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Gentherapie gegen Rheuma geplant

Nachdem ich die Redakteursstelle bei der WELT aufgegeben hatte, folgten meine ersten Jahre als Freier Journalist für Medizin & Wissenschaft. Häufig habe ich dann ein Thema mehreren Regionalzeitungen gleichzeitig angeboten, was vor dem Internet bei nicht überlappenden Verbreitungsgebieten der Print-Ausgaben problemlos möglich war. Manchmal wurde auch noch eine Fachversion erstellt, beispielsweise für das Deutsche Ärzteblatt oder die Ärzte-Zeitung, oder die Infos wurden als Teil eines größeren Artikels einem Magazin angeboten. Ein Beispiel ist dieser Text, den ich hier in 3 Versionen poste:

(Süddeutsche Zeitung, 26. August 1993, gekürzt in der Stuttgarter Zeitung am 28. August)

Eine neue Strategie gegen die schmerzhaften Gelenkkrankheiten Rheuma und Arthrose wollen Wissenschaftler in Düsseldorf und Pittsburgh gemeinsam erproben. Fast jeder zweite Bundesbürger über 65 leidet unter den Beschwerden, denen mit Medikamenten oftmals nicht beizukommen ist. Bei den gebräuchlichen Arzneien, die in Pillenform aufgenommen oder mit einer Spritze in die Blutbahn injiziert werden, kommt es außerdem häufig zu Nebenwirkungen, die dann ebenfalls mit Medikamenten gelindert werden müßen.

Durch einen Gentransfer in die Zellen der Gelenkinnenhäute gelang es den Molekularbiologen im Tierversuch an Kaninchen, das Problem an der Wurzel zu packen. Dabei wurden zunächst mit einer Arthroskopie Zellen aus dem erkrankten Gelenk entfernt. Anschließend schleußten die Forscher im Labor mit Hilfe von Fettkörperchen (Liposomen) das IRAP-Gen in die Zellen ein. Dadurch erhielten die kranken Zellen die Fähigkeit, ein Eiweiß herzustellen – das Interleukin-Rezeptor-Antagonist-Protein – welches das Hormon Interleukin 1 blockiert und dadurch der Rheumaentstehung entgegenwirkt.

Nachdem die genmanipuierten Zellen wieder in die Gelenke der Tiere zurücktransplantiert wurden, produzierten die Tiere das schützende Eiweiß bis zu sechs Wochen lang. Sowohl die für Rheuma typische Entzündung als auch die anschließende Zerstörung des Knorpels wurden dadurch verhindert. Hauptziel der Wissenschaftler ist es jetzt, die Wirksamkeit der transferierten Gene möglichst lange zu erhalten. Allzu häufige Eingriffe an den späteren Patienten mit den dazugehörigen Injektionen veränderter Zellen in die Gelenke wären nicht nur schmerzhaft und unpraktisch, sie könnten auch selbst zu neuen Entzündungen führen.

Die Drei-Mann-Firma Orthogen will als Träger des Projekts das Prinzip unter Leitung von Peter Wehling zur Anwendungsreife weiterentwickeln. Unterstützt wird Wehling dabei vom Minsterium für Wirtschaft, Mittelstand und Technologie des Landes Nordrhein-Westfalen, das insgesamt 1,25 Millionen Mark bereitstellt. Wehling, der etwa zwei Millionen Mark Kapital aufgebracht hat, hofft darauf, in „zwei bis drei Jahren“ die ersten menschlichen Patienten behandeln zu können. Das Konzept sieht vor, daß Gelenkhautinnenzellen dann jeweils von Spezialisten vor Ort entnommen und anschließend per Spezialtransport nach Düsseldorf gebracht werden, wo der Gentransfer stattfinden soll. Die genmanipulierten Zellen würden dann – so Wehlings Vision – zurückgeflogen und den Patienten während einer ambulanten Behandlung verabreicht.

