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Technik gegen Dioxine

Die Technik der Abfallverbrennung hat in den letzten zwölf Jahren rapide Fortschritte gemacht. Bei mehreren derzeit laufenden Müllverbrennungsanlagen bleibt die Konzentration der in den Abgasen freigesetzten Schadstoffe schon jetzt unter den Werten, die gemäß der 17. Bundesimmissionsschutzverordnung erst 1995 erreicht werden sollen. Diese Angaben machte Professor Hubert Vogg vom Kernforschungszentrum Karlsruhe (KfK) gestern vor der Wissenschaftspressekonferenz in Bonn.

Erfolge wurden demnach vor allem erzielt bei der Reduktion von Chlorwasserstoffen, Staub, Cadmium und Quecksilber, ebenso bei Dioxinen und der verwandten Stoffklasse der Furane. Bei allen Substanzen können mit verbesserten V erfahren die Emissionen auf mindestens ein Vierzigstel, im Falle des Dioxins sogar auf ein Vierhundertstel der Werte von 1980 gedrückt werden.

Beim Dioxin kamen den Forschem neue Erkenntnisse über die Entstehung des Seveso-Giftes. Dioxine und Furane, so fand man, bilden sich in den Abkühlzonen der Rauchgase bei Temperaturen zwischen 250 und 400 Grad Celsius in Anwesenheit von unvollständig verbranntem Kohlenstoff. Dies führte zu der Empfehlung, die Verbrennung strömungstechnisch sanfter und bei erhöhter Temperatur durchzuführen. Ein Ratschlag, der, so Vogg, „inzwischen von der Industrie voll in die Praxis umgesetzt wurde“.

Die Grenzwerte können jetzt unterboten werden

Noch vor zwei Jahren war kritisiert worden, daß der in der Bundesimmissionsschutzverordnung festgelegte Grenzwert utopisch und mit dem damaligen Stand der Technik nicht zu erreichen sei. In einem Kubikmeter Abgas darf danach ab 1995 nur noch ein zehnmilliardstel Gramm Dioxin (genauer Dioxintoxizitätsäquivalente) enthalten sei. Mittlerweile wird dieser weltweit strengste Richtwert in jeder zehnten der 50 westdeutschen Müllverbrennungsanlagen (MVA) unterschritten.

Diese Anlagen verarbeiten im Schnitt jeweils 200 000 Tonnen Hausmüll pro Jahr. In den neuen Ländern dagegen gibt es – mit einer Ausnahme – keine Hausmüllverbrennung. Stattdessen werden die gewaltigen Abfallmengen auf Deponien gelagert. Die Investitionen für eine MVA, die sich technisch auf dem neuesten Stand befindet, belaufen sich auf 80 bis 100 Millionen Mark.

Bei der Verbrennung von Hausmüll ergeben sich Probleme vor allem aus der weitgehend unbekannten Zusammensetzung der Abfälle. „Bei Hausmüll ist man vor Überraschungen nicht gefeit. Die Situation ist anders als beim Sondermüll, wo die Zusammensetzung in der Regel genau bekannt ist und die Verbrennung dementsprechend optimiert werden kann“, erläuterte Manfred Popp, Vorstandsvorsitzender des KfK.

Doch nicht nur die Abgase, sondern auch die in fester Form anfallenden Reststoffe stellen eine gewaltige Umweltbelastung dar. In Schlacken, Salzen und vor allem in Filterstäuben finden sich nämlich ein Großteil der Schadstoffe aus den häuslichen Abfällen wieder. Deren Anteil läßt sich mit einer chemisch-physikalischen Nachbehandlung verringern, die in Karlsruhe als 3R-Verfahren (Rauchgasreinigung mit Rückstandsbeseitigung) entwickelt wurde.

Trotz der Erfolge der letzten Jahre hegen die Karlsruher Wissenschaftler keine Zweifel an der Prioritätsreihenfolge „Vermeidung-Verwertung-Verbrennung“. In diesem Zusammenhang kritisierte Popp, daß derzeit einer ausgefeilten Produktionstechnik für alle Bedarfsgegenstände keine vergleichbare Verwertungstechnologie gegenüberstehe. Popp forderte ein stärkeres Engagement der Industrie auf diesem Sektor. „Es ist ein Armutszeugnis, wenn 70 Prozent aller Abfälle heute unbehandelt bleiben.“

Hier sieht der Vorstandsvorsitzende auch eine Chance für das KfK, das sich in Zukunft stärker auf den Gebieten Umweltforschung und Umwelttechnik engagieren will. Die Grundfinanzierung dieser größten deutschen Forschungseinrichtung war für das laufende Jahr deutlich reduziert worden.

