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Schöne blaue Donau? Von wegen!

Das grenzenlose Europa ist im Bereich der Umweltverschmutzung längst traurige Wirklichkeit, wie ein Blick auf die Flüsse des Kontinents verdeutlicht. Mit fast 3000 Kilometern Länge bildet die Donau als größter Strom Europas eine Brücke zwischen Ost und West.

Der Strom, der für viele ein einzigartiges Naturdenkmal darstellt, ist gleichzeitig ein wirtschaftlich bedeutsamer Wasserweg und gewaltiger Abwasserkanal. Rund 70 Millionen Menschen aus acht Ländern leben im Einzugsgebiet des Flußes, das sich auf 817000 Quadratkilometer erstreckt. „Die Donau stellt meiner Meinung nach ein Symbol und einen Schatz dar, für dessen Wasser langfristig erstklassige Qualität gesichert werden muß“, erklärte Dr. László Somlyódy vom Budapester Water Resources Research Center auf der 24. Essener Tagung „Wasser und Abfall in Europa“, die am Wochenende in Dresden zu Ende ging.

Die erfreuliche Zunahme der Teilnehmer an dieser Konferenz – 1700 gegenüber 1200 im letzten Jahr – zeigt, daß Somlyódy mit seiner Meinung nicht alleine steht. Ein weiterer erfreulicher Trend, der die historischen Umwälzungen der letzten Jahre widerspiegelt: Gut 40 Prozent der Anwesenden waren aus den neuen Bundesländern oder aus dem ehemaligen Ostblock angereist.

Das „Modell Rhein“ soll im Osten Pate stehen

Gerade in den neuen Bundesländern, in Polen, Ungarn und der Tschechoslowakei hegt man die Hoffnung, daß die recht erfolgreiche Arbeit der internationalen Rheinschutzkommission sich auf die gewaltigen Umweltprobleme in dieser Region übertragen läßt. Im Falle der Donau wäre dies auch besonders nötig, selbst wenn die erhebliche Verdünnung und die Selbstreinigungsfähigkeit des gewaltigen Stromes unumkehrbare Veränderungen bisher verhindert haben. An Initiativen und Projekten herseht kein Mangel, was fehlt ist vielmehr eine Koordination der Bemühungen, wie Somlyódy unterstrich.

Donaukommission, Entwicklungsfond der Vereinten Nationen, AG Donauforschung der internationalen Vereinigung der Süßwasserforscher, die „Deklaration von Budapest für Hochwasserschutz, Wasservorratswirtschaft und Wassergüteschutz“ aus dem Jahr 1985, der Programmvorschlag „Blaue Donau“ der Unesco und eine einjährige Exkursion des Meeresforschers Jaques Cousteau sind nur einige der rund zwanzig Initiativen zum Schutz des Flusses. Dennoch gibt es derzeit keine zwei Anliegerstaaten, die das gleiche Klassifikationssystem anwenden, um die Gewässergüte festzulegen.

Nicht einmal auf der Strecke zwischen Wien und Budapest gibt es beispielsweise einheitliche Kriterien zur Ermittlung der Wasserbeschaffenheit. Unter diesen Umständen verwundert es nicht, daß eine Verbesserung der Wasserqualität auf dem Papier erreicht wird, wenn der gewaltige Strom die tschechoslowakisch-ungarische Grenze überschreitet. Als „Ausgleich“ für die eher nachsichtigen Kriterien bei der Ermittlung der Wassergüteklasse kann Ungarn dafür aber auf das dichteste Meßnetz verweisen.

Ein weiterer gravierender Mangel: Noch immer gibt es keine umfassende Analyse der ökologischen Auswirkungen für die umstrittenen Stauwerke Eisernes Tor I und II oder das österreichische Staustufensystem. Von Seiten Wiens, so Somlyódy, seien Untersuchungen dazu so spät begonnen worden, daß erste Ergebnisse erst heute vorliegen. „Die gegenwärtige Lage ist also in bedauerlicher Weise dadurch charakterisiert, daß weder die Veränderungen der Wassergüteklassen in der Vergangenheit noch der gegenwärtige Zustand der Donau für den ganzen Strom zuverlässig beschrieben werden kann.“

