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Prognosen zur Erderwärmung erneuert

Rechtzeitig zur UNCED-Konferenz vermelden wissenschaftliche Fachzeitschriften eine wahre Flut an neuen Meßwerten, Theorien und Prognosen zum Ausmaß der heiß diskutierten globalen Erwärmung. Auch die Enquetekommission „Schutz der Erdatmosphäre“ des Deutschen Bundestages legte dieser Tage ihre alarmierenden Befunde in Buchform vor.

Die Aussagen der Experten sind eindeutig: „Als Folge einer Politik des Abwartens wird sich die Temperatur der Erdatmosphäre bis zum Jahr 2100 um rund zwei bis fünf Grad erhöhen“, so die Enquetekommission. 370 Klimaforscher, die vom Umweltprogramm der Vereinten Nationen (UNEP) und von der Weltorganisation der Meteorologen (MO) beauftragt wurden, hatten exakt die gleichen Zahlen genannt – im Juni 1990.

In der Zwischenzeit haben sich diese Wissenschaftler, die sich zum Intergovernmental Panel on Climate Change (IPCC) zusammengefunden haben, nicht auf ihren Lorbeeren ausgeruht. Viele Klimafaktoren, die bei den ersten Hochrechnungen schlicht unter den Tisch fielen, wurden mittlerweile in die Computersimulationen mit aufgenommen.

Zwei amerikanische Klimamodelle, ein britisches und ein deutsches, das am Hamburger Max-Planck-Institut für Meteorologie erarbeitet wurde, kommen unter leicht unterschiedlichen Ausgangsbedingungen zu weitgehend ähnlichen Ergebnissen. In ihren „gekoppelten Ozean-Atmosphäre-Modellen“ haben Physiker und Mathematiker, Meteorologen und Programmierer, Geologen und Klimaforscher gemeinsam versucht, die Auswirkungen der vom Menschen freigesetzten Treibhausgase über einen Zeitraum von mehr als einem Jahrhundert hinweg zu simulieren.

Dabei wurden die Rußwolken des Golfkrieges ebenso in klimarelevante Zahlen gefaßt wie die Auflösung der Sowjetunion und die neuesten Prognosen zum Bevölkerungswachstum. Die Abholzung der Wälder wurde neu berechnet, außerdem die Auswirkungen des Montrealer Protokolls zur Reduktion von Fluorchlorkohlenwasserstoffen und der Rückgang der Schwefeldioxidemissionen in modernen Kohlekraftwerken (was die Erde paradoxerweise zusätzlich anheizt).

Natürlich gibt es auch unter den Experten strittige Punkte. Die Rolle der Wolken im Klimageschehen beispielsweise ist kaum verstanden. Auch Wechselwirkungen der Treibhausgase mit Tier- und Pflanzenwelt wurden in den Computermodellen bisher nicht berücksichtigt.

Fast 500 Wissenschaftler aus über 70 Ländern und 18 Organisationen waren an der erweiterten Studie des IPCC beteiligt, die jetzt in Rio auf dem Tisch liegt. Eindeutige Bilanz der Experten: Es gibt keinen Grund, die Ergebnisse aus dem Jahr 1990 in Frage zu stellen. Für das Jahr 2100 rechnen die IPCC-Forscher mit einer Erwärmung um 1,5 bis maximal 3,5 Grad gegenüber der heutigen Durchschnittstemperatur. Der untere Wert bezieht sich allerdings auf das optimistischste der sechs Szenarien, welche in die Computer eingegeben wurden.

Dazu müßte sich die Zahl der Erdbewohner bis zum Jahr 2100 bei 6,4 Milliarden Menschen stabilisieren, das wirtschaftliche Wachstum auf bescheidene zwei Prozent jährlich zurückgehen und der Anteil des relativ umweltfreundlichen Erdgases an der Energiegewinnung drastisch ansteigen. Damit nicht genug: Die Kosten für die Nutzung von Kernenergie und Solarkraft müßten deutlich sinken, fluorierte Chlorkohlenwasserstoffe (FCKW) wären bis 1997 vollständig zu verbieten, die Vernichtung der Wälder müßte sofort gestoppt werden. Zusätzlich geht dieses Szenario davon aus, daß fortschrittliche Technologie und verbindliche Gesetze den Ausstoß von Luftschadstoffen weltweit ebenso reduzieren wie die Verluste beim Energietransport.

Würden all diese Voraussetzungen erfüllt, so bliebe es also bei einer Temperaturerhöhung um 1,5 Grad, gleichbedeutend mit dem Abschmelzen sämtlicher Gletscher in den Alpen und einer Verlagerung der landwirtschaftlichen Anbauzonen. Diese Entwicklung ist laut Enquetekommission „sowohl hinsichtlich ihres Ausmaßes als auch ihrer Geschwindigkeit ohne Beispiel in der Vergangenheit“.

Über Bevölkerungswachstum wird allerdings in Rio überhaupt nicht gesprochen, so daß sich vermutlich die jüngste Schätzung der Weltbank von 11,3 Milliarden Erdenbürgern bis zum Ende des 21. Jahrhunderts bewahrheiten wird. Dann ist bei ungebremstem Wirtschaftswachstum von jährlich drei Prozent und anhaltend hohem Verbrauch an fossilen Energien mit jenen 3,5 Grad Temperaturdifferenz zu rechnen, die uns beispielsweise von der letzten Eiszeit trennen.

