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Spindel-Transfer soll viele Erbkrankheiten verhindern

US-Forscher haben eine neue Technik entwickelt, mit der sich womöglich die Weitergabe von mindestens 150 Erbkrankheiten verhindern ließe. Der so genannte Spindel-Transfer erlaubt es, Erbmaterial aus zwei verschiedenen Eizellen neu zu kombinieren, sodass defekte Gene aus den „Kraftwerken“ (Mitochondrien) mütterlicher Zellen nicht mehr auf die nachfolgende Generation übertragen werden. Zum Beweis präsentierten die Wissenschaftler der Presse Fotos von drei gesunden, neugeborenen Rhesusaffen, die mit der neuen Technik gezeugt wurden.

"Spindler" heißt dieses Äffchen, das mit der neuen Technik gezeugt wurde (Bild: Oregon National Primate Research Center at OHSU)

"Spindler" heißt dieses Äffchen, das mit der neuen Technik gezeugt wurde (Bild: Oregon National Primate Research Center at OHSU)

„Wir glauben, dass diese Entdeckung sich schnell auch beim Menschen in Therapien gegen solche Erbkrankheiten ummünzen ließe, die von Müttern mit der Erbsubstanz der Mitochondrien auf ihre Kinder übertragen werden“, erklärte Shoukhrat Mitalipov, der das Forscherteam am Nationalen Primaten-Forschungszentrum der Oregon Health & Science Universität geleitet hat. Laut Mitalipov sind derzeit 150 solcher Krankheiten bekannt und etwa jedes 200ste Kind wird mit Mutationen in der Erbsubstanz der Mitochondrien geboren. Solche Gendefekte wurden in den vergangenen Jahren mit zahlreichen Leiden in Verbindung gebracht, darunter Diabetes, Krebs und Unfruchtbarkeit sowie Alzheimer, Parkinson und die Huntington-Krankheit.

Mitochondrien sind Gebilde im Inneren von Zellen. In ihnen laufen chemische Reaktionen ab, aus denen alle höheren Lebewesen die Energie für Stoffwechsel und Wachstum beziehen. Während der weitaus größte Teil aller Erbinformationen im Zellkern einschlossen ist, enthalten Mitochondrien zusätzlich eigene Erbsubstanz – die so genannte mitochondriale Desoxiribonukleinsäure (mtDNS). Wenn bei der Zeugung die sehr kleine Samenzelle in die wesentlich größeren Eizelle eindringt, entsteht ein Embryo, dessen Mitochondrien ausschließlich von der Mutter stammen. Dies ist der Grund, warum mitochondriale Erbkrankheiten nur von der Mutter weitergegeben werden, und deshalb haben die Forscher mit dem Spindel-Transfer auch ein Verfahren entwickelt, bei dem die Mitochondrien einer erblich vorbelasteten Mutter quasi ausgefiltert werden.

Bisher hat dies zwar „nur“ bei Affen geklappt, aufgrund der großen Ähnlichkeit zwischen den beiden Arten sollte der Spindel-Transfer beim Menschen jedoch technisch machbar sein. Allerdings müssten zuvor etliche ethische und juristische Probleme ausgeräumt werden, mahnt ein Kommentator in der Fachzeitschrift Nature. „Viele Paare stehen vor der unerfreulichen Wahl, entweder auf ein Kind zu verzichten, oder das Risiko einzugehen, eine behindernde Krankheit zu vererben.“ Dennoch werde die Erforschung von Reproduktionstechniken zur Verringerung dieses Risikos erschwert durch die Ansichten der Öffentlichkeit gegenüber Eingriffen in den natürlichen Lauf der Dinge. Zu zeigen, dass der Spindel-Transfer auch beim Menschen funktioniert wäre in vielen Ländern gesetzlich verboten. Dafür müssten eigens für Forschungszwecke Embryonen gezeugt werden, was etwa nach dem deutschen Embryonenschutzgesetz mit bis zu fünf Jahren Gefängnis bestraft würde. Während die Bezahlung von Eizell-Spenden für die Forschung fast weltweit geächtet ist, werden in manchen Befruchtungskliniken für die gleichen Eizellen tausende von Dollarn gezahlt, wenn sie von besonders attraktiven und intelligenten Frauen kommen, moniert der Nature-Kommentator weiter.