(erschienen in „DIE WELT“ am 22. Januar 1992)

Anmerkung: Nach mehreren Umbenennungen ist aus dem KfK inzwischen das „Karlsruher Institut für Technologie“ geworden.

Umweltschutz mit Bußgeldern und Plastik-Verbot

Die Müllberge in der Bundesrepublik wachsen unaufhörlich, Gleichzeitig wird der Lagerplatz, der auf den Deponien zur Verfügung steht, immer weniger. Mit ungewöhnlichen Maßnahmen will die Stadt Nürnberg – hier fallen jährlich über eine Million Tonnen Abfall an – eine Lösung des Müllproblems erreichen. Nicht mehr Abfallbeseitigung, sondern Abfallwirtschaft heißt die Devise.

In Nürnberg produzieren 485000 Einwohner jährlich über eine Million Tonnen Abfall. Dem steht gegenüber eine Kapazität der städtischen Müllverbrennungsanlage (MVA) von maximal 260000 Tonnen. Damit ist Nürnberg sicherlich keine Ausnahme. Überall laufen die Brennöfen mit voller Leistung, die Abfallfluten, die hier nicht mehr abgenommen werden können, landen auf den immer knapper werdenden Deponien oder werden gar – im Zuge eines immer weiter zunehmenden Mülltourismus – ins Ausland gebracht.

Umweltreferent Rolf Praml will nun neue Wege beschreiten, um der wachsenden Müllberge Herr zu werden. Weil gute Worte und freundliche Appelle alleine nicht ausreichten, hat der Nürnberger Stadtrat jetzt verbindliche Vorschriften erlassen, die in der Bundesrepublik bisher einmalig sind. Nicht mehr Abfallbeseitigung, sondern Abfallwirtschaft heißt nun die Devise.

In diesem Verwaltungsbegriff steckt einiges an Brisanz: Die Reste unserer Wohlstandsgesellschaft sollen drastisch reduziert werden. Unter dem Motto „Trennen bringt’s“ werden ab ersten Januar des kommenden Jahres Wertstoffe wie Papier, Pappe, Glas und organische Abfalle (Biomüll) vom Restmüll getrennt, damit sie der Wiederverwendung zugeführt werden können. Das gilt auch für Gewerbemüll wie Holz, Metall und sortenreine Kunststoffe, soweit die entsprechenden Einrichtungen zur Verfügung stehen. Für diejenigen, die sich nicht an die neuen Gebote halten, stehen die „Folterinstrumente des städtischen Satzungsrechts zur Verfügung“, wie Praml erklärt.

Doch damit nicht genug: Bei Veranstaltungen auf öffentlichen Straßen, Wegen und Plätzen dürfen bald nur noch wiederverwendbare Verpackungen ausgegeben werden. Von dieser Vorschrift wird vor allem der berühmte Christkindlesmarkt betroffen sein, auf dem in diesem Jahr zum letzten Mal etwa 600000 Styroporbecher anfallen werden. Weihnachten 1990 wird der Glühwein dann aus Pfandgläsern getrunken.

Auch die Fast-Food-Ketten sollen nicht unbehelligt bleiben. Die Stadt kann Einweggeschirr, Plastikbecher und Pappschachteln verbieten, wenn diese die Abfallmenge erheblich vergrößern oder zur Verschmutzung von Straßen und Anlagen führen. Obwohl seitens der Regierung von Mittelfranken Bedenken gegen diesen „McDonalds- Paragraphen“ bestehen, hält Praml ein gerichtliches Verfahren für unwahrscheinlich.

Trotz der strengen Verordnungen setzt der ehemalige Ministerialrat im hessischen Umweltministerium nämlich auf Kooperation statt Konfrontation. Auch städtische Dienststellen müssen ihren Beitrag zum Umweltschutz leisten, indem sie dafür Sorge tragen, dass Abfall vermieden und die Wiederverwendung von Werkstoffen gefördert wird. „Wir wollen ein Klima erzeugen, dass die Öffentlichkeit sieht: Die Behörden kümmern sich. Davon erwarten wir uns eine Unterstützung unserer Umweltpolitik“, erklärt Praml hierzu.

