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Noch kaum Gentech-Arzneien aus Deutschland

Auch wenn die Gentechnik immer häufiger die Schlagzeilen beherrscht – auf dem bundesdeutschen Arzneimittelmarkt spielen die Erzeugnisse der modernen Biologie vorerst nur eine untergeordnete Rolle, zumindest was die Zahl der zugelassenen Präparate betrifft. Rund 57000 Arzneimittel sind derzeit in deutschen Apotheken erhältlich. Unter ihnen befinden sich nach Angaben des Berliner Bundesgesundheitsamtes gerade 176 Präparate aus gentechnischer Produktion.

Selbst diese Zahl täuscht eine Vielfalt vor, die es gar nicht gibt: „Aus Gründen der Arzneimittelsicherheit“ wird jede Darreichungsform und jede Dosierung gesondert gezählt. Auch Medikamente, die unter verschiedenen Namen den gleichen Wirkstoff enthalten, werden jeweils separat erfaßt. Gentechnisch hergestelltes Insulin für Zuckerkranke erscheint deshalb gleich 60-mal auf der Liste. Den Markt teilen sich der dänische Biotechnologie-Konzern Novo Nordisk und die amerikanische Firma Eli-Lilly.

Die Frankfurter Hoechst AG, einer der weltweit größten Insulin-Produzenten, ist dagegen gezwungen, Insulin weiterhin aus den Bauchspeicheldrüsen geschlachteter Schweine zu isolieren. Täglich müssen dafür rund elf Tonnen tierischer Organe von 100000 Tieren verarbeitet werden. Zwar verfügt auch der deutsche Pharmariese über das Know-How zur gentechnischen Insulin-Herstellung samt zugehöriger Patente und einer 100 Millionen Mark teuren Produktionsanlage.

Was fehlt ist jedoch die erforderliche Produktionserlaubnis. Nach jahrelangem Streit mit der zuständigen Genehmigungsbehörde, dem Regierungspräsidium in Gießen, war zum 1. Januar zunächst der Probebetrieb genehmigt worden. In öffentlichen Anhörungen soll ab Juni der Antrag auf „Produktion von Humaninsulin mit gentechnisch veränderten Bakterien“ erörtert werden.

In Frankfurt macht man die im Gentechnikgesetz vorgeschriebene Öffentlichkeitsbeteiligung und die „politische Situation“ im rot-grün regierten Bundesland Hessen für die Verzögerungen verantwortlich. Der für die Biotechnologie zuständige Sprecher der Firma, Dr. Dieter Brauer, schildert die Konsequenzen aus den bisherigen Erfahrungen: „Es ist für uns nicht zumutbar, hier ein Produkt zu entwickeln. Unsere Anlagen in den USA, in Frankreich und in Japan wurden deshalb in den letzten 18 Monaten entsprechend ausgebaut.“ Ebenfalls im Ausland läßt Hoechst derzeit eine Reihe von Substanzen prüfen, vom blutgerinnsellösenden Eiweiß Hirudin bis zum Blutgerinnungsfaktor XIII.

Das Pech der Hoechster scheint auch deren Tochterfirma anzuhaften, den Marburger Behring-Werken, die erst kürzlich die Produktion von Erythropoietin (Epo) einstellen mußten. Im Patentstreit um das blutbildende Eiweiß zog man den Kürzeren gegenüber der amerikanischen Konkurrenz. Die juristische Auseinandersetzung bedroht auch den zweiten deutschen Epo-Anbieter, Boehringer Mannheim, wo die Bioreaktoren gegenwärtig allerdings noch weiterlaufen. Rund 20000 deutsche Dialysepatienten erhalten die Substanz regelmäßig um die Vermehrung der roten Blutkörperchen anzuregen und dadurch Müdigkeit und Leistungsschwäche zu bekämpfen. Gegen einen Mangel an weißen Blutkörperchen hat die US-Firma Amgen den Granulozyten-Kolonien-stimulierenden Faktor (G-CSF) verfügbar gemacht. Er trägt unter anderem dazu bei, die Nebenwirkungen einer Chemotherapie abzumildern.