Theoretisch habe man gezeigt, dass sich die Übertragung mitochondrialer Erbkrankheiten verhindern ließe, betonte denn auch US-Forscher Mitalipov und fügte hinzu: „Wir glauben, dass mit entsprechender Genehmigung der Regierung unsere Arbeit schnell zu klinischen Versuchen beim Menschen führen könnte – und letztendlich auch zu erlaubten Therapien.“

Quelle:

Nachlese:

  • Unter dem Wust von Artikeln zum gleichen Thema habe ich beim Tagesspiegel Berlin diese Perle gefunden: Neue Kraftwerke für die Zelle. Bravo, Kai Kupferschmidt!

„Schwache und dumme Argumente“

Prof. Henning Beier war von 1993 bis 1995 Präsident der Deutschen Gesellschaft für Reproduktionsmedizin.  Im Interview zerlegt er die Argumente seiner Kollegen Hall und Stillmann zugunsten ihres Klon-Experimentes.

Was mag Dr. Hall zu seinem Experiment bewogen haben?

Ich glaube, das ist ohne tieferes Nachdenken erfolgt. Die Maßnahme an sich ist weder sensationell noch neu. Die Technik der identischen Mehrlingsbildung ist seit siebzig Jahren bekannt. Neu ist lediglich die von Dr. Hall entwickelte künstliche Eihülle, in der sich die menschlichen Embryonen weiterentwickeln konnten.

Das Verfahren könnte die Erfolgsquote bei künstlichen Befruchtungen erhöhen, behauptet Dr. Stillman

Für sich genommen ist diese Aussage durchaus realistisch. Zutreffend ist aber auch, daß bei Implantation von mehreren befruchteten Eizellen die Chance wächst, eine erfolgreiche Schwangerschaft zu erzielen. Da Eizellen in der Regel in ausreichender Zahl gewonnen werden, gibt es überhaupt keinen Grund, die auch noch zu teilen und mit dieser Technik zu vermehren. Das ist ein an den Haaren herbeigezogenes Argument, genauso wie die nachträglich vorgebrachte These, man habe die Reaktion der Öffentlichkeit testen wollen. Das ist ein ganz schwaches und dummes Argument.

Könnte man die Technik nutzen, um nach einer IVF die pränatale Diagnose zu verbessern?

Das wäre denkbar, ist aber deshalb nicht gerechtfertigt, weil die Entnahme einer oder mehrerer Zellen des Trophoblasten, die wenige Stunden später erfolgen kann, zu dem gleichen Ergebnis führen würde – ohne Mehrlingsbildung. Auch dieses Argument läßt die ethische Problematik außer Acht, die darin liegt, daß die Individualität des Menschen mißachtet wird, die mit der Fertilisation beginnt.

Hall und Stillman vergleichen ihr Verfahren mit der natürlichen Zwillingsbildung

Ich kann nicht irgendwelche Phänomene, die wir in der Natur beobachten, heranziehen, als Rechtfertigung für ein technisches Eingreifen des Menschen. Es ist unzulässig und naiv zu glauben, wir dürften Embryonen in der Forschung verbrauchen, weil „die Natur“ ohnehin mehr als die Hälfte der befruchteten Eizellen absterben läßt, bevor es zur Implantation kommt. Wir dürfen solche Ereignisse nicht als Maßstab für menschliches Handeln heranziehen.

