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Jetzt handeln, fordert Klimaforscher Hartmut Graßl

Klare Forderungen an die Politik: Prof. Hartmut Graßl, Direktor des Max-Planck-Instituts für Meteorologie von 1988 – 2005

Unmittelbar vor dem „Umweltgipfel“ von Rio wuchs das Interesse der Öffentlichkeit an den Folgen der globalen Erwärmung. Mein damaliger Chefredakteur Manfred Schell hatte nicht nur das journalistische Gespür sondern auch ein offenes Ohr für die Thematik. Gemeinsam haben wir deshalb einen der renommiertesten deutschen Klimaforscher interviewt: Professor Hartmut Graßl (geb. 1940), Direktor am Max-Planck-Institut für Meteorologie in Hamburg und Mitglied der Enquete-Kommission „Schutz der Erdatmosphäre“. Im Rückblick nach 30 Jahren beeindruckt mich noch immer die Weitsicht Graßls, dessen allgemeinverständliche Darstellung der Problematik ohne Polemik oder Panikmache, und vor allem die konkreten Handlungsvorschläge.

 

„Die Stürme nehmen zu,
die Gletscher laufen davon“

 

In jüngster Zeit mehren sich die Stimmen, die sagen, wir stünden vor einer Klimakatastrophe. Wie ernst nehmen Sie solche Thesen, Herr Professor Graßl?

Graßl: Wir sind heute in einer Situation, die mein amerikanischer Kollege Steven Schneider so beschrieben hat: „Ich wette, daß wir uns im Jahr 2000 hinstellen werden und sagen, der Zeitpunkt, wo der vom Menschen verursachte zusätzliche Treibhauseffekt in den Daten erkennbar geworden ist, ist das Ende der 80er Jahre.“ Wir spüren davon weniger die schleichende Veränderung der Mittelwerte – die langsame Erwärmung etwa -, sondern die stets damit verbundenen Extremwerte. Erst lange im Nachhinein wird eine seriöse wissenschaftliche Analyse sagen: „Von diesem Zeitpunkt ab war es im Wesentlichen von den Menschen verursacht.“

Aber es gibt viele Hinweise, daß da was läuft: Nicht nur der Globus erwärmt sich, auch Stürme nehmen zum Teil zu, und die Alpengletscher, die laufen praktisch davon. In meinem Heimatdorf, Ramsau bei Berchtesgaden, wo einmal fünf Gletscher existierten, gibt es jetzt nur noch einen. Mein Vater ist auf 1850 Meter Meereshöhe auf den Gletscher gestiegen. Wenn ich das heute machen möchte, muß ich auf 2200 Meter Höhe marschieren.

Kann man denn vorhersagen, in welchem Zeitraum sich die Erde um wieviel Grad erwärmen wird?

Graßl: Die Frage ist ohne gekoppelte Ozean-Atmosphäre-Modelle nicht zu beantworten, und da setzen die Schwierigkeiten ein. Daß die Erwärmung angestoßen ist, ist ein Faktum, aber wo, wann, um wieviel Grad Celsius, ist in der Wissenschaft weiterhin mit großen Fehlerbalken versehen. Inzwischen weiß man nicht nur, daß der Mensch einen massiven Einfluß auf das Klimageschehen ausübt, sondern man weiß auch, daß der Ozean nicht wesentlich dämpft, wie das früher vermutet wurde, sondern nur verzögert.

Die Natur kann also die Eingriffe des Menschen nicht mehr ausgleichen?

Graßl: Ich gehe mal vorsichtig vor und sage, wir nehmen die unterste Grenze dessen, was die UN-Gremien oder die Enquete-Kommission des Bundestages zum Schutz der Erdatmosphäre als Erwärmung bei Nichtstun vorgegeben haben, ernst, und vergleichen dies mit in der Klimageschichte beobachtbaren Temperaturänderungen. Dann lautet die Aussage: Etwas, was wir in ein Jahrhundert packen, nämlich zwei Grad mittlere Erwärmung, steckt die Natur in Jahrtausende.

Und wenn wir uns an der oberen Grenze orientieren, was passiert dann?

Graßl: Nehmen wir die obere Grenze der Prognosen ernst, die genauso wahrscheinlich ist wie die untere, dann lautet die Voraussage, daß uns, wenn wir so weitermachen wie bisher, im nächsten Jahrhundert eine Erwärmung droht, die vergleichbar ist mit dem Unterschied zwischen Eiszeit und Warmzeit, also im globalen Mittel viereinhalb Grad. Während der letzten Temperaturänderung von solch einem Ausmaß, ist nachweislich der Wald von der Riviera ans Nordkap gegangen und zurück.

Wäre das denn in der Gesamtbilanz ein Unglück für die Welt?

Graßl: Der Planet Erde geht nicht kaputt, wenn es um einige Grad Celsius wärmer wird auf der Erde. Was uns betroffen macht, ist nur die Geschwindigkeit, mit der das ablaufen wird, und das Wissen, daß viele Ökosysteme an solche raschen Veränderungen nicht angepaßt sind und dann zusammenbrechen.

Würden Sie eine mittlere Erwärmung der Erde um 4,5 Grad persönlich als Unglück empfinden? Man kann doch auch vermuten, daß Stürme, Überschwemmungen, Verödungen zumindest teilweise durch positive Veränderungen in anderen Gebieten aufgewogen würden.

Graßl: Denken Sie nur mal daran, was zehn Prozent Schrumpfung des Sommerniederschlages in Mitteleuropa und ein Grad Celsius Erwärmung bedeuten. Das heißt: fast keine Gletscher mehr in den Alpen. Das würde die Wasserführung der Donau, des Rheins ganz massiv beeinflussen. Dann muß man fragen, können wir den Rhein noch schiffbar halten im Sommer, bei so vergleichsweise läppischen Klimaänderungen. Der Planet ist nicht der wirklich Betroffene, sondern die menschliche Gesellschaft in ihrer jetzigen Form, praktisch aus allen Nähten platzend. Wo sind denn die Hungergebiete? Fast nur in den semiariden Subtropen und Tropen. Weil dort die natürliche Variabilität des Klimas ein Maximum erreicht, eine winzige Verlagerung der tropischen Niederschlagsbänder, um ein, zwei Grad Breite, über die Ernte entscheidet.