(VDI-Nachrichten, 27. August 1993)

Rheuma und Arthrose könnten in zwei bis drei Jahren durch eine Gentherapie behandelt werden, so die Hoffnung von Peter Wehling, Leiter der Düsseldorfer Firma Orthogen. In Zusammenarbeit mit Wissenschaftlern der Universität Pittsburgh soll in der nordrhein-westfälischen Landeshauptstadt ein Verfahren entwickelt werden, bei dem bundesweit kranke Zellen aus den Gelenken der Patienten entnommen und anschließend in einem zentralen Labor korrigiert werden. Nach dem Rücktransport sollen die genmanipulierten Gelenkhautinnenzellen den Rheumakranken dann während einer ambulanten Behandlung wieder verabreicht werden.

Nach Angaben von Wehling leidet in Deutschland fast jeder zweite Rentner an den oft sehr schmerzhaften Gelenkkrankheiten Rheuma und Arthrose. Im Extremfall müßten täglich bis zu acht verschiedene Medikamente eingenommen werden.

Gegenüber den bisherigen Medikamenten hätte das gentechnische Verfahren den Vorteil, daß schützende Wirkstoffe direkt im Gelenkspalt produziert würden, statt den gesamten Organismus zu überschwemmen. Im Gegensatz zu herkömmlichen Arzneien, die in Pillenform oder als Spritze verabreicht werden, seien daher bei dem neuen Verfahren Nebenwirkungen nicht zu erwarten, erklärte der Begründer der Technologie, Professor Chris Evans von der Universität Pittsburgh.

Bisher wurde der Gentransfer in die betroffenen Zellen der Gelenkinnenhäute jedoch lediglich an Kaninchen erprobt. Dazu schlossen die Forscher ein Therapiegen in kugelförmige Fettkörperchen, (Liposomen) ein, die nach Kontakt mit der Zellmembran ihre Fracht in das Zellinnere entlassen. Die Zellen nutzten daraufhin bis zu sechs Wochen lang den molekularen Bauplan zur Herstellung eines Eiweißes, des Interleukin-Rezeptor-Antagonist-Proteins (IRAP). IRAP wiederum blockierte das Hormon Interleukin-1, welches bei der Rheumaentstehung eine entscheidende Rolle spielt.

Die Rechnung der Wissenschaftler ging auf; die für Rheuma und Arthrose typischen Entzündungen und Knorpelzerstörungen im Gelenk konnten bei den Tieren verhindert werden. Obwohl die Wirkungsdauer vor einer Anwendung des Verfahrens am Menschen noch wesentlich verlängert werden müßte, fördert das Ministerium für Wirtschaft, Mittelstand und Technologie des Landes Nordrhein-Westfalen das Projekt mit rund 1,25 Millionen Mark. Damit wolle man ein Standortsignal setzen für die Bio- und Gentechnologie und zur besseren Akzeptanz beitragen, erklärte Staatssekretär Hartmut Krebs: „Dies ist auch ein Stück PR zur Ermutigung von Wissenschaftlern in unserem Land.“

(unveröffentlichte Version für Deutsches Ärzteblatt vom 30. August 1993)

Eine Gentherapie gegen Rheuma und Arthrose soll in Zusammenarbeit zwischen der Universität Pittsburgh und der Düsseldorfer Firma Orthogen entwickelt werden. Das Vorhaben wird vom Ministerium für Wirtschaft, Mittelstand und Technologie des Landes Nordrhein-Westfalen mit 1,25 Millionen Mark gefördert. „Dies ist auch ein Stück PR zur Ermutigung von Wissenschaftlern in unserem Land“, sagte Staatsekretär Hartmut Krebs vor Journalisten in Düsseldorf.

Der Transfer von Genen mit antiarthritischen Eigenschaften in Gelenkhautinnenzellen wurde bisher allerdings lediglich bei Kaninchen erprobt. Dort gelang es der Arbeitsgruppe von Professor Chris Evans an der University of Pittsburgh School of Medicine durch Blockade des Rezeptors für Interleukin-1, Entzündungen und Zerstörung des Knorpels im Gelenk zu verhindern.

Ursprünglich hatte man versucht, Synovialzellen durch die Injektion von rekombinanten Retroviren direkt im Gelenk zu transduzieren. Dies scheiterte daran, daß Retroviren nur sich teilende Zellen infizieren können, die Gelenkhautinnenzellen aber lediglich eine sehr geringe mitotische Aktivität aufweisen. Dagegen war man beim Gentransfer in vitro erfolgreich: In Liposomen verpackte Kopien des IRAP-Gens wurden in Synovialzellen eingeschleust, die zuvor dem Gelenk entnommen worden waren. Nach Retransplantation produzierten die Zellen bis zu sechs Wochen lang das Interleukin-Rezeptor-Antagonist-Protein (IRAP).

