Zum Hauptinhalt springen

Dioxin – Wie gefährlich ist es wirklich?

Dioxin ‑ ein einziges Wort genügt, um auch heute noch, 17 Jahre nach dem Chemieunfall im italienischen Seveso, Angst und Schrecken zu verbreiten. Die Bilder der vom Gift entstellten Gesichter, der toten Tiere und der Bagger, die monatelang den verseuchten Boden abtrugen, haben ihre Spuren hinterlassen. Als 1982 auch noch die 2400 Einwohner des amerikanischen Städtchens Times Beach ihre Heimat wegen Dioxin‑verseuchter Böden verlassen mußten, war die Substanz endgültig zum „Supergift“ geworden.

Mit immer empfindlicheren Geräten haben Wissenschaftler sich daraufhin auf die Suche gemacht. Dabei fand man heraus, daß über 200 verschiedene Arten von Dioxinen und den verwandten Furanen immer dann gebildet werden, wenn chlorhaltige Substanzen bei Temperaturen über 250 Grad verbrennen. Die „Kinder des Feuers“, wie sie manchmal bezeichnet werden, entweichen nicht nur aus Müllverbrennungsanlagen, sondern auch aus Hausheizungen und den Auspuffrohren unserer Autos, beim Rauchen und beim Schmelzen von Metallen.

Nicht alle dieser Verbindungen sind gleichermaßen giftig, die Suche der Forscher konzentriert sich deshalb auf rund drei Dutzend Stoffe, unter denen das Seveso‑Gift an erster Stelle steht. Inzwischen ist es möglich, ein einziges Dioxin‑Molekül unter einer Billion anderer Teilchen aufzuspüren. Kein Wunder also, daß die Wissenschaftler fast überall fündig wurden: Im Waldboden ebenso wie im Zeitungspapier, in Kaffeefiltern und Kosmetika, auf Kinderspielplätzen und in der Muttermilch.

Trotz alledem ist die Gefahr nicht so groß, wie die Schlagzeilen vermuten lassen. Im Gegensatz zu anderen Schadstoffen wie Asbest und Benzol streiten sich die Gelehrten noch immer darüber, ob kleine Mengen Dioxin beim Menschen Krebs verursachen können.

Selbst unter den 10000 Erwachsenen und Kindern von Seveso konnte man bisher weder eine erhöhte Krebsrate noch Anzeichen für eine Schädigung der Immunabwehr finden.

Alles deutet darauf hin, daß Menschen längst nicht so empfindlich gegenüber dem „Supergift“ sind, wie man früher vermutete. Für die zuständigen Behörden ‑ das Umweltbundesamt und das Bundesgesundheitsamt ‑ bleibt Vorsicht dennoch oberstes Gebot. Sie wiederholten kürzlich ihre Forderung nach neuen Maßnahmen, um Mensch und Umwelt zu schützen.

Um ganz sicher zu gehen, sollten täglich nicht mehr als ein billionstel Gramm Dioxin je Kilogramm Körpergewicht aufgenommen werden, verlangten die Gesundheitswächter in einem Bericht zum 2. Internationalen Dioxin‑Symposium. Die tatsächliche Belastung liegt in Deutschland etwa doppelt so hoch, doch ist auch diese Menge so winzig, daß selbst im Laufe von 100 Jahren alle Deutschen zusammen nicht einmal ein halbes Gramm abbekämen.

Der weitaus größte Teil der Schadstoffe, nämlich 95 Prozent, wird dabei über die Nahrung aufgenommen, vor allem über Fleisch und Fisch, Eier und Milchprodukte. Auch Muttermilch enthält Dioxin in vergleichsweise hohen Konzentrationen, weil aber „die Belastung nur kurze Zeit stattfindet und das Stillen nachweislich von großem Nutzen ist“, sind sich die Experten darin einig, daß alle Säuglinge trotzdem vier bis sechs Monate voll gestillt werden sollten.

Mit einer Reihe von Verordnungen und Verboten hat Umweltminister Klaus Töpfer inzwischen erste Erfolge im Kampf gegen die Dioxine erzielt. Die 50 deutschen Müllverbrennungsanlagen, aus deren Schornsteinen noch vor fünf Jahren insgesamt 400 Gramm Dioxinäquivalente entwichen, sind dank modernster Technik schon deutlich sauberer geworden und sollen in drei Jahren nur noch vier Gramm freisetzen.

Chlorhaltige Zusatzstoffe im Benzin wurden verboten und auch die einheimischen Papier‑ und Zellstoffstoffhersteller verzichten mittlerweile auf das Element, dessen Gegenwart die Entstehung des „Supergiftes“ begünstigt.

