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Jetzt handeln, fordert Klimaforscher Hartmut Graßl

Klare Forderungen an die Politik: Prof. Hartmut Graßl, Direktor des Max-Planck-Instituts für Meteorologie von 1988 – 2005

Unmittelbar vor dem „Umweltgipfel“ von Rio wuchs das Interesse der Öffentlichkeit an den Folgen der globalen Erwärmung. Mein damaliger Chefredakteur Manfred Schell hatte nicht nur das journalistische Gespür sondern auch ein offenes Ohr für die Thematik. Gemeinsam haben wir deshalb einen der renommiertesten deutschen Klimaforscher interviewt: Professor Hartmut Graßl (geb. 1940), Direktor am Max-Planck-Institut für Meteorologie in Hamburg und Mitglied der Enquete-Kommission „Schutz der Erdatmosphäre“. Im Rückblick nach 30 Jahren beeindruckt mich noch immer die Weitsicht Graßls, dessen allgemeinverständliche Darstellung der Problematik ohne Polemik oder Panikmache, und vor allem die konkreten Handlungsvorschläge.

 

„Die Stürme nehmen zu,
die Gletscher laufen davon“

 

In jüngster Zeit mehren sich die Stimmen, die sagen, wir stünden vor einer Klimakatastrophe. Wie ernst nehmen Sie solche Thesen, Herr Professor Graßl?

Graßl: Wir sind heute in einer Situation, die mein amerikanischer Kollege Steven Schneider so beschrieben hat: „Ich wette, daß wir uns im Jahr 2000 hinstellen werden und sagen, der Zeitpunkt, wo der vom Menschen verursachte zusätzliche Treibhauseffekt in den Daten erkennbar geworden ist, ist das Ende der 80er Jahre.“ Wir spüren davon weniger die schleichende Veränderung der Mittelwerte – die langsame Erwärmung etwa -, sondern die stets damit verbundenen Extremwerte. Erst lange im Nachhinein wird eine seriöse wissenschaftliche Analyse sagen: „Von diesem Zeitpunkt ab war es im Wesentlichen von den Menschen verursacht.“

Aber es gibt viele Hinweise, daß da was läuft: Nicht nur der Globus erwärmt sich, auch Stürme nehmen zum Teil zu, und die Alpengletscher, die laufen praktisch davon. In meinem Heimatdorf, Ramsau bei Berchtesgaden, wo einmal fünf Gletscher existierten, gibt es jetzt nur noch einen. Mein Vater ist auf 1850 Meter Meereshöhe auf den Gletscher gestiegen. Wenn ich das heute machen möchte, muß ich auf 2200 Meter Höhe marschieren.

Kann man denn vorhersagen, in welchem Zeitraum sich die Erde um wieviel Grad erwärmen wird?

Graßl: Die Frage ist ohne gekoppelte Ozean-Atmosphäre-Modelle nicht zu beantworten, und da setzen die Schwierigkeiten ein. Daß die Erwärmung angestoßen ist, ist ein Faktum, aber wo, wann, um wieviel Grad Celsius, ist in der Wissenschaft weiterhin mit großen Fehlerbalken versehen. Inzwischen weiß man nicht nur, daß der Mensch einen massiven Einfluß auf das Klimageschehen ausübt, sondern man weiß auch, daß der Ozean nicht wesentlich dämpft, wie das früher vermutet wurde, sondern nur verzögert.

Die Natur kann also die Eingriffe des Menschen nicht mehr ausgleichen?

Graßl: Ich gehe mal vorsichtig vor und sage, wir nehmen die unterste Grenze dessen, was die UN-Gremien oder die Enquete-Kommission des Bundestages zum Schutz der Erdatmosphäre als Erwärmung bei Nichtstun vorgegeben haben, ernst, und vergleichen dies mit in der Klimageschichte beobachtbaren Temperaturänderungen. Dann lautet die Aussage: Etwas, was wir in ein Jahrhundert packen, nämlich zwei Grad mittlere Erwärmung, steckt die Natur in Jahrtausende.