Nebenwirkungen erwartet Evans von der neuen Methode nicht, da die eingeschleusten Gene im Gegensatz zu gebräuchlichen Medikamenten ihre Wirkung nur im Gelenkspalt entfalten würden. Da Evans beim Gentransfer auf den Einsatz von Retroviren verzichtet, schließt er eine Gefährdung der Patienten aus. „Bisher ist noch kein Empfänger fremder Gene als Folge solch einer Behandlung erkrankt.“

Innerhalb von „zwei bis drei Jahren“ soll das Verfahren jetzt zur klinischen Anwendung gebracht werden, sagte Orthogen-Geschäftsführer Peter Wehling. Wichtigstes Ziel der Wissenschaftler ist es dabei, die Dauer der Genexpression erheblich zu steigern. Der Orthopäde stellt sich dabei vor, daß lokal durch Arthoskopie gewonnene Synovialzellen nach Düsseldorf geflogen und dort im Speziallabor mit antiarthritischen Genen versehen werden. Anschließend – so Wehlings Vision – werden die Zellen in einer ambulanten Behandlung den Patienten vor Ort reimplantiert. Auch einen Preis kann der habilitierte Neuroimmunologe schon heute nennen: „Zwischen 10000 und 40000 Mark“ soll ein einzelner Gentransfer kosten.

Heftig kritisiert wurde Wehling unterdessen vom Präsidenten der Deutschen Gesellschaft für Rheumatologie, Professor Joachim R. Kalden:  „Das so darzustellen, ist gefährlich, unkritisch und falsch“, sagte Kalden gegenüber dem Ärtzeblatt.

Eine amerikanische Studie zur Inhibition von IL-1 habe bei weitem nicht den Erfolg gebracht, den man sich hätte vorstellen können, erklärte der Neuroimmunologe. Dagegen habe man mit der Hemmung von TNF- durch monoklonale Antikörper sowohl im Tierversuch als auch am Patienten sehr gute Erfolge erzielt.

„Ich meine, daß man in der Diskussion über die Hierarchie der Zytokine, die für die Perpetuation der Inflammation bei der chronischen Polyarthritis verantwortlich sind, noch ganz am Anfang steht. Es sieht so als, als ob IL-1 ein Kandidat sei, möglicherweise aber nicht der entscheidende. Jetzt schon Pressekonferenzen über eine Gentherapie bei der chronischen Polyarthritis zu entwickeln, halte ich für sehr gewagt.“

Quelle: Pressekonferenz und Telefonat, keine Fachpublikation.

Was wurde daraus? Nach dieser Ankündigung machte Prof. Wehling noch mehrfach Schlagzeilen, unter anderem im Jahr 2009 mit einem „Ersten Hinweis auf klinische Erfolge der Gentherapie„. Etabliert ist das Verfahren allerdings bis heute nicht. Bei der Firma Orthogen, die laut der Webseite Bionity.com inzwischen 25 Mitarbeiter hat, zielt man nun offenbar weniger hoch und bewirbt stattdessen mit Orthokin(R) „ein Medizinprodukt zur Herstellung Autologen Conditionierten Serums, das entzündungshemmende Zytokinantagonisten und Wachstumsfaktoren enthält“. Außerdem arbeitet man an einer „neuartigen Stammzelltechnologie zur Knorpelregeneration aus nicht-embryonalen Stammzellen“, die jedoch keine eigene Erfindung darstellt, sondern „exklusiv von Harvard lizensiert“ wurde. 

Noch kaum Gentech-Arzneien aus Deutschland

Auch wenn die Gentechnik immer häufiger die Schlagzeilen beherrscht – auf dem bundesdeutschen Arzneimittelmarkt spielen die Erzeugnisse der modernen Biologie vorerst nur eine untergeordnete Rolle, zumindest was die Zahl der zugelassenen Präparate betrifft. Rund 57000 Arzneimittel sind derzeit in deutschen Apotheken erhältlich. Unter ihnen befinden sich nach Angaben des Berliner Bundesgesundheitsamtes gerade 176 Präparate aus gentechnischer Produktion.

