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Keuchhusten: Angst verhindert Impfung

Jedes Jahr sterben in Deutschland bis zu 100 Kinder und Säuglinge an Keuchhusten. Sie sterben umsonst, denn schon heute gibt es einen Impfstoff, der vor dem Erreger der Krankheit, dem Bakterium Bordetella pertussis schützt. „Die Todesrate wird auf Null, maximal aber zwei oder drei Kinder sinken, wenn eine flächendeckende Impfung in Deutschland Realität wird“, erklärte der an der Mainzer Universitätsklinik tätige Kinderarzt Heinz-J. Schmitt.

Die kühne Prognose wird gestützt durch einen Blick ins benachbarte Ausland: In Dänemark, Frankreich, den Niederlanden und  Großbritanien wo zwischen 90 und 98 Prozent der Bevölkerung geimpft wurden, sind die jährlichen Todesfälle an einer Hand abzuzählen. Auch in der ehemaligen DDR, wo bis zum Mauerfall nur wenige Risikogruppen von der Impfpflicht ausgenommen waren, hatte man die Gefahr durch die bodenlebenden Bakterien gebannt.

Selbst in vielen afrikanischen und südamerikanischen Entwicklungländern sind die Menschen besser geschützt als in der drittmächtigsten Wirtschaftsnation der Welt. Hier steht jeder dritte Einwohner der äußerst ansteckenden Krankheit schutzlos gegenüber.

Eine Erklärung für diese erschreckenden Zustände lieferten Mediziner, Mikrobiologen und Impfstoffhersteller am vergangenen Wochenende auf einem Presse-Workshop der Firma SmithKline Beecham in Salzburg: Alarmiert von Meldungen über schwere Nebenwirkungen der Keuchhusten-Impfung hatte die Ständige Impfkommission (Stiko) des Berliner Bundesgesundheitsamtes 1975 ihre Empfehlung zurückgezogen, alle Kinder und Jugendlichen nicht nur gegen Diphterie und Tetanus, sondern gleichzeitig auch gegen Keuchhusten impfen zu lassen.

Drei wissenschaftliche Publikation hatten unabhängig voneinander den Schluß nahegelegt, daß maximal eines unter 20000 Kindern nach der Dreifach-impfung bleibende Hirnschäden entwickeln könnte „Für eine vorbeugende Maßnahme erschien mir das zuviel“ erklärte jetzt das Stiko-Mitglied Heinz Spiess von der Kinderpoliklinik München. Ohne die „öffentliche Empfehlung“ aber verlieren Geschädigte im Falle eines nachgewiesenen Impfschadens ihren Versorgungsanspruch gegenüber dem Staat. Mit entsprechender Zurückhaltung reagierten denn auch die Kinderärzte.

Erst 1990 stand für die Stiko unumstößlich fest, daß die beobachteten Hirnschäden mit der Impfung nichts zu tun hatten, sondern auf verschiedene Stoffwechselerkrankungen zurückgingen. Seit 1991 wird die Keuchhusten-Impfung wieder für alle Kinder und Säuglinge empfohlen. Die entstandene Impflücke und die Furcht vor etwaigen Nebenwirkungen aber sind geblieben. Die in Salzburg versammelten Experten waren sich darin einig, daß daran nicht nur der falsche Alarm in den siebziger Jahren schuld ist, sondern auch der bisher gebräuchliche Impfstoff selbst.

Dieser besteht nämlich aus kompletten, abgetöteten Bakterien und mehreren Hilfsstoffen, die es dem menschlichen Immunsystem erleichtern sollen, beim „Wiedersehen“ mit lebenden Erregern deren entscheidende Merkmale zu erkennen und sie unschädlich zu machen. Alle Bestandteile zusammen verursachen bei neun von zehn Kindern Schmerzen an der Infektionsstelle und Fieber; Schwellungen und Rötungen werden fast bei fast jedem zweiten Fall beobachtet.

Neben diesen, in geringer Häufigkeit bei allen Impfungen auftretenden Unannehmlichkeiten, kann es in seltenen Fällen auch zu Krämpfen kommen und – für Mütter und Ärzte gleichermaßen irritierend – zu stundenlangem Schreien der Säuglinge. Trotzdem stehen diese und andere extrem seltene Nebenwirkungen in keinem Verhältnis zu den Folgen einer Infektion. Ein bis drei Wochen nachdem sich die Mikroben in den Schleimhäuten der Atemwege festgesetzt haben, führen die abgesonderten Gifte zu staccatoartigen Hustenanfällen mit schwerer Atemnot. Manchmal zwei Monate lang müssen die kleinen Patienten täglich bis zu 30 solcher Anfälle erdulden. Lungenentzündungen, innere Blutungen und eine Vielzahl weiterer Komplikationen führen dann etwa in jedem tausendsten Fall zum Tode.