 

US-Forscher klonen Menschen-Embryos

„Die Arbeiter trugen weiße Kittel, ihre Hände steckten in blassen, leichenfarbenen Gummihandschuhen…. Dreihundert Befruchter standen über ihre Instrumente gebeugt, als der Brut- und Normdirektor den Saal betrat.“ – Aldous Huxleys Schreckensvision einer „Schönen neuen Welt“, in der Familien abgeschafft und Menschen statt dessen am Fließband produziert werden, stammt aus dem Jahr 1932. Noch unter dem Eindruck des ersten Weltkrieges verlegte Huxley das Geschehen in die Mitte des kommenden Jahrtausends, in das „Jahr 632 nach Ford“. Fünfzehn Jahre später – der zweite Weltkrieg war gerade zu Ende gegangen – korrigierte er sich: „Heute scheint es durchaus möglich, daß uns dieser Schrecken binnen eines einzigen Jahrhunderts auf den Hals kommt.“ Und als die New York Times dann Ende Oktober letzten Jahres mit der Schlagzeile aufmachte „Wissenschaftler kloniert menschliche Embryonen“ schien es, als hätte eine explosive Mischung aus Forscherdrang, Pioniergeist und kindlicher Unbekümmertheit die düsteren Prognosen des Engländers schon jetzt an die Schwelle zur Realität gerückt.

Die Reproduktionsmediziner Jerry L. Hall und Robert J. Stillman, die an der George-Washington-Universität aus 17 menschlichen Embryonen 48 gemacht hatten, weisen derartige Vergleiche jedoch als unseriöse Spekulationen zurück. „Ich habe große Ehrfurcht vor allem menschlichen Leben“, sagte Hall nachdem der Vatikan seine Forschung als „pervers“ gebrandmarkt und der Technologiekritiker Jeremy Rifkin vom „Beginn des eugenischen Zeitalters“ gesprochen hatte. Die Zellhaufen hätten sich niemals entwickeln können, weil sie aus Eizellen hervorgegangen waren, die von mehreren Spermien gleichzeitig befruchtet wurden. „Wir haben diese Embryonen nicht implantiert, wir haben das auch nie beabsichtigt“, wiederholte der Direktor des IVF-Labors ein ums andere Mal im Kreuzfeuer der Fragen von Journalisten, Ethikern aber auch zahlreicher Kollegen. „Ich respektiere die Sorgen und Gefühle der Menschen, aber wir haben menschliches Leben in diesem Experiment weder geschaffen noch zerstört.“

Statt dessen wurden siebzehn Embryonen in ihre Bestandteile zerlegt. Die einzelnen Zellen umgaben die Wissenschaftler mit einer künstlichen Eihülle, anschließend beobachteten sie die deren weitere Entwicklung in einem Nährmedium. Nach durchschnittlich drei Zellteilungen stellten die Embryonen das Wachstum ein, einige Wenige erreichten das 32-Zell-Stadium, was einer sechstägigen Reifung entspricht. Je früher in der Entwicklung das Embryosplitting erfolgt, umso besser sind die Entwicklungschancen der „geklonten“ Nachfolger, notierte Hall, der damit eine Lehrbuchweisheit bestätigte.

Wie zwiespältig das Experiment beurteilt wird, zeigt allein die Tatsache, daß Hall und Stillman dafür in Deutschland nach dem Embryonenschutzgesetz bis zu fünf Jahren Haft gedroht hätte. Auf dem gemeinsamen Jahrestreffen der Amerikanischen Fertilitätsgesellschaft und der Kanadischen Gesellschaft für Fertilität und Andrologie war die Arbeit dagegen mit dem ersten Preis ausgezeichnet worden. Zustimmung kam auch aus Großbritannien, wo die Philosophin Mary Warnock, die immerhin einem Regierungskommitee zu Fragen der Fertilisation vorstand, keine Probleme im Tun der beiden Amerikaner erkennen konnte.

„Vernünftig“ sei der Standpunkt der Baronin, befand der „Economist“ in einem Leitartikel mit der Begründung, daß „spontane Klonierungen“ ständig passieren. Gemeint sind eineiige Zwillinge, und die seien genauso(wenig) identisch oder furchterregend wie geklonte Menschen.

