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Rezepte gegen das Waldsterben

Der Wald kommt unter die Räder. So lautete bisher die auf den Punkt gebrachte Befürchtung von Naturschützern, Umweltforschern und Forstbesitzern. Immer deutlicher wurde in den letzten Jahren, daß die beachtlichen Erfolge bei der Luftreinhaltung zunichte gemacht werden durch die scheinbar unaufhaltsame Zunahme der Verkehrs, durch unser aller Drang nach der Freiheit auf den eigenen vier Rädern.

Gewachsen ist aber auch die Einsicht, daß die früher als „natürlich“ eingestuften Abfälle einer hochtechnisierten Landwirtschaft dem deutschen Wald heute nicht weniger schaden als die rauchenden Schornsteine der Nachkriegsjahre.

In zehn Jahren Waldschadensforschung  wurden gut 700 Projekte von Bund, Ländern und der Deutschen Forschungsgemeinschaft finanziert, auf etwa 360 Millionen Mark beläuft sich inzwischen die Rechnung. Dazu kommen 420 Millionen Mark aus Steuergeldern für „flankierende forstliche Maßnahmen“, die es den Waldbesitzern ermöglichen sollten, die Widerstandsfähigkeit der Waldökosysteme zu erhalten und zu verbessern. Eine schmerzfreie und billige Lösung des Problems ist dennoch nicht in Sicht.

„Die Forstwirtschaft hat relativ wenige Möglichkeiten, zu reagieren. Die Wälder sind den Emissionen schutzlos preisgegeben“, sagt Professor Karl Kreutzer vom Lehrstuhl für Bodenkunde der Forstwirtschaftlichen Fakultät der Universität München. Auch die Kalkung, mit der die Versauerung der Böden bekämpft werden soll, ist kein Allheilmittel. Auf seinen Versuchsflächen im Höglwald zwischen München und Augsburg wies Kreutzer nach, daß vermehrt Nitrat gebildet wird. Die Ionen werden mit dem Regen ausgeschwemmt und stellen eine langfristige Bedrohung für das Trinkwasser dar.

Zu den trüben Zukunftsaussichten kommt die Tatsache hinzu, daß die bisherigen Maßnahmen zur Luftreinhaltung am Gesundheitszustandes des deutschen Waldes wenig zu ändern vermochten. Während sich Nadelbaumarten seit Jahren langsam erholen, geht es mit den wichtigsten Laubbäumen weiter bergab. Dabei wurden in den letzten 15 Jahren eine ganze Reihe von Gesetzen und Verordnungen erlassen, die oftmals mit hohen Erwartungen verknüpft waren:

Noch zu Beginn der achtziger Jahre wurden in der alten Bundesrepublik weit über drei Millionen Tonnen Schwefeldioxid jährlich in die Luft geblasen, von denen vier Fünftel auf das Konto von Kraftwerken und Industrie gingen. Mit der Großfeuerungsanlagen-Verordnung von 1983 ging die Ära der rauchenden Schornsteine dann zu Ende. Vor allem der Einführung von Rauchgas-Entschwefelungsanlagen ist es zu verdanken, daß die SO2-Emissionen der alten Bundesländer mittlerweile um siebzig Prozent zurückgegangen sind. Durch Betriebsstilllegungen und die Umrüstung bestehender Anlagen klärt sich der Himmel über Ostdeutschland deutlich schneller, doch liegen noch keine neuen Zahlen vor.

Ob die bisherigen Anstrengungen dem Wald geholfen haben, ist schwer zu beurteilen. Wie Professor Wolfram Elling an der Fachhochschule Weihenstehphan in Freising zeigen konnte, scheint es bei Tannen und Fichten schon in der ersten Hälfte der achtziger Jahre zu einer Art Trendwende gekommen zu sein. An der besonders stark von den neuartigen Waldschäden betroffenen Weißtanne ließ sich dies an den immer breiter werdenden Jahresringen ablesen.

Allerdings gilt diese Beobachtung nur für noch erholungsfähige Bäume, wie der Dendrochronologe betont. Aber während Frost und Dürre für das Sterben der Weißtannen ebenso wie die Versauerung der Böden anscheinend nur von untergeordneter Bedeutung sind, ist der Zusammenhang zwischen örtlicher Schwefelbelastung und dem Schädigungsgrad dieser Baumart eindeutig.