Selbst diese Zahl täuscht eine Vielfalt vor, die es gar nicht gibt: „Aus Gründen der Arzneimittelsicherheit“ wird jede Darreichungsform und jede Dosierung gesondert gezählt. Auch Medikamente, die unter verschiedenen Namen den gleichen Wirkstoff enthalten, werden jeweils separat erfaßt. Gentechnisch hergestelltes Insulin für Zuckerkranke erscheint deshalb gleich 60-mal auf der Liste. Den Markt teilen sich der dänische Biotechnologie-Konzern Novo Nordisk und die amerikanische Firma Eli-Lilly.

Die Frankfurter Hoechst AG, einer der weltweit größten Insulin-Produzenten, ist dagegen gezwungen, Insulin weiterhin aus den Bauchspeicheldrüsen geschlachteter Schweine zu isolieren. Täglich müssen dafür rund elf Tonnen tierischer Organe von 100000 Tieren verarbeitet werden. Zwar verfügt auch der deutsche Pharmariese über das Know-How zur gentechnischen Insulin-Herstellung samt zugehöriger Patente und einer 100 Millionen Mark teuren Produktionsanlage.

Was fehlt ist jedoch die erforderliche Produktionserlaubnis. Nach jahrelangem Streit mit der zuständigen Genehmigungsbehörde, dem Regierungspräsidium in Gießen, war zum 1. Januar zunächst der Probebetrieb genehmigt worden. In öffentlichen Anhörungen soll ab Juni der Antrag auf „Produktion von Humaninsulin mit gentechnisch veränderten Bakterien“ erörtert werden.

In Frankfurt macht man die im Gentechnikgesetz vorgeschriebene Öffentlichkeitsbeteiligung und die „politische Situation“ im rot-grün regierten Bundesland Hessen für die Verzögerungen verantwortlich. Der für die Biotechnologie zuständige Sprecher der Firma, Dr. Dieter Brauer, schildert die Konsequenzen aus den bisherigen Erfahrungen: „Es ist für uns nicht zumutbar, hier ein Produkt zu entwickeln. Unsere Anlagen in den USA, in Frankreich und in Japan wurden deshalb in den letzten 18 Monaten entsprechend ausgebaut.“ Ebenfalls im Ausland läßt Hoechst derzeit eine Reihe von Substanzen prüfen, vom blutgerinnsellösenden Eiweiß Hirudin bis zum Blutgerinnungsfaktor XIII.

Das Pech der Hoechster scheint auch deren Tochterfirma anzuhaften, den Marburger Behring-Werken, die erst kürzlich die Produktion von Erythropoietin (Epo) einstellen mußten. Im Patentstreit um das blutbildende Eiweiß zog man den Kürzeren gegenüber der amerikanischen Konkurrenz. Die juristische Auseinandersetzung bedroht auch den zweiten deutschen Epo-Anbieter, Boehringer Mannheim, wo die Bioreaktoren gegenwärtig allerdings noch weiterlaufen. Rund 20000 deutsche Dialysepatienten erhalten die Substanz regelmäßig um die Vermehrung der roten Blutkörperchen anzuregen und dadurch Müdigkeit und Leistungsschwäche zu bekämpfen. Gegen einen Mangel an weißen Blutkörperchen hat die US-Firma Amgen den Granulozyten-Kolonien-stimulierenden Faktor (G-CSF) verfügbar gemacht. Er trägt unter anderem dazu bei, die Nebenwirkungen einer Chemotherapie abzumildern.

Langsamer als erwartet verläuft indes die Markteinführung des Tumor Nekrose Faktors (TNF), der in der Krebstherapie und möglicherweise bei der Behandlung von Unfallopfern zum Einsatz kommen soll. Noch vor wenigen Jahren war die Fachwelt entzückt über die Fähigkeit des Moleküls, Krebsgeschwulste im Tierversuch regelrecht aufzulösen. Inzwischen mehren sich die Hinweise auf gravierende Nebenwirkungen, möglicherweise begünstigt TNF sogar die Entstehung von Tochtergeschwüren.