Eine Dioxinverordnung, mit der schon im Januar die weltweit niedrigsten Grenzwerte für 25 Verbindungen festgelegt wurden, ist allerdings noch immer nicht rechtskräftig: Schlimmstenfalls wird man in Bonn ein ganzes Jahr auf die nötige Zustimmung der Brüsseler EG‑Bürokraten warten müssen.

Geschrieben für die Neue Apotheken Illustrierte, Erscheinungsdatum unbekannt

Quelle: Bericht zum 2. Internationalen Dioxin-Symposium.

Dioxin – die Fakten

Seveso ist überall heißt ein Klassiker der Umweltschutz-Literatur. Untertitel des 1989 erschienen Werkes von Egmont R. Koch und Fritz Vahrenholt: „Die tödlichen Risiken der Chemie.“ Es steht auch in meinem Bücherschrank und hat wesentlich zur Sensibilisierung gegenüber der Umweltverschmutzung beigetragen. Der so aufgebaute Druck dürfte wesentlich dazu beigetragen haben, dass innerhalb weniger Jahre sehr strenge Schutzmaßnahmen ergriffen wurden und die Belastung durch das „Supergift“ deutlich gesunken ist. Wer es etwas genauer wissen will findet hier einen Artikel, den ich anhand der Unterlagen zum 2. Internationalen Dioxin-Symposium in Berlin für die Pharmazeutische Zeitung vom 9. September 1993 geschrieben habe:

Obwohl in Deutschland heute wesentlich weniger Dioxine und Furane freigesetzt werden als noch vor einigen Jahren, sind weitere Maßnahmen möglich und erforderlich, um die Schadstoffbelastung der Umwelt zu reduzieren. Diese Forderung erhoben Experten des Bundesgesundheitsamtes und des Umweltbundesamtes kürzlich in einem Sonderheft des Bundesgesundheitsblattes.

Die Ableitung einer »gesundheitlich unschädlichen« Dosis wird erschwert durch einen Mangel an verwertbaren Hinweisen aus epidemiologischen Studien am Menschen. Der Beweis einer krebserzeugenden Wirkung von niedrigen Dosen des »Seveso-Giftes« 2,3,7,8-Tetrachlor-Dibenzo-p-Dioxin steht für den Menschen noch aus, wird in der Auswertung des 2. Internationalen Dioxin-Symposiums mitgeteilt. Allerdings werden die Ergebnisse des Follow-Up in Seveso erst in einigen Jahren vorliegen, und die Daten aus verschiedenen Untersuchungen zeigten, »daß es sich beim 2,3,7,8-TCDD mit hoher Wahrscheinlichkeit um ein Humankanzerogen handelt«.

Weniger deutlich sind die Hinweise auf eine Störung des Immunsystems oder der Reproduktionsfähigkeit durch die verschiedenen Vertreter der polychlorierten Dibenzo-p-dioxine und -furane (PCDDVF). Derzeit gibt es keine verläßlichen Anhaltspunkte dafür, daß derartige Effekte beim Menschen durch geringe Dosen dieser Substanzgruppe ausgelöst werden können.

Schwierig ist auch die Beurteilung von schädlichen Einflüssen auf das Zentralnervensystem. An Personen, die längerfristig beruflich oder durch Chemieunfälle exponiert waren, wurde zwar eine Reihe von Befindlichkeitsstörungen, Beschwerden und Befunden immer wieder registriert. So klagten Betroffene nach akuter Exposition mit hohen Dosen über Kopfschmerzen, Übelkeit, Schlafstörungen und Impotenz und waren zudem leicht reizbar. Chronische Exposition hatte unter anderem abgeschwächte oder nicht auslösbare Muskeleigenreflexe und Empfindungsstörungen in den Extremitäten zur Folge. In umfangreichen psychologischen Studien wurde lediglich »eine vermehrte psychosomatische Störbarkeit und eine erhöhte Verstimmbarkeit« aufgezeigt.

Probleme mit Richt- und Grenzwerten

»Eine eindeutige oder gar dosisabhängige neurotoxische Wirkung für PCDD/F konnte bei der Mehrzahl der Untersuchten nicht festgestellt werden«, bilanzierten Professor Jörg Schuster und Dr. Jutta Dürkop. Schwierigkeiten bereitet den Experten die Vielzahl der Dioxine und Furane, die trotz des gemeinsamen Wirkmechanismus ein stark unterschiedliches toxikokinetisches Verhalten zeigen. Die wissenschaftliche Basis der TCDD-Äquivalenzfaktoren (TEF), die in Form von Richt- und Grenzwerten in die Gesetzgebung eingehen, ist daher umstritten. TEF stützen sich im Wesentlichen auf Versuche zur chronischen Toxizität, die Induktion von Monooxygenasen bei der Ratte und auf teratogene Wirkungen. Aussagen zur möglichen Kanzerogenität und zur Immuntoxizität stehen somit auf wackeligen Beinen.