Die Maßnahme an sich sei weder sensationell noch neu, die Technik der identischen Mehrlingsbildung seit siebzig Jahren bekannt, relativierte Professor Henning Beier, Präsident der Deutschen Gesellschaft zum Studium der Fertilität und Sterilität, die Arbeit der Amerikaner (s. Interview). In der Tierzucht wird davon auch reichlich Gebrauch gemacht. Das sogenannte „Embryosplitting“ nutzt die Tatsache, daß den, aus dem befruchteten Ei hervorgehenden Zellen, bis zur vierten oder fünften Teilung noch alle Möglichkeiten offen stehen. Sie sind totipotent, jede Einzelne von ihnen könnte wiederum einen kompletten Organismus bilden.

Huxley sprach phantasievoll vom „Bokanowskyverfahren“, bei dem die Zellen durch diverse Umweltreize zu immer neuen „Knospungen“ angeregt werden. Tatsache ist, daß durch die mikrochirurgische Aufteilung der frühen Zellen eines, aus genetisch Sicht vielversprechenden, Embryos auf mehrere Leihmütter schon ungezählte Hochleistungsrinder, Schweine und Schafe in die Welt gesetzt wurden.

Die Zellen verlieren allerdings bei der mikrochirurgischen Zerteilung des frühen Embryos ihre schützende Eihülle. Ohne diese „Zona pellucida“ gibt es jedoch keine Entwicklung. In der Tierzucht behilft man sich damit, die Eizellen genetisch weniger wertvoller Tiere zu „entkernen“. Beim Verschmelzen der zurückbleibenden Eihülle mit einer, durch Embryonensplitting gewonnen, Einzelzelle entsteht dann ein vollständiger Keim, der mit etwas Glück zum kompletten Organismus heranwächst. Die Gewinnung humaner Eizellen zu diesem Zweck hätte wohl kaum die Zustimmung einer Ethikkommission gefunden. Soweit bekannt wurde das Verfahren am Menschen niemals erprobt.

Dann entwickelte Hall eine künstliche Eihülle aus den Polysacchariden einer Seetang-Art. Diese Riesenmoleküle waren weit verzweigt, ordneten sich zu einer Schicht von idealer Dicke und adsorbierten große Mengen von Wassermolekülen. Die artifizielle Version der Zona pellucida kam dem natürlichen Vorbild in ihren Eigenschaften so nahe, daß Hall auch dafür einen Preis einheimste. Die Zustimmung der Ethikkommission des Medizinischen Zentrums der George Washington Universität verdankt er aber vor allem dem Kanadier Jeffrey Nisker, der an der Universitätsklinik von West-Ontario das Modell des „polyspermen Präembryo“ entwickelte – freilich mit einer ganz anderen Zielsetzung.

Durch die Befruchtung einer Eizelle mit mehreren Spermien kommt es dabei zu einer „Überdosis“ männlichen Erbmaterials, spätestens im 32-Zell-Stadium stoppt die Entwicklung. Stillman, der dem gesamten IVF-Programm der George-Washington-Universität vorsteht, konnte deshalb zu Recht darauf verweisen, daß man mit nicht entwicklungsfähigen Embryonen gearbeitet habe. Für den Fall, daß diese wider Erwarten doch länger als geplant überlebt hätten, wäre das Experiment nach sieben Tagen beendet worden. Man habe keine Pläne, diese Forschung auch mit normalen Embryonen zu betreiben, und wolle statt dessen lieber andere Forschungswege beschreiten.

Trotzdem zeigte sich Nisker entsetzt über den Einsatz „seines“ Modells bei einem Kloning-Versuch, dessen Relevanz er nicht zu erkennen vermag. „Wir haben dieses Modell entwickelt, um zu verhindern, daß menschliches Leben für Experimente benutzt wird“. Im Rahmen des Präimplantations-Screening Programms seiner Klinik werde es genutzt um bestimmte Techniken zu üben, die unmittelbar nach einer künstlichen Befruchtung die Diagnose schwerer Erbkrankheiten ermöglichen.