Und wenn wir uns an der oberen Grenze orientieren, was passiert dann?

Graßl: Nehmen wir die obere Grenze der Prognosen ernst, die genauso wahrscheinlich ist wie die untere, dann lautet die Voraussage, daß uns, wenn wir so weitermachen wie bisher, im nächsten Jahrhundert eine Erwärmung droht, die vergleichbar ist mit dem Unterschied zwischen Eiszeit und Warmzeit, also im globalen Mittel viereinhalb Grad. Während der letzten Temperaturänderung von solch einem Ausmaß, ist nachweislich der Wald von der Riviera ans Nordkap gegangen und zurück.

Wäre das denn in der Gesamtbilanz ein Unglück für die Welt?

Graßl: Der Planet Erde geht nicht kaputt, wenn es um einige Grad Celsius wärmer wird auf der Erde. Was uns betroffen macht, ist nur die Geschwindigkeit, mit der das ablaufen wird, und das Wissen, daß viele Ökosysteme an solche raschen Veränderungen nicht angepaßt sind und dann zusammenbrechen.

Würden Sie eine mittlere Erwärmung der Erde um 4,5 Grad persönlich als Unglück empfinden? Man kann doch auch vermuten, daß Stürme, Überschwemmungen, Verödungen zumindest teilweise durch positive Veränderungen in anderen Gebieten aufgewogen würden.

Graßl: Denken Sie nur mal daran, was zehn Prozent Schrumpfung des Sommerniederschlages in Mitteleuropa und ein Grad Celsius Erwärmung bedeuten. Das heißt: fast keine Gletscher mehr in den Alpen. Das würde die Wasserführung der Donau, des Rheins ganz massiv beeinflussen. Dann muß man fragen, können wir den Rhein noch schiffbar halten im Sommer, bei so vergleichsweise läppischen Klimaänderungen. Der Planet ist nicht der wirklich Betroffene, sondern die menschliche Gesellschaft in ihrer jetzigen Form, praktisch aus allen Nähten platzend. Wo sind denn die Hungergebiete? Fast nur in den semiariden Subtropen und Tropen. Weil dort die natürliche Variabilität des Klimas ein Maximum erreicht, eine winzige Verlagerung der tropischen Niederschlagsbänder, um ein, zwei Grad Breite, über die Ernte entscheidet.

Ich gebe mal ein kleines Beispiel: Jeder hat mitbekommen, wie Bangladesch im vorigen Jahr von einem Wirbelsturm überschwemmt wurde. Es gab 150 000 Tote. Und wodurch ist das zustande gekommen? Bei weniger Mangrovenwald, etwas weniger Dschungel und noch mehr Menschen, bei leicht gestiegenem Meeresspiegel hat ein Standardwirbelsturm eine Katastrophe verursacht.

Was wir Forscher eigentlich sagen wollen: In 20 oder 30 Jahren wird bei noch etwas weniger Mangrove, noch weniger Dschungel, noch mehr Menschen, noch mal beschleunigt gestiegenem Meeresspiegel nicht mehr der Standardhurrikan kommen, sondern einer mit etwas höherer Intensität auf einer vorher nicht üblichen Bahn und wie schaut es dann aus?

Neben der globalen Erwärmung bedroht uns auch die fortschreitende Zerstörung der Ozonschicht. Die von den Industrienationen freigesetzten chlorhaltigen Treibgase, Schäum- und Kühlmittel zerstören mit ihren Abbauprodukten Ozon, das vor der UV-B-Strahlung der Sonne schützt. Wie schätzen Sie dieses Risiko ein?