Die Bandbreite der gesundheitsbezogenen Richtwerte im verschiedenen Ländern ist dennoch relativ gering. Die vom Regionalbüro Europa der Weltgesundheitsorganisation errechnete »hinnehmbare tägliche Aufnahme« von zehn Picogramm 2,3,7,8-TCDD pro Kilogramm Körpergewicht und Tag wurde von Kanada, den Niederlanden und Großbritannien akzeptiert. Der Nordische Rat hat für die skandinavischen Länder fünf Picogramm festgelegt, in Deutschland geht man von einem bis zehn Picogramm aus, wobei ein Sicherheitsfaktor von 100 bis 1000 zugrunde gelegt wurde.

Kinder stark belastet

Zumindest die untere Grenze dessen, was die Experten hierzulande als »hinnehmbar« ansehen, wird in der Regel überschritten. Erwachsene nehmen in Deutschland durchschnittlich zwei Picogramm Toxizitätsäquivalente (TE) pro Tag und Kilogramm Körpergewicht auf, einjährige Kinder etwa das Doppelte.

Am stärksten betroffen sind Säuglinge, die beim Stillen täglich im Durchschnitt 150 Picogramm TE je Kilogramm Körpergewicht aufnehmen. Wie Dr. Dietrich Schulz vom Umweltbundesamt mitteilte, deuten Untersuchungen aus Nordrhein-Westfalen darauf hin, daß die durchschnittlichen Konzentrationen in der Frauenmilch zwischen 1989 und 1991 um etwa ein Drittel abgenommen haben. Als dichtbesiedeltes und hochindustrialisiertes Land nimmt die Bundesrepublik damit weiterhin eine unerfreuliche Spitzenstellung ein. Trotz dieser Belastung sieht das BGA aber keine gesundheitliche Gefährdung des Säuglings und empfiehlt nach wie vor allen Müttern, vier bis sechs Monate voll zu stillen.

Eine Reihe von Schutzmaßnahmen wurde in den letzten Jahren eingeleitet, um die freigesetzten Dioxinmengen zu begrenzen. Doch werden nach Schätzungen zwischen einem und zwei Kilogramm Dioxin-Toxizitätsäquivalente jährlich auf der Gesamtfläche der alten Bundesländer deponiert. Für die Niederlande geht man von fast einem Kilogramm aus, in Schweden, wo die Gesamtemissionen innerhalb von sieben Jahren um achtzig Prozent verringert wurden, rechnet man mit 120 bis 290 Gramm TE auf der gesamten Landesfläche.

Dioxine aus der Müllverbrennung

Während früher die chemische Industrie die Hauptquelle für Dioxine war und »als Ursache für heutige Altlasten anzusehen ist«, so der Bericht, spielen mittlerweile thermische Prozesse wie die Abfallverbrennung und Metallschmelzen die wichtigste Rolle. Die 17. Bundesimmissionsschutzverordnung (BimSchV) verlangt, daß die 400 Gramm Dioxin-TE, die noch 1989 aus Müllverbrennungsanlagen entwichen, spätestens bis 1996 auf vier Gramm reduziert werden.

Eine wichtige Voraussetzung für die Umsetzung der Verordnung bilden neue Erkenntnisse zur Dioxinbildung, die am Kernforschungszentrum Karlsruhe von Professor Hubert Vogg gewonnen wurden. Sie erlauben es, durch eine präzise Steuerung des Verbrennungsprozesses die Bildung der Schadstoffe auf weniger als ein zehnmilliardstel Gramm pro Kubikmeter Abluft zu reduzieren. Fraglich ist allerdings, ob der BImSchV-Grenzwert von 0,1 Nanogramm Dioxin-TE pro Kubikmeter Abluft auch beim Schmelzen von Eisen und Stahl, beim Umschmelzen von Aluminium oder der Kupferrückgewinnung eingehalten werden kann. Nach groben Schätzungen dürften diese Anlagen mehr als doppelt so viel Dioxin freisetzen wie alle fünfzig deutschen Müllverbrennungsanlagen zusammen.