Erste Ergebnisse dieser Politik sind bereits vorzuweisen: Als jüngst die bestehende Reststoffdeponie erweitert werden musste (allen Bemühungen, das Abfallvolumen zu reduzieren, zum Trotz), wurde diese Maßnahme einstimmig im rot-grün dominierten Stadtrat beschlossen. Während es den meisten Gemeinden große Schwierigkeiten bereitet, neue Mülldeponien anzulegen oder bestehende zu erweitern, kam es in Nürnberg zu keinerlei Bürgerprotesten. Praml führt diese Akzeptanz in der Bevölkerung auf die Einsicht zurück, das alles getan werde, um unnötigen Müll zu vermeiden.

Schule machen könnte auch die enge Zusammenarbeit zwischen Umweltschützern und den städtischen Behörden. Schon jetzt wird ein Teil des Biomülls und der Grünabfälle, die von der Stadt kompostiert werden, an den Bund für Umwelt und Naturschutz Deutschland (BUND) weitergereicht. Dieser packt den Kompost ab und bietet ihn in einer Reihe von Supermärkten zum Verkauf an. Die Erlöse aus diesem Projekt fließen dem gemeinnützigen BUND zu, der damit weitere Umweltprojekte finanziert.

Doch nicht nur der Biomüll muss beseitigt werden. Dieser macht nämlich nur zehn Prozent der Gesamtmenge an Abfall aus, drei Viertel sind nicht einmal brennbar. Der überwiegende Teil besteht aus Bauschutt und Erdaushub. Über eine halbe Million Tonnen kommen so alleine in Nürnberg jährlich zusammen. Die Trennung in wiederverwertbare Materialien (Beton, Ziegel, Steine, Holz), gefährliche Stoffe und unschädlichen Abfall wird in Nürnberg nun zur Pflicht.

Schon jetzt besteht ein Abkommen mit der Deutschen Bundesbahn, die „entschärfte“ Abfälle am Bahnhof entgegennimmt. Ziel der speziellen Kippwaggons ist eine alte Kiesgrube im Rhein-Main-Kreis, die zur Zeit rekultiviert wird. Die Gleise führen direkt an die Grube heran, ohne großen Aufwand kann das Material ausgekippt werden. Die Kiesgrube wird so wieder in ihren ursprünglichen Zu stand zurückversetzt. 200000 Tonnen verschwanden so im letzten Jahr und trugen sogar dazu bei, verbrauchte Natur zurückzugewinnen, statt wert vollen Deponieraum zu verschwenden.

Ein Besuch in der Müllverbrennungsanlage (MVA) macht klar, dass es an der Zeit ist, umzudenken: An die 550 Mal am Tag kippen die Wagen der städtischen Müllabfuhr und des Gewerbes hier ihre Fuhren in die riesige Grube, von wo der Abfall mit Lastkränen in die Verbrennungsöfen gefüttert wird. Innerhalb eines Arbeitstages kommen so 1100 bis 120 Tonnen zusammen. Wie Betriebsingenieur Gerold Wittek erläutert, arbeite die MVA rund um die Uhr, siebe Tage in der Woche, mit maximaler Leistung. Immer wieder erscheine Lastkraftwagen, die vornehmlich mit Holz und Pappe beladen sind: Rohstoffe, die wiederverwertet werde könnten, die hier aber aufwendig beseitigt werden müssen.

Ein Blick auf die Statistik zeigt dass in der Bundesrepublik trotz stagnierendem Bevölkerungswachstums jährlich zwischen 0,5 und 3 Prozent mehr Müll anfallen. Dieser Trend ist seit Jahrzehnten ungebrochen. Reinhard Arndt, Betriebsleiter der MVA, hofft, dass die neue Abfallwirtschaftssatzung greift, sonst wird die Erweiterung der Anlage oder gar ein Neubau fällig. Die Kosten hierfür würden über 400 Millionen Mark betragen.

(überarbeitete Fassung meines Artikels für die WELT vom 12. Oktober 1989)