Den größten Grund zur Besorgnis geben auf ungarischem Gebiet die Konzentrationen der Schadstoffe Nitrat und Phosphat. Beide Stoffe sind in Fäkalien enthalten und werden auch bei der übermäßigen Verwendung von Kunstdünger freigesetzt. Zwischen 1960 und 1985 haben sich die Meßwerte verzehnfacht, was damit begründet wird, daß der Einsatz von Düngemitteln im gleichen Zeitraum um das Hundertfache zunahm. Auch Budapest hat an der Verschmutzung einen beträchtlichen Anteil: Dort gelangen noch heute vier Fünftel der Abwässer ohne biologische Reinigung in den Fluß. Die Zahl der Bakterien nimmt denn auch unterhalb der Hauptstadt schlagartig zu. Die Zahl der Algen hat sich gegenüber den 60er Jahren verzehnfacht.

Um ein umfassenderes Bild der Belastung auch mit Schwermetallen und organischen Substanzen aus der Chlorchemie zu erhalten, muß nach Somlyódys Meinung schnellstmöglich ein einheitliches Meß- und Bewertungssystem für den gesamten Verlauf der Donau etabliert werden. „Erst wenn wir eine gemeinsame Sprache sprechen können wir das Ziel einer erstklassigen Wasserqualität erreichen.“

Eine Oder-Kommission soll die Probleme bewältigen

Im Gegensatz zur Donau hat man im Bereich der Oder und ihrer Nebenflüsse die Klassifizierung nach Gewässergüteklassen um die Kategorie „Abwasser“ erweitert. Wie Professor Edward Kempa von der technischen Hochschule Zielona in Polen berichtete, strebt man dort langfristig mindestens die Gewässergüteklasse II an. Langfristig ist sogar eine Anpassung an die EG-Richtlinien geplant, ebenso wie an das deutsche Abwasser-Abgabe-Gesetz. „Die Selbstreinigungskraft der Ostsee ist fast erschöpft“, so Kempa, „und Polen hat daran einen nicht geringen Anteil.“

Je nach Schadstoffklassen gibt das statistische Jahrbuch für 1989 Zahlenwerte zwischen 22 und 38 Prozent an, die durch die Oder und den größten polnischen Fluß, die Weichsel hervorgerufen werden. Die in den Abkommen von Danzig und Helsinki zum Schutz der Ostsee geforderten Maßnahmen um die gegenwärtige Abwasserlast zu reduzieren, machen den Bau von zahlreichen Abwasserreinigungsanlagen erforderlich, in denen eine Denitrifikation und eine weitgehende Reduktion der Phosphorverbindungen erfolgen soll.

Angestrebt wird jetzt die Berufung einer Oder-Kommission, die sich aus den drei Anliegerstaaten Deutschland, Polen und der Tschechoslowakei zusammensetzen soll. Außerdem ist an eine Beteiligung Dänemarks gedacht, vor dessen Küste ein Großteil der Abwässer angespült wird. Die Berufung einer solchen Kommission soll bereits auf Regierungsebene diskutiert worden sein.

(erschienen in „DIE WELT“ am 30. April 1991)

Verdauungshilfe aus dem Genlabor

Ein gentechnisch hergestellter Futterzusatz soll schon im nächsten Jahr den Phosphatausstoß der Niederlande reduzieren helfen. Phytase, so der Name des Eiweißstoffes, ist für den Einsatz in der Schweine- und Geflügelzucht vorgesehen. Experten gehen davon aus, dass mit dieser Maßnahme jährlich 25 Millionen Tonnen Phosphat weniger freigesetzt werden. Dies ist mehr, als mit der Einführung phosphatfreier Waschmittel erreicht werden konnte.

Phosphate tragen maßgeblich zur Gewässerbelastung bei. Die Substanz wird in der Landwirtschaft in großen Mengen freigesetzt, da sie in der Gülle und auch im Kunstdünger enthalten ist. Da aber die riesigen Mengen Phosphat von den Kulturpflanzen nicht vollständig genutzt werden können, gelangt der Rest in die Flüsse und Meere. Heftiges Algenwachstum bis zum „Umkippen“ der Gewässer kann die Folge sein.