Probleme gibt es auch bei der Umset­zung der bereits im Januar vom Kabi­nett verabschiedeten Dioxinverord­nung. Zu Jahresbeginn hatte man laut Umweltminister Klaus Töpfer die »weltweit niedrigsten Grenzwerte für Dioxine in Stoffen, Zubereitungen und Erzeugnissen festgelegt«. Alle toxiko­logisch relevanten chlorierten Dioxi­ne, 17 an der Zahl, wurden erfaßt; erstmalig gab es auch Grenzwerte für acht bromierte Dioxine und Furane. Rechtskräftig ist die Verordnung in­des noch nicht, weil die Notifizierung durch die zuständigen EG-Behörden noch aussteht. Bis zu einem Jahr dür­fen sich die Brüsseler Bürokraten Zeit lassen, um die deutsche Verordnung zu begutachten.

Quellen:

Bundesgesundheitsblatt – Sonderheft 1993, Hrsg.: Jörg Schuster und Jutta Dürkop. 2 Interna­tionales Dioxin-Symposium und 2. fachöffentliche Anhörung des Bundesgesundheitsamtes und des Umweltbundesamtes zu Dioxinen und Furanen in Berlin vom 9. bis 13. November 1992. 1. Auswer­tung.

Wie Japan seine Umwelt schützt

Seveso, Bhopal, Tschernobyl – in Japan heißt das Synonym für Umweltkatastrophe Minamata. In den frühen fünfziger Jahren starben in der gleichnamigen Bucht vor dem Distrikt Kumamoto erst die Fische, dann die Katzen. Die Warnzeichen blieben unbeachtet; erst Jahre darauf erkrankten die ersten Menschen. „Hirnschäden unbekannter Herkunft“ lautete die Diagnose; schockierende Bilder gingen um die Welt.

Erst 1968, also zwölf Jahre nach dem Auftreten der ersten Fälle, gab die Regierung offiziell zu Protokoll, daß es sich bei der Minamata-Krankheit um eine schwerwiegende Quecksilbervergiftung handelt, hervorgerufen durch die Abwässer einer nahegelegenen Chemiefabrik.

Die Tatsache, daß Japan mit seinen 120 Millionen Einwohnern heute auf dem Gebiet des Umweltschutzes beträchtliche Erfolge vorzuweisen hat, mag für die 2900 anerkannten langzeitgeschädigten Anwohner von Minamata nur ein kleiner Trost sein. Dennoch steht fest: Im Land der aufgehenden Sonne wird der Himmel nur noch in seltenen Ausnahmen von Schmutzwolken verschleiert, die großen Umweltskandale sind Geschichte. Wie kein anderes Land hat Japan es verstanden, seit den siebziger Jahren das Wirtschaftswachstum vom Energieverbrauch zu entkoppeln.

Der Schadstoffausstoß für die weitaus meisten Umweltgifte konnte drastisch reduziert werden, gleichzeitig erklommen die einheimischen Multis Spitzenpositionen im internationalen Wettbewerb. Im Großraum Tokyo leben fast 30 Millionen Einwohner auf engstem Raum. Nirgendwo sonst verursachen so viele Menschen so wenige Umweltschäden. Meßbar sind diese Erfolge nicht zuletzt an der Lebenserwartung: Für Männer liegt sie bei  76, für Frauen gar bei 82 Jahren, in Deutschland sind es jeweils vier Jahre weniger.

Die Zahlen sprechen für sich: Heute verbraucht der Durchschnittsjapaner nicht einmal die Hälfte der Energie, die ein Amerikaner benötigt; sein Durchschnittseinkommen ist aber deutlich höher. Unter allen Industrienationen erwirtschaftet Japan am meisten Güter aus jedem verbrauchten Liter Öl. Kohle- und Ölkraftwerke, von denen das rohstoffarme Land nach wie vor den Großteil seiner Energie bezieht, waren ebenso wie die Chemiekonzerne gezwungen worden, strenge Auflagen einzuhalten.

Der Antrieb für die japanische Industrie kommt dabei weniger durch die Angst vor Bußgeldern zustande, obwohl auch dies in seltenen Fällen vorkommt. Ein Sprecher des Umweltministeriums erklärte auf eine entsprechende Nachfrage lächelnd: „Sie verlieren ihr Gesicht, wenn sie vor Gericht gestellt werden – und das genügt.“

Doch auch hier ist nicht alles Gold, was glänzt. Während in Deutschland und den Vereinigten Staaten jeweils über 500 Substanzen, die als gefährlich eingestuft werden, strengen gesetzlichen Bestimmungen unterliegen, sind es in Japan gerade zehn. Was das bedeutet, erklärte Dr. Masatoshi Morita, einer der führenden Wissenschaftler am Nationalen Zentrum für Umweltstudien: „Wenn man in Japan erst einmal die Voraussetzungen geschaffen hat, um die Umwelt nach Dioxinen abzusuchen, sind wir um ein Problem reicher.“

(erschienen in „DIE WELT“ am 3. Juli 1992. Die mehrtägige Informationsreise erfolgte auf Einladung und auf Kosten der japanischen Regierung.)