Ein weiterer Hinweis darauf, daß die Reduktion des Schwefeldioxidausstoßes zumindest eine Entlastung für den Wald gebracht hat, stammt von Untersuchungen, bei denen die Nadelmasse von Fichten im Flachland bestimmt wurde. Sie nahm etwa ab 1985 so stark zu, daß die früheren Verluste heute kaum mehr zu erkennen sind. „Erholungsfähige“ Bäume, die auf 800 Metern Höhe im Fichtelgebirge geschlagen wurden, zeigen außerdem den bereits bei den Weißtannen beobachteten Zuwachs in der Breite der Jahresringe. „Die sehr deutliche Drosselung der Schwefeldioxidemissionen während des letzten Jahrzehnts kann hier mitspielen, liefert aber keine ausreichende Erklärung“, relativiert Professor Elling.

Eine Reduktion der Stickoxide hatte man sich von der im Sommer 1983 beschlossenen Einführung des Katalysators bei Personenkraftwagen erhofft. Die Vereinigten Staaten und Japan hatten zu diesem Zeitpunkt schon vorexerziert, daß der Ausstoß dieser Gase am Einzelfahrzeug durch den Einbau des Kat um 90 Prozent veringert werden kann. Dagegen hatten sich die NOx-Emissionen aus dem bundesdeutschen Kraftfahrzeugverkehr zwischen 1970 und 1982 fast verdoppelt: 1,4 Millionen Tonnen Stickoxide jährlich strömten damals durch den Auspuff in die Umwelt. Mit steuerlichen Anreizen und der europaweiten Einführung von bleifreiem Benzin hoffte man, diesen Betrag bis 1990 mindestens zu halbieren.

Inzwischen hat sich diese Kalkulation aber als Milchmädchenrechnung erwiesen, die Emissionen sind gegenüber 1982 um ein Drittel gestiegen. Seit der Einführung des Katalysator-Autos vor zehn Jahren wuchs die Zahl der Pkw in den alten Bundesländern von 24 auf über 32 Millionen. Die wiedervereinigten Deutschen legten 1991 zusammen 866 Milliarden Kilometer zurück, das entspricht etwa 6000 Mal der Entfernung von der Erde zur Sonne. Vier von fünf Kilometern wurden dabei im Auto gefahren, mit steigender Tendenz seit 1970.

Zwar werden mittlerweile 99 Prozent aller neuzugelassenen Pkw mit geregeltem Drei-Wege-Kat ausgeliefert, auf den Straßen rollen aber momentan noch sechs von zehn Karossen „hinten ohne“. Verschärfend kommt noch hinzu, daß der durchschnittliche Verbrauch der in Deutschland zugelassenen Pkw 1991 noch immer 9,9 Liter auf 100 Kilometer betrug, gegenüber 10,7 Litern im Jahre 1975. Die technischen Verbesserungen der letzten 16 Jahre kamen also nicht der Umwelt zugute sondern gingen laut einer Erklärung des Umweltbundesamtes einher mit einem „Trend zu leistungsstärkeren und schwereren PKW, die mit höheren Geschwindigkeiten gefahren werden.“

Für den Vorsitzenden des Bund für Umwelt und Naturschutz Deutschland (BUND), Hubert Weinzierl, stellt sich daher die Frage: „Sind wird bereit, den Wald unserer überbordenden Mobilität zu opfern?“. Auch Waldschadensforscher Kreutzer fordert „nicht nur den Kat, sondern kleinere Autos mit geringerem Treibstoffverbrauch.“

Die im Juli angekündigte sogenannte Sommersmogverordnung aber bringt in dieser Hinsicht keine Verbessserung. Im Auftrag der Bundesregierung hatte das Umweltministerium einen Entwurf ausgearbeitet, nach dem „Konzentrationswerte“ für Stickoxide, Benzol und Ruß ab Juli 1995 in Kraft treten und drei Jahre später nochmals verschärft werden sollen. Die örtlichen Behörden dürfen bei Überschreiten der Werte auf die Bremse treten und den Verkehr durch Umleitungen, Straßensperren, Geschwindigkeitsbeschränkungen und Fahrverbote drosseln.

