Dioxin ‑ ein einziges Wort genügt, um auch heute noch, 17 Jahre nach dem Chemieunfall im italienischen Seveso, Angst und Schrecken zu verbreiten. Die Bilder der vom Gift entstellten Gesichter, der toten Tiere und der Bagger, die monatelang den verseuchten Boden abtrugen, haben ihre Spuren hinterlassen. Als 1982 auch noch die 2400 Einwohner des amerikanischen Städtchens Times Beach ihre Heimat wegen Dioxin‑verseuchter Böden verlassen mußten, war die Substanz endgültig zum „Supergift“ geworden.

Mit immer empfindlicheren Geräten haben Wissenschaftler sich daraufhin auf die Suche gemacht. Dabei fand man heraus, daß über 200 verschiedene Arten von Dioxinen und den verwandten Furanen immer dann gebildet werden, wenn chlorhaltige Substanzen bei Temperaturen über 250 Grad verbrennen. Die „Kinder des Feuers“, wie sie manchmal bezeichnet werden, entweichen nicht nur aus Müllverbrennungsanlagen, sondern auch aus Hausheizungen und den Auspuffrohren unserer Autos, beim Rauchen und beim Schmelzen von Metallen.

Nicht alle dieser Verbindungen sind gleichermaßen giftig, die Suche der Forscher konzentriert sich deshalb auf rund drei Dutzend Stoffe, unter denen das Seveso‑Gift an erster Stelle steht. Inzwischen ist es möglich, ein einziges Dioxin‑Molekül unter einer Billion anderer Teilchen aufzuspüren. Kein Wunder also, daß die Wissenschaftler fast überall fündig wurden: Im Waldboden ebenso wie im Zeitungspapier, in Kaffeefiltern und Kosmetika, auf Kinderspielplätzen und in der Muttermilch.

Trotz alledem ist die Gefahr nicht so groß, wie die Schlagzeilen vermuten lassen. Im Gegensatz zu anderen Schadstoffen wie Asbest und Benzol streiten sich die Gelehrten noch immer darüber, ob kleine Mengen Dioxin beim Menschen Krebs verursachen können.

Selbst unter den 10000 Erwachsenen und Kindern von Seveso konnte man bisher weder eine erhöhte Krebsrate noch Anzeichen für eine Schädigung der Immunabwehr finden.

Alles deutet darauf hin, daß Menschen längst nicht so empfindlich gegenüber dem „Supergift“ sind, wie man früher vermutete. Für die zuständigen Behörden ‑ das Umweltbundesamt und das Bundesgesundheitsamt ‑ bleibt Vorsicht dennoch oberstes Gebot. Sie wiederholten kürzlich ihre Forderung nach neuen Maßnahmen, um Mensch und Umwelt zu schützen.

Um ganz sicher zu gehen, sollten täglich nicht mehr als ein billionstel Gramm Dioxin je Kilogramm Körpergewicht aufgenommen werden, verlangten die Gesundheitswächter in einem Bericht zum 2. Internationalen Dioxin‑Symposium. Die tatsächliche Belastung liegt in Deutschland etwa doppelt so hoch, doch ist auch diese Menge so winzig, daß selbst im Laufe von 100 Jahren alle Deutschen zusammen nicht einmal ein halbes Gramm abbekämen.

Der weitaus größte Teil der Schadstoffe, nämlich 95 Prozent, wird dabei über die Nahrung aufgenommen, vor allem über Fleisch und Fisch, Eier und Milchprodukte. Auch Muttermilch enthält Dioxin in vergleichsweise hohen Konzentrationen, weil aber „die Belastung nur kurze Zeit stattfindet und das Stillen nachweislich von großem Nutzen ist“, sind sich die Experten darin einig, daß alle Säuglinge trotzdem vier bis sechs Monate voll gestillt werden sollten.

Mit einer Reihe von Verordnungen und Verboten hat Umweltminister Klaus Töpfer inzwischen erste Erfolge im Kampf gegen die Dioxine erzielt. Die 50 deutschen Müllverbrennungsanlagen, aus deren Schornsteinen noch vor fünf Jahren insgesamt 400 Gramm Dioxinäquivalente entwichen, sind dank modernster Technik schon deutlich sauberer geworden und sollen in drei Jahren nur noch vier Gramm freisetzen.

Chlorhaltige Zusatzstoffe im Benzin wurden verboten und auch die einheimischen Papier‑ und Zellstoffstoffhersteller verzichten mittlerweile auf das Element, dessen Gegenwart die Entstehung des „Supergiftes“ begünstigt.

Eine Dioxinverordnung, mit der schon im Januar die weltweit niedrigsten Grenzwerte für 25 Verbindungen festgelegt wurden, ist allerdings noch immer nicht rechtskräftig: Schlimmstenfalls wird man in Bonn ein ganzes Jahr auf die nötige Zustimmung der Brüsseler EG‑Bürokraten warten müssen.

Geschrieben für die Neue Apotheken Illustrierte, Erscheinungsdatum unbekannt

Quelle: Bericht zum 2. Internationalen Dioxin-Symposium.