Technik gegen Dioxine

Die Technik der Abfallverbrennung hat in den letzten zwölf Jahren rapide Fortschritte gemacht. Bei mehreren derzeit laufenden Müllverbrennungsanlagen bleibt die Konzentration der in den Abgasen freigesetzten Schadstoffe schon jetzt unter den Werten, die gemäß der 17. Bundesimmissionsschutzverordnung erst 1995 erreicht werden sollen. Diese Angaben machte Professor Hubert Vogg vom Kernforschungszentrum Karlsruhe (KfK) gestern vor der Wissenschaftspressekonferenz in Bonn.

Erfolge wurden demnach vor allem erzielt bei der Reduktion von Chlorwasserstoffen, Staub, Cadmium und Quecksilber, ebenso bei Dioxinen und der verwandten Stoffklasse der Furane. Bei allen Substanzen können mit verbesserten V erfahren die Emissionen auf mindestens ein Vierzigstel, im Falle des Dioxins sogar auf ein Vierhundertstel der Werte von 1980 gedrückt werden.

Beim Dioxin kamen den Forschem neue Erkenntnisse über die Entstehung des Seveso-Giftes. Dioxine und Furane, so fand man, bilden sich in den Abkühlzonen der Rauchgase bei Temperaturen zwischen 250 und 400 Grad Celsius in Anwesenheit von unvollständig verbranntem Kohlenstoff. Dies führte zu der Empfehlung, die Verbrennung strömungstechnisch sanfter und bei erhöhter Temperatur durchzuführen. Ein Ratschlag, der, so Vogg, „inzwischen von der Industrie voll in die Praxis umgesetzt wurde“.

Die Grenzwerte können jetzt unterboten werden

Noch vor zwei Jahren war kritisiert worden, daß der in der Bundesimmissionsschutzverordnung festgelegte Grenzwert utopisch und mit dem damaligen Stand der Technik nicht zu erreichen sei. In einem Kubikmeter Abgas darf danach ab 1995 nur noch ein zehnmilliardstel Gramm Dioxin (genauer Dioxintoxizitätsäquivalente) enthalten sei. Mittlerweile wird dieser weltweit strengste Richtwert in jeder zehnten der 50 westdeutschen Müllverbrennungsanlagen (MVA) unterschritten.

Diese Anlagen verarbeiten im Schnitt jeweils 200 000 Tonnen Hausmüll pro Jahr. In den neuen Ländern dagegen gibt es – mit einer Ausnahme – keine Hausmüllverbrennung. Stattdessen werden die gewaltigen Abfallmengen auf Deponien gelagert. Die Investitionen für eine MVA, die sich technisch auf dem neuesten Stand befindet, belaufen sich auf 80 bis 100 Millionen Mark.

Bei der Verbrennung von Hausmüll ergeben sich Probleme vor allem aus der weitgehend unbekannten Zusammensetzung der Abfälle. „Bei Hausmüll ist man vor Überraschungen nicht gefeit. Die Situation ist anders als beim Sondermüll, wo die Zusammensetzung in der Regel genau bekannt ist und die Verbrennung dementsprechend optimiert werden kann“, erläuterte Manfred Popp, Vorstandsvorsitzender des KfK.

Doch nicht nur die Abgase, sondern auch die in fester Form anfallenden Reststoffe stellen eine gewaltige Umweltbelastung dar. In Schlacken, Salzen und vor allem in Filterstäuben finden sich nämlich ein Großteil der Schadstoffe aus den häuslichen Abfällen wieder. Deren Anteil läßt sich mit einer chemisch-physikalischen Nachbehandlung verringern, die in Karlsruhe als 3R-Verfahren (Rauchgasreinigung mit Rückstandsbeseitigung) entwickelt wurde.

Trotz der Erfolge der letzten Jahre hegen die Karlsruher Wissenschaftler keine Zweifel an der Prioritätsreihenfolge „Vermeidung-Verwertung-Verbrennung“. In diesem Zusammenhang kritisierte Popp, daß derzeit einer ausgefeilten Produktionstechnik für alle Bedarfsgegenstände keine vergleichbare Verwertungstechnologie gegenüberstehe. Popp forderte ein stärkeres Engagement der Industrie auf diesem Sektor. „Es ist ein Armutszeugnis, wenn 70 Prozent aller Abfälle heute unbehandelt bleiben.“

Hier sieht der Vorstandsvorsitzende auch eine Chance für das KfK, das sich in Zukunft stärker auf den Gebieten Umweltforschung und Umwelttechnik engagieren will. Die Grundfinanzierung dieser größten deutschen Forschungseinrichtung war für das laufende Jahr deutlich reduziert worden.

