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Dioxin – die Fakten

Seveso ist überall heißt ein Klassiker der Umweltschutz-Literatur. Untertitel des 1989 erschienen Werkes von Egmont R. Koch und Fritz Vahrenholt: „Die tödlichen Risiken der Chemie.“ Es steht auch in meinem Bücherschrank und hat wesentlich zur Sensibilisierung gegenüber der Umweltverschmutzung beigetragen. Der so aufgebaute Druck dürfte wesentlich dazu beigetragen haben, dass innerhalb weniger Jahre sehr strenge Schutzmaßnahmen ergriffen wurden und die Belastung durch das „Supergift“ deutlich gesunken ist. Wer es etwas genauer wissen will findet hier einen Artikel, den ich anhand der Unterlagen zum 2. Internationalen Dioxin-Symposium in Berlin für die Pharmazeutische Zeitung vom 9. September 1993 geschrieben habe:

Obwohl in Deutschland heute wesentlich weniger Dioxine und Furane freigesetzt werden als noch vor einigen Jahren, sind weitere Maßnahmen möglich und erforderlich, um die Schadstoffbelastung der Umwelt zu reduzieren. Diese Forderung erhoben Experten des Bundesgesundheitsamtes und des Umweltbundesamtes kürzlich in einem Sonderheft des Bundesgesundheitsblattes.

Die Ableitung einer »gesundheitlich unschädlichen« Dosis wird erschwert durch einen Mangel an verwertbaren Hinweisen aus epidemiologischen Studien am Menschen. Der Beweis einer krebserzeugenden Wirkung von niedrigen Dosen des »Seveso-Giftes« 2,3,7,8-Tetrachlor-Dibenzo-p-Dioxin steht für den Menschen noch aus, wird in der Auswertung des 2. Internationalen Dioxin-Symposiums mitgeteilt. Allerdings werden die Ergebnisse des Follow-Up in Seveso erst in einigen Jahren vorliegen, und die Daten aus verschiedenen Untersuchungen zeigten, »daß es sich beim 2,3,7,8-TCDD mit hoher Wahrscheinlichkeit um ein Humankanzerogen handelt«.

Weniger deutlich sind die Hinweise auf eine Störung des Immunsystems oder der Reproduktionsfähigkeit durch die verschiedenen Vertreter der polychlorierten Dibenzo-p-dioxine und -furane (PCDDVF). Derzeit gibt es keine verläßlichen Anhaltspunkte dafür, daß derartige Effekte beim Menschen durch geringe Dosen dieser Substanzgruppe ausgelöst werden können.

Schwierig ist auch die Beurteilung von schädlichen Einflüssen auf das Zentralnervensystem. An Personen, die längerfristig beruflich oder durch Chemieunfälle exponiert waren, wurde zwar eine Reihe von Befindlichkeitsstörungen, Beschwerden und Befunden immer wieder registriert. So klagten Betroffene nach akuter Exposition mit hohen Dosen über Kopfschmerzen, Übelkeit, Schlafstörungen und Impotenz und waren zudem leicht reizbar. Chronische Exposition hatte unter anderem abgeschwächte oder nicht auslösbare Muskeleigenreflexe und Empfindungsstörungen in den Extremitäten zur Folge. In umfangreichen psychologischen Studien wurde lediglich »eine vermehrte psychosomatische Störbarkeit und eine erhöhte Verstimmbarkeit« aufgezeigt.

Probleme mit Richt- und Grenzwerten

»Eine eindeutige oder gar dosisabhängige neurotoxische Wirkung für PCDD/F konnte bei der Mehrzahl der Untersuchten nicht festgestellt werden«, bilanzierten Professor Jörg Schuster und Dr. Jutta Dürkop. Schwierigkeiten bereitet den Experten die Vielzahl der Dioxine und Furane, die trotz des gemeinsamen Wirkmechanismus ein stark unterschiedliches toxikokinetisches Verhalten zeigen. Die wissenschaftliche Basis der TCDD-Äquivalenzfaktoren (TEF), die in Form von Richt- und Grenzwerten in die Gesetzgebung eingehen, ist daher umstritten. TEF stützen sich im Wesentlichen auf Versuche zur chronischen Toxizität, die Induktion von Monooxygenasen bei der Ratte und auf teratogene Wirkungen. Aussagen zur möglichen Kanzerogenität und zur Immuntoxizität stehen somit auf wackeligen Beinen.

