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Umweltbelastung durch Ammoniak

Der Geruch von kleinen Mengen Ammoniak wird häufig mit würziger Landluft gleichgesetzt. Wenn aber jährlich in Europa 8,5 Millionen Tonnen emittiert werden, so scheint die Frage angebracht, wie sich diese enormen Mengen auf unsere Umwelt auswirken. Von den 22 bis 35 Millionen Tonnen Ammoniak, die jährlich weltweit freigesetzt werden, ist nur ein Zwanzigstel natürlichen Ursprungs.

Ammoniak trägt erheblich zur Verunreinigung der Luft bei und wird als möglicher Mitverursacher des Waldsterbens gehandelt. So die Bilanz eines vergangene Woche in Braunschweig veranstalteten Symposiums zum Thema „Ammoniak und Umwelt“. Hauptquellen des Gases sind landwirtschaftliche Betriebe, die Massentierhaltung betreiben und Äcker mit flüssigem und festen Mist düngen.

Nicht schön: Mit Gülle offensichtlich überdüngter Acker ist eine der Hauptquellen für umweltschädliches Ammoniak (Von Rasbak – Eigenes Werk, CC BY-SA 3.0 via Wikipedia)

In Deutschland stammen mit über 500.000 Tonnen Ammoniak mehr als die Hälfte der Gesamtmengen vom Rindvieh, ein Fünftel aus der Schweinezucht und ein Viertel aus Düngemitteln, berechnete Dr. Willem Asman vom dänischen Umweltforschungsinstitut. In der Atmosphäre kann das einmal freigesetzte Ammoniak dann weiter reagieren. Es entsteht Ammonium NH4+, das ebenso wie Ammoniak als Düngemittel wirkt und in Form von Schwebstaub (Aerosol), Regen oder Schnee zur Erdoberfläche zurückkehrt.

Zwei Drittel aller stickstoffhaltigen Ablagerungen in Deutschland stammen aus den beiden Verbindungen Ammoniak und Ammonium. Jahreszeitliche Schwankungen in diesen Ablagerungen könnten unter anderem beim explosionsartigen Algenwachstum eine Rolle spielen, so Asman. Nicht alle Pflanzen jedoch profitieren von dem herabrieselnden Stickstoff. Mehr als zwei Drittel der bedrohten Gefäßpflanzen in Mitteleuropa bevorzugen eine stickstoffarme Umgebung, so dass es zum Rückgang bestimmter Arten kommt.

Obwohl Ammoniak und seine Abkömmlinge zunächst zu einer Wachstumssteigerung führen können, rufen überhöhte Ablagerungen eine Beschädigung der schützenden Wachsschicht auf den Blättern und eine bleibende Schädigung des Wurzelsystems hervor.

Was den höheren Pflanzen schadet, gereicht einigen hochspezialisierten Bakterienarten zum Vorteil. Durch den vermehrten Ammoniakgehalt der Luft scheinen Nitrifikanten ideale Wachstumsbedingungen vorzufinden. Zwei Gattungen dieser Mikroorganismen wandeln Ammoniak über einem Zwischenschritt zu Salpetersäure um.

In jüngster Zeit wurden die Bakterien, die sich normalerweise im Boden aufhalten, auch auf historisch wertvollen Gebäuden beobachtet, berichteten Eva Spieck und Dr. Wolfgang Sand vom Institut für Allgemeine Botanik an der Universität Hamburg. Im Rahmen eines Verbundprojektes des Forschungsministeriums, das mit jährlich über 13 Millionen Mark gefördert wird, wurden von der Hamburger Arbeitsgruppe um Professor Eberhard Bock fast 30 Gebäude untersucht, vom Kölner Dom bis zur Münchner Pinakothek.

Die mikrobiologische Untersuchung ergab ein erschreckendes Bild: Bis zu 10.000 Nitrifikanten machten sich an den untersuchten Gebäuden an einem Gramm Gestein zu schaffen und schädigten mit ihren Stoffwechselprodukten die wertvolle Bausubstanz. Dabei waren die Natur- und Kunststeine oft mehrere Zentimeter tief mit den Mikroorganismen befallen.