(erschienen in „DIE WELT“ am 22. Januar 1992)

Anmerkung: Nach mehreren Umbenennungen ist aus dem KfK inzwischen das „Karlsruher Institut für Technologie“ geworden.

Radon – Der gefährlichste Luftschadstoff Deutschlands?

„Nach unserer Einschätzung ist Radon der gefährlichste Luftschadstoff in Deutschland.“ Mit dieser Meinung, vorgetragen auf einem Seminar der Arbeitsgemeinschaft der Großforschungseinrichtungen (AGF), steht Dr. Herwig Paretzke nicht allein. „Da die meisten Menschen es vorziehen, in einem geschlossenen Haus zu leben, müssen wir uns mit einem gewissen Risiko abfinden.“ Auch auf die Frage, wie groß denn dieses Risiko sei, hat Paretzke eine Antwort parat: „Wir schätzen, dass zehn Prozent des Lungenkrebsrisikos in Deutschland durch Radon verursacht wird.“

Zwei Tage lang hatten Experten in Bonn über das Thema „Umwelt und Krebs“ diskutiert und versucht, die Bedeutung einzelner Faktoren zu bewerten. Völlig einig sind die Wissenschaftler sich nur beim Zigarettenrauch, der für fast ein Drittel aller Krebstoten verantwortlich gemacht wird. Die Belastung der Bevölkerung durch Dioxin und dessen Abkömmlinge wurde dagegen bisher wohl eher zu hoch eingeschätzt.

Vor kurzem korrigierte daher die Weltgesundheitsorganisation (WHO) ihre Empfehlung zur „duldbaren Aufnahme“ des Sevesogiftes nach oben: Eine tägliche Aufnahme von 10 billionstel Gramm Dioxin pro Kilogramm Körpergewicht sei noch nicht bedenklich, urteilten die Experten nach sorgfältiger Durchsicht der Daten von Zehntausenden dioxinexponierter Personen. Zuvor hatte man den Schwellenwert auf ein Picogramm veranschlagt, eine Marke, die auch weiterhin für Deutschland angestrebt wird.

Während somit das „Supergift“ Dioxin allmählich wieder aus den Schlagzeilen verschwinden dürfte, wendet sich die Aufmerksamkeit nun dem Radon zu, einem Edelgas, das aus den Tiefen des Erdreiches aufsteigt und beim Zerfall radioaktive Strahlung in Form von Alpha-Teilchen freisetzt. Es handelt sich dabei um einen natürlichen Prozess, der größtenteils im Untergrund abläuft und für den Menschen erst dann gefährlich wird, wenn das Radon nicht entweichen kann, sondern in Kellergewölben oder gar im Wohnzimmer „gefangen“ wird. Die Verteilung des Radons im Erdreich ist abhängig von der jeweils vorherrschenden Gesteinsart, es findet sich besonders in granithaltigen Böden.

Das Problem hat vor allem in den USA eine Fülle von Aktivitäten ausgelöst. Dort verlangen neuerdings immer mehr Interessenten beim Häuserkauf Bericht über die gemessenen Radonkonzentrationen. Der Kongress verabschiedete bereits 1988 ein „Radonverminderungsgesetz“ mit dem Ziel die Radonkonzentrationen in Häusern auf die Werte zu reduzieren, die im Freien herrschen. Die durchschnittlichen Kosten für Ventilationsmaßnahmen und Abdichtungen würden pro Haus etwa 15.000 Mark betragen. Das Geld, so meint man bei der Umweltschutzbehörde EPA, sei gut angelegt, weil jährlich bis zu 20.000 Fälle von Lungenkrebs auf das Konto von Radon gingen.

In Deutschland sind vor allem das Fichtelgebirge, Teile des Saarlandes und das Erzgebirge betroffen. Bereits im Jahre 1597 hatte Agricola vom „Schwarzem Tod“ in den Gruben des sächsischen Schneeberg berichtet; heute weiß man, dass es sich dabei um Tumoren der Lunge handelt, die bei Bergarbeitern bis in unsere Zeit gehäuft beobachtet wurden. Genau das aber ist auch der Schwachpunkt der bisherigen Studien: Sie stützen sich nämlich vorwiegend auf Auswertungen der Lungenkrebshäufigkeit bei Bergarbeitern.