Ich gebe mal ein kleines Beispiel: Jeder hat mitbekommen, wie Bangladesch im vorigen Jahr von einem Wirbelsturm überschwemmt wurde. Es gab 150 000 Tote. Und wodurch ist das zustande gekommen? Bei weniger Mangrovenwald, etwas weniger Dschungel und noch mehr Menschen, bei leicht gestiegenem Meeresspiegel hat ein Standardwirbelsturm eine Katastrophe verursacht.

Was wir Forscher eigentlich sagen wollen: In 20 oder 30 Jahren wird bei noch etwas weniger Mangrove, noch weniger Dschungel, noch mehr Menschen, noch mal beschleunigt gestiegenem Meeresspiegel nicht mehr der Standardhurrikan kommen, sondern einer mit etwas höherer Intensität auf einer vorher nicht üblichen Bahn und wie schaut es dann aus?

Neben der globalen Erwärmung bedroht uns auch die fortschreitende Zerstörung der Ozonschicht. Die von den Industrienationen freigesetzten chlorhaltigen Treibgase, Schäum- und Kühlmittel zerstören mit ihren Abbauprodukten Ozon, das vor der UV-B-Strahlung der Sonne schützt. Wie schätzen Sie dieses Risiko ein?

Graßl: Letztlich ist das Ozonloch bisher fast ausschließlich auf den antarktischen Kontinent beschränkt geblieben. Was glauben Sie, was passiert wäre, wenn fünf bis zehn Prozent Ozon in den Tropen fehlen würden, wo es sowieso schon die höchste UV-B-Bestrahlung gibt? Dann würden wir jetzt schon über die Erblindeten reden. Das Ozonloch ist ein Fingerzeig Gottes am Himmel, weil es weit weg von uns aufgetreten ist, wo fast kein Mensch und auch kein Tier wohnt. Hier in Mitteleuropa ist es sogar höchst wahrscheinlich, daß die UV-B-Belastung trotz Ozonabbaus in der Stratosphäre abgenommen hat. Das ist auf die erhöhte Luftverschmutzung und stärkere Bewölkung während der letzten vier Jahrzehnte zurückzuführen. Ich will damit nicht niederreden, daß der beobachtete Ozonabbau eine große Gefahr ist für die Australier und für die Patagonier und noch mehr Menschen auf der nördlichen Erdhälfte. Für Gebiete mit relativ sauberer Luft wird es zu einer Vervielfachung des Grauen Stars kommen, wenn nur – wie schon beobachtet – zehn Prozent Ozon fehlen.

Was mich beim Ozonabbau aber viel mehr bedrückt, ist, daß das Pflanzenwachstum von der UV-B-Strahlung abhängt. Eine nur wenige Prozente betragende Verminderung der Biomasseproduktion hat ja Folgen für die Welternährung. Betroffen sind aber auch dann wieder diejenigen, die sowieso schon kaum ausreichend Nahrung haben. Wir dagegen, wir sind die Region, die am flexibelsten reagieren wird. Wir werfen ein bißchen mehr Stickstoff auf die Felder, wir erhöhen die Deiche, wir pflanzen andere Kulturen an.

Für Prognosen benötigen Sie gewaltige Mengen an Meßwerten, die einerseits von meteorologischen Stationen kommen, andererseits aber auch von milliardenteuren Satelliten. Allerdings kritisierten Sie, daß die aus Steuergeldern gewonnen Satellitendaten vorwiegend zur Herstellung schöner Kalenderblätter herhalten müssen.

Graßl: Das Dilemma besteht darin, daß man fast das gesamte Geld, das für eine bestimmte Mission bereitgestellt wurde, für Konstruktion, Bau, den Schuß in den Weltraum und Aufbau eines Bodensegments zum Datenempfang verbraucht. Dann gibt es noch ein paar Idealisten, die sich Gedanken machen über die Auswertung der Daten. Das geschieht unkoordiniert.

Viel Geld müssen die Forscher ausgeben, damit sie die Daten überhaupt bekommen, Universitätsinstitute können sich das schon gar nicht mehr leisten. Wenn Sie zum Beispiel die Daten des amerikanischen LandsatSatelliten auf Magnetband haben wollen, kostet das für eine Fläche von 185 x 185 Kilometer 3000 Dollar. Dadurch wird die Forschung behindert.

Die Bevölkerung möchte doch wissen, „Wieviel Wald ist abgeholzt worden?“, „Ist das in Malaysia besonders schlimm oder in Brasilien?“, „Wie hat sich die Landnutzung in meinem Heimatland im Laufe von 20 Jahren geändert?“ Die Daten liegen da, aber die systematische Auswertung auf hohem wissenschaftlichen Niveau wird nicht betrieben. Also quetscht man aus den Milliarden, die man in Form von hochgezüchteten Radiometern in den Weltraum geschossen hat, am Boden nicht das heraus, was man eigentlich hätte herausquetschen ‚können.

Der europäische Umweltsatellit ERS-1 hat Milliarden Mark gekostet und sendet in jeder Sekunde unvorstellbare Datenmengen zur Erde. Wie steht es um die Auswertung dieser Daten?

