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Kola-Halbinsel: Die Zerstörung einer Landschaft

Die müden Augen hinter den klobigen Brillengläsern verraten, daß Jewgeni Kowalewski sich nicht besonders wohl fühlt. Der stellvertretende Bezirksdirektor des Amtes für Umweltschutz windet sich unter den bohrenden Fragen der ausländischen Journalisten, ist sichtlich bemüht, den Abgrund zwischen neuer Offenheit und altem Denken zu überwinden.

Was tun die kärglich ausgestatteten Behörden in Murmansk, 200 Kilometer nördlich des Polarkreises, gegen die Luftverschmutzung auf der Kola-Halbinsel? Wie lange noch sollen Schwefeldioxid und Schwermetalle aus den Hüttenwerken der Region auf die 1,2 Millionen Einwohner herabrieseln? Wie viele Unfälle hat es im Kernkraftwerk Kola nahe der Stadt Poljarnyje Sori gegeben, und was geschah mit den radioaktiven Abfällen von mehr als 100 Atom-U-Booten?

Der Russe Kowalewski wiegelt ab, verweist auf die gute Zusammenarbeit mit Norwegen, Finnland und Schweden, auf internationale Abkommen und auf die 30 Meßstationen seiner Behörde: „Wir hoffen, die meisten Probleme in drei bis fünf Jahren zu lösen.“ Eine kurze Stadtrundfahrt aber genügt, um jeglichen Optimismus im Keim zu ersticken: Vom Genuß des Trinkwassers, das in gelblich-brauner Tönung aus den Hähnen fließt, wird dringend abgeraten.

Die Grundversorgung der Bevölkerung scheint zwar gesichert. Wohin aber die Devisenmilliarden aus dem Verkauf von Nickel, Kupfer, Platin, von Kobalt, Palladium, Osmium und anderen seltenen Metallen geflossen sind, ist trotz intensiver Bemühungen nicht auszumachen. Große, triste Wohnblocks prägen das Bild der Stadt, die im Zweiten Weltkrieg von deutschen Bombern dem Erdboden gleichgemacht wurde.

Hoch oben über der Stadt steht das Kriegsdenkmal, das die Murmansker Aljoscha nennen und das an 1000 Tage Zweiter Weltkrieg in der Arktis erinnert. Rauchwolken aus Industrieschornsteinen trüben den Blick von hier aus. Doch was könnte man bei freier Sicht schon sehen? Der eisfreie Hafen, von dem aus eine halbe Million Einwohner versorgt wird, ist einer der größten Schiffsfriedhöfe der Welt.

In einer vorgelagerten Bucht zeugen die himmelwärts gerichteten Torsos Dutzender abgewrackter Schiffe von der ortsüblichen Entsorgungspraxis: Mit maximaler Geschwindigkeit werden Frachter und Tanker, Schlepper und Trawler auf den Strand gesteuert, wo sie auflaufen und dann ihrem Schicksal überlassen werden.

Knut Hauge, norwegischer Konsul von Murmansk, berichtet von 52 ausrangierten Atom-U-Booten allein im Hafen von Murmansk. Zusammen mit mehr oder weniger funktionstüchtigen U-Booten im benachbarten Sperrbezirk Seweromorsk kommt man auf 120 Kriegsschiffe der russischen Nordflotte mit jeweils einem oder zwei Atomreaktoren an Bord. Ein Atomkraftwerk mit vier Reaktoren, acht atomgetriebene Eisbrecher und fünf bekannte atomare Zwischenlager tragen zur atomaren Verseuchung der Kola-Halbinsel bei. Zivile Frachtschiffe im Hafen von Murmansk bilden zusätzliche Zwischenlager.

Erst Ende März war es wieder zu einem Unglück gekommen, als vor der Küste das amerikanische U-Boot „Grayling“ mit einem russischen Boot der Delta-III-Klasse zusammenstieß. Die Amerikaner formulierten eine höfliche Entschuldigung, aus Moskau kam nach mehrtägiger Verzögerung die Nachricht, Atomreaktor und Bewaffnung des eigenen Bootes seien unbeschädigt geblieben.