„Wir wollen Abtreibungen verhindern, indem wir den Frauen ein Screening anbieten, bevor sie schwanger werden“, erläuterte Nisker. „Als die Leute mir damals kritische Fragen stellten, habe ich geantwortet, die Ethikkommissionen würden den Versuch einer Klonierung verhindern  – und jetzt das. Hall und Stillman haben gezeigt, daß man Menschen klonieren kann, aber das wußten wir alle schon. Wenn man medizinische Forschung betreibt, sollte man Fragen stellen, die für Wohlergehen des Patienten von Bedeutung sind. Dies war hier nicht der Fall.“

Stillman begegnet derartiger Kritik mit dem Hinweis, das Embryosplitting biete die Möglichkeit, Kosten und Risiken der In-Vitro-Fertilisation für unfruchtbare Paare zu senken, und gleichzeitig die Erfolgsquote zu erhöhen, „indem man die Fähigkeit der Natur reproduziert, eieiige Zwillinge zu schaffen“. Dies wäre theoretisch für Frauen denkbar, denen nur eine einzige Eizelle zur Verfügung steht. Die Chance für eine erfolgreiche Schwangerschaft  liegt dann bei zehn Prozent. Wenn dagegen mehr als vier Embryonen gleichzeitig implantiert werden, steigt die Erfolgsrate dramatisch.

Normalerweise wird dies durch die medikamentöse Einleitung einer „Superovulation“ ermöglicht. Damit werden monatlich mehrere Eizellen gebildet, die dann gesammelt, befruchtet und anschließend implantiert werden können. Die identische Mehrlingsbildung wäre also – wenn überhaupt – lediglich bei Frauen sinnvoll, deren Ovarien bereits erschöpft sind, oder die aus anderen Gründen nicht genug Eizellen bilden können. Solch ein Szenario aber kommt, so schätzt Prof. Beier „einmal unter zehn Millionen“ vor. Es wäre also für die Praxis bedeutungslos.

Hunderte Wissenschaftler hätten einen Embryo in zwei Hälften teilen können, urteilte  Dr. Leeanda Wilton, Direktorin für Embryologie am IVF-Zentrum der australischen Monash-Universität. „Sie haben es nicht getan, weil sie wußten, daß sie damit eine Büchse voller Würmer geöffnet hätten“, sagte sie gegenüber dem amerikanischen Magazin Time.

Ähnlich scharf fällt das Urteil von Professor Peter Propping, Leiter des Instituts für Humangenetik der Universität Bonn aus: „Die Versuche hatten keinen wissenschaftlichen Zweck, die wollten nur in die Zeitung kommen.“ Vor der Bonner Wissenschaftspressekonferenz analysierte Professor Günter Altner vom Institut für Sozialethik der Universität Koblenz die Entwicklung: „Das Wünschbare wird machbar, die sich anschließenden Gewinnmöglichkeiten beschleunigen den Prozeß. Die Beteuerung der persönlichen Verantwortung des einzelnen Wissenschaftlers ist zu wenig und läßt eine bezeichnende Blauäugigkeit erkennen.“

Während Stillman noch auf  Pressekonerenzen das „fundamentale Recht auf Fortpflanzung“ beschwor, verabschiedete das Europaparlament eine Entschließung, in der die Klonierung menschlicher Embryonen, „selbst auf Versuchsbasis, im Rahmen von Fruchtbarkeitsbehandlungen oder aus sonstigen Gründen“ als „unethisch, moralisch verwerflich und nicht zu rechtfertigen“ gebrandmarkt wird.

Weltweit haben Kommissionen zur Reproduktionsbiologie in über 25 Ländern Vorschriften erlassen, die den Umgang mit den neuen Reproduktionstechniken regeln sollen. In den USA herrscht dagegen ein juristisches Vakuum. Es bleibt den Forschungsinstituten vorbehalten, eine Ethikkommission zu konsultieren – oder auch nicht.