Langsamer als erwartet verläuft indes die Markteinführung des Tumor Nekrose Faktors (TNF), der in der Krebstherapie und möglicherweise bei der Behandlung von Unfallopfern zum Einsatz kommen soll. Noch vor wenigen Jahren war die Fachwelt entzückt über die Fähigkeit des Moleküls, Krebsgeschwulste im Tierversuch regelrecht aufzulösen. Inzwischen mehren sich die Hinweise auf gravierende Nebenwirkungen, möglicherweise begünstigt TNF sogar die Entstehung von Tochtergeschwüren.

Trotz der gedämpften Erwartungen hält man bei der Ludwigshafener BASF-Tochter Knoll AG daran fest, daß die klinischen Daten die Weiterentwicklung rechtfertigten. Seit zwei Jahren liegt eine Produktionserlaubnis für jährlich 500 Gramm vor. Diese Menge wäre ausreichend, um ganz Europa zu versorgen – doch steht die gesetzliche Zulassung noch aus.

Weitgehend unberührt von den Problemen der deutschen Hersteller scheint man allein im schwäbischen Biberach. Dort produziert die Dr. Karl Thomae GmbH mit Hilfe gentechnisch veränderter Hamsterzellen den „menschlichen Plasminogenaktivator“. Das Eiweiß ist in der Lage, Blutgerinnsel innerhalb kürzester Zeit aufzulösen und kommt daher beim Herzinfarkt zum Einsatz. Im vergangenen Jahr erzielte das Medikament unter dem Marktnamen Actilyse einen weltweiten Umsatz von 155 Millionen Mark.

Doch selbst diese Bilanz offenbart bei näherer Betrachtung einige Schönheitsfehler: So wurde der überwiegende Teil der Entwicklungsarbeiten von der kalifornischen Pionierfirma Genentech geleistet. In Biberach produziert man lediglich als Lizenznehmer der Amerikaner. Außerdem kam eine groß angelegte klinische Studie (ISIS-III) zu dem Schluß, das Konkurrenzpräparat Streptokinase, das seit 17 Jahren mit konventionellen Methoden aus Bakterien isoliert wird, sei genauso wirksam wie der menschliche Plasminogenaktivator (t-PA) und würde überdies seltener zu schweren Nebenwirkungen führen. Der für die Krankenkassen gewichtigste Unterschied aber ist der Preis: t-PA kostet zehnmal so viel wie Streptokinase.

Verständlich, daß sich Professor Rolf Werner bemüht, die ISIS-Studie auseinander zu nehmen. Schuld sei das „weniger wirksame“ t-PA des Konkurrenten Wellcome, welches zum Vergleich herangezogen wurde, sagte der Leiter der biotechnologischen Produktion. Neue Studien, die allerdings noch nicht abgeschlossen sind, sollen schon bald die Überlegenheit des menschlichen t-PA über die bakteriellen Billigeiweiße untermauern.

Weniger wirksam als erhofft sind ohne Zweifel die Interferone, welche bis vor wenigen Jahren als „Wundermittel gegen den Krebs“ gepriesen wurden. Die vielen Vertreter dieser Substanzklasse werden auf dem deutschen Markt unter anderem von Hoffmann-La Roche, Schering-Plough, Basotherm und Biogen verkauft, nicht jedoch von einheimischen Unternehmen. Obwohl auch die Interferone den überhöhten Erwartungen nicht gerecht werden konnten, kommen sie heute im Kampf gegen verschiedene Hepatitisviren und gegen Herpes-Infektionen des Auges zum Einsatz. Außerdem haben sie sich bei einer seltenen Art von Blutkrebs und bei einer besonders schweren Form der Arthritis bewährt.

Die verwandten Interleukine werden seit vier Jahren als Therapeutika eingesetzt bei so verschiedenen Krankheiten wie Aids, Krebs und rheumatoider Arthritis. Ein halbes Dutzend Anbieter teilen sich hier den Markt, zumindest vorerst ohne deutsche Beteiligung. Weltweit stecken derzeit nach Angaben von Professor Jürgen Drews rund 140 gentechnisch produzierte Medikamente in der klinischen Prüfung. Der Forschungs- und Entwicklungskoordinator bei Hoffmann-La Roche schätzt, daß etwa ein Drittel dieser Produkte die Tests überstehen und in etwa sechs Jahren zur Verfügung stehen werden.

