Zum Hauptinhalt springen

Freilandversuche für „Gen-Rüben“ genehmigt

Rund 14.000 Zuckerrüben und exakt 384 Kartoffeln sollen im Laufe der nächsten Wochen auf niedersächsischen und bayrischen Ackern angepflanzt werden. Nichts Besonderes, sollte man meinen, doch die Pflänzchen haben es in sich: beide Gewächse sind gentechnisch verändert.

Für Reinhard Nehls, Laborchef bei der Kleinwanzlebener Saatzucht (KWS) in Einbeck, liegen die Vorteile der modernen Biologie buchstäblich auf der Hand: In der Rechten hält er eine fette, schwere und offensichtlich gesunde Zuckerrübe, „so wie sie der Bauer haben will“. In der Linken dagegen ein kleines, schwarzes, mit Wurzelhaaren übersätes Gewächs, das sich bei näherer Betrachtung als infizierter Artgenosse der Vorzeigerübe entpuppt. „So kann es aussehen, wenn die Rizomania zuschlägt.“

Dem mittelständischen Unternehmen ist es gelungen, Zuckerrüben mit Hilfe gentechnischer Methoden vor der Viruskrankheit zu schützen. Die Rizomania, auch „Wurzelbärtigkeit“ genannt, hat sich in den letzten Jahren in ganz Europa ausgebreitet und verursacht deutschen Landwirten jährliche Ernteverluste in Millionenhöhe. Hauptbetroffene sind Familienbetriebe, für die die Zuckerrüben eine der wichtigsten Einnahmequellen darstellen.

Rund 5000 Landwirte waren es auch, die in einer Unterschriftenaktion den Antrag der KWS unterstützten, die genmanipulierten Pflanzen dort zu testen, wo sie gebraucht werden – auf dem Acker. Wie berichtet, hat das Berliner Bundesgesundheitsamt jetzt nach einem halbjährigen Genehmigungsverfahren die Einsprüche von rund 3000 Einwendern zurückgewiesen, weil von dem Experiment „nach dem Stand der Wissenschaft keine schädlichen Einwirkungen auf Leben und Gesundheit von Menschen, Tieren und. Pflanzen sowie die sonstige Umwelt“ zu erwarten seien.

Um die Pflanzen gegen den Angriff der schädlichen Viren immun zu machen, isolierten die KWS-Wissenschaftler zunächst ein Gen aus dem Ernteschädling, welches die Informationen zur Herstellung eines Eiweißes der Virushülle enthüllt. Die Anwesenheit dieses, für den Menschen ungiftigen Moleküls in der Zuckerrübe verhindert die Vermehrung des Parasiten in der Pflanze. Ziel der Bemühungen war es deshalb, Zuckerrüben zu züchten, die neben Tausenden eigener Inhaltsstoffe zusätzlich das fremde Eiweiß produzieren. Dabei kam den Forschern die Tatsache zugute, daß die Erbinformationen aller Lebewesen in der gleichen „Sprache“ geschrieben sind. Die virale „Gebrauchsanleitung“ zur Herstellung des Eiweißes kann somit auch von der Zuckerrübe gelesen und in ein fertiges Produkt umgesetzt werden. Einzige Voraussetzung: das entsprechende Gen muß auf die Rübe übertragen und dort möglichst dauerhaft ins eigene Erbgut integriert werden.

Die Molekularbiologen bedienten sich dazu eines Bodenbakteriums, welches auch unter natürlichen Bedingungen in der Lage ist, Erbsubstanz in Pflanzen einzuschmuggeln. Agrobacterium tumefaciens, so der wissenschaftliche Name der Mikrobe, ist deshalb rund um den Globus als „Genfähre“ im Einsatz. Die in Einbeck entwickelten Rüben trotzen – zumindest in Labors, Klimakammern und Gewächshäusern – schon seit Jahren dem Rizomania-Virus. Dort erklärte jetzt inmitten Tausender von Pflanzen der Vorstandsprecher der KWS, Andreas Büchting: „Jetzt ist der Zeitpunkt gekommen, die transgenen Zuckerrüben auch unter den praktischen Bedingungen der Landwirtschaft – in freier Natur also – zu testen.“

Ähnliche Versuche haben im Ausland bisher über l000 mal stattgefunden, in zwanzig Fällen wurde dabei mit Zuckerrüben experimentiert. Gemeinsam mit der KWS erhielt auch das Institut für Genbiologische Forschung Berlin (IGF) die Erlaubnis, gentechnisch veränderte Kartoffeln im Freiland zu testen. Durch das gezielte Abschalten einer Erbanlage ist es den Molekularbiologen gelungen, die Erdäpfel zu potenziellen Rohstofflieferanten für die Stärke-Industrie umzufunktionieren. Sobald die letzten Nachtfröste vorbei sind, sollen exakt 384 transgene Kartoffeln den Zuckerrüben im Freiland Gesellschaft leisten.