Graßl: In der Bundesrepublik Deutschland sind Anträge von organisierten Nutzergruppen, die an das Bundesministerium für Forschung gerichtet waren, abgelehnt worden. Teilweise mit der Bemerkung, man würde ja schon so viel für den ERS-1 bezahlen müssen. Ich habe deshalb vorgeschlagen, eine unabhängige Organisation einzurichten, um die Finanzierung der Datenauswertung zu sichern. Ich rede dabei über relativ viel Geld. Mein erster Steinwurf war eine Milliarde Mark pro Jahr für die Europäer, um eine adäquate Datenauswertung sicherzustellen. Mein Vorschlag dazu wurde von der Esa sehr wohlwollend aufgegriffen.

Anfang Juni beginnt in Rio die UN-Konferenz über Umwelt und Entwicklung (UNCED). Delegationen aus rund 150 Ländern werden anwesend sein; insgesamt werden mehr als 50 000 Teilnehmer erwartet. Die hochgesteckte Erwartung, daß konkrete und für alle Länder verbindliche Maßnahmen zum Schutz der Umwelt getroffen werden, scheint sich nicht zu erfüllen. Stattdessen zeichnet sich eine neue Auflage des Nord-Süd-Konfliktes ab.

Graßl: Ja, man muß den Nord-SüdKonflikt auf dem Umweltsektor extrem ernst nehmen, sonst werden wir Industrieländer ununterbrochen auf die Anklagebank gesetzt. Ein kleines Beispiel: Einmal nur hat ein sowjetischer Delegierter gewagt, in einem Gremium der Vereinten Nationen, dem ich angehöre, zu sagen, wir müssen schon erhöhte Weizenproduktion in den nördlichen Waldzonen mit dem gestiegenen Meeresspiegel gegenrechnen. Der Vertreter der Malediven, der bis dahin nichts gesagt hatte, sprach, ruhig an alle Delegierten gerichtet, er möchte zur Kenntnis bringen, daß in seinem Land der höchste Berg drei Meter über dem Meeresspiegel liege. Damit war klar, welche Dimensionen dieser Konflikt hat.

In dem UN-Bericht, der zur Weltklimakonferenz herausgegeben wurde, steht: Auch schon wenige Dezimeter Meeresspiegel Anstieg bedeuten das Aus für einige Inselstaaten. Nicht daß das Land immer überschwemmt wäre, aber die Süßwasserversorgung wird zerstört oder zumindest gefährdet, denn es dringt Salzwasser in die Süßwasserlinsen im Inneren der Inseln vor. Kiribati, Malediven, Tuvalu und wie diese kleineren Staaten in der Südsee alle heißen; die sind alle gefährdet. Der Vertreter von Kiribati sagte einmal bei einer solchen Sitzung zum Vertreter der Vereinigten Staaten, er möchte fragen, ob die USA bereit sind, die Einwohner der Inselstaaten aufzunehmen. Es gab keine Antwort.

Den Vereinigten Staaten kommt auf der Konferenz eine Schlüsselrolle zu. Die Entwicklungländer und die Schwellenländer wollen sich nur dann auf weitreichende Verpflichtungen einlassen, wenn die USA finanzielle Hilfe zusagen und ihren Energieverbrauch einschränken.

Graßl: Ja, die letzte Weltmacht läßt in den Gremien die Schwellenländer als Bremser agieren. Da filibustert dann der Saudi-Araber als allererster, der meldet sich bei jedem Thema, und versucht nach höflichen diplomatischen Einleitungen das Ganze zu zerreden, weil ja alles noch so unsicher sei.

Die Mexikaner wiederum sind absolut dagegen, daß man überhaupt Klimafolgen für die Wirtschaft diskutiert. Ziel war es, den Ländern zu sagen: „Paßt auf, besonders empfindlich seid ihr, wenn …“ Wenn es darum geht, eine erste internationale Koordination zu diskutieren, springen sofort andere Schwellenländer auf und wittern Souveränitätsverlust.

Die Brasilianer sagen, wir diskutieren hier über den Urwald nur, wenn ihr selbst mit Minderungsmaßnahmen begonnen habt. Also ist die Grundvoraussetzung für einen Erfolg in Rio der Start der Industrienationen mit Reduktionen bei der Verbrennung von Kohle, Erdöl und Erdgas.

Und das steht und fällt mit der Zusage der Vereinigten Staaten, Herr Professor?

Graßl: Nicht unbedingt. Die Vereinigten Staaten stehen für ein Viertel der weltweiten Emissionen. Aber ich möchte es einmal anders formulieren: In unserem Land wie in anderen Ländern regt sich ja inzwischen die Erkenntnis, auch bei Wirtschaftswissenschaftlern, daß eine staatlich gestützte, massive Effizienzsteigerung bei der Nutzung der fossilen Energie eher die Wirtschaft fördert als sie stark behindert, wegen der Exportchancen, die damit verbunden sind, und auch wegen der eingesparten Rohstoffe.

Meine persönliche Meinung lautet: Wenn die Amerikaner jetzt nicht mitmachen, dann verabschieden sie sich zu Teilen von der modernen Industriegesellschaft, dann werden sie diejenigen sein, die das demnächst zu spüren bekommen, daß es ihnen nicht gelungen ist, den Kühlschrank mit der halben Wattzahl zu bauen und das besonders sparsame Auto und wärmegedämmte Häuser eingeführt zu haben.

Die Fahrt mit dem Auto über 40 Meilen jeden Morgen zum Betrieb, gezwungenermaßen, weil ein öffentliches Verkehrssystem nicht existiert, ist schon eine ungeheure Energie- und Materialverschwendung, und eine Verschwendung von menschlichen Ressourcen obendrein.

Also: Wenn die Vereinigten Staaten so weitermachen, dann werden sie weiterhin besonders stark von dieser Schmutzenergie abhängen und in die Nähe dessen rücken, was wir jetzt im Ostblock erleben.

Können wir eigentlich guten Gewissens verlangen, daß zum Beispiel die chinesischen Haushalte auf ihren Kühlschrank verzichten, um die Ozonschicht nicht weiter zu belasten?