Graßl: Letztlich ist das Ozonloch bisher fast ausschließlich auf den antarktischen Kontinent beschränkt geblieben. Was glauben Sie, was passiert wäre, wenn fünf bis zehn Prozent Ozon in den Tropen fehlen würden, wo es sowieso schon die höchste UV-B-Bestrahlung gibt? Dann würden wir jetzt schon über die Erblindeten reden. Das Ozonloch ist ein Fingerzeig Gottes am Himmel, weil es weit weg von uns aufgetreten ist, wo fast kein Mensch und auch kein Tier wohnt. Hier in Mitteleuropa ist es sogar höchst wahrscheinlich, daß die UV-B-Belastung trotz Ozonabbaus in der Stratosphäre abgenommen hat. Das ist auf die erhöhte Luftverschmutzung und stärkere Bewölkung während der letzten vier Jahrzehnte zurückzuführen. Ich will damit nicht niederreden, daß der beobachtete Ozonabbau eine große Gefahr ist für die Australier und für die Patagonier und noch mehr Menschen auf der nördlichen Erdhälfte. Für Gebiete mit relativ sauberer Luft wird es zu einer Vervielfachung des Grauen Stars kommen, wenn nur – wie schon beobachtet – zehn Prozent Ozon fehlen.

Was mich beim Ozonabbau aber viel mehr bedrückt, ist, daß das Pflanzenwachstum von der UV-B-Strahlung abhängt. Eine nur wenige Prozente betragende Verminderung der Biomasseproduktion hat ja Folgen für die Welternährung. Betroffen sind aber auch dann wieder diejenigen, die sowieso schon kaum ausreichend Nahrung haben. Wir dagegen, wir sind die Region, die am flexibelsten reagieren wird. Wir werfen ein bißchen mehr Stickstoff auf die Felder, wir erhöhen die Deiche, wir pflanzen andere Kulturen an.

Für Prognosen benötigen Sie gewaltige Mengen an Meßwerten, die einerseits von meteorologischen Stationen kommen, andererseits aber auch von milliardenteuren Satelliten. Allerdings kritisierten Sie, daß die aus Steuergeldern gewonnen Satellitendaten vorwiegend zur Herstellung schöner Kalenderblätter herhalten müssen.

Graßl: Das Dilemma besteht darin, daß man fast das gesamte Geld, das für eine bestimmte Mission bereitgestellt wurde, für Konstruktion, Bau, den Schuß in den Weltraum und Aufbau eines Bodensegments zum Datenempfang verbraucht. Dann gibt es noch ein paar Idealisten, die sich Gedanken machen über die Auswertung der Daten. Das geschieht unkoordiniert.

Viel Geld müssen die Forscher ausgeben, damit sie die Daten überhaupt bekommen, Universitätsinstitute können sich das schon gar nicht mehr leisten. Wenn Sie zum Beispiel die Daten des amerikanischen LandsatSatelliten auf Magnetband haben wollen, kostet das für eine Fläche von 185 x 185 Kilometer 3000 Dollar. Dadurch wird die Forschung behindert.

Die Bevölkerung möchte doch wissen, „Wieviel Wald ist abgeholzt worden?“, „Ist das in Malaysia besonders schlimm oder in Brasilien?“, „Wie hat sich die Landnutzung in meinem Heimatland im Laufe von 20 Jahren geändert?“ Die Daten liegen da, aber die systematische Auswertung auf hohem wissenschaftlichen Niveau wird nicht betrieben. Also quetscht man aus den Milliarden, die man in Form von hochgezüchteten Radiometern in den Weltraum geschossen hat, am Boden nicht das heraus, was man eigentlich hätte herausquetschen ‚können.

Der europäische Umweltsatellit ERS-1 hat Milliarden Mark gekostet und sendet in jeder Sekunde unvorstellbare Datenmengen zur Erde. Wie steht es um die Auswertung dieser Daten?