Auch ohne Unfälle ist die lang geübte Praxis im Umgang mit der Kernkraft erschreckend: Neben den Atom-U-Booten sind 132 Leuchttürme entlang der Küste mit Kernreaktoren ausgerüstet. Zusammen mit dem Kernkraftwerk Kola bei Poljarnyje Sori – laut Angaben der Internationalen Atomenergie-Organisation eine der zehn gefährlichsten Anlagen weltweit – produzieren sie gewaltige Mengen radioaktiven Abfalls. Uber ein Endlager verfügt Russland indes ebenso wenig wie westliche Atommächte.

Abgebrannte Brennstäbe wurden daher routinemäßig in der Barentssee versenkt. Mindestens 21 Reaktoren von ausgedienten U-Booten und Eisbrechern liegen am Meeresgrund. Flüssige radioaktive Abfälle wurden verdünnt und über Bord gekippt. Auf die Frage, was man sich dabei gedacht hat, weiß Kowalewski eine simple Antwort: ,,Auch die Amerikaner haben das lange Zeit gemacht, heute ist es verboten.“ Das Problem sei ohnehin nicht besonders dringend, weil die mehr als 10000 Container mit dem strahlenden Inhalt „sicherlich noch lange halten“.

Eine weitere Hinterlassenschaft der ehemaligen Sowjetunion sind eine Vielzahl von Kasernen, Flughäfen, Raketenbasen, Grenzbefestigungen und sonstigen militärischen Einrichtungen. Von rund 3500 nuklearen Sprengköpfen ist die Rede, von Raketen der Typen S 21 und Scud. Die vorerst letzte von 120 Atombomben explodierte am 24. Oktober 1991 – dem Tag der Vereinten Nationen – auf der Insel Nowaja Semlja, die seit 1955 als Testgelände herhalten muß. Die Gesamtsprengkraft seither beträgt rund 7000 Hiroschima-Bomben.

Mittwochs, freitags und an Sonntagen sind die eis- und schneebedeckten Straßen der Halbinsel für den Zivilverkehr freigegeben. An vier Tagen in der Woche bleiben die Verkehrswege den Soldaten vorbehalten – ein Verhältnis, das nach Meinung von Beobachtern die Machtverteilung im Staate widerspiegelt.

Über Reformen und Joint-Ventures wird viel geredet, echter Fortschritt indes bleibt dem Betrachter verborgen. Immer wieder erklären Regierungsvertreter und Konzernleiter, ohne Geld aus dem Westen ließe sich nichts bewegen. Der Gedanke, das größte Volk Europas könne sich aus eigener Kraft aus der Misere befreien, wird nirgendwo ernsthaft erwogen.

So auch in Zapoljanry und Nikel, wo 50000 Einwohner von der Verhüttung des gleichnamigen Metalls abhängig sind. Neben elf Tonnen giftiger Schwermetalle werden dabei jährlich 300000 Tonnen Schwefeldioxid freigesetzt. Das entspricht der siebenfachen Menge dessen, was das Nachbarland Norwegen mit seinen vier Millionen Einwohnern produziert. Auf 100 Quadratkilometern Taiga wächst nahe Nikel kein Baum mehr. In Zapoljanry, so berichtet eine Augenzeugin, sei es noch weitaus schlimmer. Die Behörden haben dort das Sammeln von Beeren und Pilzen verboten; beim Verzehr besteht Vergiftungsgefahr.

Mit westlicher Technologie ließe sich der Schadstoffausstoß der Erzhütten auf ein Zwanzigstel reduzieren, doch dafür fehlen umgerechnet 960 Millionen Mark. Trotz der Bereitschaft Norwegens und Finnlands, ein Siebtel der Kosten zu übernehmen, erklärte der russische Umweltminister Wiktor Dahiljan, sein Land sei zu arm, um die geplanten Maßnahmen zu bezahlen. Die Industriewüste lebt.

(erschienen in der WELT am 6. Juli 1993 als Bilanz einer mehrtägigen Journalistenreise, die letztlich von der norwegischen Regierung finanziert wurde. Und die hatte – wie mir später klar wurde – ein massives Interesse daran, mit Deutschland einen Mitfinanzier für die Linderung der grenzübergreifenden Umweltverschmutzung zu finden und im Vorfeld entsprechende Aufmerksamkeit zu schaffen…)

Radon – Der gefährlichste Luftschadstoff Deutschlands?