Die Bandbreite der gesundheitsbezogenen Richtwerte im verschiedenen Ländern ist dennoch relativ gering. Die vom Regionalbüro Europa der Weltgesundheitsorganisation errechnete »hinnehmbare tägliche Aufnahme« von zehn Picogramm 2,3,7,8-TCDD pro Kilogramm Körpergewicht und Tag wurde von Kanada, den Niederlanden und Großbritannien akzeptiert. Der Nordische Rat hat für die skandinavischen Länder fünf Picogramm festgelegt, in Deutschland geht man von einem bis zehn Picogramm aus, wobei ein Sicherheitsfaktor von 100 bis 1000 zugrunde gelegt wurde.

Kinder stark belastet

Zumindest die untere Grenze dessen, was die Experten hierzulande als »hinnehmbar« ansehen, wird in der Regel überschritten. Erwachsene nehmen in Deutschland durchschnittlich zwei Picogramm Toxizitätsäquivalente (TE) pro Tag und Kilogramm Körpergewicht auf, einjährige Kinder etwa das Doppelte.

Am stärksten betroffen sind Säuglinge, die beim Stillen täglich im Durchschnitt 150 Picogramm TE je Kilogramm Körpergewicht aufnehmen. Wie Dr. Dietrich Schulz vom Umweltbundesamt mitteilte, deuten Untersuchungen aus Nordrhein-Westfalen darauf hin, daß die durchschnittlichen Konzentrationen in der Frauenmilch zwischen 1989 und 1991 um etwa ein Drittel abgenommen haben. Als dichtbesiedeltes und hochindustrialisiertes Land nimmt die Bundesrepublik damit weiterhin eine unerfreuliche Spitzenstellung ein. Trotz dieser Belastung sieht das BGA aber keine gesundheitliche Gefährdung des Säuglings und empfiehlt nach wie vor allen Müttern, vier bis sechs Monate voll zu stillen.

Eine Reihe von Schutzmaßnahmen wurde in den letzten Jahren eingeleitet, um die freigesetzten Dioxinmengen zu begrenzen. Doch werden nach Schätzungen zwischen einem und zwei Kilogramm Dioxin-Toxizitätsäquivalente jährlich auf der Gesamtfläche der alten Bundesländer deponiert. Für die Niederlande geht man von fast einem Kilogramm aus, in Schweden, wo die Gesamtemissionen innerhalb von sieben Jahren um achtzig Prozent verringert wurden, rechnet man mit 120 bis 290 Gramm TE auf der gesamten Landesfläche.

Dioxine aus der Müllverbrennung

Während früher die chemische Industrie die Hauptquelle für Dioxine war und »als Ursache für heutige Altlasten anzusehen ist«, so der Bericht, spielen mittlerweile thermische Prozesse wie die Abfallverbrennung und Metallschmelzen die wichtigste Rolle. Die 17. Bundesimmissionsschutzverordnung (BimSchV) verlangt, daß die 400 Gramm Dioxin-TE, die noch 1989 aus Müllverbrennungsanlagen entwichen, spätestens bis 1996 auf vier Gramm reduziert werden.

Eine wichtige Voraussetzung für die Umsetzung der Verordnung bilden neue Erkenntnisse zur Dioxinbildung, die am Kernforschungszentrum Karlsruhe von Professor Hubert Vogg gewonnen wurden. Sie erlauben es, durch eine präzise Steuerung des Verbrennungsprozesses die Bildung der Schadstoffe auf weniger als ein zehnmilliardstel Gramm pro Kubikmeter Abluft zu reduzieren. Fraglich ist allerdings, ob der BImSchV-Grenzwert von 0,1 Nanogramm Dioxin-TE pro Kubikmeter Abluft auch beim Schmelzen von Eisen und Stahl, beim Umschmelzen von Aluminium oder der Kupferrückgewinnung eingehalten werden kann. Nach groben Schätzungen dürften diese Anlagen mehr als doppelt so viel Dioxin freisetzen wie alle fünfzig deutschen Müllverbrennungsanlagen zusammen.