Graßl: In der Bundesrepublik Deutschland sind Anträge von organisierten Nutzergruppen, die an das Bundesministerium für Forschung gerichtet waren, abgelehnt worden. Teilweise mit der Bemerkung, man würde ja schon so viel für den ERS-1 bezahlen müssen. Ich habe deshalb vorgeschlagen, eine unabhängige Organisation einzurichten, um die Finanzierung der Datenauswertung zu sichern. Ich rede dabei über relativ viel Geld. Mein erster Steinwurf war eine Milliarde Mark pro Jahr für die Europäer, um eine adäquate Datenauswertung sicherzustellen. Mein Vorschlag dazu wurde von der Esa sehr wohlwollend aufgegriffen.

Anfang Juni beginnt in Rio die UN-Konferenz über Umwelt und Entwicklung (UNCED). Delegationen aus rund 150 Ländern werden anwesend sein; insgesamt werden mehr als 50 000 Teilnehmer erwartet. Die hochgesteckte Erwartung, daß konkrete und für alle Länder verbindliche Maßnahmen zum Schutz der Umwelt getroffen werden, scheint sich nicht zu erfüllen. Stattdessen zeichnet sich eine neue Auflage des Nord-Süd-Konfliktes ab.

Graßl: Ja, man muß den Nord-SüdKonflikt auf dem Umweltsektor extrem ernst nehmen, sonst werden wir Industrieländer ununterbrochen auf die Anklagebank gesetzt. Ein kleines Beispiel: Einmal nur hat ein sowjetischer Delegierter gewagt, in einem Gremium der Vereinten Nationen, dem ich angehöre, zu sagen, wir müssen schon erhöhte Weizenproduktion in den nördlichen Waldzonen mit dem gestiegenen Meeresspiegel gegenrechnen. Der Vertreter der Malediven, der bis dahin nichts gesagt hatte, sprach, ruhig an alle Delegierten gerichtet, er möchte zur Kenntnis bringen, daß in seinem Land der höchste Berg drei Meter über dem Meeresspiegel liege. Damit war klar, welche Dimensionen dieser Konflikt hat.

In dem UN-Bericht, der zur Weltklimakonferenz herausgegeben wurde, steht: Auch schon wenige Dezimeter Meeresspiegel Anstieg bedeuten das Aus für einige Inselstaaten. Nicht daß das Land immer überschwemmt wäre, aber die Süßwasserversorgung wird zerstört oder zumindest gefährdet, denn es dringt Salzwasser in die Süßwasserlinsen im Inneren der Inseln vor. Kiribati, Malediven, Tuvalu und wie diese kleineren Staaten in der Südsee alle heißen; die sind alle gefährdet. Der Vertreter von Kiribati sagte einmal bei einer solchen Sitzung zum Vertreter der Vereinigten Staaten, er möchte fragen, ob die USA bereit sind, die Einwohner der Inselstaaten aufzunehmen. Es gab keine Antwort.

Den Vereinigten Staaten kommt auf der Konferenz eine Schlüsselrolle zu. Die Entwicklungländer und die Schwellenländer wollen sich nur dann auf weitreichende Verpflichtungen einlassen, wenn die USA finanzielle Hilfe zusagen und ihren Energieverbrauch einschränken.

Graßl: Ja, die letzte Weltmacht läßt in den Gremien die Schwellenländer als Bremser agieren. Da filibustert dann der Saudi-Araber als allererster, der meldet sich bei jedem Thema, und versucht nach höflichen diplomatischen Einleitungen das Ganze zu zerreden, weil ja alles noch so unsicher sei.

Die Mexikaner wiederum sind absolut dagegen, daß man überhaupt Klimafolgen für die Wirtschaft diskutiert. Ziel war es, den Ländern zu sagen: „Paßt auf, besonders empfindlich seid ihr, wenn …“ Wenn es darum geht, eine erste internationale Koordination zu diskutieren, springen sofort andere Schwellenländer auf und wittern Souveränitätsverlust.

Die Brasilianer sagen, wir diskutieren hier über den Urwald nur, wenn ihr selbst mit Minderungsmaßnahmen begonnen habt. Also ist die Grundvoraussetzung für einen Erfolg in Rio der Start der Industrienationen mit Reduktionen bei der Verbrennung von Kohle, Erdöl und Erdgas.