„Nach unserer Einschätzung ist Radon der gefährlichste Luftschadstoff in Deutschland.“ Mit dieser Meinung, vorgetragen auf einem Seminar der Arbeitsgemeinschaft der Großforschungseinrichtungen (AGF), steht Dr. Herwig Paretzke nicht allein. „Da die meisten Menschen es vorziehen, in einem geschlossenen Haus zu leben, müssen wir uns mit einem gewissen Risiko abfinden.“ Auch auf die Frage, wie groß denn dieses Risiko sei, hat Paretzke eine Antwort parat: „Wir schätzen, dass zehn Prozent des Lungenkrebsrisikos in Deutschland durch Radon verursacht wird.“

Zwei Tage lang hatten Experten in Bonn über das Thema „Umwelt und Krebs“ diskutiert und versucht, die Bedeutung einzelner Faktoren zu bewerten. Völlig einig sind die Wissenschaftler sich nur beim Zigarettenrauch, der für fast ein Drittel aller Krebstoten verantwortlich gemacht wird. Die Belastung der Bevölkerung durch Dioxin und dessen Abkömmlinge wurde dagegen bisher wohl eher zu hoch eingeschätzt.

Vor kurzem korrigierte daher die Weltgesundheitsorganisation (WHO) ihre Empfehlung zur „duldbaren Aufnahme“ des Sevesogiftes nach oben: Eine tägliche Aufnahme von 10 billionstel Gramm Dioxin pro Kilogramm Körpergewicht sei noch nicht bedenklich, urteilten die Experten nach sorgfältiger Durchsicht der Daten von Zehntausenden dioxinexponierter Personen. Zuvor hatte man den Schwellenwert auf ein Picogramm veranschlagt, eine Marke, die auch weiterhin für Deutschland angestrebt wird.

Während somit das „Supergift“ Dioxin allmählich wieder aus den Schlagzeilen verschwinden dürfte, wendet sich die Aufmerksamkeit nun dem Radon zu, einem Edelgas, das aus den Tiefen des Erdreiches aufsteigt und beim Zerfall radioaktive Strahlung in Form von Alpha-Teilchen freisetzt. Es handelt sich dabei um einen natürlichen Prozess, der größtenteils im Untergrund abläuft und für den Menschen erst dann gefährlich wird, wenn das Radon nicht entweichen kann, sondern in Kellergewölben oder gar im Wohnzimmer „gefangen“ wird. Die Verteilung des Radons im Erdreich ist abhängig von der jeweils vorherrschenden Gesteinsart, es findet sich besonders in granithaltigen Böden.

Das Problem hat vor allem in den USA eine Fülle von Aktivitäten ausgelöst. Dort verlangen neuerdings immer mehr Interessenten beim Häuserkauf Bericht über die gemessenen Radonkonzentrationen. Der Kongress verabschiedete bereits 1988 ein „Radonverminderungsgesetz“ mit dem Ziel die Radonkonzentrationen in Häusern auf die Werte zu reduzieren, die im Freien herrschen. Die durchschnittlichen Kosten für Ventilationsmaßnahmen und Abdichtungen würden pro Haus etwa 15.000 Mark betragen. Das Geld, so meint man bei der Umweltschutzbehörde EPA, sei gut angelegt, weil jährlich bis zu 20.000 Fälle von Lungenkrebs auf das Konto von Radon gingen.

In Deutschland sind vor allem das Fichtelgebirge, Teile des Saarlandes und das Erzgebirge betroffen. Bereits im Jahre 1597 hatte Agricola vom „Schwarzem Tod“ in den Gruben des sächsischen Schneeberg berichtet; heute weiß man, dass es sich dabei um Tumoren der Lunge handelt, die bei Bergarbeitern bis in unsere Zeit gehäuft beobachtet wurden. Genau das aber ist auch der Schwachpunkt der bisherigen Studien: Sie stützen sich nämlich vorwiegend auf Auswertungen der Lungenkrebshäufigkeit bei Bergarbeitern.