Trotz der gedämpften Erwartungen hält man bei der Ludwigshafener BASF-Tochter Knoll AG daran fest, daß die klinischen Daten die Weiterentwicklung rechtfertigten. Seit zwei Jahren liegt eine Produktionserlaubnis für jährlich 500 Gramm vor. Diese Menge wäre ausreichend, um ganz Europa zu versorgen – doch steht die gesetzliche Zulassung noch aus.

Weitgehend unberührt von den Problemen der deutschen Hersteller scheint man allein im schwäbischen Biberach. Dort produziert die Dr. Karl Thomae GmbH mit Hilfe gentechnisch veränderter Hamsterzellen den „menschlichen Plasminogenaktivator“. Das Eiweiß ist in der Lage, Blutgerinnsel innerhalb kürzester Zeit aufzulösen und kommt daher beim Herzinfarkt zum Einsatz. Im vergangenen Jahr erzielte das Medikament unter dem Marktnamen Actilyse einen weltweiten Umsatz von 155 Millionen Mark.

Doch selbst diese Bilanz offenbart bei näherer Betrachtung einige Schönheitsfehler: So wurde der überwiegende Teil der Entwicklungsarbeiten von der kalifornischen Pionierfirma Genentech geleistet. In Biberach produziert man lediglich als Lizenznehmer der Amerikaner. Außerdem kam eine groß angelegte klinische Studie (ISIS-III) zu dem Schluß, das Konkurrenzpräparat Streptokinase, das seit 17 Jahren mit konventionellen Methoden aus Bakterien isoliert wird, sei genauso wirksam wie der menschliche Plasminogenaktivator (t-PA) und würde überdies seltener zu schweren Nebenwirkungen führen. Der für die Krankenkassen gewichtigste Unterschied aber ist der Preis: t-PA kostet zehnmal so viel wie Streptokinase.

Verständlich, daß sich Professor Rolf Werner bemüht, die ISIS-Studie auseinander zu nehmen. Schuld sei das „weniger wirksame“ t-PA des Konkurrenten Wellcome, welches zum Vergleich herangezogen wurde, sagte der Leiter der biotechnologischen Produktion. Neue Studien, die allerdings noch nicht abgeschlossen sind, sollen schon bald die Überlegenheit des menschlichen t-PA über die bakteriellen Billigeiweiße untermauern.

Weniger wirksam als erhofft sind ohne Zweifel die Interferone, welche bis vor wenigen Jahren als „Wundermittel gegen den Krebs“ gepriesen wurden. Die vielen Vertreter dieser Substanzklasse werden auf dem deutschen Markt unter anderem von Hoffmann-La Roche, Schering-Plough, Basotherm und Biogen verkauft, nicht jedoch von einheimischen Unternehmen. Obwohl auch die Interferone den überhöhten Erwartungen nicht gerecht werden konnten, kommen sie heute im Kampf gegen verschiedene Hepatitisviren und gegen Herpes-Infektionen des Auges zum Einsatz. Außerdem haben sie sich bei einer seltenen Art von Blutkrebs und bei einer besonders schweren Form der Arthritis bewährt.

Die verwandten Interleukine werden seit vier Jahren als Therapeutika eingesetzt bei so verschiedenen Krankheiten wie Aids, Krebs und rheumatoider Arthritis. Ein halbes Dutzend Anbieter teilen sich hier den Markt, zumindest vorerst ohne deutsche Beteiligung. Weltweit stecken derzeit nach Angaben von Professor Jürgen Drews rund 140 gentechnisch produzierte Medikamente in der klinischen Prüfung. Der Forschungs- und Entwicklungskoordinator bei Hoffmann-La Roche schätzt, daß etwa ein Drittel dieser Produkte die Tests überstehen und in etwa sechs Jahren zur Verfügung stehen werden.

Trotz ihrer geringen Zahl haben die heute zugelassenen Produkte aus dem Genlabor dem Gros der „normalen“ Pillen und homöopathischen Mittelchen einiges voraus: Sie haben äußerst strenge Prüfverfahren hinter sich gebracht. Nur jedes fünfte in Deutschland erhältliche Medikament kann dies für sich in Anspruch nehmen. Der Rest wurde noch vor Inkrafttreten des Arzneimittelgesetzes 1978 auf den Markt geworfen und konnte wegen chronischer Überlastung der obersten Gesundheitswärter noch immer nicht auf Herz und Nieren geprüft werden.