Probleme gibt es auch bei der Umset­zung der bereits im Januar vom Kabi­nett verabschiedeten Dioxinverord­nung. Zu Jahresbeginn hatte man laut Umweltminister Klaus Töpfer die »weltweit niedrigsten Grenzwerte für Dioxine in Stoffen, Zubereitungen und Erzeugnissen festgelegt«. Alle toxiko­logisch relevanten chlorierten Dioxi­ne, 17 an der Zahl, wurden erfaßt; erstmalig gab es auch Grenzwerte für acht bromierte Dioxine und Furane. Rechtskräftig ist die Verordnung in­des noch nicht, weil die Notifizierung durch die zuständigen EG-Behörden noch aussteht. Bis zu einem Jahr dür­fen sich die Brüsseler Bürokraten Zeit lassen, um die deutsche Verordnung zu begutachten.

Quellen:

Bundesgesundheitsblatt – Sonderheft 1993, Hrsg.: Jörg Schuster und Jutta Dürkop. 2 Interna­tionales Dioxin-Symposium und 2. fachöffentliche Anhörung des Bundesgesundheitsamtes und des Umweltbundesamtes zu Dioxinen und Furanen in Berlin vom 9. bis 13. November 1992. 1. Auswer­tung.

Polymerase-Kettenreaktion: Eine Idee für 300 Millionen

Selten hat eine Technik der Wissenschaft so schnell auf die Sprünge geholfen wie im Falle der Polymerasekettenreaktion . Die zündende Idee, welche es ermöglichte, Erbinformationen gezielt und praktisch nach Belieben zu vermehren, kam dem Amerikaner Dr. Kary Mullis auf der Fahrt ins Wochenende an einem lauen Maienabend im Jahr 1983. Nun erhielt er dafür den Robert-Koch-Preis.

Schon 1985 hatte Mullis seine Idee in die Praxis umgesetzt. Im letzten Jahr zahlte Hoffmann-La Roche dann die Rekordsumme von 300 Millionen Dollar für „alle Rechte und Patente, für alle bekannten und noch unbekannten Anwendungen“ der Polymerasekettenreaktion (PCR) an Mullis‘ ehemaligen Arbeitgeber, die kalifornische Cetus Corporation.

Die Investition wird sich rentieren, denn der PCR erschließen sich ständig neue Märkte. Von der Archäologie über die Diagnose von Erbschäden und Krankheitserregern bis zur Überwachung im Umweltschutz reichen die Anwendungen.

Auch anläßlich der Verleihung des diesjährigen Robert-Koch-Preises am 2. November in Bonn machte Mullis klar, daß das Potential der PCR noch lange nicht ausgereizt ist. Weil sich mit Hilfe der Technik, die dem zelleigenen Kopiermechanismus für DNA ähnelt, einzelne Abschnitte des Erbguts nach Belieben vermehren lassen, können Krankheitserreger auch dort nachgewiesen werden, wo serologische Methoden versagen.

Bei der Untersuchung HIV-positiver Säuglinge von HIV-positiven Müttern etwa reicht ein Antikörper-Test allein nicht aus, um zu überprüfen, ob das Kind infiziert ist oder nicht. Die PCR dagegen kann das Virus direkt nachweisen und liefert eine frühzeitige Antwort. Die Nachweisgrenze liegt etwa bei einer infizierten Zelle unter 100 000.

Der HIV-Nachweis durch die Polymerasekettenreaktion ist aber kein Einzelfall. So gelang es, bakterielle Krankheitserreger wie Bordetella pertussis, Legionella pneumophila, Heliobacter pylori, Mycobakterien und Chlamydien in asymptomatischen Trägern aufzuspüren. Auch Viren wie Hepatitis B und C, Papilloma- und Herpesviren, einzellige Erreger wie Toxoplasma gondii, Pneumocystis carinii und Entamoeba histolytica oder Pilzinfektionen durch Candida albicans und Cryptococcus neoformans wurden schon mit Hilfe der PCR entdeckt.