Die winzigen Organismen konnten in einer Simulationsanlage sogar im Beton ihre Spuren hinterlassen und den getesteten Sandstein durch Auswaschung von Calcium-Carbonat seiner Kittsubstanz berauben. Ob man die zunehmende Umweltbelastung durch Ammoniak und seine Reaktionsprodukte durch technische Maßnahmen wird lindern können, scheint zweifelhaft.

Dr. Klaus Isermann von der Landwirtschaftlichen Versuchsstation Limburger Hof der BASF verweist darauf, dass bei der Pflanzenproduktion etwa zwei Drittel der eingebrachten Nährstoffe genutzt werden, während dieser Wert für die Tierproduktion maximal 20 Prozent erreicht. Der größte Teil der inländischen Pflanzenfrucht wiederum endet als Futter in den Mägen, der Rinder und Schweine, sodass in der Gesamtbilanz der Landwirtschaft kaum ein Viertel des eingesetzten Stickstoffes genutzt wird.

(erschienen in der WELT am 16. Oktober 1990. Letzte Aktualisierung am 15. April 2017. Das Symposium wurde auch in Buchform zusammengefasst in: Ammoniak in der Umwelt, Kreisläufe, Wirkungen, Minderung)

Was ist daraus geworden? Das Problem ist nach all der Zeit noch immer ungelöst. Laut Umweltbundesamt sanken die Emmission zwischen 1990 und 2014 gerade mal um sieben Prozent. Und weiter: „Im Jahr 2015 wurden die Ammoniak-Emissionen aus dem Düngereinsatz in Deutschland anhand überarbeiteter Methoden komplett neu berechnet. Dabei ergaben sich deutlich höhere Emissionswerte als bisher angenommen. Im Ergebnis wird die nationale Emissionshöchstmenge auch im Jahr 2014 mit 740 Tsd. t massiv überschritten.“Ammoniak bleibt damit eines der am meisten unterschätzten Umweltgifte.

Symposium 5 Jahre Piracetam

Der Einsatz von Nootropika zur Behandlung von Hirnleistungsstörungen im Alter und hirnorganischem Psychosyndrom wurde ursprünglich mit großer Skepsis bedacht. Dennoch wird diese Medikamentengruppe in den neunziger Jahren wahrscheinlich das dynamischste Wachstumsgebiet im Bereich der Neuropsychopharmaka darstellen.

Ein ganzes Symposium drehte sich um diesen Wirkstoff: Piracetam (Von MarinaVladivostok via Wikipedia, CC0)

Über 600 Teilnehmer aus 15 Ländern waren im April in Athen zusammengekommen, um eine Bilanz über Piracetam, den „klassischen“ Vertreter dieser Medikamentenklasse, zu ziehen. Veranstalter des Symposiums „Piracetam: 5 Years Progress in Pharmacology & Clinics“ war die griechische Gesellschaft für Neurologie, als industrieller Sponsor trat das belgische Pharmaunternehmen UCB auf, das Piracetam als Nootrop® anbietet.

In seiner Begrüßungsansprache wies der Entdecker des Piracetams, Prof. Dr. Corneliu Giurgea (Universität Louvain, Belgien), darauf hin, dass dem Baby-Boom der siebziger Jahre ein „Geriatrie-Boom“ folgen müsse, der etwa um das Jahr 2010 zu erwarten sei. Zwar ist der Wirkungsmechanismus des Piracetams, das mit der Gammaaminobuttersäure verwandt ist, noch immer unbekannt, doch weiß man, dass sich dessen günstiger Effekt auf den gestörten Energiestoffwechsel des Gehirns unter anderem in der Stimulation des oxidativen Glukoseabbaus, Erhöhung von ATP-Umsatz und cAMP-Spiegel sowie einem verstärkten Phospholipidstoffwechsel manifestiert.