(erschienen in den VDI-Nachrichten am 18. Juni 1993)

Erstmals Gentherapie gegen Hautkrebs erprobt

Zum ersten Mal haben Wissenschaftler die Methode der Gentherapie angewandt, um eine Krebserkrankung beim Menschen zu bekämpfen. Am Nationalen Gesundheitsinstitut im US-Bundesstaat Maryland wurden einer 29 Jahre alten Frau und einem 49jährigen Mann gentechnisch veränderte Blutzellen injiziert.

Man erhofft sich von dieser Behandlung Fortschritte zunächst bei der Bekämpfung des malignen Melanoms, einer bösartigen Form von Hautkrebs, die kaum zu behandeln ist und weltweit jährlich Tausende von Opfern fordert. Diese Form des Hautkrebses ist im Gegensatz zu den meisten anderen Arten nur selten heilbar.

Aufgabe der gentechnisch manipulierten Immunzellen ist es, den Bauplan für einen Eiweißstoff in die Nähe von wuchernden Krebszellen zu bringen. Dieser Eiweißstoff – es handelt sich um den Tumor Nekrose Faktor TNF – soll dann vor Ort seine Wirkung entfalten und auch sehr kleine Tochtergeschwüre (Metastasen) vernichten, die für das Skalpell des Chirurgen nicht zu erreichen sind.

Unter Leitung von Dr. Steven Rosenberg hatten die Arzte den beiden Patienten zunächst weiße Blutzellen entnommen, die sich in einem bösartigen Melanom angesammelt hatten. Diese Zellen des Immunsystems, deren Aufgabe unter anderem darin besteht, krebsartig entartete Zellen aufzuspüren und zu vernichten, sind beim malignen Melanom offensichtlich nicht in der Lage, Krebszellen wirkungsvoll zu bekämpfen. Kompliziert wird die Erkrankung vor allem dadurch, daß sich sehr schnell Tochtergeschwüre bilden, die die Funktion lebenswichtiger Organe behindern.

Um den entnommenen Zellen die Erbanlagen für TNF hinzuzufügen, benutzten Rosenberg und seine Kollegen French Anderson und Michael Blaese ein Virus als „Genfähre“. Das „Moloney-Mäuse-Leukämie-Virus“, welches nach Überzeugung der Forscher für den Patienten völlig ungefährlich ist, wurde zuvor künstlich geschwächt, um die Sicherheit noch weiter zu erhöhen.

Erfolg dieser Maßnahme: Die Viren können zwar das gewünschte Gen in die weißen Blutzellen des Patienten einschmuggeln; sie können sich im menschlichen Körper aber nicht mehr vermehren. Die veränderten Immunzellen vermehrten die Forscher dann massenhaft in Zellkulturen – ein Verfahren, das mehrere Wochen in Anspruch nimmt. In einem zweiten Schritt wurden die Zellen zu Milliarden in den Blutkreislauf der Patienten zurückgegeben. „Wir hoffen, die Tür zu einer neuen Art der Krebsbekämpfung zu öffnen, aber das Verfahren ist noch in einem sehr frühen Entwicklungsstadium“, dämpfte Rosenberg allzu hohe Erwartungen.

In dieser Studie wird vor allem die Sicherheit des Experimentes überprüft. Falls sich keine unvorhergesehenen Komplikationen ergeben, wird der Versuch auf zunächst 50 Patienten erweitert werden. Damit erreicht eine bislang 16jährige Forschungstätigkeit Rosenbergs ihren vorläufigen Höhepunkt, die darauf abzielt, die menschlichen Erbinformationen gezielt zur Krebsbekämpfung einzusetzen.

Vorausgegangen waren dem historischen Experiment ausgiebige Untersuchungen über den Verbleib von gentechnisch veränderten Zellen im menschlichen Körper. Dazu war den weißen Blutzellen bereits vor einem Jahr ein sogenanntes Marker-Gen eingepflanzt worden, mit dem sich die manipulierten Zellen von den unveränderten des Patienten unterscheiden ließen.