In naher Zukunft werden standardisierte Kits erwartet, welche die Nachweiszeiten gegenüber den gebräuchlichen Zellkulturmethoden um ein Vielfaches verkürzen sollen. In der forensischen Medizin steht der PCR ebenfalls eine große Zukunft bevor: Am Tatort verbliebene Haare, Blutspuren oder Spermien dienen in den USA immer häufiger als Beweismittel in Gerichtsverfahren. Bestimmte Teilabschnitte der DNA, die über Jahre hinweg intakt bleiben kann, werden dafür vervielfältigt und mit der DNA der Verdächtigen verglichen.

In Großbritannien wird das Verfahren inzwischen regelmäßig bei Vaterschaftsklagen und Einwanderungsverfahren eingesetzt, denn verwandtschaftliche Beziehungen können ebenfalls nachgewiesen werden. Auch nach Flugzeugabstürzen könnte sich die PCR als die Methode der Wahl zur Identifikation der Leichname erweisen. Viele Opfer von Mördern, Kriegsverbrechern und totalitären Machthabern müßten nicht länger unerkannt bleiben.

„Die beispiellose Sensitivität der PCR hat allerdings auch ihre Schattenseiten“, beklagte Mullis, der als Sachverständiger mehrfach Gerichtsprozessen beiwohnte.

Zum einen muß sichergestellt sein, daß die Analyse in einem fachlich kompetenten Labor vorgenommen wird, weil sonst möglicherweise das Erbmaterial des Laboranten und nicht das des Täters zum Vergleich herangezogen wird. Außerdem sei es generell problematisch, eine Methode als Beweismittel zuzulassen, deren Grundlagen weder Angeklagter noch Kläger, weder Richter noch Jury verstünden.

In der Archäologie und der Paläontologie bietet die PCR die faszinierende Möglichkeit, uraltes Erbmaterial zu untersuchen, das sich zum Beispiel aus Mumien oder tiefgefrorenen Mammutresten, aus fossilen Knochen oder Überbleibseln ausgestorbener Tierarten gewinnen läßt, die in Museen aufbewahrt werden. Kürzlich wurden sogar erste Meldungen bekannt, wonach es gelungen ist, DNA aus vierzig Millionen Jahre alten Insekten zu untersuchen, die in Bernstein eingeschlossen waren.

In naher Zukunft könnte DNA als weltweiter Herkunftsnachweis für Produkte aller Art zum Einsatz kommen. Man will sich dabei die Tatsache zunutze machen, daß jegliche Information – ähnlich wie beim Morse-Code – durch die Reihenfolge der vier verschiedenen DNA-Bausteine darstellbar wäre. An einem standardisierten Codierungssystem wird bereits gearbeitet.

Ein bestimmter, synthetisch hergestellter DNA-Abschnitt könnte dann mit PCR vervielfältigt und – in extremer Verdünnung – zum Beispiel in das Öl von Supertankern gegeben werden. Die Verursacher von Verschmutzungen ließen sich endlich zweifelsfrei nachweisen, denn auf der DNA wäre – nach Vervielfältigung mit der Polymerasekettenreaktion – für jedermann nachzulesen, aus welchem Tanker das Öl stammt.

(erschienen in der Pharmazeutischen Zeitung am 26. November 1992)

Was wurde daraus? Im Jahr darauf erhielt Mullis den Nobelpreis für Chemie, und bis auf den Herkunftsnachweis per DNA-Markierung ist die PCR bei allen genannten Anwendungen im Einsatz. Auch die Wikipedia bescheinigt ihr, eine der wichtigsten Methoden der Molekularbiologie zu sein. Mullis, der für seine 300-Million-Idee von seinem Arbeitgeber lediglich $ 10.000 bekommen hatte, starb 2019 mit 74 Jahren an den Folgen einer Lungenentzündung. Zuvor hatte er seinen Ruf als Exzentriker noch unterstrichen, indem er den Zusammenhang zwischen dem Immunschwächevirus HIV und der Entstehung von AIDS bestritt, den Konsens zum Klimawandel ablehnte und über angebliche Begegnungen mit Außerirdischen berichtete…

Fibrinkleber nicht mehr wegzudenken

Der Fibrinkleber spart Blutkonserven und ermöglicht erst neue Operationstechniken. Mit den vielfältigen Einsatzbereichen des Fibrinklebers, aber auch mit Kosten/Nutzen-Abschätzungen für das Therapeutikum beschäftigten sich über 600 Experten auf dem Kongreß „Update and Future Trends in Fibrin Sealing in Surgical and Non-Surgical Fields“, der vom 15. bis 18. November 1992 in Wien stattfand.