Wolf-Michael Catenhusen, Vorsitzender des Forschungsausschußes des deutschen Bundestages wies darauf hin, daß die restriktive deutsche Politik auf diesem Gebiet in der Vergangenheit „vor allem in den angelsächsischen Ländern vielfach abgelehnt und bespötelt worden“ sei.

Zwar fließen seit der Amtszeit Ronald Reagans in den USA keine öffentlichen Gelder mehr in Experimente mit menschlichen Embryonen, doch steht genügend privates Geld aus Stiftungen zur Verfügung. Die Stiftungen wiederum finanzieren sich zu einem guten Teil aus den Erlösen der IVF-Zentren. Doch damit nicht genug: Die Vereinigten Staaten sind eines der wenigen Länder, in denen Eizellen und Spermien verkauft werden dürfen. Über 10000 Embryos schwimmen im Land der unbegrenzten Möglichkeiten tiefgefroren in flüssigem Stickstoff. Selbst wenn deren Eltern sie verkaufen wollten, stünden dem keine Gesetze im Wege.

Angesichts dieser längst bekannten Auswüchse der In-Vitro-Fertilisation sprach die Fachjournalistin Barbara Ehrenreich von einem „Element der Heuchelei im Wüten der Klonierungsgegner“. Eine Kultur, die diese Manipulationen gestattet, habe kein Recht, sich über den Versuch zu beschweren. „Die In-Vitro-Industrie gründet sich auf den Glauben, daß genetisches Material mancher Menschen mehr wert ist, als das anderer und es darum verdient, um jeden Preis vermehrt zu werden. Dies ist die marktwirtschaftliche Version der Eugenik, wo statt der Besten diejenigen vermehrt werden, die am besten zahlen.“ Allgemeine Zustimmung, so scheint es, hat Stillman nur mit einer Äußerung gefunden: „Eine nützliche Debatte hat begonnen.“

(verzögert und leicht bearbeitet erschienen in „Fortschritte der Medizin“, Band 112, Nr. 32 [1994])

Nur kontrollierte Gen-Forschung nützt

Das Wieslocher Jugendzentrum „Loch Ness“ hatte hochrangige Vertreter aller politischen Parteien in das Wieslocher Bürgerhaus eingeladen, um dort im Rahmen einer Podiumsdiskussion die verschiedenen Standpunkte zu erörtern.

Ebenfalls eingeladen war Ruben Scheller, Dipl. Biologe und Autor des Buches „Das Gen-Geschäft„, dem die Aufgabe zufiel, das Publikum in kurz gedrängter Form mit den Grundlagen dieser jungen Technologie vertraut zu machen. Vor den ca. 70, meist jugendlichen Zuhörern machte Scheller klar, welche ungeheuren Möglichkeiten dem Menschen durch Nutzung der Gentechnologie zur Verfügung stünden. Durch die Fähigkeit, Erbinformationen, die in Form von chemischen Molekülen festgelegt sind, aus den verschiedensten Organismen zu gewinnen, erhält der Mensch Zugriff auf die unvorstellbare Vielfalt an biologischen Substanzen die von Tieren, Pflanzen und Bakterien produziert werden. Da die Art und Weise, wie diese Erbinformationen in Biomoleküle übersetzt werden im Prinzip bei allen Organismen gleich ist, ist es heute möglich, Teile der Erbinformation – Gene genannt – zwischen verschiedenen Arten auszutauschen

Ein prominentes Beispiel für die Anwendung dieser Technik ist die Produktion von menschlichem Insulin in Bakterien, die im Begriff ist, die Gewinnung von Rinderinsulin aus den Drüsen von Schlachttieren zu ersetzen. Scheller machte klar, dass die Genmanipulation auch die Schaffung  neuer Lebensformen ermöglicht. Der Mensch wird zur formenden Kraft in der Evolution bis hin zu der Möglichkeit, seine eigenen Erbinformationen und damit sich selbst zu verändern.