Diese Bevölkerungsgruppe aber hat Radon nicht etwa in Form des „reinen“ Edelgases inhaliert. Vielmehr wurde Aerosol eingeatmet, kleine Staubpartikel also, an deren Oberfläche das Radon haften blieb. Der Unterschied ist gravierend, weil reines Radon praktisch mit dem nächsten Atemzug die Lunge wieder verlässt, während Aerosolteilchen ähnlich wie Zigarettenrauch lange Zeit ihre zerstörerische Wirkung auf die Atemwege entfalten können. Eine Untersuchung an Kumpeln, die im amerikanischen Bundesstaat Colorado Uran abbauten, konnte zeigen, dass die Krebsgefahr um ein Vielfaches zunahm, wenn die Bergleute ihre Lungen zusätzlich mit Zigarettenrauch malträtierten.

Dr. Bernhard Cohen von der Universität Pittsburgh kommt bei gründlicher Analyse der Daten für die „normale“ Bevölkerung denn auch zu dem Schluss, dass Radon bei den geringen Mengen, die in „Durchschnittshäusern“ gefunden werden, keinen nachteiligen Effekt auf die Gesundheit hat. Cohen meint, man solle sich auf die verhältnismäßig geringe Anzahl von Häusern mit hoher Belastung konzentrieren und diese gezielt sanieren. Diese Empfehlung entspricht im Übrigen der deutschen Vorgehensweise in den hauptbetroffenen Gebieten, vor allem in den neuen Bundesländern.

(erschienen in der WELT am 17. Dezember 1990)

Strahlenschutz: „Ein Meilenstein für die Risikoabschätzung“

Die Gefahr, die dem Menschen bereits durch geringe Strahlenbelastungen droht, wurde wahrscheinlich bisher unterschätzt. Zu diesem Ergebnis kommt ein Report der Amerikanischen Akademie der Wissenschaften. Erwartet wird jetzt eine Reaktion der Behörden in Form einer Verschärfung der bestehenden Strahlenschutzgesetze.

Die nach fast zehnjähriger Arbeit vorgelegte Studie – 421 Seiten dick und 860000 Dollar teuer – ist die genaueste, die jemals zu diesem Thema durchgeführt wurde. Das Risiko, an Krebs zu erkranken, ist demzufolge drei bis vier Mal so groß wie vor angenommen. Die Resultate der Kommission zu den biologischen Auswirkungen ionisierender Strahlung (BEIR V), die derzeit aus 17 unabhängigen Medizinern und Strahlenforschem besteht, werden mit großer Wahrscheinlichkeit zu einer Herabsetzung der gesetzlich zulässigen Grenzwerte für ionisierende Strahlung führen.

Ionisierende Strahlen gehen nicht nur von Röntgengeräten und Atomlagen aus. Sie entstehen auch beim radioaktiven Zerfall verschiedener Elemente der Erdkruste und sind in der kosmischen Höhenstrahlung enthalten. Im menschlichen Körper kann diese Strahlung zu Veränderungen des Erbmaterials (Mutationen) führen und Krebs auslösen. Seit langem streiten sich Wissenschaftler darüber, wieviel Strahlung der Körper verkraftet, bevor es zu irreparablen Schäden kommt. Gibt es eine untere Grenze, bis zu der ionisierende Strahlen unbedenklich sind? Kann man von der verhältnismäßig hohen Strahlendosis, die bei Versuchstieren zur Entstehung eines Krebsgeschwürs führt, überhaupt Rückschlüsse ziehen auf die Wirkung kleiner Strahlenmengen?

Die bisherigen Richtlinien zum Strahlenschutz beruhen – nicht nur in den Vereinigten Staaten – zum großen Teil auf der Erfassung der Krebsfälle bei den Überlebenden der Atombombenabwürfe auf Hiroshima und Nagasaki. „Diese Daten sind die bei weitem wichtigste Quelle zur Risikoabschätzung“, so Professor Albrecht Kellerer, Vorsitzender der Strahlenschutzkommission des Bundesumweltministers. Die amerikanische Expertengruppe war sich aber in ihrem letzten Report aus dem Jahre 1979 über die Bewertung der vorliegenden Daten nicht einig geworden: Im Abschlussbericht standen sich die widersprüchlichen Meinungen zweier Fraktionen gegenüber.

Nun hat man beobachtet, dass die Zahl der Krebsopfer unter den Überlebenden von Hiroshima und Nagasaki auch 40 Jahre nach dem Abwurf der Bomben weiter zunimmt und inzwischen weit über den früheren Voraussagen der Wissenschaftler liegt. Nachdem Physiker Anfang der achtziger Jahre auch noch die Schätzungen über die damals freigesetzten Strahlenmengen nach unten korrigiert hatten, ergibt sich nun ein völlig neues Bild.