Zwei zusammenfassende Analysen über Wirkungen und Nebeneffekte dieses Nootropikums präsentierte Dr. Walter Deberdt (Medical Advisor UCB, Belgien). Die Resultate von 18 doppelblinden, plazebokontrollierten Studien an insgesamt 1195 älteren Patienten legten nahe, dass Piracetam zu einer generellen Verbesserung des zerebralen Alterungsprozesses führen könne, so Deberdt.

Die Auswertung von 57 Studien an 3372 Patienten ergab eine signifikante Häufung von Nebenwirkungen für die Piracetam-Behandlung, besonders bei Dosen von 4,8 Gramm täglich. So waren Hyperaktivität, Schlaflosigkeit, Nervosität, Somnolenz, Depressionen und Angstgefühle vermehrt zu beobachten. Da jedoch die Inzidenz der Nebenwirkungen niedrig sei (das Maximum bildete Hyperaktivität bei fünf Prozent der Patienten), überwiegt nach Deberdts Meinung der klinische Nutzen einer Piracetam-Behandlung das Risiko bei weitem.

Mehrere randomisierte, doppelblinde Studien belegten diesen Anspruch. So untersuchte Dr. Liliane Israel (CH.R.U. Grenoble, Frankreich) den Einfluss von Piracetam in Kombination mit Gedächtnistrainingsprogrammen auf 162 Patienten mit altersbedingten Gedächtnisstörungen (AAMI = Age Associated Memory Impairments).

Drei Gruppen von je 54 Patienten im durchschnittlichen Alter von 66 erhielten über einen Zeitraum von drei Monaten Placebo oder Piracetam in Dosen von 2,4 oder 4,8 Gramm täglich. Außerdem wurden die Patienten einmal wöchentlich in Gruppen zu zehn Personen von einem Psychologen im Gedächtnistraining unterwiesen. Die Bewertung der Gedchtnisfunktion wurde schwerpunktmäßig anhand der Vergeßlichkeit vorgenommen und psychometrisch (durch Bewertungsskalen, Fragebögen und Tests) sowie klinisch (basierend auf dem Urteil von Psychologe, Arzt und Patient) gemessen.

In der abschließenden Bewertung durch den Psychologen (gestaffelt in: keine, geringe, mittlere und starke Verbesserung) zeigte sich bei Patienten, die 4,8 Gramm Piracetam eingenommen hatten, eine starke Verbesserung in 42,5 Prozent der Fälle, und eine mittlere Verbesserung in 51 Prozent der Fälle. Bei Einnahme von täglich 2,4 Gramm Piracetam betrugen die entsprechenden Werte 11,5 und 70,5 Prozent (Plazebo: 2 und 20 Prozent). Bei Einnahme von täglich 4,8 Gramm Piracetam zeigten 53,5 Prozent der Probanden eine klinisch relevante Verbesserung der Gedächtnisfunktion. Für eine Dosis von 2,4 Gramm betrug dieser Wert 38 Prozent, und für Plazebo 22 Prozent.

Da die nachweisbaren Responderraten für die gegenwärtig verfügbaren Nootropika eher niedrig sind, sei es wichtig, für diese Medikamentenklasse eine Beziehung zwischen Kosten und Nutzen zu demonstrieren. Diese Meinung vertrat Prof. Dr. Werner Martin Herrmann (Arzneimittelforschung GmbH, Berlin), der sich mit den Auswirkungen einer Piracetam-Behandlung auf das Alltagsleben der Patienten befasste, beispielsweise auf das Ausmaß der Hilfsbedürftigkeit, auf sinnvolle Beschäftigung und Interaktion mit anderen Personen.

