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Zellulose aus Mikroben

Zum ersten Mal ist jetzt gelungen, Zellulose in industriellem Maßstab mit Hilfe von gentechnisch veränderten Bakterien zu produzieren. Zellulose ist das häufigste Makromolekül der Erde und findet sich vorwiegend in den Zellwänden der Pflanzen. Die Substanz, welche aus unzähligen miteinander verknüpften Zuckermolekülen besteht, wird vorwiegend zur Herstellung von Papier benutzt. Eine Kooperation zwischen Professor Moshe Benziman von der Hebräischen Universität Jerusalem und der kalifornischen Biofirma Cetus erlaubt jetzt die Herstellung großer Mengen an Zellulose durch Bakterien der Art Acetobacter xylinum. Das neue Produkt soll schon in Kürze unter dem Namen „Cellulon“ auf den Markt kommen. Es besteht aus Fasern, die nur einen zehnmillionstel Meter Durchmesser haben; seine Oberfläche ist etwa 200 Mal größer als die von herkömmlichen Zellulosefibern. Durch diese Eigenschaften wird Cellulon für eine Reihe von Anwendungen interessant, die von der Kosmetik- und Lebensmittelproduktion bis hin zur Ölgewinnung reichen.

(erschienen in „DIE WELT“ am 27. April 1991)

Tumor Nekrose Faktor wird demnächst auch in Deutschland produziert

Ein vielgelobter Eiweißstoff, von dem man sich Erfolge bei der Be­handlung von Krebserkrankungen verspricht, darf jetzt auch in Deutsch­land hergestellt werden. Mit soforti­ger Wirkung wurde der BASF die Er­laubnis erteilt, jährlich 500 Gramm Tumor Nekrose Faktor (TNF) zu pro­duzieren, der mit Hilfe von gentech­nisch veränderten Bakterien gewon­nen wird.

Damit setzte die Stadt Ludwigsha­fen als zuständige Genehmigungsbe­hörde den Schlußstrich unter das Verfahren, das bereits im August 1989 begonnen wurde. In zwei Gutachten, erstellt von der Gesellschaft für Bio­technologische Forschung Braun­schweig und der Biologischen Bun­desanstalt für Land- und Forstwirt­schaft, war der Antrag geprüft wor­den. Dabei standen einerseits Fragen der Sicherheit im Umgang mit gen­technisch veränderten Organismen im Mittelpunkt der Untersuchungen, andererseits wurde auch die Fähig­keit der Mikroben untersucht, in der freien Natur zu überleben und sich auszubreiten.

Auch 634 Bürgereinwendungen ge­gen das Projekt wurden bearbeitet. Die Genehmigungsbehörden haben dabei „keine konkrete Gefahrdung von Arbeitnehmern, Lebewesen oder des Naturhaushaltes“ erkennen kön­nen, so Umweltdezernent Karl-Horst Tischbein. Das Risiko einer Freiset­zung von Bakterien sei als „außeror­dentlich gering“ anzusehen.

Wie Tischbein gestern vor Journali­sten bekanntgab, habe die Stadt den Sofortvollzug der Genehmigung ver­fügt, weil die schnelle Herstellung des neuen Medikamentes auch im öffent­lichen Interesse liege. Klagen gegen die Genehmigung, die mehrere Jahre in Anspruch nehmen könnten, haben dadurch keine aufschiebende Wir­kung mehr. Die Erlaubnis wurde auf der Grundlage des Bundesimmis­sionsschutzgesetzes erteilt. Zwar trat am 1. Juli vergangenen Jahres das Gentechnikgesetz in Kraft, doch war für die Abwicklung des Verfahrens das Datum des Antrages ausschlagge­bend.

TNF ist ein wichtiger Regulator des menschlichen Immunsystems und findet sich in winzigen Mengen im Blut. Durch die Übertragung der Erb­anlagen für TNF auf Bakterien kann die Substanz jetzt in verhältnismäßig großen Mengen hergestellt werden. Die Wirkung von TNF bei verschiede­nen Krebserkrankungen wird seit Jahren intensiv erforscht.

Am weitesten fortgeschritten sind dabei die klinischen Untersuchungen zur Behandlung von tumorbedingter Bauchwassersucht, einer äußerst schmerzhaften Begleiterscheinung mancher Krebserkrankungen. Auch beim Nierenzellkarzinom zeigt TNF bereits – in Kombination mit Interfe­ron – erste positive Ergebnisse. Mittlerweile hat die BASF-Tochter Knoll AG beim Bundesgesundheits­amt (BGA) die Zulassung von TNF als Arzneimittel beantragt. Wie ein Spre­cher der Firma sagte, rechnet man mit einer Bearbeitungsdauer von ca. 18 Monaten. Nach Prüfung durch das BGA soll in Brüssel ein europäisches „High-Tech-Verfahren“ eingeleitet werden. Dies habe den Vorteil, daß eine auf EG-Ebene ergangene Emp­fehlung von den nationalen Behörden unverzüglich in Zulassungsbescheide umgesetzt werden müsse.

„Die Biotechnologie hat sich mitt­lerweile zu einer so bedeutenden Me­thode der Stoffumwandlung gemau­sert, daß auch ein Weltunternehmen wie die BASF nicht darauf verzichten kann“, erklärte der Leiter des Zentra­len Hauptlaboratoriums, Dr. Werner Küsters. In einem brusthohen Stahl­gefäß mit der Nummer R65 könnten genetisch „umprogrammierte“ Coli­bakterien den Weltjahresbedarf von einem Kilogramm TNF binnen einer Woche herstellen, doch ist die Geneh­migung der Stadt Ludwigshafen auf 500 Gramm jährlich begrenzt. Auch diese Menge würde jedoch ausrei­chen, um ganz Europa zu versorgen. Besorgniserregend sei für ihn dabei allein die Tatsache, daß die Zulas­sungsunterlagen für den Betrieb die­ser Anlage mittlerweile mehr Platz benötigen als der Fermenter selbst, sagte Küsters.