Da selbst diese Gefahren allzuoft auf die leichte Schulter genommen werden, hofft der Keuchhusten-Experte Schmitt jetzt auf einen verbesserten Impfstoff, der nicht mehr aus ganzen Bakterien sondern nur noch aus drei hochgereinigten Eiweißen besteht. Dieser „azelluläre“ Pertussis-Impfstoff hat, wie Versuche in Japan, Schweden und den USA gezeigt haben, nur einen Bruchteil der Nebenwirkungen im Vergleich zur herkömmlichen Vakzine und schützt mindestens genauso gut.

Die Daten aus einer deutschen Studie, bei der innerhalb der letzten zwei Jahre rund 15000 Säuglinge geimpft wurden, werden Mitte des nächsten Jahres vorliegen und dann, so hofft Schmitt, eine schnelle Zulassung ermöglichen. Blut oder Blutprodukte, so stellte Hugues Bogaerts im Namen der Herstellerfirma klar, seien weder im alten, noch im neuen Impfstoff enthalten.

(erschienen in der Süddeutschen Zeitung am 16. Dezember 1993)

Quelle: Presse-Workshop Salzburg, 10. – 12.12.1993, besucht auf Einladung der Firma SmithKline Beecham)

Neue Arzneien gegen die Depression

In den 1990er Jahren wurde ich häufig von meinen Kunden auf medizinische Fachkonferenzen geschickt, einschließlich sogenannter Satellitensymposien, die dort von den Herstellern neuer Medikamente veranstaltet wurden. Dabei traten reihenweise mehr oder weniger renommierte Ärzte auf, die – natürlich gegen Honorar – ihre Argumente für die neuen und gegen die alten Präparate vortrugen. Die Kosten der Journalisten für die Anreise und Unterbringung wurden in aller Regel ebenfalls von der Pharmaindustrie übernommen, was natürlich Zweifel an der Glaubwürdigkeit dieser Veranstaltungen weckt. Doch ganz so einfach ist es nicht, denn auch Satellitensymposien bieten oftmals hochwertige Informationen, wie das folgende Beispiel zeigt:

Trizyklische Antidepressiva (TCA) werden bei schweren Gemütskrankheiten noch immer häufiger verschrieben als Monoaminooxidase-Hemmer und die recht neue Klasse der selektiven Serotonin-Wiederaufnahme-Hemmer (SSRI) zusammen. Zwar gibt es keine Beweise für eine bessere Wirksamkeit der neuen Präparate gegenüber den „klassischen“ TCA; in puncto Sicherheit und Verträglichkeit ergeben sich jedoch deutliche Unterschiede zwischen den verschiedenen Medikamenten-Klassen. Die Frage, inwieweit diese Unterschiede neue Standards bei der Therapie von Depressionen rechtfertigen, stand im Mittelpunkt eines Satelliten-Symposiums der Firma SmithKline Beecham während des 6. Kongresses des European College of Neuropsychopharmacology in Budapest.

Als großen pharmakologischen Vorteil der SSRIs benannte Professor Yves Lecrubier vom Pariser Hôpital de la Salpêtrière deren niedrige Affinität für α- und ß-adrenerge Rezeptoren. Paroxetin, Fluvoxamin, Fluoxetin und das in Deutschland noch nicht zugelassene Sertralin hätten deshalb keine kardiovaskulären Wirkungen, was zur Sicherheit beitrage. Die ebenfalls geringe Affinität für muskarinische Rezeptoren verhindere ebenso wie die fehlenden Wechselwirkungen mit histaminischen Rezeptoren eine Beeinträchtigung der geistigen Leistungsfähigkeit. „Die Akzeptanz der SSRIs in den meisten Ländern beruht wahrscheinlich nicht auf deren Wirksamkeit, sondern auf dem günstigen Nebenwirkungsprofil“, mutmaßte Lecrubier. Die neuen Antidepressiva schienen ihm zwar gleichermaßen wirksam wie die älteren Substanzen, es fehle aber noch der Nachweis, daß Subpopulationen depressiver Patienten unter kurzfristiger Therapie mit SSRIs oder den neueren MOA-Hemmern besser ansprechen würden.