Die Gammastrahlung etwa – hauptverantwortlich für den größten Teil der Krebserkrankungen – war also nur etwa halb so stark, wie zuvor geglaubt. Wenn aber die freigesetzte Strahlung geringer war, als angenommen, und dennoch zu mehr Krebstoten führte als erwartet, mussten die früheren Modelle falsch sein. Für 95000 Überlebende wurde daher mit einem immensen Aufwand nachgerechnet, wie viel Strahlung sie im August des Jahres 1945 aufgenommen hatten. Dabei kalkulierten die Experten nicht nur die Abschwächung der Strahlenwirkung durch Luft und Luftfeuchtigkeit mit ein, sondern auch die Schutzwirkung von Fenstern, Dächern und Mauerwerk.

Auch ob die Atombombenopfer dem Explosionsherd zu- oder abgewandt waren und welche Körperseite am stärksten betroffen wurde, floss in die Berechnungen mit ein. Gegenwärtig richten sich die Bemühungen der Forscher darauf, auch noch die empfangene Strahlendosis für einzelne Organe zu ermitteln. Schon heute lässt sich aber sagen, dass das Risiko, nach einer geringen Dosis ionisierender Strahlen an Krebs zu erkranken, drei bis vier Mal größer ist, als bisher angenommen. Obwohl von der Kommission keine öffentliche Stellungnahme erwartet worden war, sagte deren Vorsitzender, Arthur C. Upton, auf einer Pressekonferenz, er erwarte eine Reaktion der Behörden in Form verschärfter Strahlenschutzgesetze.

Dieser Meinung ist auch Warren Sinclair, Präsident des Nationalen Strahlenschutzrates der Vereinigten Staaten. Er sagte, unter dem Druck der neuen Studie könne sich seine Organisation sehr wohl veranlasst fühlen, den gegenwärtigen Grenzwert für Angestellte in Nuklearbetrieben herabzusetzen. Auswirkungen sind auch in der Bundesrepublik Deutschland zu erwarten. „BEIR V ist ein wichtiger Meilenstein für die Risikoabschätzung“, so Kellerer. Der Experte erwartet, dass ein neuer Richtlinienentwurf bereits im Verlauf der nächsten Wochen fertiggestellt wird.

Für 1991 sei dann mit offiziellen neuen Empfehlungen zu rechnen. „Ich glaube, dass die Internationale Strahlenschutzkommission (ICRP) empfehlen wird, die maximal zulässige Strahlenexposition auf 1,5 oder 2 rem pro Jahr herabzusetzen.“ Derzeit gilt in der Bundesrepublik für beruflich strahlenexponierte Personen noch ein jährlicher maximaler Wert von 5 rem. Nach Schätzungen von Kellerer liegt die Zahl der Menschen, deren Strahlenbelastung in Höhe dieses Grenzwertes gelangt, bundesweit bei etwa 100. Im Durchschnitt nehmen die rund 50 000 Menschen, die hierzulande unter das Strahlenschutzgesetz fallen, aber nur 0,5 rem auf. Diese Dosis ist nicht einmal das Doppelte dessen, was der Durchschnittsbürger jährlich verkraften muss.

(erschienen in der WELT am 22. Februar 1990)

Originalliteratur:

National Research Council: Health Effects of Exposure to Low Levels of Ionizing Radiation: BEIR V. ISBN-10: 0309039959. (Kostenloser Download)

Was wurde daraus? Inzwischen sind wir beim 7. Bericht des BEIR Kommittees angelangt. Laut Wikipedia sind sie noch immer eine wesentliche Grundlage der internationalen Strahlenschutzregeln, unter anderem auch der in Deutschland geltenden Grenzwerte gemäß Strahlenschutzverordnung. Die Grenzwerte wurden tatsächlich verschärft und liegen heute für Menschen, die beruflich mit Strahlung zu tun haben, bei 20 Millisievert. Das entspricht 2 rem und etwa dem 7-fachen dessen, was man natürlicherweise an Strahlung aufnimmt – oder auch einem CT-Scan, wie er bei manchen medizinischen Untersuchungen (Herz, Krebs) notwendig ist.