Herrmann erläuterte die Ergebnisse einer Phase-III-Studie an 130 stationären geriatrischen Patienten mit Hirnleistungsstörungen. Über einen Behandlungszeitraum von 12 Wochen erhielten jeweils die Hälfte der Patienten im Alter von 65 bis 85 Jahren täglich 4,8 Gramm Piracetam oder Placebo. Beurteilungsgrundlage für die Abschätzung des Behandlungserfolgs war vorwiegend eine Skala auf der Grundlage von ADL-(Activities of daily living). So wurde beispielsweise die „Hilfsbedürftigkeit des Patienten“ in der Beurteilung des Pflegepersonals betrachtet. Hier wurde nach Änderungen bei Aktivitäten wie Waschen, Anziehen, Essen oder Toilette gefragt, aber auch nach sinnvoller Beschäftigung und Interaktion mit anderen Personen. Während sich unter Placebo 23 Patienten verbesserten und 18 verschlechterten, besserten sich unter Piracetam 55 Patienten bei nur einer Verschlechterung. Herrmann ist der Meinung, dass diese deutliche Verbesserung auch außerhalb des klinischen Milieus Bedeutung haben dürfte. Wenn eine unterstützende Nootropika-Therapie die Pflegeabhängigkeit auch nur der Hälfte der Patienten geringfügig verringern würde, so die Argumentation, würde dies bereits eine entscheidende Möglichkeit eröffnen, den Anteil an sozialen Aktivitäten mit dem Pfleger zu erhöhen.

Der progressive Verlust der Autonomie stellt eines der größten Probleme des Alters dar. Die vollständige Auswertung einer Untersuchung aus dem Jahr 1986 über das Fahrverhalten älterer Personen fand daher besondere Beachtung. Die von Dr. Elke Ludemann (Arbeits- und Forschungsgemeinschaft für Verkehrsmedizin und Verkehrspsychologie, Köln) vorgetragene Untersuchung hatte ihren Schwerpunkt in der Fahrverhaltensbeobachtung unter realen Verkehrsbedingungen mit Beobachtungs- und Meßzeiten von durchschnittlich 110 Minuten pro Testfahrt.

Ein Vergleich des Fahrverhaltens älterer Menschen mit dem am wenigsten unfallbelasteten Altersbereich (30 bis 50 Jahre) zeigt eine Verlagerung des Risikopotentials von überhöhter Geschwindigkeit auf die Vorfahrtsverletzungen an Kreuzungen. 101 Kraftfahrer mit einem Durchschnittsalter von 62,2 Jahren, deren Reaktions- und Orientierungsleistungen am Wiener Determinationsgerät 50 Prozent oder weniger entsprachen, erhielten täglich 4,8 Gramm Piracetam oder Plazebo. Nach Abschluß des sechswöchigen Behandlungszeitraumes ergab sich beim Parameter „Orientierung“, der in enger Beziehung zu hohen Unfallzahlen steht, eine deutliche Verbesserung gegenüber dem Leertest für die Piracetamempfänger. Der Prozentsatz der richtig gelösten Aufgaben verbesserte sich signifikant von 77 auf 84 Prozent, während die Leistungen der Placebo-Empfänger unverändert blieben.

Neben einer Vielzahl von Studien über die Wirksamkeit des Piracetams bei akuten zerebralen Schädigungen, die an kleinen Patientenkollektiven vorgenommen wurden und sich oft an der Grenze zur Signifikanz bewegten, präsentierte Prof. Dr. Horst Herrschaft (Chefarzt der Neurologischen Klinik des Niedersächsischen Landeskrankenhauses Lüneburg) das Ergebnis einer randomisierten Doppelblindstudie mit 44 Patienten im Alter von 29 bis 80 Jahren mit ischämischen zerebralen Insult. Zusätzlich zur Standard-Hämodilutionstherapie erhielten die 23 Patienten der Verumgruppe während der ersten zwei Behandlungswochen dreimal täglich 4,8 Gramm Piracetam i.v., danach für weitere zwei Wochen 4,8 Gramm Piracetam täglich oral.

Alle Parameter zeigten eine Überlegenheit der Piracetambehandlung, für Paresen, Aphasien, Bewusstseinsstörungen und das EEG statistisch signifikant. Die Gesamtbesserungsrate unter der Kombinationstherapie Dextran/Piracetam übertraf die Standardtherapie um 30 Prozent, ein Ergebnis, das auch von klinischer Relevanz sein dürfte.