Graßl: Nein, das dürfen wir nicht. Es ist doch eine Vermessenheit, wenn ein Mensch, der einen Fernseher, einen Kühlschrank, und eine Gefriertruhe im Haus und einen Zweitwagen vor dem Haus stehen hat, wenn der sich aufschwingt, darüber zu reden was der Chinese haben darf.

Unsere Industrialisierung ist ein schönes Beispiel dafür, wie ineffizient wir ursprünglich waren. Deshalb können wir uns da nicht aufspielen. Es ist mittlerweile eigentlich eine Platitüde geworden: Die Effizienzsteigerung in den Industrienationen liefert die Basis für die regenerativen Energieformen und ist die Grundvoraussetzung für eine zukunftsträchtige Entwicklung in der Dritten Welt. Deswegen ärgert es mich eigentlich so, daß die Vereinigten Staaten da nicht mitmachen.

Lassen wir einmal die Vereinigten Staaten beiseite – was kommt auf uns Europäer, auf uns Deutsche zu?

Graßl: Wir haben eher einen Exportvorteil, wenn wir jetzt mit dem Sparen anfangen und die Amerikaner nichts machen, aber man muß das ja in der Gesamtschau sehen, denn wir reden hier über ein globales Thema.

Es gibt Menschen, die glauben, technische Lösungen für das Treibhausproblem parat zu haben. Einige Vorschläge laufen darauf hinaus, mehrere Millionen Quadratkilometer Wald zu pflanzen oder die Ozeane mit Eisen zu düngen, um durch gesteigertes Planktonwachstum CO2, aus der Atmosphäre zu entfernen. Wieder andere sagen, man muß die Kernenergie einfach ausbauen. Wie stehen Sie dazu?

Graßl: Das sind die Ingenieurslösungen, wie ich das nenne. Die sind äußerst gefährlich in einem nicht durchblickten System. Warum geht es denn eigentlich nicht in die Köpfe, daß man die Quellen herunterfahren muß? Und daß wir dies leicht machen können.

Sie hatten die Kernenergie angesprochen. Wieviel trägt sie denn weltweit zur Energiegewinnung bei? Bezogen auf die Primärenergie handelt es sich um einige wenige Prozent. Wir reden aber über die Beseitigung von 80 Prozent des Primärenergieeinsatzes in einem halben Jahrhundert, um von dieser Störung der Atmosphäre und des ganzen Planten loszukommen. Und jetzt möchte ich mal fragen, was ist auf der Erde los, wenn wir die Kernenergie in einen Bereich von zehn, 20 und 30 Prozent des Gesamtenergieeinsatzes der Erde treiben?

Dann haben wir natürlich keine unmittelbare globale Störung, aber wir haben regional unbewohnbares Gelände. Wie um Tschernobyl herum. Denn man muß nicht glauben, daß die Menschen so intelligent sind, daß sie solche Systeme auch immer so betreiben können, daß nichts passiert.

Wir wollen doch nicht Schmutz durch Schmutz ersetzen. Ich rede jetzt von den wirklich großen Dimensionen, und ich meine, wir müssen in einem Kraftakt die 80 Prozent ersetzen. die wir gegenwärtig aus fossilen Brennstoffen gewinnen.

Welche Maßnahmen wären notwenig, um den globalen Klimawandel abzumildern?

Graßl: Der Start der Industrienationen in Richtung einer konzertierten Politik zur Effizienzsteigerung bei fossilen Energien, das ist das A und O. Denn erst danach greifen erneuerbare Energien wirklich. Jedes Haus sollte nur noch die Hälfte der Heizenergie verbrauchen. Wir müßten einfach den schwedischen Standard bei der Wärmedämmung einführen. Die neue Verordnung liegt ja bereits im Entwurf vor.

Seit wann?

Graßl: Sie ist bereits in der Koalition verabredet. Das heißt, es müßte in dieser Legislaturperiode kommen, aber es muß rasch kommen.

Wärmedämmung allein reicht aber nicht aus?

Graßl: Nein, auch der Verkehr ist ein großer Posten, wo man anpacken muß. Ich meine zum Beispiel, daß man zu Flottenverbrauchsregeln kommen muß. Also nicht da noch eine Geschwindigkeitsbeschränkung oder dort noch eine. Damit bewegen Sie insgesamt nur zehntel Prozent. Wir müssen den Spritverbrauch pro 100 Kilometer, der seit Ende der 60er Jahre unverändert ist, reduzieren. Wir fahren zur Zeit Autos, die zwar pro PS viel effizienter sind als die alten, aber wir haben die PS-Zahl so gesteigert, daß wir weiterhin zehn Liter pro 100 Kiolometer brauchen. Erst in den letzten ein bis zwei Jahren deutete sich eine kleine Verbesserung an. Wenn Mercedes, BMW, VW, Audi von der Politik vorgegeben wird, den über alle verkauften Modelle summierten Spritverbrauch jährlich um fünf Prozent zu reduzieren und dies als Langfristprogramm bis zum Jahre 2003 festgelegt wird, dann sind unsere Ingenieure die letzten, die das nicht schaffen. Ebenso wichtig wie Flottenverbrauchsregeln ist jedoch die Verlagerung eines Teils des privaten Verkehrs zum öffentlichen Verkehr und die Vermeidung unnützer Fahrten. Auch bei den Haushaltsgeräten haben wir noch lange nicht alle Möglichkeiten ausgereizt. Ich rede wohlgemerkt überhaupt nicht von Wohlstandsverlusten.

Das Umweltherz der Menschen ist eine Grundvoraussetzung dafür, daß die Politiker entscheiden. Aber es bewegt die großen Energiemengen nicht. Was hilft es denn, wenn fünf oder zehn Prozent der Bevölkerung sehr energiebewußt sind und die anderen 90 oder 95 weiterhin so aasen wie bisher? Aber diese fünf bis zehn Prozent brauchen Sie, um den Druck auf die Politiker auszuüben, damit die was tun. Und den Druck haben wir in Teilbereichen erreicht, oder wir stehen kurz davor. Wir sind ein Land, daß durch die Umweltverbände und die langjährige Diskussion doch ziemlich vorangekommen ist und weitaus günstigere Bedingungen für politische Maßnahmen hat als andere.