Der erste Versuch überhaupt, eine menschliche Krankheit mit Hilfe der Gentherapie zu heilen, wurde im September des vergangenen Jahres begonnen. Ein vier Jahre altes Mädchen, das unter einer äußerst seltenen Immunschwächekrankheit litt, zeigt nach vorläufigen Verlautbarungen bereits eine deutliche Besserung seines Gesundheitszustandes.

Das Eiweiß TNF, das jetzt in der Gentherapie erstmalig angewendet wurde, hatte schon vor Jahren in Zellkulturen und im Tierversuch seine Fähigkeit bewiesen, Tumoren zu bekämpfen und war eine der ersten Substanzen auf der langen Liste gentechnisch hergestellter Wirkstoffe. Auch in Deutschland darf diese Substanz seit kurzem mit Hilfe von genmanipulierten Bakterien produziert werden.

(erschienen in „DIE WELT“ am 31. Januar 1991)  

Was wurde daraus? Fast 30 Jahre nach Erscheinen dieses Artikels finde ich bei einer Literatursuche auf PubMed annähernd 20.000 Publikationen zum Thema. Mehr als 2000 dieser Artikel erwähnen klinische Studien, jedoch ist die „Impfung gegen Hautkrebs“ immer noch nicht in der Praxis angekommen. Mindestens zwei derartige Studien laufen derzeit auch in Deutschland, wie ich einem Bericht der Melanoma Research Alliance entnehme. Nach zahlreichen Enttäuschung auf diesem Gebiet halte ich mich mit der Berichterstattung zurück bis die Daten zu einer größeren Zahl von Patienten in einer renommierten Fachzeitschrift erscheinen.

Tumor Nekrose Faktor wird demnächst auch in Deutschland produziert

Ein vielgelobter Eiweißstoff, von dem man sich Erfolge bei der Be­handlung von Krebserkrankungen verspricht, darf jetzt auch in Deutsch­land hergestellt werden. Mit soforti­ger Wirkung wurde der BASF die Er­laubnis erteilt, jährlich 500 Gramm Tumor Nekrose Faktor (TNF) zu pro­duzieren, der mit Hilfe von gentech­nisch veränderten Bakterien gewon­nen wird.

Damit setzte die Stadt Ludwigsha­fen als zuständige Genehmigungsbe­hörde den Schlußstrich unter das Verfahren, das bereits im August 1989 begonnen wurde. In zwei Gutachten, erstellt von der Gesellschaft für Bio­technologische Forschung Braun­schweig und der Biologischen Bun­desanstalt für Land- und Forstwirt­schaft, war der Antrag geprüft wor­den. Dabei standen einerseits Fragen der Sicherheit im Umgang mit gen­technisch veränderten Organismen im Mittelpunkt der Untersuchungen, andererseits wurde auch die Fähig­keit der Mikroben untersucht, in der freien Natur zu überleben und sich auszubreiten.

Auch 634 Bürgereinwendungen ge­gen das Projekt wurden bearbeitet. Die Genehmigungsbehörden haben dabei „keine konkrete Gefahrdung von Arbeitnehmern, Lebewesen oder des Naturhaushaltes“ erkennen kön­nen, so Umweltdezernent Karl-Horst Tischbein. Das Risiko einer Freiset­zung von Bakterien sei als „außeror­dentlich gering“ anzusehen.

Wie Tischbein gestern vor Journali­sten bekanntgab, habe die Stadt den Sofortvollzug der Genehmigung ver­fügt, weil die schnelle Herstellung des neuen Medikamentes auch im öffent­lichen Interesse liege. Klagen gegen die Genehmigung, die mehrere Jahre in Anspruch nehmen könnten, haben dadurch keine aufschiebende Wir­kung mehr. Die Erlaubnis wurde auf der Grundlage des Bundesimmis­sionsschutzgesetzes erteilt. Zwar trat am 1. Juli vergangenen Jahres das Gentechnikgesetz in Kraft, doch war für die Abwicklung des Verfahrens das Datum des Antrages ausschlagge­bend.

TNF ist ein wichtiger Regulator des menschlichen Immunsystems und findet sich in winzigen Mengen im Blut. Durch die Übertragung der Erb­anlagen für TNF auf Bakterien kann die Substanz jetzt in verhältnismäßig großen Mengen hergestellt werden. Die Wirkung von TNF bei verschiede­nen Krebserkrankungen wird seit Jahren intensiv erforscht.