Der Anreiz zum Kauf eines Katalysatorautos besteht darin, daß diese von Fahrverboten verschont bleiben sollen. Ursprünglich wollte Umweltminister Klaus Töpfer die schärferen Werte schon zum früheren Datum durchsetzen. Wie frustrierte Mitarbeiter hinter vorgehaltener Hand bekennen, scheiterte der Vorstoß aber am Widerstand der Ministerien für Verkehr und Wirtschaft, die zudem noch die Stimme des Kanzlers auf ihrer Seite wußten.

Durch die Sommersmogverordnung werden in erster Linie die Anwohner vielbefahrener Straßen entlastet. Sie dürfen darauf hoffen, in Zukunft weniger Gifte schlucken zu müssen. „Eine deutliche Minderung der Emissionen von Vorläufersubstanzen für Ozon“, wie sie Umweltminister Klaus Töpfer erwartet hält Dr. Holger Brackemann, Pressesprecher im Umweltbundesamt, aber für unrealistisch. Selbst bei weitgehenden Sperrungen der Innenstädte ergäben sich lediglich Veränderungen im Prozentbereich. Nötig seien aber Reduktionen um 70 bis 80 Prozent, hieß es bei der Behörde, die unter anderem für die wissenschaftliche Beratung des Umweltministers verantwortlich ist.

Derzeit liegt die Sommersmogverordnung ohnehin auf Eis. „Sie wird auf absehbare Zeit nicht in Kraft treten, es gibt Probleme, die Verordnung in der Bundesregierung konsensfähig zu machen und im Bundesrat durchzubringen.“, räumte Dr. Görgen ein. Widerstand kommt besonders von den Finanzministern der Länder, denen die voraussichtlichen Kosten zu hoch erscheinen, „den Umweltministern wiederum ist die Verordnung viel zu lasch“, schildert Görgen das Gerangel.

Erschwert wird die Durchsetzung von Schutzgesetzen für den Wald auch durch eine mangelnde Haftungspflicht. Hätten Waldbesitzer ein Recht auf Ausgleich der gewaltigen Verluste, die ihnen letztlich durch die Luftverschmutzung entstehen, so könnte dies zu einer Versöhnung der Gegensätze zwischen Umwelt- und Finanzministern führen.

Als Beleg für den mangelnden Handlungswillen der Bundesregierung verweisen Naturschützer gerne auf eine höchstrichterlich dokumentierte Gesetzeslücke: Schon vor sechs Jahren urteilte der Bundesgerichtshof gegenüber der Stadt Augsburg und einem Schwarzwälder Waldbesitzer, die auf Schadensersatz geklagt hatten, daß dafür die entsprechende Rechtsgrundlage fehle. Der Sache nach seien die Waldschäden jedoch „entschädingungswürdig und entschädigungsbedürftig“.

Nun muß das Verfassungsgericht darüber urteilen, wer wen entschädigen muß und mit wessen Geld dies geschehen soll. Ministerialrat Peter Splett, der im Landwirtschaftsministerium für die neuartigen Waldschäden zuständig ist, weiß, das die Forderung nach Ausgleichszahlungen leicht zu stellen, aber nur schwer umzusetzen ist. „Eine Entschädigung setzt voraus, daß man die Ansprüche juristisch klar formulieren kann.“ Dies sei aber angesichts der hochkomplexen Vorgänge im Ökosystem Wald fast unmöglich. Gegenüber dem Finanzministerium konnte man deshalb nicht einmal ungefähre Angaben über die Höhe der zu erwartenden Forderungen machen.

So steht zu befürchten, daß auch die Landwirte sich den Auflagen widersetzen werden, die derzeit in Bonner Ministerien angedacht werden. Ausgangspunkt der Überlegungen ist die Erkenntnis, daß in Folge einer intensiven Tierhaltung und der damit zusammenhängenden überreichlichen Ausbringung der anfallenden Gülle enorme Mengen an Stickstoff in Form von Ammoniak freigesetzt werden.