(erschienen in „DIE WELT“ am 4. Mai 1992)

Kommentar – Scheinheilige Scheichs

Jetzt ist die Katze aus dem Sack: Wenige Wochen vor dem Umweltgipfel in Rio hat sich die Organisation erdölexportierender Länder (OPEC) in seltener Einmütigkeit gegen jegliche Art von Energiesparmaßnahmen ausgesprochen. Die handfeste Weigerung, konkrete Schritte gegen die fortschreitende globale Erwärmung zu ergreifen, wird mit der Sorge um das wirtschaftliche Wachstum der Entwicklungsländer, „einschließlich der Ölexportländer“ begründet.

Die Sorge ist ebenso scheinheilig wie unfundiert. Längst sind sich alle – unabhängigen – Klimaforscher einig, daß der weltweite Anstieg der Temperaturen zum überwiegenden Teil auf die Verbrennung fossiler Rohstoffe durch die sechs Milliarden Erdbewohner zurückzuführen ist. Jedes Schulkind weiß heute, daß das Treibhausgas Kohlendioxid beim Verfeuern von Öl und Gas, von Holz und Kohle freigesetzt wird.

„Unter der absehbaren Klimaveränderung werden vor allem die Länder der Dritten Welt zu leiden haben“, befindet zum Beispiel die Enquete-Kommission des Deutschen Bundestages. Vor allem den Entwicklungsländern – einschließlich der meisten Opec-Staaten – drohen Dürreperioden, Flutkatastrophen und im Gefolge dieser Naturereignisse Hungersnöte bisher nicht gekannten Ausmaßes.

Besonders peinlich muß es daher anmuten, wenn sich hochentwickelte Ölexportnationen in das Wehklagen der OPEC-Länder einreihen. Der kanadische Energieminister Rick Orman etwa hält es für wenig sinnvoll, „die Ausgaben für den Kampf gegen Kohlendioxid stark anzuheben“. Die Klimaforscher, so lautet die abenteuerliche. Begründung, könnten sich derzeit noch nicht darauf einigen, ob der CO2-Gehalt der Atmosphäre sich erst in hundert oder schon in sechzig Jahren verdoppeln wird.

(erschienen im Wirtschaftsteil „DIE WELT“ am 25. April 1992)

Klimastudien in der Polarnacht

Nach langer, unfreiwilliger Unterbrechung unterhält Deutschland jetzt wieder eine Forschungsstation in der Arktis. Die in Ny-Ålesund auf der norwegischen Insel Spitzbergen gelegene, nach dem Pionier der deutschen Polarforschung, Carl Koldewey, benannte Station wurde am vergangenen Samstag offiziell eröffnet.

Deutsche Forschungsstation in der Arktis eröffnet

Ny-Ålesund befindet sich auf 79 Grad nördlicher Breite und war bis vor wenigen Jahren die nördlichste Bergwerkssiedlung der Welt. Heute sind in die alten Gebäude vorwiegend norwegische, britische, japanische und deutsche Wissenschaftler eingezogen. Sie nutzen die günstige Lage- der Nordpol ist nur runde 1500 Kilometer entfernt – für eine Reihe von Untersuchungen, die von der Erforschung der Lufthülle und dem Verhalten der Gletscher bis zu Studien an der einheimischen Tier- und Pflanzenwelt reichen.

Die Carl-Koldewey-Station, die vom Alfred-Wegener-Institut für Polar- und Meeresforschung in Bremerhaven (AWI) unterhalten wird, besteht aus einem zweigeschossigen Stationsgebäude, dem „Blauen Haus“ mit vier Wohn-, drei Arbeitsräumen und einem Tagungsraum. Angegliedert sind ferner Laborräume für chemische und geophysikalische Untersuchungen sowie mehrere Laborcontainer für das Ozonerforschungsprogramm des AWI.

Die Arktis sei der Schlüssel zum Verständnis der globalen Umweltveränderungen, betonte der Parlamentarische Staatsseketär im Bundesministerium für Forschung und Technologie, Bernd Neumann, anläßlich der Eröffnungszeremonie. „Modellrechnungen zeigen, daß der Temperaturanstieg aufgrund des Treibhauseffektes in der Arktis zwei- bis dreimal höher ist als in Mitteleuropa. Die Schädigung der Ozonschicht ist außerdem in den Polarregionen am stärksten ausgeprägt.“

Professor Gotthilf Hempel, Direktor des AWI, bezeichnete die Eröffnung der Station als einen „Meilenstein in der Geschichte der deutschen Arktisforschung“. Zwar hatten sich bereits 1881 im Rahmen des Ersten Polarjahres die ersten deutschen Forscher in die Arktis gewagt und auch die von Alfred Wegener 1930 in Grönland errichtete „Eismitte-Station“ hatte für einiges Aufsehen gesorgt. An die Aktivitäten des „anderen Deutschland“ erinnern noch heute die Überreste einer Forschungsstation, die 1958 anläßlich des Ersten Geophysikalischen Jahres in der Nähe von Ny-Ålesund errichtet wurde.

Erstmals existiert jetzt aber eine Basis, von der aus kontinuierliche Untersuchungen deutscher Wissenschaftler möglich sind. De facto allerdings ist die Carl-Koldewey-Station schon seit Oktober 1990 in Betrieb; damals hatten die beiden ersten deutschen Überwinterer des AWI, Dr. Wolfgang Breitschuh und Detlef Kittler, ihre Arbeit aufgenommen und während der mehrmonatigen Finsternis der Polarnacht die ersten meteorologischen und luftchemischen Messungen angestellt.