Zur oftmals postulierten „vergleichbaren Wirksamkeit“ von selektiven Serotonin-Wiederaufnahme-Hemmern mit trizyklischen Antidepressiva wurden auf einer begleitenden Presseveranstaltung neue Daten präsentiert. So berichtete der niedergelassene Arzt Dr. Peter Stott aus dem britischen Tadworth über eine Studie Paroxetin (täglich 20 Milligramm) versus Amitriptylin (täglich 75 Milligramm) an über 500 Patienten im Alter von 18 bis 65 Jahren. Alle Probanden hatten zu Beginn der Untersuchung mindestens einen Wert von 16 auf der Montgomery-Asberg Depressionsskala und über 11 Einheiten auf der „Clinical Anxiety“-Skala.

Im Verlauf der achtwöchigen Therapie sanken die Werte in beiden Gruppen auf beiden Skalen praktisch parallel auf weniger als die Hälfte der Eingangswerte. Anticholinerge Nebenwirkungen wurden in der Amitriptylin-Gruppe signifikant häufiger beobachtet, ebenso Mundtrockenheit, welche unter dem trizyklischen Antidepressivum mit 27 Prozent die häufigste Nebenwirkung darstellte. Dagegen klagten in der Paroxetin-Gruppe 19 Prozent der Probanden über Übelkeit; hier ergab sich ein signifikanter Unterschied zuungunsten des SSRIs.

Abgebrochen wurde die Studie – meist wegen Nebenwirkungen und dem Ausbleiben eines klinischen Effektes, selten wegen mangelnder Compliance – von 37 Prozent der Patienten unter Amitriptylin, sowie 26 Prozent in der Paroxetin-Gruppe. Der Unterschied war statistisch nicht signifikant.

Die bessere Verträglichkeit von Paroxetin gegenüber TCA (meist Amitriptylin) betonte auch Professor Stuart Montgomery von der St. Mary´s Hospital Medical School, London. Unter knapp 4000 Patienten fand der Psychiater eine durch Nebenwirkungen bedingte Abbruchrate von 12,1 Prozent für Paroxetin gegenüber 15,8 Prozent für TCA. Dieses Ergebnis blieb signifikant auch unter Einbeziehung der Abbrüche wegen mangelnder Wirksamkeit (17,1 gegen 21,0 Prozent).

Immer wieder in den Vordergrund gestellt wurde in Budapest das erhöhte Suizid-Risiko für Patienten unter trizyklischen Antidepressiva. Professor Richard Farmer von der Charing Cross Hospital Medical School der Universität London zufolge sind bei jedem zehnten Selbstmord in England und Wales TCA im Spiel. Die enorm hohe Suizidalität unter schwer depressiven Patienten könnte laut Farmer um ein Fünftel reduziert werden, wenn nur noch Medikamente verschrieben würden, die auch in Überdosis gut toleriert werden. Der Mediziner mit dem Spezialgebiet Arzneimittelsicherheit präsentierte Daten für England und Wales, wonach für die TCA Amitriptylin, Imipramin und Clomipramin 73, 55 bzw. 26 Tote je Million ausgeschriebener Rezepte ermittelt wurden, für die verschiedenen SSRIs dagegen weniger als ein Todesfall.

„Die Sicherheit bei Überdosen sollte in Betracht gezogen werden bei der Verschreibung von Medikamenten an suizidgefährdete Patienten. Es gibt auch gute Gründe dafür, diesen Faktor bei der Zulassung von Arzneimitteln in Betracht zu ziehen“, sagte Farmer.

Gegen die Verschreibung von SSRIs sprechen auf den ersten Blick deren vergleichsweise hohe Kosten. Diesem Argument begegnete Professor John Feighner, San Diego mit der Behauptung, die Gesamtkosten pro erfolgreich behandeltem Patienten seien für Paroxetin niedriger als für Imipramin. Dies habe eine Studie mit über 700 schwer depressiven stationären Patienten für die Vereinigten Staaten ergeben, die auch nach Umrechnung auf britische Verhältnisse Bestand habe. Als Gründe für das überraschende Resultat nannte Feighner die schlechtere Compliance und die höhere Abbruchrate unter TCA.

(erschienen im Deutschen Ärzteblatt am 3. Dezember 1993)

Quelle: Satellitensymposium der Firma SmithKline Beecham beim 6. Kongress des European College of Neuropsychopharmacology in Budapest. 10.-14. Oktober 1993)

Schutz vor Hepatitis A

Ein Impfstoff gegen das Hepatitis-A-Virus wird in Kürze auch in der Bundesrepublik erhältlich sein. Nach Angaben der Herstellerfirma wird damit erstmals ein langanhaltender Schutz vor dieser infektiösen Variante der Leberentzündung möglich. Von besonderem Interesse dürfte der neue Impfstoff für die drei Millionen Tropenreisenden sein, die Deutschland alljährlich mit Reiseziel Afrika oder Asien verlassen.