Der Fibrinkleber – er besteht im Wesentlichen aus den zwei hochkonzentrierten Plasmakomponenten Fibrinogen und Thrombin – bewirkt eine schnelle Blutstillung, er unterstützt die physiologische Wundheilung und wird auch bei der Gewebeklebung erfolgreich eingesetzt. Die Verfestigung des Zweikomponentenklebers beginnt bereits wenige Sekunden nach dem Auftragen und ist innerhalb weniger Minuten abgeschlossen. In rund 2000 Publikationen sind Wirkung und Sicherheit des Präparates Tissucol beschrieben, so Professor Dr. Günther Schlag vom Ludwig-Boltzmann-Institut für experimentelle und klinische Traumatologie in Wien.

„Physiologischer Fibrinkleber ist bei vielen Operationen heute nicht mehr wegzudenken“, sagte Schlag, der für die Organisation des Kongresses verantwortlich zeichnete. Schwere innere Verletzungen wie Risse an Milz und Leber, aber auch Erkrankungen der Bauchspeicheldrüse stellen eines der wichtigsten Einsatzgebiete dar. Wie Professor Dr. Christoph Gebhardt vom Klinikum Nürnberg berichtete, ist die Reduktion von teilweise lebensbedrohlichen Komplikationen in der Pankreaschirurgie neben einer Standardisierung der Operationstechnik auch dem Einsatz des Fibrinklebers zu verdanken. „Dies ist von großer Bedeutung, wenn man berücksichtigt, daß Insuffizienzen der pankreaticodigestiven Anastomose nicht nur mit einer sehr hohen Morbidität sowie einem langen, kostspieligen Krankenhausaufenthalt verbunden sind, sondern auch in einem beträchtlichen Prozentsatz einen letalen Ausgang nehmen“, so Gebhardt.

Bei traumatischen und intraoperativen Verletzungen der Milz ist die Fibrinklebung laut Professor Dr. Hans-Werner Waclawiczek „eine der wichtigsten Methoden zur Organerhaltung“ geworden. Von 79 Patienten, bei denen eine milzerhaltende Operation mit Hilfe der Fibrinklebung vorgenommen wurde, mußte die Splenektomie lediglich in sechs Fällen durchgeführt werden. Um postoperativen Störungen der Immunabwehr vorzubeugen, müsse die Milzerhaltung gerade bei jungen Patienten in jedem Fall angestrebt werden, betonte Waclawiczek.

Mehrfach wurde darauf hingewiesen, daß die vergleichsweise hohen Kosten des Fibrinklebers einer reduzierten Komplikationsrate und damit häufig einem verkürzten Krankenhausaufenthalt gegenüberzustellen sind. So betragen die reinen Präparatekosten bei der endoskopischen Behandlung blutender Geschwüre im Magen-Darm-Bereich für Tissucol etwa 560 Mark, mit Polidocanol dagegen nur 12 Mark.

In einer von Dr. Richard Salm (Chirurgische Universitätsklinik Freiburg) gemeinsam mit der Universitätsklinik Tübingen durchgeführten randomisierten Untersuchung an 54 Patienten waren jedoch bei Einsatz des Fibrinklebers nur halb so viele Notfalloperationen nötig wie nach Polidocanol-Gebrauch. Die Zahl der Rezidivblutungen sank auf ein Drittel.