Scheller bemängelte jedoch das Fehlen einer breiten Diskussion über Möglichkeiten und Gefahren  der Gentechnologie vor der Umsetzung in die Praxis. Als Beispiele für den Missbrauch dieser Technik nannte er die Entwicklung von Herbizid-resistenten Kulturpflanzen, was den Verbrauch an Pflanzengiften enorm steigern würde, sowie Forschungen an biologischen Waffen, die im Auftrag der Bundeswehr in der tierärztlichen Hochschule in Hannover statt fänden.

Für die SPD ergriff nun Gert Weisskirchen (MdB) das Wort. Er bezeichnete die Gentechnologie als ein Beispiel dafür, was Forschung alles bedeuten könne: Der Kampf gegen Krebs, Hunger oder AIDS wurden als Beispiele genannt. Forschung könne sehr positiv sein, wenn sie kontrolliert und in einem verantwortlichen Rahmen ablaufe. Mit dem Wissen wüchsen jedoch auch die Chancen der Manipulation und des Missbrauches.

Die Politik stünde dieser Entwicklung recht machtlos gegenüber, da die Freiheit der Wissenschaft gemäß Art. 5 des Grundgesetzes garantiert sei. Weisskirchen verwies jedoch auf die Enquete-Kommission des Bundestages, die sich neben anderen Richtlinien darauf geeinigt habe, keine Eingriffe in die menschliche Keimbahn zu erlauben und einen gesetzlichen Rahmen für die Gentechnologie zu schaffen.

Gert Schwander (MdL) der die Position der baden-württembergischen Grünen vertrat sagte, hinter der Gentechnologie stehe das Bestreben die Sprache des Lebens zu verstehen und das Ziel, das Stottern in dieser Sprache – die Erbkrankheiten – zu beseitigen. Obwohl er ursprünglich die Gentechnologie generell ablehnte, glaube er jetzt, dass deren Einsatz die einzige Chance bei der Bekämpfung von AIDS darstelle. Nach Schwandner favorisieren die Grünen im Landtag das dänische Modell eines generellen Verbotes der Gentechnologie, wobei Ausnahmen in bestimmten Fällen möglich sein sollen.

Michael Sieber (MdL), der für die CDU Fraktion im Landtag sprach, wollte keinerlei Eingriffe in die menschliche Keimbahn. Er persönlich lehne auch die Embryonenforschung insgesamt ab, jedoch gebe es hierfür zur Zeit keine Mehrheit in der Partei. Auch lehne die CDU die Leihmutterschaft und die künstliche Befruchtung mit fremden Spendersamen ab. Das Recht des Kindes müsse hier im Vordergrund stehen. Er sehe aber nichts unrechtes darin, etwa einem kinderlosen Ehepaar durch Vereinigung deren Keimzellen im Reagenzglas die Elternschaft zu ermöglichen.

In der anschließenden Diskussion mit nur geringer Publikumsbeteiligung wurden seitens Schwandners und Schellers Zweifel laut, ob derzeit bestehende Gesetze die Manipulation menschlicher Embryonen verhindern können. Einig waren sich die Diskussionsteilnehmer darin, dass die Gentechnologie nicht dazu dienen dürfe, das Leben an unlebenswerte Verhältnisse anzupassen.

Für Überraschung sorgte Scheller gegen Ende der Diskussion mit einer vorbereiteten Resolution, in der Verteidigungsminister Wörner aufgefordert wurde, auf jede weitere Finanzierung biotechnischer Projekte zu militärischen Zwecken zu verzichten. Abschließend brachten die Diskussionsteilnehmer die Hoffnung zum Ausdruck, daß sich die öffentliche Diskussion um Chancen und Risiken dieser Technologie vertiefen möge und boten ihre Teilnahme an einer evt. Folgeveranstaltung an, bei der dann auch Forscher, die auf diesem Gebiet arbeiten, zu Wort kommen sollten.

(erschienen in der Rhein-Neckar-Zeitung, 30. September 1987)