Diese Bevölkerungsgruppe aber hat Radon nicht etwa in Form des „reinen“ Edelgases inhaliert. Vielmehr wurde Aerosol eingeatmet, kleine Staubpartikel also, an deren Oberfläche das Radon haften blieb. Der Unterschied ist gravierend, weil reines Radon praktisch mit dem nächsten Atemzug die Lunge wieder verlässt, während Aerosolteilchen ähnlich wie Zigarettenrauch lange Zeit ihre zerstörerische Wirkung auf die Atemwege entfalten können. Eine Untersuchung an Kumpeln, die im amerikanischen Bundesstaat Colorado Uran abbauten, konnte zeigen, dass die Krebsgefahr um ein Vielfaches zunahm, wenn die Bergleute ihre Lungen zusätzlich mit Zigarettenrauch malträtierten.

Dr. Bernhard Cohen von der Universität Pittsburgh kommt bei gründlicher Analyse der Daten für die „normale“ Bevölkerung denn auch zu dem Schluss, dass Radon bei den geringen Mengen, die in „Durchschnittshäusern“ gefunden werden, keinen nachteiligen Effekt auf die Gesundheit hat. Cohen meint, man solle sich auf die verhältnismäßig geringe Anzahl von Häusern mit hoher Belastung konzentrieren und diese gezielt sanieren. Diese Empfehlung entspricht im Übrigen der deutschen Vorgehensweise in den hauptbetroffenen Gebieten, vor allem in den neuen Bundesländern.

(erschienen in der WELT am 17. Dezember 1990)

Kein Dioxin in Mumien

Die Dioxinwerte, die heute in der Umwelt gemessen werden, können nicht durch das Verbrennen von Feuerholz während der letzten paar tausend Jahre erklärt werden. Stattdessen begannen sich die gefährlichen Umweltgifte erst mit dem Wachstum der petrochemischen Industrie im menschlichen Körper anzusammeln. Zu diesem Ergebnis kam ein amerikanisch-chilenisches Forscherteam, das 2800 Jahre alte Mumien auf ihren Dioxingehalt hin untersuchte.

Die gut erhaltenen Überreste von neun Indianern wurden aus einem Grab in der Nähe der nordchilenischen Stadt Arica geborgen, die ein extrem trockenes Wüstenklima besitzt. Da die Indianer ihre Mahlzeiten über Holzfeuern gekocht hatten, hätten sich in den entnommenen Gewebeproben Dioxine gefunden, falls diese Gruppe von Chemikalien wirklich beim Verbrennen des Holzes entstehen würde. Wie der Leiter der Untersuchungen, Woodfin Ligon Junior von der General Electric Company in New York betonte, lieferten die hochempfindlichen Messgeräte keinerlei Hinweise auf Dioxine und die verwandten Furane.

Originaliteratur:

Woodfin Ligon V., Steven B. Dorn, Ralph J. May, Marvin J. Allison: Chlorodibenzofuran and chlorodibenzo-p-dioxin levels in Chilean mummies dated to about 2800 years before the present. Environ. Sci. Technol., 1989, 23 (10), pp 1286–1290

(bislang unveröffentlichter Artikel aus dem Januar 1990, aktualisiert am 2. März 2017)

Anmerkung: Dioxine können zwar auch bei natürlichen Verbrennungsprozessen entstehen, wenn Chlor und organischer Kohlenstoff bei bestimmten Temperaturen miteinander reagieren. So sind auch Waldbrände und Vulkanausbrüche eine Quelle, informiert das Umweltbundesamt. Das Argument, die Menschheit hätte schon immer Dioxine fabriziert, war mit dieser Untersuchung jedoch widerlegt.

Dioxin – Ohne Grenzwerte keine Sanierung

Wie giftig ist Dioxin? Ab welcher Konzentration besteht eine gesundheitliche Gefährdung des Menschen? Wann müssen die Anwohner verseuchter Deponien evakuiert werden? Diese und andere Fragen standen im Mittelpunkt eines dreitägigen Expertentreffens, das gestern in Karlsruhe zu Ende ging.

Dioxin- hier im Kalottenmiodell – gilt als eine der giftigsten Substanzen für den Menschen

Das Symposium sollte Hilfestellung leisten bei der Beurteilung der Gefahren, die von Dioxinen und den verwandten Furanen ausgehen. Eine einheitliche Empfehlung für gesetzliche Grenzwerte konnten jedoch auch die versammelten Wissenschaftler nicht abgeben. Denn die Risiken, die von Dioxinen und Furanen ausgehen, wurden durchaus nicht von allen Experten gleich beurteilt.

Wie der Präsident des Bundesgesundheitsamtes (BGA), Professor Dieter Großklaus erläuterte, besteht allein die Familie der Dioxine aus über 250 verschiedenen Mitgliedern, von denen das als ,,Seveso-Gift“ bekannt geworden TCDD (2,3,7,8-Tetrachlordibenzo- p-dioxin) wohl das bekannteste sein dürfte. TCDD wurde wiederholt als die giftigste aller bekannten Substanzen bezeichnet, was bezüglich der Wirkung auf Meerschweinchen, Ratten und Mäuse auch experimentell nachgewiesen ist.