Wie Dr. Salm vorrechnete, wurden mit Fibrinkleber im Schnitt zwei Blutkonserven weniger benötigt, was mit einer Einsparung von 270 Mark zu Buche schlägt. Eine eingesparte Magenoperation bei Ulkusblutung wird mit circa 4000 bis 6000 Mark veranschlagt, nicht eingerechnet die Tatsache, daß diese Patienten im Schnitt 20 Tage stationär behandelt werden mußten gegenüber neun Tagen bei gelungener endoskopischer Blutstillung. Auch Privatdozent Dr. Diethelm Wallwiener von der Abteilung Gynäkologie und Geburtshilfe der Universitätsklinik Heidelberg stellte fest, daß „durch Fibrinklebung im Rahmen operativ-laparoskopischer Techniken die Operationszeit entscheidend verkürzt und komplizierte endoskopische Nähte vermieden werden“. Auch unter Kosten-Nutzen-Aspekten stelle die Technik daher eine sinnvolle Abrundung des minimal-invasiven Gesamtkonzeptes in der Gynäkologie dar.

Die gesteigerte Nachfrage wird sich jedoch auf den Preis des Präparates kaum auswirken. Als Grund wird von Seiten der Herstellerfirma angegeben, daß Fibrinkleber noch auf längere Zeit aus Blutplasma gewonnen werden müsse, das derzeit zu 99 Prozent aus den USA importiert wird. Da neben Fibrinogen und Thrombin auch Aprotinin und Gerinnungsfaktor XIII in dem Produkt enthalten sind, hält Dr. Johann Odar, zuständig für die Wundheilung bei der Firma Immuno AG, eine biotechnologische Herstellung des Fibrinklebers vorerst nicht für praktikabel.

Quelle: Symposium Update and Future Trends in Fibrin Sealing in Surgical and Non-surgical Fields, Wien, November 1992. Besucht auf Einladung der Firma Immuno.

(erschienen in der Pharmazeutischen Zeitung am 11. Februar 1993. Weitere Berichte in der „WELT“ und in der Ärzte-Zeitung)

Warum Allergien zunehmen

Die Zunahme allergischer Erkrankungen in den letzten Jahrzehnten ist nicht mehr wegzudiskutieren. Welche Rolle dabei den Luftschadstoffen zukommt, ist zwar noch nicht zweifelsfrei geklärt, doch mehren sich die Hinweise darauf, daß unter anderem Feinstäube und Dieselrußpartikel eine Rolle spielen. Weniger eindeutig ist die Datenlage beim Tabakrauch. Hier stehen scheinbar überzeugenden Befunden, mit denen ein solcher Zusammenhang belegt werden soll, solche gegenüber, die Passivrauchen als Ursache allergischer Reaktionen nahezu ausschließen. Dies waren einige der Aussagen, die Anfang September beim Kongreß „Fortschritte der Allergologie, Immunologie und Dermatologie“ in Davos die Diskussion beherrschten.

Professor Dr. Brunello Wüthrich, Leiter der Allergiestation der Dermatologischen Klinik am Universitätsspital Zürich, legte Daten vor, die einen starken Zuwachs der Pollinose in diesem Jahrhundert eindeutig belegen. In der Schweiz wurden dazu erstmals 1926 Untersuchungen an 77.000 Personen angestellt, die eine Prävalenz von 0,82 Prozent ergaben. 1958 hatte sich dieser Wert bereits auf fünf Prozent erhöht; mittlerweile liegt er nach Wüthrichs eigenen Erhebungen bei rund zehn Prozent. Auch aus Japan, Schweden und der Bundesrepublik liegen gut gesicherte Erkenntnisse vor, die diesen Trend bestätigen.

„Die immer wieder diskutierte Frage, ob allergische Krankheiten in den letzten Jahrzehnten wirklich zugenommen haben, kann für die Pollinose eindeutig mit ja beantwortet werden. Klinische und tierexperimentelle Beobachtungen deuten darauf hin, daß, nebst genetischen Faktoren Luftschadstoffe entscheidend das Manifestwerden der Pollenallergie beeinflussen“, so Wüthrich.

