stinken nun zum Himmel.

In der Anlage Königstein wurden mehrere Millionen Kubikmeter Säure in den Boden gepumpt, um das dort befindliche Erz zugänglich zu machen. Dieser Betrieb kann nicht einfach stillgelegt werden, weil die Säuremassen sonst das Grundwasser gefährden würden. Trotz der unzähligen Halden und alten Anlagen mit ihren gewaltigen Mengen an Schwermetallen trägt aber das radioaktive Gas Radon am meisten zur Strahlenbelastung der Bevölkerung bei. Jede hundertste Wohnung in Schneeberg weist so hohe Mengen an Radon auf, dass sie „der direkten Sanierung bedürftig“ ist, so Töpfer.

Über 15.000 radioaktive Zerfälle je Kubikmeter Raumluft werden in diesen Räumen gemessen und gefährden auf lange Sicht die Gesundheit der Bewohner. Noch wurden Messungen nur stichprobenartig genommen, doch gewinnt das Bild zunehmend an Klarheit, während das Bundesamt für Strahlenschutz ständig neue Daten gewinnt. Konfrontiert mit den Sorgen der Bewohner dieser Häuser, empfahl Töpfer als erste Sanierungsmaßnahmen für die betroffenen Häuser ein verstärktes Lüften, das Abdichten der Kellerräume und die Installation von Drainagen. Um der großen Skepsis der Einwohner gegenüber amtlichen Verlautbarungen zu begegnen, soll jetzt eine Beratungsstelle eingerichtet werden, in der Betroffene sich darüber informieren können, welche Sanierungsmaßnahmen für ihre spezielle Situation am geeignetsten sind.

Radon ist auch in anderen Ländern ein Problem, doch kommt es wegen der geologischen Besonderheiten im Erzgebirge zu extremen Schwankungen in den frei gesetzten Radonmengen. Ehemals uranhaltige Lagen liegen hier fast senkrecht im Boden; die Schächte münden in extremen Fällen in den Kellergewölben der Einwohner und dienen so als „Fluchtweg“ für das Radon das aus dem Gestein entweicht. Direkt angrenzende Lagen führen häufig nur sehr wenig Uran, so dass dort drastisch geringere Konzentrationen gemessen werden.

Trotz der zweifellos skandalösen Lage in den ehemaligen Uranbergbaugebieten ist in der Bevölkerung auch Optimismus zu vernehmen. Anlässlich einer Bürgerversammlung in der Hospitalkirche der Gemeinde Schneeberg sprach Pfarrer Andreas Tusche von einem Zeichen der Hoffnung: „22 Tage nach der Vereinigung, ist etwas geschehen, was hier 40 Jahre lang nicht möglich war: Ein Minister hat sich den Sorgen und Ängsten der Bevölkerung gestellt.“

(Bericht von einer Dienstreise mit Klaus Töpfer auf Einladung des Umweltministeriums. Erschienen in der WELT vom 27. Oktober 1990. Letzte Aktualisierung 17. April 2017)

Was ist daraus geworden? Mehrmals durfte ich in meiner „Bonner Zeit“ Klaus Töpfer begleiten und auf Pressekonferenzen erleben. Im Gegensatz zu so manchen Nachfolgern habe ich ihn als kompetent und glaubwürdig erlebt. Diesem Thema blieb er auch treu und wurde später unter anderem Exekutivdirektor des Umweltprogrammes der Vereinten Nationen. Das Uranaufbereitungswerk in Seelingstädt wurde wie fast alle Anlagen nach der Wende geschlossen und das Gelände saniert. Die Belastung durch Radon ließ sich jedoch nicht überall beseitigen, und sie besteht nicht nur in den ehemaligen Uranerzabbaugebieten der Wismut. Rechnerische Abschätzungen aus der Lungenkrebshäufigkeit von Bergarbeitern haben ergeben, dass Radon für etwa 10 % der Lungenkrebstodesfälle verantwortlich ist, so die Wikipedia. „Diese Größenordnung wurde inzwischen durch epidemiologische Studien belegt. Damit gehen pro Jahr in der EU 20.000 Lungenkrebstodesfälle und in Deutschland etwa 1.900 auf Radon zurück.“

Milliarden-Schäden durch Uranabbau im Erzgebirge

Schneeberg. Der Uranbergbau in der ehemaligen DDR hat schwerwiegende Umweltprobleme hinterlassen. Umweltminister Klaus Töpfer zeigte sich erschrocken über das Ausmaß der Verwüstungen und den sorglosen Umgang mit schwach radioaktiven Substanzen, der im Erzgebirge jahrzehntelang betrieben wurde und teilweise noch anhält. Anlässlich einer Bürgerversammlung im sächsischen Schneeberg warb Töpfer um Vertrauen für die Umweltpolitik der Bundesregierung.