Trotz ihrer geringen Zahl haben die heute zugelassenen Produkte aus dem Genlabor dem Gros der „normalen“ Pillen und homöopathischen Mittelchen einiges voraus: Sie haben äußerst strenge Prüfverfahren hinter sich gebracht. Nur jedes fünfte in Deutschland erhältliche Medikament kann dies für sich in Anspruch nehmen. Der Rest wurde noch vor Inkrafttreten des Arzneimittelgesetzes 1978 auf den Markt geworfen und konnte wegen chronischer Überlastung der obersten Gesundheitswärter noch immer nicht auf Herz und Nieren geprüft werden.

(erschienen in den VDI-Nachrichten am 18. Juni 1993)

Blutzucker in fünf Sekunden bestimmt

Biosensoren werden immer leistungsfähiger, immer kleiner und immer billiger. Schon heute können gut 100 verschiedene Stoffe mit den „biologischen Spürnasen“ nachgewiesen werden. In Zukunft sollen die hochempfindlichen Meßfühler, deren wichtigste Bestandteile Eiweiße oder Mikroorganismen sind, auch in der Medizin eine wichtige Rolle spielen.

Ein Gerät von der Größe eines Brillenetuis, das gestern in Bonn auf einer Veranstaltung des Forschungsministeriums (BMFT) vorgestellt wurde, könnte die Bestimmung des Blutzuckers für Deutschlands vier Millionen Diabetiker erleichtern. Der „Biosen Glukose 2000“ braucht lediglich einen Tropfen Blut, um in nur fünf Sekunden den Meßwert auf seiner Digitalanzeige zu präsentieren. Für 250 bis 300 Mark, die von der Krankenkasse ersetzt werden, soll das Gerät in wenigen Monaten auf den Markt kommen. Einzelne Messungen werden dann nur noch 30 Pfennig kosten – gegenüber einer Mark mit den üblichen Teststreifen.

Die Herstellerfirma (EKF Industrie Elektronik) hat ihren Sitz in Magdeburg. Aus einem Team von vier Ingenieuren ist inzwischen ein Kleinbetrieb von 17 Mitarbeitern geworden. Insgesamt 51 Projekte dieser Art hat das BMFT seit 1988 unter dem Stichwort „Biosensorik“ mit 65 Millionen Mark gefördert. Besonders in den neuen Ländern, wo schon 1972 der weltweit erste Biosensor patentiert wurde, setzt man auf die neue Technik, für die 1995 ein Weltmarkt von einer Milliarde Dollar vorausgesagt wird.

Eine weitere Verkleinerung der Fühler könnte dazu führen, daß in Zukunft der Blutzuckerspiegel direkt an der Bauchspeicheldrüse gemessen und automatisch die optimale Menge Insulin zugeführt wird. Allerdings müssen die Sensoren dafür wesentlich haltbarer gemacht werden.

(erscheinen in „DIE WELT“ am 6. Januar 1993)

Nur kontrollierte Gen-Forschung nützt

Das Wieslocher Jugendzentrum „Loch Ness“ hatte hochrangige Vertreter aller politischen Parteien in das Wieslocher Bürgerhaus eingeladen, um dort im Rahmen einer Podiumsdiskussion die verschiedenen Standpunkte zu erörtern.

Ebenfalls eingeladen war Ruben Scheller, Dipl. Biologe und Autor des Buches „Das Gen-Geschäft„, dem die Aufgabe zufiel, das Publikum in kurz gedrängter Form mit den Grundlagen dieser jungen Technologie vertraut zu machen. Vor den ca. 70, meist jugendlichen Zuhörern machte Scheller klar, welche ungeheuren Möglichkeiten dem Menschen durch Nutzung der Gentechnologie zur Verfügung stünden. Durch die Fähigkeit, Erbinformationen, die in Form von chemischen Molekülen festgelegt sind, aus den verschiedensten Organismen zu gewinnen, erhält der Mensch Zugriff auf die unvorstellbare Vielfalt an biologischen Substanzen die von Tieren, Pflanzen und Bakterien produziert werden. Da die Art und Weise, wie diese Erbinformationen in Biomoleküle übersetzt werden im Prinzip bei allen Organismen gleich ist, ist es heute möglich, Teile der Erbinformation – Gene genannt – zwischen verschiedenen Arten auszutauschen

Ein prominentes Beispiel für die Anwendung dieser Technik ist die Produktion von menschlichem Insulin in Bakterien, die im Begriff ist, die Gewinnung von Rinderinsulin aus den Drüsen von Schlachttieren zu ersetzen. Scheller machte klar, dass die Genmanipulation auch die Schaffung  neuer Lebensformen ermöglicht. Der Mensch wird zur formenden Kraft in der Evolution bis hin zu der Möglichkeit, seine eigenen Erbinformationen und damit sich selbst zu verändern.