(erschienen in „DIE WELT“, 10. Januar 1991)

Was wurde daraus? Als Anti-Krebsmittel sei TNF eine „gen-iale Totgeburt“, höhnte die TAZ etwa ein halbes Jahr nach Erscheinen meines Artikels. Begründung: „Die 20 von der BASF angeführten, mit TNF behandelten Eierstock-PatientInnen überlebten nämlich nur zwischen sechs und 62 Wochen. Der Bändigung der Bauchwassersucht standen zudem erhebliche Nebenwirkungen gegenüber (Fieber, Schocksyndrome)… Und so wartet das angebliche Krebs-Wundermittel noch immer auf seine Zulassung als Pharmakon.“ Zwar wurde eine von Boehringer Ingelheim hergestellte Variante des TNF unter dem Namen Tasonermin / Beromun im Jahr 1999 als Arzneimittel bei Weichteilsarkomen zugelassen, um Amputationen zu vermeiden oder den Patienten Linderung zu verschaffen, nachdem der Nutzen in 4 Studien mit 260 Patienten gezeigt worden war. Dennoch war TNF als Medikament eine Enttäuschung. Die Geschichte der TNF-Forschung ist damit jedoch nicht am Ende. Die BASF hatte nämlich bereits in den 1980er Jahren auch spezifische Hemmstoffe (Antikörper) gegen TNF zum Patent angemeldet. Diese Substanzen (Humira, Enbrel) lindern heute die Schmerzen von mehr als einer Million Rheumapatienten weltweit. Gut zehn Jahre lang – bis zum Auslaufen der Patente – gehörten sie zu den umsatzstärksten Medikamenten weltweit und brachten ihren Herstellern noch im Jahr 2018 Erlöse von mehr als 25 Milliarden Euro ein. Es hätte die größte Erfolgsgeschichte der deutschen Pharmaindustrie sein können. Dumm nur, dass man sich bei der BASF im Jahr 2001 entschlossen hatte, die komplette Pharmasparte zum Preis von 6,9 Milliarden an die US-Firma Abbott zu verkaufen

Pilz schützt Pflanze

Einen Pilz, der das Wachstum von Pflanzen fördert und gleichzeitig Schutz vor Schädlingen vermittelt, haben Forscher der Universität Perth entdeckt. Der als Steriler Roter Pilz (Sterile Red Fungus, SRF) bezeichnete Organismus gedeiht auf allen 40 bisher getesteten Pflanzenarten, von Getreidepflanzen wie Weizen bis hin zu den in Australien heimischen Eukalyptusbäumen.

Die infizierten Pflanzen wuchsen schneller, die Ernteerträge stiegen um bis zu 40 Prozent. Gleichzeitig wurden Infektionen der Wirtspflanzen durch andere Pilze verhindert. Der Sterile Rotpilz verhütet auch die in Australien weit verbreitete Wurzelfäule, derentwegen viele Anbaugebiete nicht genutzt werden können. Vermutlich sondert der Pilz einen Eiweißstoff ab, der auf die artverwandten Schädlinge wie ein Antimykotikum wirkt. Eine andere Substanz, ebenfalls noch nicht identifiziert, stimuliert gleichzeitig das Wachstum der Wirtspflanze.

Doch der Pilz besitzt weitere positive Eigenschaften. Es gibt Hinweise darauf, dass dieser Organismus auch in der Lage ist, geringe Mengen von Stickstoff aus der Luft zu gewinnen, der auf die Pflanze wie ein Düngemittel wirkt. Bisher war diese Fähigkeit nur von wenigen Bakterien und blau-grünen Algen bekannt.

Erste Freilandversuche haben gezeigt, dass die im Labor erzielten Ergebnisse auch unter natürlichen Bedingungen erreicht werden, Die australische Regierung hat jetzt rund 850000 Mark für weitere Forschungen zur Verfügung gestellt. Durch genetische Manipulation des Pilzes, so glauben einige Forscher, ließen sich schädlingsresistente Pflanzen produzieren, die selbst in der Lage sind, verschiedene Insektizide herzustellen. Dadurch könnten einige der Unkrautvernichtungsmittel, die derzeit in Gebrauch sind, überflüssig werden. Eine unkontrollierte Verbreitung des Pilzes ist nach Meinung der beteiligten Experten unwahrscheinlich, da er keine Sporen bilden kann.

(erschienen in der WELT am 28. April 1990)

Quelle: Wood, Ian: Plant fungus keeps its host in good health. New Scientist, 24. März 1990

Originalliteratur: Dewan MMSivasithamparam K: A plant-growth-promoting sterile fungus from wheat and rye-grass roots with potential for suppressing take-all. Transactions of the British Mycological Society Volume 91, Issue 4, December 1988, Pages 687-692

Was wurde daraus? Bei einer Nachrecherche im März 2017 konnte ich zwar den maßgeblichen Forscher Peter Keating aufspüren, der damals Forschungsdirektor bei Biotech International war. Leider hat sich der Sterile Rote Pilz aber nicht als Wunderwaffe für den Pflanzenschutz erwiesen, sondern ist wieder in der Versenkung verschwunden. Nicht einmal den korrekten wissenschaftlichen Namen dieses Organismus konnte ich ermitteln, obwohl er zumindest in einer DNA-Untersuchung erwähnt wurde.