Und das steht und fällt mit der Zusage der Vereinigten Staaten, Herr Professor?

Graßl: Nicht unbedingt. Die Vereinigten Staaten stehen für ein Viertel der weltweiten Emissionen. Aber ich möchte es einmal anders formulieren: In unserem Land wie in anderen Ländern regt sich ja inzwischen die Erkenntnis, auch bei Wirtschaftswissenschaftlern, daß eine staatlich gestützte, massive Effizienzsteigerung bei der Nutzung der fossilen Energie eher die Wirtschaft fördert als sie stark behindert, wegen der Exportchancen, die damit verbunden sind, und auch wegen der eingesparten Rohstoffe.

Meine persönliche Meinung lautet: Wenn die Amerikaner jetzt nicht mitmachen, dann verabschieden sie sich zu Teilen von der modernen Industriegesellschaft, dann werden sie diejenigen sein, die das demnächst zu spüren bekommen, daß es ihnen nicht gelungen ist, den Kühlschrank mit der halben Wattzahl zu bauen und das besonders sparsame Auto und wärmegedämmte Häuser eingeführt zu haben.

Die Fahrt mit dem Auto über 40 Meilen jeden Morgen zum Betrieb, gezwungenermaßen, weil ein öffentliches Verkehrssystem nicht existiert, ist schon eine ungeheure Energie- und Materialverschwendung, und eine Verschwendung von menschlichen Ressourcen obendrein.

Also: Wenn die Vereinigten Staaten so weitermachen, dann werden sie weiterhin besonders stark von dieser Schmutzenergie abhängen und in die Nähe dessen rücken, was wir jetzt im Ostblock erleben.

Können wir eigentlich guten Gewissens verlangen, daß zum Beispiel die chinesischen Haushalte auf ihren Kühlschrank verzichten, um die Ozonschicht nicht weiter zu belasten?

Graßl: Nein, das dürfen wir nicht. Es ist doch eine Vermessenheit, wenn ein Mensch, der einen Fernseher, einen Kühlschrank, und eine Gefriertruhe im Haus und einen Zweitwagen vor dem Haus stehen hat, wenn der sich aufschwingt, darüber zu reden was der Chinese haben darf.

Unsere Industrialisierung ist ein schönes Beispiel dafür, wie ineffizient wir ursprünglich waren. Deshalb können wir uns da nicht aufspielen. Es ist mittlerweile eigentlich eine Platitüde geworden: Die Effizienzsteigerung in den Industrienationen liefert die Basis für die regenerativen Energieformen und ist die Grundvoraussetzung für eine zukunftsträchtige Entwicklung in der Dritten Welt. Deswegen ärgert es mich eigentlich so, daß die Vereinigten Staaten da nicht mitmachen.

Lassen wir einmal die Vereinigten Staaten beiseite – was kommt auf uns Europäer, auf uns Deutsche zu?

Graßl: Wir haben eher einen Exportvorteil, wenn wir jetzt mit dem Sparen anfangen und die Amerikaner nichts machen, aber man muß das ja in der Gesamtschau sehen, denn wir reden hier über ein globales Thema.

Es gibt Menschen, die glauben, technische Lösungen für das Treibhausproblem parat zu haben. Einige Vorschläge laufen darauf hinaus, mehrere Millionen Quadratkilometer Wald zu pflanzen oder die Ozeane mit Eisen zu düngen, um durch gesteigertes Planktonwachstum CO2, aus der Atmosphäre zu entfernen. Wieder andere sagen, man muß die Kernenergie einfach ausbauen. Wie stehen Sie dazu?

Graßl: Das sind die Ingenieurslösungen, wie ich das nenne. Die sind äußerst gefährlich in einem nicht durchblickten System. Warum geht es denn eigentlich nicht in die Köpfe, daß man die Quellen herunterfahren muß? Und daß wir dies leicht machen können.