(Mein erster Artikel für das Deutsche Ärzteblatt, erschienen in gekürzter Form am 26. Juli 1990. Letzte Aktualisierung am 14. März 2017)

Quelle: Symposium Piracetam: 5 Years Progress in Pharmacology & Clinics. Athen, 29. April 1990. (Reisekosten und Unterkunft wurden bezahlt von UCB)

Was ist daraus geworden? Der Begriff Nootropikum ist unscharf, und Piracetam wird heute eher als Antidementivum eingeordnet, also als ein Mittel gegen Gedächtnisstörungen. Der „Geriatrie-Boom“, den Prof. Giurgea für das Jahr 2010 vorhergesagt hatte, ist tatsächlich eingetroffen. Die wohl schwerste Hirnleistungsstörung im Alter – die Alzheimer-Demenz – wird heute indes mit anderen Medikamenten behandelt.

Die Arzneimittelkommission der Deutschen Ärzteschaft stellte im Jahr 2004 fest, dass viele der älteren Studien mit Piracetam methodische Schwächen hätten. Dort wird auch auf eine Literaturanalyse der Cochrane Collaboration verwiesen, wonach Piracetam zwar den klinischen Gesamteindruck verbessert, nicht aber die Hirnleistung.

Die Deutsche Gesellschaft für Neurologie listet Piracetam in ihrer 2016 veröffentlichten Leitlinie Demenz unter „andere Wirkstoffe“ zusammen mit Nicergolin, Hydergin, Phosphatidylcholin (Lecithin), Nimodipin, Cerebrolysin und Selegilin. Sie DGN hält die Beweislage für all diese Substanzen bei der Alzheimer-Demenz für unzureichend, und urteilt: „Eine Behandlung wird nicht empfohlen.“

Unterdessen wird Piracetam von UCB außer unter dem Markennamen Nootrop™ auch als Nootropil®, Noostan™ und Nootropyl™ verkauft, und ist in mehr als 100 Ländern zugelassen. Allerdings wird dieser Wirkstoff auch illegal – das heißt ohne ärztliches Rezept – von gesunden Menschen eingenommen, die sich davon eine höhere Hirnleistung versprechen. Über dieses „Hirn-Doping“ habe ich seitdem mehrfach geschrieben und bin noch immer der Meinung, dass eine Tasse Kaffee mindestens ebenso gut wirkt, besser schmeckt, und keine Nebenwirkungen hat.

Dioxin – Ohne Grenzwerte keine Sanierung

Wie giftig ist Dioxin? Ab welcher Konzentration besteht eine gesundheitliche Gefährdung des Menschen? Wann müssen die Anwohner verseuchter Deponien evakuiert werden? Diese und andere Fragen standen im Mittelpunkt eines dreitägigen Expertentreffens, das gestern in Karlsruhe zu Ende ging.

Dioxin- hier im Kalottenmiodell – gilt als eine der giftigsten Substanzen für den Menschen

Das Symposium sollte Hilfestellung leisten bei der Beurteilung der Gefahren, die von Dioxinen und den verwandten Furanen ausgehen. Eine einheitliche Empfehlung für gesetzliche Grenzwerte konnten jedoch auch die versammelten Wissenschaftler nicht abgeben. Denn die Risiken, die von Dioxinen und Furanen ausgehen, wurden durchaus nicht von allen Experten gleich beurteilt.

Wie der Präsident des Bundesgesundheitsamtes (BGA), Professor Dieter Großklaus erläuterte, besteht allein die Familie der Dioxine aus über 250 verschiedenen Mitgliedern, von denen das als ,,Seveso-Gift“ bekannt geworden TCDD (2,3,7,8-Tetrachlordibenzo- p-dioxin) wohl das bekannteste sein dürfte. TCDD wurde wiederholt als die giftigste aller bekannten Substanzen bezeichnet, was bezüglich der Wirkung auf Meerschweinchen, Ratten und Mäuse auch experimentell nachgewiesen ist.

Beim Menschen führen bereits kleinste Mengen an TCDD zu schmerzhaften Hauterkrankungen (Chlorakne). Eine Schädigung von Zellen des Immunsystem konnte im Reagenzglas nachgewiesen werden. Bei Versuchstieren kann die Chemikalie Krebs auslösen und stört die Embryonalentwicklung.