Seit dem 1. Juli dieses Jahres werden von Dr. Roland Neuber und Thorsten Schmitt tägliche Ballonaufstiege meteorologischer Sonden durchgeführt, die Druck, Temperatur, Luftfeuchtigkeit und Windgeschwindigkeit messen. Die Daten werden an den norwegischen Meteorologischen Dienst weitergeleitet und von dort in das Welt-Wetternetz eingespeist. Für die unteren Luftschichten, in denen die Ballonsonden keine guten Meßwerte der Windgeschwindigkeit erreichen, wurden bis zum November letzten Jahres Untersuchungen mit einem akustischen Meßsystem angestellt, das aus drei schwenkbaren Schalltrichtern besteht.

Dieses Sodar (Sonar Detection and Ranging) erlaubt es, kurze Schallsignale stark gebündelt in die Atmosphäre zu entsenden. Der aus Höhen bis zu 500 Metern reflektierte Schall wird dann mit empfindlichen Mikrophonen gemessen. Aus den empfangenen Signalen können Windgeschwindigkeit und Windrichtung, aber auch Turbulenzen vom Boden aus bestimmt werden. Zum Leidwesen der Wissenschaftler ist die Anlage seit November 1990 wegen eines technischen Defektes außer Betrieb.

Mehr Glück hatten die Forscher mit der Luftchemie; wie Neuber erklärte, füllen vor allem die Ozonmessungen mit einem gepulsten Laser (Lidar) eine Lücke im weltweiten Meßnetz. Anders als die Messungen der benachbarten norwegischen Forschungsstation, ergibt sich mit dem Lidar ein recht genaues Bild der Ozonverteilung in verschiedenen Luftschichten von 15 bis 40 Kilometern Höhe.

In diesen Regionen spielt sich auch die Entstehung des arktischen Ozon1ochs ab, das erst im letzten Jahr nachgewiesen wurde. Durch eine technische Finesse des Geräts ist Neuber in der Lage, Messungen auch am Tage durchzuführen, was unter der Mitternachtssonne einen unschätzbaren Vorteil gegenüber „gewöhnlichen“ Lidars darstellt.

In wenigen Tagen werden in der neuen Forschungsstation auch die ersten Biologen eintreffen. Sie wollen die Makroalgen des Königsfjordes untersuchen und der Frage nachgehen, in welchem Umfang die Pflanzen Bromverbindungen in die Atmosphäre abgeben.

(erschienen in „DIE WELT“ am 14. August 1991)

Die Kapazität der Meere für CO2 ist begrenzt

Müllkippe und Speisekammer, Rohstoffquelle und Naturgewalt – die Ozeane der Erde haben viele Gesichter. Jedes Kind weiß heute, daß über zwei Drittel der Erdoberfläche von Wasser bedeckt sind. Wie wichtig die Erforschung jener 361 Millionen Quadratkilometer ist, wurde auch auf der internationalen Konferenz „Ozeane, Klima und Menschen“ der San Paolo-Stiftung deutlich, die gestern in Turin zu Ende ging. Denn die Meere der Welt sind derzeit noch die größte Unbekannte im Klimageschehen der Erde.

3800 Meter beträgt deren durchschnittliche Tiefe; im pazifischen Marianengraben geht es sogar 11 521 Meter hinab. Diese unvorstellbare Wassermenge nimmt den weitaus größten Teil der Sonnenenergie auf, speichert diese in Form von Wärme und kann sie später wieder abgeben. Das Wechselspiel zwischen Meer und Atmosphäre ist die treibende Kraft für Wetterentwicklung und Klima, das sich als Mittelwert des Wetters über einen längeren Zeitraum definieren läßt.

Obwohl Wasser rund 800-mal schwerer als Luft und wesentlich zähflüssiger ist, zeigen die Luftmassen der Atmosphäre und das Wasser der Ozeane in mancher Hinsicht ähnliches Verhalten. Ein Zyklon, der einen Durchmesser von etwa 1000 Kilometern hat, läßt sich durchaus mit einem ozeanischen Wirbel von rund 20 Kilometern vergleichen. Ebenso haben marine Wirbel zwar nur ein Fünfzigstel der Größe ihrer atmosphärischen Verwandten, sind dafür aber auch über Monate hinweg stabil.

Ein weiteres Beispiel für den Energietransfer zwischen Meer und Atmosphäre ist das Phänomen El Niño, eine warme Strömung, die für die Fischer der peruanischen Küstenregion einen wichtigen Wirtschaftsfaktor darstellt. Das Christkind – so die deutsche Übersetzung von El Niño – taucht etwa alle drei bis vier Jahre zur Weihnachtszeit vor der Westküste Südamerikas auf und unterbricht dabei die Zufuhr kalter und nährstoffreicher Wassermassen an die Oberfläche. Für die Fischer Perus bedeutet das einen drastischen Rückgang ihrer Fänge, der sich durch einen Temperaturanstieg des Oberflächenwassers ankündigt.

El Niño wandert dann weiter in Richtung Australien und Asien, was regelmäßig zu Sturmfluten und Dürrekatastrophen führt, die 1982/83 besonders verheerend waren. Während Ozeanographen und Klimatologen El Niño früher als isoliertes Phänomen ansahen, ist Dr. David Anderson von der Universität Oxford heute der Meinung, daß die Meeresströmung eine periodische Schwankung in einem zusammenhängenden System aus Ozean und Atmosphäre darstellt. So ließe sich auch ein Zusammenhang mit dem zeitweiligen Ausbleiben des indischen Monsuns erklären. Das Gesamtphänomen El Niño und die als „südliche Oszillation“ bekannte Luftdruckschwankung werden daher neuerdings als „Enso“ bezeichnet, ein Kunstwort für die beiden Aspekte der gleichen Klimaerscheinung.