Sie hatten die Kernenergie angesprochen. Wieviel trägt sie denn weltweit zur Energiegewinnung bei? Bezogen auf die Primärenergie handelt es sich um einige wenige Prozent. Wir reden aber über die Beseitigung von 80 Prozent des Primärenergieeinsatzes in einem halben Jahrhundert, um von dieser Störung der Atmosphäre und des ganzen Planten loszukommen. Und jetzt möchte ich mal fragen, was ist auf der Erde los, wenn wir die Kernenergie in einen Bereich von zehn, 20 und 30 Prozent des Gesamtenergieeinsatzes der Erde treiben?

Dann haben wir natürlich keine unmittelbare globale Störung, aber wir haben regional unbewohnbares Gelände. Wie um Tschernobyl herum. Denn man muß nicht glauben, daß die Menschen so intelligent sind, daß sie solche Systeme auch immer so betreiben können, daß nichts passiert.

Wir wollen doch nicht Schmutz durch Schmutz ersetzen. Ich rede jetzt von den wirklich großen Dimensionen, und ich meine, wir müssen in einem Kraftakt die 80 Prozent ersetzen. die wir gegenwärtig aus fossilen Brennstoffen gewinnen.

Welche Maßnahmen wären notwenig, um den globalen Klimawandel abzumildern?

Graßl: Der Start der Industrienationen in Richtung einer konzertierten Politik zur Effizienzsteigerung bei fossilen Energien, das ist das A und O. Denn erst danach greifen erneuerbare Energien wirklich. Jedes Haus sollte nur noch die Hälfte der Heizenergie verbrauchen. Wir müßten einfach den schwedischen Standard bei der Wärmedämmung einführen. Die neue Verordnung liegt ja bereits im Entwurf vor.

Seit wann?

Graßl: Sie ist bereits in der Koalition verabredet. Das heißt, es müßte in dieser Legislaturperiode kommen, aber es muß rasch kommen.

Wärmedämmung allein reicht aber nicht aus?

Graßl: Nein, auch der Verkehr ist ein großer Posten, wo man anpacken muß. Ich meine zum Beispiel, daß man zu Flottenverbrauchsregeln kommen muß. Also nicht da noch eine Geschwindigkeitsbeschränkung oder dort noch eine. Damit bewegen Sie insgesamt nur zehntel Prozent. Wir müssen den Spritverbrauch pro 100 Kilometer, der seit Ende der 60er Jahre unverändert ist, reduzieren. Wir fahren zur Zeit Autos, die zwar pro PS viel effizienter sind als die alten, aber wir haben die PS-Zahl so gesteigert, daß wir weiterhin zehn Liter pro 100 Kiolometer brauchen. Erst in den letzten ein bis zwei Jahren deutete sich eine kleine Verbesserung an. Wenn Mercedes, BMW, VW, Audi von der Politik vorgegeben wird, den über alle verkauften Modelle summierten Spritverbrauch jährlich um fünf Prozent zu reduzieren und dies als Langfristprogramm bis zum Jahre 2003 festgelegt wird, dann sind unsere Ingenieure die letzten, die das nicht schaffen. Ebenso wichtig wie Flottenverbrauchsregeln ist jedoch die Verlagerung eines Teils des privaten Verkehrs zum öffentlichen Verkehr und die Vermeidung unnützer Fahrten. Auch bei den Haushaltsgeräten haben wir noch lange nicht alle Möglichkeiten ausgereizt. Ich rede wohlgemerkt überhaupt nicht von Wohlstandsverlusten.