Unter dem Strich schädigt die Landwirtschaft den Wald daher noch stärker als der Individualverkehr, so die Bilanz eines Hintergrundpapiers aus dem Bundesforschungsministerium. Laut Abteilungsleiter Helmut Schulz soll mit einer Düngeverordnung, „die mittlerweile von der Bundesregierung in Angriff genommen wurde“, erreicht werden, daß Stickstoff in der Landwirtschaft nur noch dort eingesetzt wird, wo die Pflanzen ihn wirklich brauchen.

Vorgesehen ist auch, daß in Großtieranlagen Schadstofffilter eingebaut werden müssen. Dies wäre dann ein weiteres Mosaiksteinchen in der kaum noch überschaubaren Fülle von Gesetzen, Verordnungen, Abgaben, Steuern und technischen Maßnahmen, mit denen der Wald gerettet werden soll, ohne den Wähler zu verprellen.

(Originalmanuskript zu einem Artikel für Bild der Wissenschaft, erschienen in der Dezember-Ausgabe 1993)

Weitere Infos:

  1. Wolfram Elling, Waldschäden und Waldschadensforschung – eine kritische Zwischenbilanz, Naturwissenschaftliche Rundschau Heft 5/92, Seite 184.
  2. Caroline Möhring/BMFT, 10 Jahre Waldschadensforschung, Bonn 1992
  3. Umweltbundesamt, Jahresbericht 1992

Rückenwind für sanfte Landwirtschaft

Forschungsmittel von etwa 17 Mio. DM, die das Land Nordrhein-Westfalen in den letzten zehn Jahren an der Bonner Universität in der Förderung einer umweltverträglichen und standortgerechten Landwirtschaft investiert hat, haben sich inzwischen amortisiert. Dieser Meinung ist zumindest Professor Wilfried Werner, Sprecher des Lehr- und Forschungsschwerpunktes, an dem derzeit 15 verschiedene Institute beteiligt sind. „Die Fördergelder werden sich auch weiterhin gut verzinsen“, sagte Werner anläßlich einer Fachtagung, zu der die laufenden Projekte vorgestellt wurden.

Die in Bonn und auf dem Versuchsbetrieb Wiesengut bei Hennef entwickelten Produktionsverfahren zielen auf einen geschlossenen Nährstoffkreislauf innerhalb der Betriebe. Durch den gleichzeitigen Anbau von Ackerbohnen mit Senfpflanzen kann beispielsweise der Bedarf an stickstoffhaltigem Dünger reduziert und die Anreicherung von trinkwassergefährdendem Nitrat im Boden weitgehend verhindert werden, wie Martin Justus vom Institut für organischen Landbau berichtete.

Um die Backqualität von Weizen aus organischem Anbau zu steigern, erprobten Joachim Schulz-Marquardt und Markus Weber eine neue Pflanzmethode. Beim sogenannten Streifenanbau von Weizen mit Klee und anderen Pflanzen aus der Familie der Knöllchenbildner „wächst“ der Dünger regelrecht aus dem Acker: Der gehäckselte Klee setzt seine mineralischen Bestandteile nur langsam frei und ermöglicht dadurch die Aufzucht eines Qualitätsweizens mit hohem Proteingehalt. Auf dem Backwarenmarkt trifft dieser Weizen derzeit auf eine erhöhte Nachfrage nach Vollkorn- und Auszugsmehlen.

Neben dem „Nährstoffmanagement“ spielt in Bonn aber auch die Kontrolle von Ernteschädlingen mit biologischen Methoden eine wichtige Rolle, ebenso die artgerechte Haltung von Nutztieren und eine Minimierung des Arzneimittelverbrauchs. Erklärte Absicht des Programmes ist es denn auch, die gewonnen Erkenntnisse möglichst zügig interessierten Landwirten zur Verfügung zu stellen.

Nach Auskunft von Professor Ullrich Köpke vom Institut für Organischen Landbau widmen sich mittlerweile rund 100 Betriebe in Nordrhein-Westfalen der sanften Landwirtschaft. Bundesweit werden 0,7% aller Nutzflächen organisch bewirtschaftet. Die „Ökobauern“ produzieren zwar ein Drittel weniger als vergleichbare konventionelle Nachbarbetriebe, sie erzielen aber am Markt deutlich höhere Preise. Dabei werden in den westlichen Bundesländern 80% der Einnahmen über die Direktvermarktung erzielt. Unter dem· Strich ist das Pro-Kopf-Einkommen dieser Betriebe daher deutlich höher. Lediglich im Vergleich mit konventionellen Spitzenbetrieben schneiden die organisch bewirtschafteten Güter schlechter ab, sagte Köpke.