Stärke ist ein besonders vielseitiger Rohstoff, der unter anderem in der Papier- und Pappeherstellung, für Chemikalien und‘ Arzneimittel, für Klebstoffe und im Textilbereich benötigt wird. Auch für die Produktion umweltfreundlicher, biologisch abbaubarer Kunststoffe wird Stärke gebraucht. Dieser „Kunststoff“ könnte zukünftig auf dem Acker wachsen, hofft Professor Lothar Willmitzer vom IGF. Besser als gewöhnliche Kartoffeln seien dafür die genmanipulierten Pflanzen geeignet, weil diese nur noch eine statt der üblichen zwei verschiedenen Stärkeformen produzieren.

Der Bauer erhält so einen einheitlichen Rohstoff mit klar definierten Eigenschaften, dem auf dem freien Markt gute Absatzchancen eingeräumt werden. Doch bis dahin ist es für die transgenen Kartoffeln und Zuckerrüben noch ein weiter Weg: vermarktungsfähige Produkte, so heißt es in einer Erklärung der KWS, stehen frühestens um das Jahr 2000 zur Verfügung.

(mein erster Artikel für die „Stuttgarter Zeitung“, erscheinen am 17. April 1993)

Tumor Nekrose Faktor wird demnächst auch in Deutschland produziert

Ein vielgelobter Eiweißstoff, von dem man sich Erfolge bei der Be­handlung von Krebserkrankungen verspricht, darf jetzt auch in Deutsch­land hergestellt werden. Mit soforti­ger Wirkung wurde der BASF die Er­laubnis erteilt, jährlich 500 Gramm Tumor Nekrose Faktor (TNF) zu pro­duzieren, der mit Hilfe von gentech­nisch veränderten Bakterien gewon­nen wird.

Damit setzte die Stadt Ludwigsha­fen als zuständige Genehmigungsbe­hörde den Schlußstrich unter das Verfahren, das bereits im August 1989 begonnen wurde. In zwei Gutachten, erstellt von der Gesellschaft für Bio­technologische Forschung Braun­schweig und der Biologischen Bun­desanstalt für Land- und Forstwirt­schaft, war der Antrag geprüft wor­den. Dabei standen einerseits Fragen der Sicherheit im Umgang mit gen­technisch veränderten Organismen im Mittelpunkt der Untersuchungen, andererseits wurde auch die Fähig­keit der Mikroben untersucht, in der freien Natur zu überleben und sich auszubreiten.

Auch 634 Bürgereinwendungen ge­gen das Projekt wurden bearbeitet. Die Genehmigungsbehörden haben dabei „keine konkrete Gefahrdung von Arbeitnehmern, Lebewesen oder des Naturhaushaltes“ erkennen kön­nen, so Umweltdezernent Karl-Horst Tischbein. Das Risiko einer Freiset­zung von Bakterien sei als „außeror­dentlich gering“ anzusehen.

Wie Tischbein gestern vor Journali­sten bekanntgab, habe die Stadt den Sofortvollzug der Genehmigung ver­fügt, weil die schnelle Herstellung des neuen Medikamentes auch im öffent­lichen Interesse liege. Klagen gegen die Genehmigung, die mehrere Jahre in Anspruch nehmen könnten, haben dadurch keine aufschiebende Wir­kung mehr. Die Erlaubnis wurde auf der Grundlage des Bundesimmis­sionsschutzgesetzes erteilt. Zwar trat am 1. Juli vergangenen Jahres das Gentechnikgesetz in Kraft, doch war für die Abwicklung des Verfahrens das Datum des Antrages ausschlagge­bend.

TNF ist ein wichtiger Regulator des menschlichen Immunsystems und findet sich in winzigen Mengen im Blut. Durch die Übertragung der Erb­anlagen für TNF auf Bakterien kann die Substanz jetzt in verhältnismäßig großen Mengen hergestellt werden. Die Wirkung von TNF bei verschiede­nen Krebserkrankungen wird seit Jahren intensiv erforscht.

Am weitesten fortgeschritten sind dabei die klinischen Untersuchungen zur Behandlung von tumorbedingter Bauchwassersucht, einer äußerst schmerzhaften Begleiterscheinung mancher Krebserkrankungen. Auch beim Nierenzellkarzinom zeigt TNF bereits – in Kombination mit Interfe­ron – erste positive Ergebnisse. Mittlerweile hat die BASF-Tochter Knoll AG beim Bundesgesundheits­amt (BGA) die Zulassung von TNF als Arzneimittel beantragt. Wie ein Spre­cher der Firma sagte, rechnet man mit einer Bearbeitungsdauer von ca. 18 Monaten. Nach Prüfung durch das BGA soll in Brüssel ein europäisches „High-Tech-Verfahren“ eingeleitet werden. Dies habe den Vorteil, daß eine auf EG-Ebene ergangene Emp­fehlung von den nationalen Behörden unverzüglich in Zulassungsbescheide umgesetzt werden müsse.