Das Umweltherz der Menschen ist eine Grundvoraussetzung dafür, daß die Politiker entscheiden. Aber es bewegt die großen Energiemengen nicht. Was hilft es denn, wenn fünf oder zehn Prozent der Bevölkerung sehr energiebewußt sind und die anderen 90 oder 95 weiterhin so aasen wie bisher? Aber diese fünf bis zehn Prozent brauchen Sie, um den Druck auf die Politiker auszuüben, damit die was tun. Und den Druck haben wir in Teilbereichen erreicht, oder wir stehen kurz davor. Wir sind ein Land, daß durch die Umweltverbände und die langjährige Diskussion doch ziemlich vorangekommen ist und weitaus günstigere Bedingungen für politische Maßnahmen hat als andere.

(erschienen in „DIE WELT“ am 4. Mai 1992)

Experten: Klimakatastrophe droht

Die globale Klimasituation, besonders der Treibhauseffekt, hat sich nach wissenschaftlichen Erkenntnissen dramatisch zugespitzt. Als gesichert gilt, daß die Erwärmung der Erde nicht auf natürliche Schwankungen zurückzuführen, sondern das Resultat menschlicher Aktivitäten ist. „Damit sind die letzten Zweifel an der Dringlichkeit von Sofortmaßnahmen ausgeräumt“, teilte der Vorsitzende der Bundestags-Enquetekommission zum Schutz der Erdatmosphäre, Klaus Lippolt (CDU), am Freitag in Bonn mit.

Seite 1 der „Welt“ vom 18. Januar 1992: Vor den Folgen des menschgemachten Klimawandels und der globalen Erwärmung warnten Experten bereits in den 1990er Jahren. Geschehen ist seitdem wenig, und für meinen Kommentar – geschrieben 11 Jahre vor Greta Thumbergs Geburt – wurde ich auch nicht ins Kanzleramt eingeladen.

Lippolt präsentierte das alarmierende Ergebnis einer zweitägigen Anhörung „Wissenschaftlicher Sachstand“ zur weltweiten Klimaveränderung. Neben einem weltweiten Temperaturanstieg von 0,6 Grad in den letzten 100 Jahren stellten internationale Fachleute eine Erhöhung des Wasserdampfgehaltes in der Atmosphäre und eine „dramatische Zunahme der Windenergie um 10 bis 20 Prozent“ fest.

Die Erderwärmung steigt / Stürme, Überflutung und Dürre sind die Folgen

Die Windgeschwindigkeit habe um fünf bis zehn Prozent zugenommen, so Lippolt. „Ich glaube, daß das vermehrte Auftreten von Wirbelstürmen mit teilweise katastrophalen Auswirkungen wohl auf diese Phänomene mit zurückgeht.“ Im letzten Jahr waren bei einer gewaltigen Sturmflut in Bangladesch mehr als 100000 Menschen gestorben. Experten sagten jetzt voraus, daß die Zahl der Stürme, besonders in den Wintermonaten, um 25 Prozent zunehmen werde.

In der Kommissionssitzung sei ausdrücklich betont worden, daß „die gemessenen Werte signifikant sind und außerhalb der natürlichen Variabilität liegen“, betonte Lippolt. Im wissenschaftlichen Sprachgebrauch werden Resultate dann als signifikant bezeichnet, wenn auszuschließen ist, daß das Ergebnis auf einem Zufall basiert. Zuvor waren Prognosen zur globalen Erwärmung von Seiten der Politik und der Wirtschaft immer wieder kritisiert worden, weil die Klimatologen natürliche Schwankungen als Ursache der gemessenen Temperaturerhöhungen nicht mit Sicherheit ausschließen konnten.

Besonders dramatisch ist die Situation nach Ansicht der Wissenschaftler deshalb, weil die derzeit wahrnehmbaren Klimaveränderungen auf menschliche Eingriffe zurückgehen, die bereits mehr als 20 bis 30 Jahre zurückliegen. Eine Entwicklung, die auch für Deutschland gravierende Folgen haben könnte, ist die Verlagerung ganzer Klimazonen. Hier liegen neue Erkenntnisse vor, wonach eine zunehmende Erwärmung (für die nächsten 100 Jahre werden mittlerweile sechs bis neun Grad befürchtet) binnen 60 Jahren zu einer Austrocknung von Feuchtgebieten führen könnte.