Denn obwohl das Hepatitis-A-Virus (HAV) weltweit verbreitet ist, besteht doch ein deutliches Nord-Süd-Gefälle. Während hierzulande nur etwa jeder zwanzigste Jugendliche Kontakt mit dem Virus hatte, haben in den Tropen und Subtropen 90 Prozent aller Zehnjährigen bereits eine Infektion durchgemacht.

Die Bedeutung dieser Zahlen erläuterte Dr. Thomas Weinke vom Institut für Mikrobiologie der FU Berlin anläßlich eines Symposiums der Firma SmithKline Beecham im französischen Roquebrune. Obwohl die Anzahl der Hepatitis-A-Infektionen in der Bundesrepublik seit Jahren rückläufig ist (1989 wurden noch 5007 Fälle gemeldet), dürfe die Krankheit nicht unterschätzt werden.

Denn nur diejenigen sind vor der Erkrankung geschützt, die bereits eine Infektion hinter sich haben. Das hat die nur scheinbar paradoxe Folge, daß Einwohner von Ländern mit hohem Hygienestandard bei Reisen in die Tropen besonders gefährdet sind.

Verseuchtes Wasser, das mit menschlichen Fäkalien kontaminiert wurde, kann die Viruspartikel enthalten. Mit einem Durchmesser von etwa 30 Milliardstel Millimetern können sie nur durch aufwendige Filteranlagen beseitigt werden, die aber auch in Hotels der gehobenen Kategorie häufig nicht vorhanden sind. Weitere Infektionsquellen sind Eiswürfel oder auch Obst, Gemüse und Salate sowie nicht ausreichend gekochte Meeresfrüchte.

Etwa jeder tausendste Reisende in ein Entwicklungsland bringt nach Weinkes Angaben eine Hepatitis-A-Infektion mit nach Hause. Rucksack- und Abenteuerreisende haben dabei naturgemäß das größte Risiko. Was folgt, ist eine bis zu zwölf Wochen anhaltende Krankheit, die mit Arbeitsunfähigkeit und oft längerem Klinikaufenthalt einhergeht.

Fieber, Schwindelgefühl, Müdigkeit und Erbrechen sind die äußeren Anzeichen, ein Gewichtsverlust von fünf Kilogramm nicht selten. Dann erst setzt die Verfärbung der Haut ein, der die „infektiöse Gelbsucht“ ihren Namen verdankt.

Mit dem neuen Impfstoff stehen Urlaubern und Geschäftsreisenden jetzt zwei Möglichkeiten zur Verfügung, sich vor dem Hepatitis-A-Virus zu schützen: Bisher üblich war die „passive Impfung“, bei der kurz vor dem Abflug etwa fünf Milliliter Flüssigkeit in den Allerwertesten gespritzt werden. Die darin enthaltenen Antikörper stammen aus dem Blut von Tausenden von Spendern und sind nicht nur gegen das Hepatitis-A-Virus selbst gerichtet, sondern auch gegen eine Vielzahl anderer Krankheitserreger. Die Abwehrkraft soll dadurch insgesamt heraufgesetzt werden. Nachteil der circa 50 Mark teuren passiven Impfung ist die relativ große Flüssigkeitsmenge, die zu Schmerzen im Gesäß führen kann; auch hält die Wirkung nur etwa drei Monate vor, dann hat der Köper das fremde Eiweiß weitgehend abgebaut.

Der neue Impfstoff enthält dagegen Bestandteile abgetöteter Viren, die seit kurzem in ausreichender Menge aus Zellkulturen gewonnen werden können. Hier muß dreimal mit jeweils einem Milliliter geimpft werden. Zum Preis von voraussichtlich 180 Mark erhält man dafür einen zehn Jahre währenden Schutz.

Der Abstand zwischen dem ersten und dem dritten, „Schuß“‘ muß aber mindestens sechs Monate betragen. Das neue Produkt dürfte daher vor allem für Geschäftsreisende von Interesse sein, die sich häufiger in den Tropen aufhalten.

(Erschienen in „DIE WELT“ im September(?) 1992. Das Symposium in Roquebrun wurde besucht auf Einladung der Firma SmithKline Beecham)