„Die Biotechnologie hat sich mitt­lerweile zu einer so bedeutenden Me­thode der Stoffumwandlung gemau­sert, daß auch ein Weltunternehmen wie die BASF nicht darauf verzichten kann“, erklärte der Leiter des Zentra­len Hauptlaboratoriums, Dr. Werner Küsters. In einem brusthohen Stahl­gefäß mit der Nummer R65 könnten genetisch „umprogrammierte“ Coli­bakterien den Weltjahresbedarf von einem Kilogramm TNF binnen einer Woche herstellen, doch ist die Geneh­migung der Stadt Ludwigshafen auf 500 Gramm jährlich begrenzt. Auch diese Menge würde jedoch ausrei­chen, um ganz Europa zu versorgen. Besorgniserregend sei für ihn dabei allein die Tatsache, daß die Zulas­sungsunterlagen für den Betrieb die­ser Anlage mittlerweile mehr Platz benötigen als der Fermenter selbst, sagte Küsters.

(erschienen in „DIE WELT“, 10. Januar 1991)

Was wurde daraus? Als Anti-Krebsmittel sei TNF eine „gen-iale Totgeburt“, höhnte die TAZ etwa ein halbes Jahr nach Erscheinen meines Artikels. Begründung: „Die 20 von der BASF angeführten, mit TNF behandelten Eierstock-PatientInnen überlebten nämlich nur zwischen sechs und 62 Wochen. Der Bändigung der Bauchwassersucht standen zudem erhebliche Nebenwirkungen gegenüber (Fieber, Schocksyndrome)… Und so wartet das angebliche Krebs-Wundermittel noch immer auf seine Zulassung als Pharmakon.“ Zwar wurde eine von Boehringer Ingelheim hergestellte Variante des TNF unter dem Namen Tasonermin / Beromun im Jahr 1999 als Arzneimittel bei Weichteilsarkomen zugelassen, um Amputationen zu vermeiden oder den Patienten Linderung zu verschaffen, nachdem der Nutzen in 4 Studien mit 260 Patienten gezeigt worden war. Dennoch war TNF als Medikament eine Enttäuschung. Die Geschichte der TNF-Forschung ist damit jedoch nicht am Ende. Die BASF hatte nämlich bereits in den 1980er Jahren auch spezifische Hemmstoffe (Antikörper) gegen TNF zum Patent angemeldet. Diese Substanzen (Humira, Enbrel) lindern heute die Schmerzen von mehr als einer Million Rheumapatienten weltweit. Gut zehn Jahre lang – bis zum Auslaufen der Patente – gehörten sie zu den umsatzstärksten Medikamenten weltweit und brachten ihren Herstellern noch im Jahr 2018 Erlöse von mehr als 25 Milliarden Euro ein. Es hätte die größte Erfolgsgeschichte der deutschen Pharmaindustrie sein können. Dumm nur, dass man sich bei der BASF im Jahr 2001 entschlossen hatte, die komplette Pharmasparte zum Preis von 6,9 Milliarden an die US-Firma Abbott zu verkaufen

Dioxin – Ohne Grenzwerte keine Sanierung

Wie giftig ist Dioxin? Ab welcher Konzentration besteht eine gesundheitliche Gefährdung des Menschen? Wann müssen die Anwohner verseuchter Deponien evakuiert werden? Diese und andere Fragen standen im Mittelpunkt eines dreitägigen Expertentreffens, das gestern in Karlsruhe zu Ende ging.

Dioxin- hier im Kalottenmiodell – gilt als eine der giftigsten Substanzen für den Menschen

Das Symposium sollte Hilfestellung leisten bei der Beurteilung der Gefahren, die von Dioxinen und den verwandten Furanen ausgehen. Eine einheitliche Empfehlung für gesetzliche Grenzwerte konnten jedoch auch die versammelten Wissenschaftler nicht abgeben. Denn die Risiken, die von Dioxinen und Furanen ausgehen, wurden durchaus nicht von allen Experten gleich beurteilt.