Betroffen wären unter anderem weite Teile Norddeutschlands, aber auch die Niederlande. Der Kommissionsvorsitzende machte die möglichen Folgen deutlich: „Das funktioniert nicht nach dem Motto: ´Dann wird es eben ein paar Grad wärmer, und wir bauen statt der einen die andere Frucht an.‘ So einfach ist das nicht.“ Stattdessen würden Schwermetalle freigesetzt, die sonst im Boden in gebundener Form vorliegen. „Dadurch bekommen wir Cadmiumkonzentrationen ungeahnten Ausmaßes“, so Lippolt. Eine Verseuchung des Grundwassers wäre die Folge.

(erschienen auf Seite 1, „DIE WELT“, 18. Januar 1992)

Quellen: Pressekonferenz und Erster Bericht der Enquete-Kommission „Schutz der Erdatmosphäre“ (Download als pdf)

Kommentar: Selbsternannte Propheten

Viele Argumente sprechen gegen einen Krieg am Golf – an erster Stelle sicherlich das Blutvergießen, das mit jeder Kampfhandlung einhergeht. Aber auch steigende Erdölpreise, eine Stärkung der islamischen Fundamentalisten und großflächige Zerstörungen, die weit über das eigentliche Krisengebiet hinausreichen, gehören zu den unvermeidlichen Folgen eines militärischen Schlagabtausches.

Neuerdings wurde von selbsternannten Experten auf einem „Sonderkongreß“ in London allerdings auch eine beispiellose Umweltkatastrophe angekündigt, deren Schrecken alles bisher Dagewesene in den Schatten stellen soll. Brennende Ölquellen würden den Himmel verdunkeln und ein gigantisches Ozonloch über dem indischen Subkontinent hervorrufen; ein Temperatursturz um 20 Grad und das Ausbleiben des Monsunregen bedrohten eine Milliarde Menschen mit dem Hungertod, so lautet die Prognose, die unter dem Deckmantel der Wissenschaft an die staunende Öffentlichkeit getragen wurde.

Wenn sich jetzt der eine oder andere die Frage stellt, ob es unter diesen Umständen nicht besser sei, sich mit dem irakischen Diktator zu arrangieren, so hat die Kampagne ihr Ziel bereits erreicht. „Die Kuwaitis waren ja auch nicht gerade aufrechte Demokraten“, so ist zu hören, und gegenüber dem Schlagwort „Kein Blut fürs Öl“ verschwimmen die ungezählten Opfer Saddam Husseins zur gesichtslosen Masse.

Sicherlich wird das Eintreten für die Menschenrechte Opfer erfordern; nicht nur am Golf und leider nicht nur finanzieller Art. Fraglos wird auch die Umwelt Schaden erleiden. Die Größe dieses Schadens allerdings wird von den Londoner Apokalyptikern schamlos übertrieben. Kein seriöser Wissenschaftler würde sich zu derart weitreichenden Prognosen versteigen, wie sie ein dubioses Konglomerat von Altmitgliedern der britischen Kampagne gegen nukleare Abrüstung und der britischen Grünen verbreiten ließ. Im Interesse aller Betroffenen wäre es daher von Vorteil, wenn unausgegorene Spekulationen über das Schicksal der Menschheit künftig nicht mehr mit politischen Interessen verquickt würden.

(erschienen auf der Meinungs-Seite der WELT am 5.1.1991)

Was wurde daraus? Wie erwartet hat der Golfkrieg auch zu massiven Umweltschäden geführt, unter anderem zur bis dato „größten Ölpest aller Zeiten“. Obwohl zahlreiche „Experten“ dazu ihre Meinung verbreitet haben, fand ich keine wissenschaftlich belastbare Analyse. Fakt ist, dass keine einzige der oben zitierten Befürchtungen eingetreten ist.