Scheller bemängelte jedoch das Fehlen einer breiten Diskussion über Möglichkeiten und Gefahren  der Gentechnologie vor der Umsetzung in die Praxis. Als Beispiele für den Missbrauch dieser Technik nannte er die Entwicklung von Herbizid-resistenten Kulturpflanzen, was den Verbrauch an Pflanzengiften enorm steigern würde, sowie Forschungen an biologischen Waffen, die im Auftrag der Bundeswehr in der tierärztlichen Hochschule in Hannover statt fänden.

Für die SPD ergriff nun Gert Weisskirchen (MdB) das Wort. Er bezeichnete die Gentechnologie als ein Beispiel dafür, was Forschung alles bedeuten könne: Der Kampf gegen Krebs, Hunger oder AIDS wurden als Beispiele genannt. Forschung könne sehr positiv sein, wenn sie kontrolliert und in einem verantwortlichen Rahmen ablaufe. Mit dem Wissen wüchsen jedoch auch die Chancen der Manipulation und des Missbrauches.

Die Politik stünde dieser Entwicklung recht machtlos gegenüber, da die Freiheit der Wissenschaft gemäß Art. 5 des Grundgesetzes garantiert sei. Weisskirchen verwies jedoch auf die Enquete-Kommission des Bundestages, die sich neben anderen Richtlinien darauf geeinigt habe, keine Eingriffe in die menschliche Keimbahn zu erlauben und einen gesetzlichen Rahmen für die Gentechnologie zu schaffen.

Gert Schwander (MdL) der die Position der baden-württembergischen Grünen vertrat sagte, hinter der Gentechnologie stehe das Bestreben die Sprache des Lebens zu verstehen und das Ziel, das Stottern in dieser Sprache – die Erbkrankheiten – zu beseitigen. Obwohl er ursprünglich die Gentechnologie generell ablehnte, glaube er jetzt, dass deren Einsatz die einzige Chance bei der Bekämpfung von AIDS darstelle. Nach Schwandner favorisieren die Grünen im Landtag das dänische Modell eines generellen Verbotes der Gentechnologie, wobei Ausnahmen in bestimmten Fällen möglich sein sollen.

Michael Sieber (MdL), der für die CDU Fraktion im Landtag sprach, wollte keinerlei Eingriffe in die menschliche Keimbahn. Er persönlich lehne auch die Embryonenforschung insgesamt ab, jedoch gebe es hierfür zur Zeit keine Mehrheit in der Partei. Auch lehne die CDU die Leihmutterschaft und die künstliche Befruchtung mit fremden Spendersamen ab. Das Recht des Kindes müsse hier im Vordergrund stehen. Er sehe aber nichts unrechtes darin, etwa einem kinderlosen Ehepaar durch Vereinigung deren Keimzellen im Reagenzglas die Elternschaft zu ermöglichen.

In der anschließenden Diskussion mit nur geringer Publikumsbeteiligung wurden seitens Schwandners und Schellers Zweifel laut, ob derzeit bestehende Gesetze die Manipulation menschlicher Embryonen verhindern können. Einig waren sich die Diskussionsteilnehmer darin, dass die Gentechnologie nicht dazu dienen dürfe, das Leben an unlebenswerte Verhältnisse anzupassen.

Für Überraschung sorgte Scheller gegen Ende der Diskussion mit einer vorbereiteten Resolution, in der Verteidigungsminister Wörner aufgefordert wurde, auf jede weitere Finanzierung biotechnischer Projekte zu militärischen Zwecken zu verzichten. Abschließend brachten die Diskussionsteilnehmer die Hoffnung zum Ausdruck, daß sich die öffentliche Diskussion um Chancen und Risiken dieser Technologie vertiefen möge und boten ihre Teilnahme an einer evt. Folgeveranstaltung an, bei der dann auch Forscher, die auf diesem Gebiet arbeiten, zu Wort kommen sollten.

(erschienen in der Rhein-Neckar-Zeitung, 30. September 1987)