Vier amerikanische Behörden stimmen in ihrer Beurteilung der aktuellen Lage mit den IPCC-Forschern überein, wonach die ständige Zunahme an Treibhausgasen „bedeutende Änderungen des Klimas“ mit sich bringen wird. Nach einem Bericht der Zeitschrift „Science“ (Band 256, S. 1138) wurde ein entsprechendes Memorandum der Presse zugespielt. Darin heißt es: „Unter den Wissenschaftlern, einschließlich der meisten US-Forscher, herrscht ein breiter Konsens.“ Eine Verdoppelung des Kohlendioxidgehalts in der Atmosphäre würde demnach in knapp 150 Jahren zu einer Aufheizung der Erde zwischen 1,5 und 4,5 Grad führen.

Die amerikanische Akademie der Wissenschaft (NSF) hatte dergleichen schon vor 15 Jahren vorhergesagt, die theoretischen Grundlagen für diese Berechnungen wurden bereits im 19. Jahrhundert geschaffen. Trotz dieses Memorandums seiner eigenen Beamten hatte US-Präsident George Bush noch wenige Wochen vor dem Umweltgipfel behauptet, die Prognosen der Klimaforscher seien zu vage, um seine Regierung zum Handeln zu bewegen.

Quellen:

(erschienen in „DIE WELT“ 12. Juni 1992)

Experten: Klimakatastrophe droht

Die globale Klimasituation, besonders der Treibhauseffekt, hat sich nach wissenschaftlichen Erkenntnissen dramatisch zugespitzt. Als gesichert gilt, daß die Erwärmung der Erde nicht auf natürliche Schwankungen zurückzuführen, sondern das Resultat menschlicher Aktivitäten ist. „Damit sind die letzten Zweifel an der Dringlichkeit von Sofortmaßnahmen ausgeräumt“, teilte der Vorsitzende der Bundestags-Enquetekommission zum Schutz der Erdatmosphäre, Klaus Lippolt (CDU), am Freitag in Bonn mit.

Seite 1 der „Welt“ vom 18. Januar 1992: Vor den Folgen des menschgemachten Klimawandels und der globalen Erwärmung warnten Experten bereits in den 1990er Jahren. Geschehen ist seitdem wenig, und für meinen Kommentar – geschrieben 11 Jahre vor Greta Thumbergs Geburt – wurde ich auch nicht ins Kanzleramt eingeladen.

Lippolt präsentierte das alarmierende Ergebnis einer zweitägigen Anhörung „Wissenschaftlicher Sachstand“ zur weltweiten Klimaveränderung. Neben einem weltweiten Temperaturanstieg von 0,6 Grad in den letzten 100 Jahren stellten internationale Fachleute eine Erhöhung des Wasserdampfgehaltes in der Atmosphäre und eine „dramatische Zunahme der Windenergie um 10 bis 20 Prozent“ fest.

Die Erderwärmung steigt / Stürme, Überflutung und Dürre sind die Folgen

Die Windgeschwindigkeit habe um fünf bis zehn Prozent zugenommen, so Lippolt. „Ich glaube, daß das vermehrte Auftreten von Wirbelstürmen mit teilweise katastrophalen Auswirkungen wohl auf diese Phänomene mit zurückgeht.“ Im letzten Jahr waren bei einer gewaltigen Sturmflut in Bangladesch mehr als 100000 Menschen gestorben. Experten sagten jetzt voraus, daß die Zahl der Stürme, besonders in den Wintermonaten, um 25 Prozent zunehmen werde.

In der Kommissionssitzung sei ausdrücklich betont worden, daß „die gemessenen Werte signifikant sind und außerhalb der natürlichen Variabilität liegen“, betonte Lippolt. Im wissenschaftlichen Sprachgebrauch werden Resultate dann als signifikant bezeichnet, wenn auszuschließen ist, daß das Ergebnis auf einem Zufall basiert. Zuvor waren Prognosen zur globalen Erwärmung von Seiten der Politik und der Wirtschaft immer wieder kritisiert worden, weil die Klimatologen natürliche Schwankungen als Ursache der gemessenen Temperaturerhöhungen nicht mit Sicherheit ausschließen konnten.

Besonders dramatisch ist die Situation nach Ansicht der Wissenschaftler deshalb, weil die derzeit wahrnehmbaren Klimaveränderungen auf menschliche Eingriffe zurückgehen, die bereits mehr als 20 bis 30 Jahre zurückliegen. Eine Entwicklung, die auch für Deutschland gravierende Folgen haben könnte, ist die Verlagerung ganzer Klimazonen. Hier liegen neue Erkenntnisse vor, wonach eine zunehmende Erwärmung (für die nächsten 100 Jahre werden mittlerweile sechs bis neun Grad befürchtet) binnen 60 Jahren zu einer Austrocknung von Feuchtgebieten führen könnte.

Betroffen wären unter anderem weite Teile Norddeutschlands, aber auch die Niederlande. Der Kommissionsvorsitzende machte die möglichen Folgen deutlich: „Das funktioniert nicht nach dem Motto: ´Dann wird es eben ein paar Grad wärmer, und wir bauen statt der einen die andere Frucht an.‘ So einfach ist das nicht.“ Stattdessen würden Schwermetalle freigesetzt, die sonst im Boden in gebundener Form vorliegen. „Dadurch bekommen wir Cadmiumkonzentrationen ungeahnten Ausmaßes“, so Lippolt. Eine Verseuchung des Grundwassers wäre die Folge.

(erschienen auf Seite 1, „DIE WELT“, 18. Januar 1992)

Quellen: Pressekonferenz und Erster Bericht der Enquete-Kommission „Schutz der Erdatmosphäre“ (Download als pdf)