Als mögliche Gründe für den Anstieg der Heuschnupfenprävalenz zog Wüthrich mehrere Faktoren in Betracht. Durch eine gezielte Bewirtschaftung von Äckern und Weideland kommt es heute zu wesentlich stärkeren Schwankungen der Pollenkonzentrationen für einzelne Arten. Auch gibt es Hinweise darauf, daß die Einführung neuer Arten zumindest lokal einen Anstieg der Pollinose bewirkte. Erwiesen ist auch, daß die Zunahme der Luftschadstoffe eine erhöhte Permeabilität der Epithelien für Allergene zur Folge hat.

Die Frage „Sind die Pollen selbst aggressiver geworden?“ untersucht Professor Dr. Heidrun Behrendt vom Medizinischen Institut für Umwelthygiene der Heinrich-Heine-Universität in Düsseldorf. Ein neues Forschungsgebiet, die Allergotoxikologie, beschäftigt sich mit dem Einfluß und der Wirkung von Schadstoffen auf die Induktion, die Auslösung und die Unterhaltung allergologischer Erkrankungen. Erschwert werden diese Untersuchungen dadurch, so Behrendt, daß die Schäden sich oft erst nach Jahren oder Jahrzehnten eindeutig bemerkbar machen. „Eine weitere Schwierigkeit ist, daß die biologische Wirkung von Umweltschadstoffen in der Regel keine akute ist, sondern durch die wiederholte Aufnahme kleiner Dosen hervorgerufen wird und das Zusammenwirken mehrerer Schadstoffe entweder gleichzeitig oder in Folge auftritt. Diese Kombinationswirkung macht es schwer, ursächliche Faktoren herauszuarbeiten.“

Als mögliche Übeltäter werden derzeit vor allem Luftschadstoffe wie Schwefeldioxid (SO2), Stickoxide (NOX), organische Kohlenwasserstoffe und Feinstaub verdächtigt. Diese Substanzen werden in den alten Bundesländern teilweise in Größenordnungen von mehreren Millionen Tonnen jährlich freigesetzt. Bei Dieselrußpartikeln beläuft sich diese Zahl auf 70.000 Tonnen, und auch die jährlich 32.000 Tonnen Pestizide könnten eine wichtige Rolle spielen.

Wichtig sind vor allem Staubpartikel, weil hier mehr als 1000 organische und anorganische Stoffe adsorbiert werden, die dann in Partikelform durch die Makrophagen des Immunsystems aufgenommen werden und dort ihre Wirkung entfalten.

Die Kombination der Schadstoffe mit Allergenen kann offensichtlich auf zwei Ebenen stattfinden; nämlich im Bereich des Organismus, wo die Sensibilisierung gefördert werden kann, oder aber auf der Ebene der Allergenträger, da die Pollen selbst gleichfalls den Luftschadstoffen ausgesetzt sind. So zeigen neue Studien, daß die Expression des Birkenpollenallergens in städtischen Regionen mit starkem Automobilverkehr deutlich verstärkt ist.

Der wissenschaftliche Leiter der Veranstaltung, Professor Dr. Siegfried Borelli, bezeichnete es als „durchaus nachvollziehbar“, daß Luftschadstoffe als Wegbereiter von Allergien dienen könnten. Borelli, der gleichzeitig Direktor der Dermatologischen Klinik der TU München sowie der Klinik für Dermatologie und Allergie Davos ist, schilderte das derzeitige Gedankengebäude: „Die Vorstellung geht dahin, nach der Emission in den frühen Morgenstunden gelangten Pollenkörner auf Grund der Lufterwärmung in höhere Luftschichten. Am Nachmittag kehrten diese Pollen, wie kleine Igel von Schwebstaubpartikeln aus der verschmutzten Luft besetzt, in die unteren Luftschichten zurück.“

Wie Professor Behrendt anhand eindrucksvoller elektronenmikroskopischer Aufnahmen zeigen konnte, werden die Pollen an den Kontaktstellen mit den Schadstoffpartikeln präaktiviert, so daß Eiweiße aus dem Polleninneren unter die Oberfläche gelangen. Im Organismus würden die Allergene dann in modifizierter Form rasch und in großen Mengen freigesetzt. Sowohl die Proteinzusammensetzung als auch das IgE-Bindungsmuster dieser Allergene sind dann nachweislich verändert.

(erschienen in der Pharmazeutischen Zeitung am 28. November 1991)