Während die Nachweismethoden für die gefährlichen Gifte in den letzten Jahren immer weiter verfeinert wurden, bleibt die Frage, ab welcher Dioxin-Konzentration beim Menschen mit bleibenden Gesundheitsschäden gerechnet werden muss, weiter ungeklärt. Der vom Bundesumweltminister angepeilte Grenzwert für die Freisetzung von Dioxinen und Dibenzofuranen aus Müllverbrennungsanlagen fand jedoch weiten Zuspruch: Der Ausstoß soll demnach auf ein zehntel Nanogramm (Milliardstel Gramm) pro Kubikmeter Abluft begrenzt werden. Ziel der neuen Verordnung, die bereits in einem halben Jahr Rechtskraft erlangen könne, sei es, den modernsten Stand der Technik bei der Minimierung von Luftverunreinigungen zur Anwendung zu bringen.

Dies wäre ,,ein Schritt in die richtige Richtung“ so der Vertreter der hessischen Umweltverbände, Dr. Rolf Neidhardt. Gegenwärtig würden selbst modernste Anlagen noch das Hundertfache des angepeilten Grenzwertes ausstoßen und damit den größten Teil der Umweltbelastungen verursachen Dioxine entstehen außer bei der Verbrennung von chlorhaltigen Verbindungen auch bei deren Produktion, beim Gebrauch bleihaltigen Benzins und bei der Chlorbleiche von Papier- und Zellstoffen.

Messungen des BGA ergaben, dass Luft und Nahrungsmittel in industriellen Ballungsräumen wesentlich stärker mit Dioxinen und Furanen belastet sind als in ländlichen Gebieten. Dennoch scheint die Belastung der Bevölkerung in der Bundesrepublik recht gleichmäßig verteilt zu sein. Wie Großklaus erklärte, werden etwa 90 Prozent der Dioxine durch die Nahrung aufgenommen, die restlichen zehn Prozent mit der Atemluft und durch die Haut.

Eine weitere Belastung des Menschen kann in Innenräumen durch die Verwendung von Holzschutzmitteln auftreten, die Pentachlorphenol (PCP) enthalten. Beim Brand von PVC-haltigen Baustoffen und von bromhaltigen Flammschutzmitteln treten ebenfalls erhebliche Dioxinkonzentrationen auf.

Einheitlich Richtwerte für die Bewertung von Dioxinkonzentrationen im Boden forderte der baden-württembergische Umweltminister Erwin Vetter. Sanierungsmaßnahmen könnten ohne einheitliche Grenzwerte nicht effizient und sinnvoll durchgeführt werden.

(erschienen in der WELT am 18. Januar 1990)

Quellen: Symposium „Health Effects and Safety Assessment of Dioxin and Furans“ und Fachöffentliche Anhörung des Bundesgesundheitsamtes und des Umweltbundesamtes zu Dioxinen und Furanen“ in Karlsruhe vom 15.1. – 18.1.1990.

Was wurde daraus? Schon zum Ende des Jahres 1990 wurde mit der 17. Verordnung zur Durchführung des Bundesimmisionsschutzgesetzes ein Grenzwert für Müllverbrennungsanlagen festgelegt. Es folgten mehrere weitere Gesetze und Verordnungen mit dem Ziel, die Verbreitung von Dioxinen in der Umwelt zu begrenzen. Mit Erfolg: „Die Emissionen haben in den letzten Jahren deutlich abgenommen. Dieser Erfolg ist vor allem auf die verbesserte Abgasreinigung in den Müllverbrennungsanlagen zurückzuführen. Die – illegale – Abfallverbrennung im Kamin oder im Garten macht heute den bedeutendsten Anteil der Dioxinemissionen aus. Die wilde Verbrennung von einem Kilogramm Abfall belastet die Umwelt so stark wie die Entsorgung von zehn Tonnen in einer modernen Müllverbrennungsanlage.“, heißt es in der Wikipedia. Für weitere Informationen empfehlen wir die Seite „Dioxine“ des Umweltbundesamtes.

(letzte Aktualisierung 27. Februar 2016)