„In unserer Computersimulation deutet alles darauf hin, daß Enso 1991/92 wieder besonders stark sein wird“, warnt Anderson. Ein anderes Problem brennt allerdings noch dringender auf den Nägeln – die Frage nach der Rolle, welche die Weltmeere bei der kaum noch bestrittenen globalen Erwärmung spielen.

Dr. Philip Jones vom Labor für Klimaforschung der Universität East Anglia im britischen Norwich darf sich rühmen, den Datendschungel besonders gründlich durchforstet zu haben. Rund 80 Millionen Temperaturmessungen aus den Ozeanen unseres Planeten sichtete der Klimaforscher in zehnjähriger Kleinarbeit und korrigierte dabei die teilweise erheblichen Fehler, die sich über 140 Jahre hinweg in die Datenbank eingeschlichen hatten. Denn die Meßmethoden waren in diesem Zeitraum alles andere als einheitlich.

Während man vor dem Zweiten Weltkrieg beispielsweise das Wasser noch mit einem Eimer an Bord holte und dort nach wenigen Minuten die Temperatur von einem Quecksilberthermometer ablas, sind die Sensoren heute meist in das Ansaugrohr für das Kühlwasser integriert. Dort aber – so ergab der direkte Vergleich – sind die Meßwerte zwischen 0,3 und 0,7 Grad höher als die im Eimer bestimmten.

Auch ist Eimer nicht gleich Eimer. Seitdem nämlich 1853 in Brüssel die „Internationale Vereinbarung über Messung, Sammlung und Austausch maritim meteorologischer Beobachtungen“ unterzeichnet wurde, holte man das Wasser mal mit Säcken aus Segeltuch, dann mit Holz- oder Metalleimern und seit dem Zweiten Weltkrieg endlich auch mit Plastikeimern an Bord. Da diese Behältnisse jeweils unterschiedlich gute Isolatoren sind und die genaue Meßmethode erst seit 1970 registriert ist, war Jones gezwungen, die meisten Meßwerte zu korrigieren und nicht wenige völlig außer Acht zu lassen. Dennoch ist das Ergebnis der Detektivarbeit eindeutig: „Die Durchschnittstemperatur der Erde ist in den letzten 100 Jahren um 0,5 Grad gestiegen“, sagt Jones.

Die Erwärmung – auch darin lind sich die Experten einig – ist auf die Freisetzung großer Mengen von Treibhausgasen durch den Menschen zurückzuführen. Zwar gibt es einen geradezu lebenswichtigen, natürlichen Treibhauseffekt, verursacht durch Wasserdampf md Kohlendioxid, ohne den die Erde ein kalter und unbewohnbarer Planet wäre. „Aber der Mensch bringt derzeit jährlich durch die Verbrennung fossiler Rohstoffe und die Abholzung von Wäldern etwa 7,5 Milliarden Tonnen Kohlendioxid zusätzlich in dieses fein balancierte System“, betont Georges Woodwell, Direktor des Woodshole Research Center im amerikanischen Bundesstaat Massachusetts. Das entspricht umgerechnet rund fünf Milliarden Tonnen Kohlenstoff.

In dieser Rechnung sind die Weltmeere die große Unbekannte. Sie bilden den bei weitem größten Kohlendioxidspeicher, doch fallt es schwer, abzuschätzen, was angesichts zunehmender Temperaturen langfristig geschehen wird. 40.000 Milliarden Tonnen Kohlenstoff werden allein in den tieferen, austauscharmen Schichten vermutet. An der Grenzschicht zur Atmosphäre befinden sich nochmals rund 800 Milliarden Tonnen. Hier findet auch ein reger Austausch mit der Luft statt. Ein Drittel bis zur Hälfte des durch menschliche Aktivitäten freigesetzten CO2 werden so entsorgt, doch funktioniert diese Pufferfunktion nur über begrenzte Zeit.

Eine Möglichkeit, das Gas zu entfernen, wird von den fotosynthetischen Meeresorganismen demonstriert: Ein Sammelsurium meist winziger Organismen, das Phytoplankton, produziert aus Licht und CO2 ständig neue Nährstoffe. Der Kohlenstoff wandert in die Schalen und Gehäuse der Mikroorganismen und fallt nach deren Tod auf den Meeresgrund. Doch die dazu erforderlichen gewaltigen Zeiträume stehen der Menschheit nicht mehr zur Verfügung, um die drohende Klimakatastrophe abzuwenden.

(erschienen in „DIE WELT“ am 18. April 1991)

Schutz für den Tropenwald

Einen Rodungsstopp für alle Tropenwälder fordert Professor Gundolf Kohlmaier vom Institut für Physikalische und Theoretische Chemie der Universität Frankfurt. Der Klimaforscher weiß, wovon er redet, denn der 57jährige hat in einem aufwendigen Computerprogramm den Einfluß der Pflanzenwelt auf das Weltklima simuliert. Ergebnis der Studie: Die ständig steigende Produktion des Treibhausgases Kohlendioxid (CO2) durch den Menschen kann kaum noch durch vermehrten Pflanzenwuchs aufgefangen werden.

Laborversuche hatten zuvor ergeben, daß der vermehrte CO2-Gehalt der Atmosphäre das Pflanzenwachsturn begünstigt. Bei der Photosynthese entziehen nämlich die grünen Pflanzen und Algen ihrer Umgebung das Kohlendioxid. Innerhalb gewisser Grenzen wirkt das Treibhausgas wie ein Dünger, so daß manche Forscher argumentierten, dieser Effekt könnte das überschüssige Treibhausgas „wegfangen“ und die schleichende Erwärmung der Atmosphäre verhindern.

Leider aber deutet Kohlmaiers Modell darauf hin, daß die 5,6 Milliarden Tonnen Kohlenstoff, die jährlich bei Verbrennungsprozessen aus den Schornsteinen von Kraftwerken, Industriebetrieben und Privathaushalten entweichen, von der Vegetation nicht mehr bewältigt werden können, wenn die zunehmende Vernichtung der Tropenwälder nicht gestoppt wird. Derzeit schrumpfen diese Regionen jährlich um 140.000 Quadratkilometer.