Am weitesten fortgeschritten sind dabei die klinischen Untersuchungen zur Behandlung von tumorbedingter Bauchwassersucht, einer äußerst schmerzhaften Begleiterscheinung mancher Krebserkrankungen. Auch beim Nierenzellkarzinom zeigt TNF bereits – in Kombination mit Interfe­ron – erste positive Ergebnisse. Mittlerweile hat die BASF-Tochter Knoll AG beim Bundesgesundheits­amt (BGA) die Zulassung von TNF als Arzneimittel beantragt. Wie ein Spre­cher der Firma sagte, rechnet man mit einer Bearbeitungsdauer von ca. 18 Monaten. Nach Prüfung durch das BGA soll in Brüssel ein europäisches „High-Tech-Verfahren“ eingeleitet werden. Dies habe den Vorteil, daß eine auf EG-Ebene ergangene Emp­fehlung von den nationalen Behörden unverzüglich in Zulassungsbescheide umgesetzt werden müsse.

„Die Biotechnologie hat sich mitt­lerweile zu einer so bedeutenden Me­thode der Stoffumwandlung gemau­sert, daß auch ein Weltunternehmen wie die BASF nicht darauf verzichten kann“, erklärte der Leiter des Zentra­len Hauptlaboratoriums, Dr. Werner Küsters. In einem brusthohen Stahl­gefäß mit der Nummer R65 könnten genetisch „umprogrammierte“ Coli­bakterien den Weltjahresbedarf von einem Kilogramm TNF binnen einer Woche herstellen, doch ist die Geneh­migung der Stadt Ludwigshafen auf 500 Gramm jährlich begrenzt. Auch diese Menge würde jedoch ausrei­chen, um ganz Europa zu versorgen. Besorgniserregend sei für ihn dabei allein die Tatsache, daß die Zulas­sungsunterlagen für den Betrieb die­ser Anlage mittlerweile mehr Platz benötigen als der Fermenter selbst, sagte Küsters.

(erschienen in „DIE WELT“, 10. Januar 1991)

Was wurde daraus? Als Anti-Krebsmittel sei TNF eine „gen-iale Totgeburt“, höhnte die TAZ etwa ein halbes Jahr nach Erscheinen meines Artikels. Begründung: „Die 20 von der BASF angeführten, mit TNF behandelten Eierstock-PatientInnen überlebten nämlich nur zwischen sechs und 62 Wochen. Der Bändigung der Bauchwassersucht standen zudem erhebliche Nebenwirkungen gegenüber (Fieber, Schocksyndrome)… Und so wartet das angebliche Krebs-Wundermittel noch immer auf seine Zulassung als Pharmakon.“ Zwar wurde eine von Boehringer Ingelheim hergestellte Variante des TNF unter dem Namen Tasonermin / Beromun im Jahr 1999 als Arzneimittel bei Weichteilsarkomen zugelassen, um Amputationen zu vermeiden oder den Patienten Linderung zu verschaffen, nachdem der Nutzen in 4 Studien mit 260 Patienten gezeigt worden war. Dennoch war TNF als Medikament eine Enttäuschung. Die Geschichte der TNF-Forschung ist damit jedoch nicht am Ende. Die BASF hatte nämlich bereits in den 1980er Jahren auch spezifische Hemmstoffe (Antikörper) gegen TNF zum Patent angemeldet. Diese Substanzen (Humira, Enbrel) lindern heute die Schmerzen von mehr als einer Million Rheumapatienten weltweit. Gut zehn Jahre lang – bis zum Auslaufen der Patente – gehörten sie zu den umsatzstärksten Medikamenten weltweit und brachten ihren Herstellern noch im Jahr 2018 Erlöse von mehr als 25 Milliarden Euro ein. Es hätte die größte Erfolgsgeschichte der deutschen Pharmaindustrie sein können. Dumm nur, dass man sich bei der BASF im Jahr 2001 entschlossen hatte, die komplette Pharmasparte zum Preis von 6,9 Milliarden an die US-Firma Abbott zu verkaufen