Abraumhalden bei Schneeberg im Erzgebirge (Copyright 1990, Michael Simm)

Der größte Bergbaubetrieb der Region, die Wismut AG mit derzeit 30.800 Arbeitern, hat seit dem Ende des zweiten Weltkrieges 220.000 Tonnen aufbereitetes Uran (yellow cake) in die Sowjetunion geliefert, ebenso viel wie die Vereinigten Staaten im gleichen Zeitraum produzierten. Das Metall, welches nach einer weiteren Anreicherungsstufe als Kernbrennstoff‘ oder Sprengsatz für Nuklearwaffen dient, wurde unter immensen Kosten für Mensch und Natur gefördert.

Schlammartige Rückstände der Erzaufbereitung werden in gigantischen Absetzbecken von der Größe mittlerer Baggerseen gelagert, die allmählich austrocknen und dabei radioaktiven Staub freisetzen. Erst wenn alle Becken mit Abdeckmaterialien versiegelt sind, ist auch die Gefahr einer Verseuchung von Grund- und Oberflächenwasser durch diese Becken gebannt.

Arbeiten dazu sind bereits in Gang, doch die Beseitigung der riesigen Abraumhalden, die bei der Erzförderung anfielen, wird längere Zeit in Anspruch nehmen: Über 3000 dieser Halden, die bis zu 130 Meter hoch sind, produzieren säurehaltige Sickerwässer, die ebenfalls unkontrolliert ins Grundwasser gelangen.

Die Wismut AG ist eine deutsch-sowjetische Aktiengesellschaft, die noch zu Zeiten des alten Regimes gegründet wurde. Jetzt soll sie unter dem im April berufenen Generaldirektor Horst Richter einen umfassenden Sanierungsplan erstellen. Die unmittelbaren Kosten für die Beseitigung der Schäden dieses Raubbaus schätzt Richter auf 5,4 Milliarden Mark. Eine Beteiligung der Sowjets an den Kosten halten sowohl Töpfer als auch Richter für unwahrscheinlich.

Hohe Priorität gilt auch der Sicherung medizinischer Daten der Wismut-Mitarbeiter. Nach Schätzungen standen fast eine Million Menschen zeitweilig in den Diensten der Gesellschaft. Derzeit befinden sich deren Daten noch im Arbeitshygienischen Zentrum der Region Wismut, doch ist bereits ein unabhängiges Institut mit der Auswertung beauftragt worden.

(erschienen auf der Titelseite der WELT am 27. Oktober 1990. Letzte Aktualisierung am 17. April 2017)

Was ist daraus geworden? Eine extrem umfangreiche Aufarbeitung dieser Geschichte findet sich mittlerweile auf der Wikipedia. Auch zahlreiche Bücher wurden über die Hinterlassenschaft der Wismut geschrieben, darunter auch „Uran für Moskau“ von Rainer Karlsch. Einen Fachartikel mit dem Thema „Gesundheitliche Folgen der beruflichen Strahlenbelastung im deutschen Uranbergbau“ von Maria Schnelzer, Nora Fenske, Linda Walsh, Michaela Kreuzer fand ich im Umwelt und Mensch – Informationsdienst, Nr. 01/2015, der gemeinsam vom Bundesamt für Strahlenschutz (BfS), Bundesinstitut für Risikobewertung (BfR), Robert Koch-Institut (RKI), und Umweltbundesamt (UBA) herausgegeben wird. Demnach wurden 60000 frühere Wismut-Arbeit über viele Jahe hinweg regelmäßig untersucht mit dem Ergebnis: „Bis Ende 2008 waren 25.438 Personen (43% der Kohorte) verstorben, 3.500 von ihnen an Lungenkrebs. Dies entspricht im Vergleich zur Allgemeinbevölkerung einer Verdoppelung der Lungenkrebssterblichkeit, welche vorwiegend auf die berufliche Radonbelastung und in geringerem Maß auch auf die Belastung mit Quarzfeinstaub zurückzuführen ist.“