Kohlmaier, der sein Fachwissen auch in die Enquete-Kommission des Bundestages zum Schutz der Erdatmosphäre einbringt, fürchtet eine weitere Verschärfung des Treibhauseffekts. Wenn die Prognosen der Klimaforscher zutreffen, wird sich die globale Durchschnittstemperatur innerhalb von 50 Jahren um drei Grad erhöhen. Dann, so warnt Kohlmaier, setzt der Boden als einer der größten CO2-Speicher weitere 300 Milliarden Tonnen Kohlenstoff frei – fünfzig Mal so viel, wie jährlich durch die Verbrennung von Öl, Kohle und Gas entsteht.

(erschienen in „DIE WELT“ am 5. April 1991, anlässlich der Verleihung des Philip-Morris Forschungspreis an Prof. Kohlmaier)

Was wurde daraus? Die Welternährungsorganisation FAO hat errechnet, dass alleine in Amazonien zwischen 1990 und 2010 annähernd 600.000 Quadratkilometer Regenwald verschwunden sind – dies entspricht fast der doppelten Fläche Deutschlands. Zwischen 2000 und 2005 schrumpften die bewaldeten Flächen in den meisten wichtigen Ländern aber nur noch um weniger als 1 Prozent, wie ich der Wikipedia entnehme. Eine noch verlässigere Datenquelle dürfte Our World in Data sein, wo man Zahlen der Welternährungsorganisation aufbereitet hat. Dort ist zu sehen, dass in den Jahrzenten zwischen 1990 und 2009 die jährlichen Verluste in Afrika mit etwa 0,5 % und in Amerika mit 0,25 %  zwar noch immer beträchtlich waren, dass aber im gleichen Zeitraum in Asien jeweils 0,25 % neuer Waldflächen wuchsen, und in Europa sogar 0,37 %. Das ist zwar noch immer kein Grund zum Jubeln, scheint mir aber weniger ausgeprägt als der gefühlte bzw. von den Medien transportierte Schwund.

Kommentar: Klare Sprache

Der Wille, Andere anzuhören, ist Grundlage für gerechte Entscheidungen – nicht nur in der Politik. Offensichtlich war die Mehrheit der politisch Verantwortlichen in Genf aber nicht bereit, den Ratschlägen der weltbesten Klimaforscher die gebotene Aufmerksamkeit zu schenken.

Über die Klimapolitik habe ich mich damals schon geärgert, aber das Vertrauen des Chefredakteurs Manfred Schell hat mich sehr gefreut: Mein erster Kommentar bei der WELT nach nur zwei Monaten als Redakteur im Wissenschaftsressort.

Namentlich die Hauptproduzenten des Treibhausgases Kohlendioxid – die Vereinigten Staaten und die Sowjetunion – wollen sich aus der Verantwortung stehlen und ziehen sich auf angebliche Unsicherheiten in den Prognosen der Wissenschaftler zurück. Andere, wie die britische Premierministerin Margaret Thatcher, formulieren wohlklingende Erklärungen, um ihre Bremserrolle auf dem Gebiet des Umweltschutzes zu kaschieren. Da nützt es wenig, wenn Deutschland, Frankreich oder die kleine Schweiz drastische Maßnahmen beschließen, um ihrer Verantwortung für das Weltklima gerecht zu werden.

Seit Mai dieses Jahres liegt die Bilanz der führenden Klimaexperten vor. 170 Fachleute aus 25 Ländern haben eine Zusammenfassung des heutigen Standes der Klimaforschung vorgelegt, kondensiert auf 25 Seiten, geschrieben in verständlicher und klarer Sprache. Niemand behauptet, alle Fragen beantworten zu können, doch sind die Empfehlungen eindeutig:

Gehandelt werden muss jetzt, denn die 20 Milliarden Tonnen Kohlendioxid, welche jährlich buchstäblich verheizt werden, haben im Zusammenspiel mit FCKW, Methan und anderen Gasen die Zusammensetzung der Erdatmosphäre schon stärker verändert, als jemals zuvor in der Geschichte der Menschheit.

In Genf saßen Wissenschaft und Politik zwar am gleichen Tisch – aber nicht zur gleichen Zeit. Wenn dieses Beispiel Schule macht, sollte man auf derartige Konferenzen lieber verzichten: Durch die reduzierte Reisetätigkeit tausender Politiker, Forscher und Medienvertreter würde weniger CO2 produziert, man hätte dann einen konkreten Schritt gegen die globale Erwärmung getan.

(Erschienen in der WELT am 8. November 1990)

Berichte der Enquete-Kommission Erdatmosphäre

Drei Drucksachen des Deutschen Bundestages sind die Grundlage für die Darstellung der drängendsten Umweltprobleme unserer Zeit. In insgesamt vier Bänden werden die Ergebnisse der Enquete-Kommission „Vorsorge zum Schutz der Erdatmosphäre“ dargelegt. Von der Zerstörung der Ozonschicht über den Schutz der Tropenländer bis zu globalen Klimaveränderungen reicht die Thematik. Zahlreiche Abbildungen begleiten den klar und verständlich gehaltenen Text, dem eine weite Verbreitung auch in öffentlichen Bibliotheken zu wünschen wäre.

Schutz der Erdatmosphäre“, 640 S., 48 Mark; „Schutz der Tropenwälder“, 983 S.,58 Mark; „Schutz der Erde“ (zwei Bände, ab Januar im Handel), ca, 1600 S., 98 Mark. Economica Verlag/Verlag C. F. Müller.

(erschienen in der WELT  am 8. November 1990. Aktualisiert am 7. Mai 2017)

P.S.: Habe leider nur zwei der drei Drucksachen zum Download gefunden: Schutz der Erdatmosphäre, und Schutz der Erde