Wie der Präsident des Bundesgesundheitsamtes (BGA), Professor Dieter Großklaus erläuterte, besteht allein die Familie der Dioxine aus über 250 verschiedenen Mitgliedern, von denen das als ,,Seveso-Gift“ bekannt geworden TCDD (2,3,7,8-Tetrachlordibenzo- p-dioxin) wohl das bekannteste sein dürfte. TCDD wurde wiederholt als die giftigste aller bekannten Substanzen bezeichnet, was bezüglich der Wirkung auf Meerschweinchen, Ratten und Mäuse auch experimentell nachgewiesen ist.

Beim Menschen führen bereits kleinste Mengen an TCDD zu schmerzhaften Hauterkrankungen (Chlorakne). Eine Schädigung von Zellen des Immunsystem konnte im Reagenzglas nachgewiesen werden. Bei Versuchstieren kann die Chemikalie Krebs auslösen und stört die Embryonalentwicklung.

Während die Nachweismethoden für die gefährlichen Gifte in den letzten Jahren immer weiter verfeinert wurden, bleibt die Frage, ab welcher Dioxin-Konzentration beim Menschen mit bleibenden Gesundheitsschäden gerechnet werden muss, weiter ungeklärt. Der vom Bundesumweltminister angepeilte Grenzwert für die Freisetzung von Dioxinen und Dibenzofuranen aus Müllverbrennungsanlagen fand jedoch weiten Zuspruch: Der Ausstoß soll demnach auf ein zehntel Nanogramm (Milliardstel Gramm) pro Kubikmeter Abluft begrenzt werden. Ziel der neuen Verordnung, die bereits in einem halben Jahr Rechtskraft erlangen könne, sei es, den modernsten Stand der Technik bei der Minimierung von Luftverunreinigungen zur Anwendung zu bringen.

Dies wäre ,,ein Schritt in die richtige Richtung“ so der Vertreter der hessischen Umweltverbände, Dr. Rolf Neidhardt. Gegenwärtig würden selbst modernste Anlagen noch das Hundertfache des angepeilten Grenzwertes ausstoßen und damit den größten Teil der Umweltbelastungen verursachen Dioxine entstehen außer bei der Verbrennung von chlorhaltigen Verbindungen auch bei deren Produktion, beim Gebrauch bleihaltigen Benzins und bei der Chlorbleiche von Papier- und Zellstoffen.

Messungen des BGA ergaben, dass Luft und Nahrungsmittel in industriellen Ballungsräumen wesentlich stärker mit Dioxinen und Furanen belastet sind als in ländlichen Gebieten. Dennoch scheint die Belastung der Bevölkerung in der Bundesrepublik recht gleichmäßig verteilt zu sein. Wie Großklaus erklärte, werden etwa 90 Prozent der Dioxine durch die Nahrung aufgenommen, die restlichen zehn Prozent mit der Atemluft und durch die Haut.

Eine weitere Belastung des Menschen kann in Innenräumen durch die Verwendung von Holzschutzmitteln auftreten, die Pentachlorphenol (PCP) enthalten. Beim Brand von PVC-haltigen Baustoffen und von bromhaltigen Flammschutzmitteln treten ebenfalls erhebliche Dioxinkonzentrationen auf.

Einheitlich Richtwerte für die Bewertung von Dioxinkonzentrationen im Boden forderte der baden-württembergische Umweltminister Erwin Vetter. Sanierungsmaßnahmen könnten ohne einheitliche Grenzwerte nicht effizient und sinnvoll durchgeführt werden.

(erschienen in der WELT am 18. Januar 1990)

Quellen: Symposium „Health Effects and Safety Assessment of Dioxin and Furans“ und Fachöffentliche Anhörung des Bundesgesundheitsamtes und des Umweltbundesamtes zu Dioxinen und Furanen“ in Karlsruhe vom 15.1. – 18.1.1990.

Was wurde daraus? Schon zum Ende des Jahres 1990 wurde mit der 17. Verordnung zur Durchführung des Bundesimmisionsschutzgesetzes ein Grenzwert für Müllverbrennungsanlagen festgelegt. Es folgten mehrere weitere Gesetze und Verordnungen mit dem Ziel, die Verbreitung von Dioxinen in der Umwelt zu begrenzen. Mit Erfolg: „Die Emissionen haben in den letzten Jahren deutlich abgenommen. Dieser Erfolg ist vor allem auf die verbesserte Abgasreinigung in den Müllverbrennungsanlagen zurückzuführen. Die – illegale – Abfallverbrennung im Kamin oder im Garten macht heute den bedeutendsten Anteil der Dioxinemissionen aus. Die wilde Verbrennung von einem Kilogramm Abfall belastet die Umwelt so stark wie die Entsorgung von zehn Tonnen in einer modernen Müllverbrennungsanlage.“, heißt es in der Wikipedia. Für weitere Informationen empfehlen wir die Seite „Dioxine“ des Umweltbundesamtes.

(letzte Aktualisierung 27. Februar 2016)