Für die Zukunft befürchtet Köpke allerdings einen Strukturwandel und einen Rückgang der Erträge für die Öko-Betriebe. Ein Grund dafür ist ironischerweise ein EG-weites Subventionsprogramm, das vor zwei Jahren ins Leben gerufen wurde. Er gewährt neuen Biobetrieben einen Zuschuß von etwa 450 DM pro Jahr und Hektar. Die Pioniere des organischen Landbaus gehen dagegen leer aus.

Während der fünfjährigen Laufzeit des Programms sind sie gegenüber den Newcomern bei gleichen Kosten stark benachteiligt. Die Verdoppelung der ökologisch bewirtschafteten Flächen in Nordrhein-Westfalen seit 1991 hat bereits zu einem Preisverfall für organisch produziertes Getreide geführt. Über weitere Hilfen für die Bio-Bauern wird derzeit in Brüssel verhandelt.

(erschienen in den VDI-Nachrichten am 5. November 1993)

Schöne blaue Donau? Von wegen!

Das grenzenlose Europa ist im Bereich der Umweltverschmutzung längst traurige Wirklichkeit, wie ein Blick auf die Flüsse des Kontinents verdeutlicht. Mit fast 3000 Kilometern Länge bildet die Donau als größter Strom Europas eine Brücke zwischen Ost und West.

Der Strom, der für viele ein einzigartiges Naturdenkmal darstellt, ist gleichzeitig ein wirtschaftlich bedeutsamer Wasserweg und gewaltiger Abwasserkanal. Rund 70 Millionen Menschen aus acht Ländern leben im Einzugsgebiet des Flußes, das sich auf 817000 Quadratkilometer erstreckt. „Die Donau stellt meiner Meinung nach ein Symbol und einen Schatz dar, für dessen Wasser langfristig erstklassige Qualität gesichert werden muß“, erklärte Dr. László Somlyódy vom Budapester Water Resources Research Center auf der 24. Essener Tagung „Wasser und Abfall in Europa“, die am Wochenende in Dresden zu Ende ging.

Die erfreuliche Zunahme der Teilnehmer an dieser Konferenz – 1700 gegenüber 1200 im letzten Jahr – zeigt, daß Somlyódy mit seiner Meinung nicht alleine steht. Ein weiterer erfreulicher Trend, der die historischen Umwälzungen der letzten Jahre widerspiegelt: Gut 40 Prozent der Anwesenden waren aus den neuen Bundesländern oder aus dem ehemaligen Ostblock angereist.

Das „Modell Rhein“ soll im Osten Pate stehen

Gerade in den neuen Bundesländern, in Polen, Ungarn und der Tschechoslowakei hegt man die Hoffnung, daß die recht erfolgreiche Arbeit der internationalen Rheinschutzkommission sich auf die gewaltigen Umweltprobleme in dieser Region übertragen läßt. Im Falle der Donau wäre dies auch besonders nötig, selbst wenn die erhebliche Verdünnung und die Selbstreinigungsfähigkeit des gewaltigen Stromes unumkehrbare Veränderungen bisher verhindert haben. An Initiativen und Projekten herseht kein Mangel, was fehlt ist vielmehr eine Koordination der Bemühungen, wie Somlyódy unterstrich.

Donaukommission, Entwicklungsfond der Vereinten Nationen, AG Donauforschung der internationalen Vereinigung der Süßwasserforscher, die „Deklaration von Budapest für Hochwasserschutz, Wasservorratswirtschaft und Wassergüteschutz“ aus dem Jahr 1985, der Programmvorschlag „Blaue Donau“ der Unesco und eine einjährige Exkursion des Meeresforschers Jaques Cousteau sind nur einige der rund zwanzig Initiativen zum Schutz des Flusses. Dennoch gibt es derzeit keine zwei Anliegerstaaten, die das gleiche Klassifikationssystem anwenden, um die Gewässergüte festzulegen.