Beim Menschen führen bereits kleinste Mengen an TCDD zu schmerzhaften Hauterkrankungen (Chlorakne). Eine Schädigung von Zellen des Immunsystem konnte im Reagenzglas nachgewiesen werden. Bei Versuchstieren kann die Chemikalie Krebs auslösen und stört die Embryonalentwicklung.

Während die Nachweismethoden für die gefährlichen Gifte in den letzten Jahren immer weiter verfeinert wurden, bleibt die Frage, ab welcher Dioxin-Konzentration beim Menschen mit bleibenden Gesundheitsschäden gerechnet werden muss, weiter ungeklärt. Der vom Bundesumweltminister angepeilte Grenzwert für die Freisetzung von Dioxinen und Dibenzofuranen aus Müllverbrennungsanlagen fand jedoch weiten Zuspruch: Der Ausstoß soll demnach auf ein zehntel Nanogramm (Milliardstel Gramm) pro Kubikmeter Abluft begrenzt werden. Ziel der neuen Verordnung, die bereits in einem halben Jahr Rechtskraft erlangen könne, sei es, den modernsten Stand der Technik bei der Minimierung von Luftverunreinigungen zur Anwendung zu bringen.

Dies wäre ,,ein Schritt in die richtige Richtung“ so der Vertreter der hessischen Umweltverbände, Dr. Rolf Neidhardt. Gegenwärtig würden selbst modernste Anlagen noch das Hundertfache des angepeilten Grenzwertes ausstoßen und damit den größten Teil der Umweltbelastungen verursachen Dioxine entstehen außer bei der Verbrennung von chlorhaltigen Verbindungen auch bei deren Produktion, beim Gebrauch bleihaltigen Benzins und bei der Chlorbleiche von Papier- und Zellstoffen.

Messungen des BGA ergaben, dass Luft und Nahrungsmittel in industriellen Ballungsräumen wesentlich stärker mit Dioxinen und Furanen belastet sind als in ländlichen Gebieten. Dennoch scheint die Belastung der Bevölkerung in der Bundesrepublik recht gleichmäßig verteilt zu sein. Wie Großklaus erklärte, werden etwa 90 Prozent der Dioxine durch die Nahrung aufgenommen, die restlichen zehn Prozent mit der Atemluft und durch die Haut.

Eine weitere Belastung des Menschen kann in Innenräumen durch die Verwendung von Holzschutzmitteln auftreten, die Pentachlorphenol (PCP) enthalten. Beim Brand von PVC-haltigen Baustoffen und von bromhaltigen Flammschutzmitteln treten ebenfalls erhebliche Dioxinkonzentrationen auf.

Einheitlich Richtwerte für die Bewertung von Dioxinkonzentrationen im Boden forderte der baden-württembergische Umweltminister Erwin Vetter. Sanierungsmaßnahmen könnten ohne einheitliche Grenzwerte nicht effizient und sinnvoll durchgeführt werden.

(erschienen in der WELT am 18. Januar 1990)

Quellen: Symposium „Health Effects and Safety Assessment of Dioxin and Furans“ und Fachöffentliche Anhörung des Bundesgesundheitsamtes und des Umweltbundesamtes zu Dioxinen und Furanen“ in Karlsruhe vom 15.1. – 18.1.1990.

Was wurde daraus? Schon zum Ende des Jahres 1990 wurde mit der 17. Verordnung zur Durchführung des Bundesimmisionsschutzgesetzes ein Grenzwert für Müllverbrennungsanlagen festgelegt. Es folgten mehrere weitere Gesetze und Verordnungen mit dem Ziel, die Verbreitung von Dioxinen in der Umwelt zu begrenzen. Mit Erfolg: „Die Emissionen haben in den letzten Jahren deutlich abgenommen. Dieser Erfolg ist vor allem auf die verbesserte Abgasreinigung in den Müllverbrennungsanlagen zurückzuführen. Die – illegale – Abfallverbrennung im Kamin oder im Garten macht heute den bedeutendsten Anteil der Dioxinemissionen aus. Die wilde Verbrennung von einem Kilogramm Abfall belastet die Umwelt so stark wie die Entsorgung von zehn Tonnen in einer modernen Müllverbrennungsanlage.“, heißt es in der Wikipedia. Für weitere Informationen empfehlen wir die Seite „Dioxine“ des Umweltbundesamtes.

(letzte Aktualisierung 27. Februar 2016)