Auf einer Tagung der Deutschen Landwirtschafts-Gesellschaft stießen die Ausführungen von Dr. Rob Beudecker daher auf großes Interesse. Beudecker berichtete über Bemühungen, den Schadstoffausstoß der niederländischen Landwirtschaft zu reduzieren. Ausgangspunkt der Forscher war die Überlegung, dass handelsübliches Mischfutter für die Schweine- und Geflügelzucht mit mineralischem Futterphosphat ergänzt werden muss, obwohl der Phosphatgehalt pflanzlicher Nahrung theoretisch ausreichend für die Tiere wäre. Die Bioverfügbarkeit des Phosphates ist unzureichend, weil die Tiere das vorhandene Phosphat nur schlecht verwerten können.

Zwei Drittel des pflanzlichen Phosphates liegen nämlich in Form von Phytinsäure vor, welche nur mit einem bestimmten Eiweißstoff – der Phytase – „geknackt“ werden kann. Wiederkäuer bekommen die Phytase von Mikroorganismen im Pansen, geliefert, Schweine müssen ebenso wie Geflügel ohne die nützlichen Darmbewohner auskommen.

Das Enzym Phytase wird in gentechnisch veränderten Pilzen der Gattung Aspergillus hergestellt und als Futtermittelzusatz benutzt. Es verbessert die Aufnahme von Phosphat bei Geflügel und Schweinen und schont dadurch die Umwelt (Von Ayacop – adapted from http://www.pdb.org/pdb/files/1ihp.pdb using PyMOL, Gemeinfrei, via Wikipedia)

Die Idee, Phytase ins Futter zu mischen, wurde zwar schon vor 20 Jahren zum Patent angemeldet; erst jetzt aber bietet die Gentechnik die Möglichkeit, diesen Biokatalysator in großen Mengen zu niedrigen Preisen zu produzieren. Die Wissenschaftler der Firma Gistbrocades untersuchten über 1000 Mikroorganismen, um dann einen Pilz der Gattung Aspergillus zu isolieren, welcher eine Phytase produzierte, die den Ansprüchen des Marktes genügt: Das Eiweiß ist hochaktiv, vor allem unter den chemischen Bedingungen, die im Kropf des Geflügels sowie im Magen von Schweinen und Vögeln herrschen. Außerdem überlebt die Phytase aus Aspergillus die hohen Temperaturen, die bei der Pelletierung von Futtermitteln entstehen, fast ohne Aktivitätsverlust.

Um das Eiweiß in großen Mengen herstellen zu können, isolierten die Wissenschaftler den molekularen Bauplan für die Phytase und übertrugen dieses Gen erfolgreich auf einen Produktionsstamm. Bei der Verfütterung der so gewonnenen Phytase ergab sich, dass die Verfügbarkeit des Phosphates für Schweine und Geflügel um 20 Prozent zugenommen hatte, gleichzeitig wurde von den Tieren ein Drittel weniger Phosphat mit der Gülle ausgeschieden – was Beudecker für einen sinnvollen Beitrag zum Umweltschutz hält.

Beudecker erwartet jetzt eine Ausnahmegenehmigung der Regierung, sobald der Nachweis erbracht ist, dass die rekombinante Phytase für den Verbraucher unbedenklich ist. Schon im nächsten Jahr soll dann das Futtermittel in Zusammenarbeit mit der BASF auf den holländischen Markt gebracht werden.

In Deutschland ist eine solche Entwicklung übrigens nicht so schnell zu erwarten: In einer Empfehlung des Bundestages wurde die Regierung vor wenigen Wochen aufgefordert, sich in der EG dafür einzusetzen, dass gentechnische Methoden nicht eingesetzt werden, um in der Landwirtschaft weitere Leistungssteigerungen zu erzielen.

(erschienen in der WELT am 23. Oktober 1990. Letzte Aktualisierung am 16. April 2017)

Was ist daraus geworden? Gistbrocades wurde 1998 von der Firma DSM aufgekauft. Ganz selbstverständlich ist heute die Zugabe gentechnisch hergesteller Phytase zum Futter von Schweinen und Geflügel. Und wo früher Horrorszenarien zur Gentechnik an die Wand gemalt wurden, spricht man jetzt von einer „Verbesserung der Nachhaltigkeit“.