Nicht einmal auf der Strecke zwischen Wien und Budapest gibt es beispielsweise einheitliche Kriterien zur Ermittlung der Wasserbeschaffenheit. Unter diesen Umständen verwundert es nicht, daß eine Verbesserung der Wasserqualität auf dem Papier erreicht wird, wenn der gewaltige Strom die tschechoslowakisch-ungarische Grenze überschreitet. Als „Ausgleich“ für die eher nachsichtigen Kriterien bei der Ermittlung der Wassergüteklasse kann Ungarn dafür aber auf das dichteste Meßnetz verweisen.

Ein weiterer gravierender Mangel: Noch immer gibt es keine umfassende Analyse der ökologischen Auswirkungen für die umstrittenen Stauwerke Eisernes Tor I und II oder das österreichische Staustufensystem. Von Seiten Wiens, so Somlyódy, seien Untersuchungen dazu so spät begonnen worden, daß erste Ergebnisse erst heute vorliegen. „Die gegenwärtige Lage ist also in bedauerlicher Weise dadurch charakterisiert, daß weder die Veränderungen der Wassergüteklassen in der Vergangenheit noch der gegenwärtige Zustand der Donau für den ganzen Strom zuverlässig beschrieben werden kann.“

Den größten Grund zur Besorgnis geben auf ungarischem Gebiet die Konzentrationen der Schadstoffe Nitrat und Phosphat. Beide Stoffe sind in Fäkalien enthalten und werden auch bei der übermäßigen Verwendung von Kunstdünger freigesetzt. Zwischen 1960 und 1985 haben sich die Meßwerte verzehnfacht, was damit begründet wird, daß der Einsatz von Düngemitteln im gleichen Zeitraum um das Hundertfache zunahm. Auch Budapest hat an der Verschmutzung einen beträchtlichen Anteil: Dort gelangen noch heute vier Fünftel der Abwässer ohne biologische Reinigung in den Fluß. Die Zahl der Bakterien nimmt denn auch unterhalb der Hauptstadt schlagartig zu. Die Zahl der Algen hat sich gegenüber den 60er Jahren verzehnfacht.

Um ein umfassenderes Bild der Belastung auch mit Schwermetallen und organischen Substanzen aus der Chlorchemie zu erhalten, muß nach Somlyódys Meinung schnellstmöglich ein einheitliches Meß- und Bewertungssystem für den gesamten Verlauf der Donau etabliert werden. „Erst wenn wir eine gemeinsame Sprache sprechen können wir das Ziel einer erstklassigen Wasserqualität erreichen.“

Eine Oder-Kommission soll die Probleme bewältigen

Im Gegensatz zur Donau hat man im Bereich der Oder und ihrer Nebenflüsse die Klassifizierung nach Gewässergüteklassen um die Kategorie „Abwasser“ erweitert. Wie Professor Edward Kempa von der technischen Hochschule Zielona in Polen berichtete, strebt man dort langfristig mindestens die Gewässergüteklasse II an. Langfristig ist sogar eine Anpassung an die EG-Richtlinien geplant, ebenso wie an das deutsche Abwasser-Abgabe-Gesetz. „Die Selbstreinigungskraft der Ostsee ist fast erschöpft“, so Kempa, „und Polen hat daran einen nicht geringen Anteil.“

Je nach Schadstoffklassen gibt das statistische Jahrbuch für 1989 Zahlenwerte zwischen 22 und 38 Prozent an, die durch die Oder und den größten polnischen Fluß, die Weichsel hervorgerufen werden. Die in den Abkommen von Danzig und Helsinki zum Schutz der Ostsee geforderten Maßnahmen um die gegenwärtige Abwasserlast zu reduzieren, machen den Bau von zahlreichen Abwasserreinigungsanlagen erforderlich, in denen eine Denitrifikation und eine weitgehende Reduktion der Phosphorverbindungen erfolgen soll.

Angestrebt wird jetzt die Berufung einer Oder-Kommission, die sich aus den drei Anliegerstaaten Deutschland, Polen und der Tschechoslowakei zusammensetzen soll. Außerdem ist an eine Beteiligung Dänemarks gedacht, vor dessen Küste ein Großteil der Abwässer angespült wird. Die Berufung einer solchen Kommission soll bereits auf Regierungsebene diskutiert worden sein.

(erschienen in „DIE WELT“ am 30. April 1991)