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Keuchhusten: Angst verhindert Impfung

Jedes Jahr sterben in Deutschland bis zu 100 Kinder und Säuglinge an Keuchhusten. Sie sterben umsonst, denn schon heute gibt es einen Impfstoff, der vor dem Erreger der Krankheit, dem Bakterium Bordetella pertussis schützt. „Die Todesrate wird auf Null, maximal aber zwei oder drei Kinder sinken, wenn eine flächendeckende Impfung in Deutschland Realität wird“, erklärte der an der Mainzer Universitätsklinik tätige Kinderarzt Heinz-J. Schmitt.

Die kühne Prognose wird gestützt durch einen Blick ins benachbarte Ausland: In Dänemark, Frankreich, den Niederlanden und  Großbritanien wo zwischen 90 und 98 Prozent der Bevölkerung geimpft wurden, sind die jährlichen Todesfälle an einer Hand abzuzählen. Auch in der ehemaligen DDR, wo bis zum Mauerfall nur wenige Risikogruppen von der Impfpflicht ausgenommen waren, hatte man die Gefahr durch die bodenlebenden Bakterien gebannt.

Selbst in vielen afrikanischen und südamerikanischen Entwicklungländern sind die Menschen besser geschützt als in der drittmächtigsten Wirtschaftsnation der Welt. Hier steht jeder dritte Einwohner der äußerst ansteckenden Krankheit schutzlos gegenüber.

Eine Erklärung für diese erschreckenden Zustände lieferten Mediziner, Mikrobiologen und Impfstoffhersteller am vergangenen Wochenende auf einem Presse-Workshop der Firma SmithKline Beecham in Salzburg: Alarmiert von Meldungen über schwere Nebenwirkungen der Keuchhusten-Impfung hatte die Ständige Impfkommission (Stiko) des Berliner Bundesgesundheitsamtes 1975 ihre Empfehlung zurückgezogen, alle Kinder und Jugendlichen nicht nur gegen Diphterie und Tetanus, sondern gleichzeitig auch gegen Keuchhusten impfen zu lassen.

Drei wissenschaftliche Publikation hatten unabhängig voneinander den Schluß nahegelegt, daß maximal eines unter 20000 Kindern nach der Dreifach-impfung bleibende Hirnschäden entwickeln könnte „Für eine vorbeugende Maßnahme erschien mir das zuviel“ erklärte jetzt das Stiko-Mitglied Heinz Spiess von der Kinderpoliklinik München. Ohne die „öffentliche Empfehlung“ aber verlieren Geschädigte im Falle eines nachgewiesenen Impfschadens ihren Versorgungsanspruch gegenüber dem Staat. Mit entsprechender Zurückhaltung reagierten denn auch die Kinderärzte.

Erst 1990 stand für die Stiko unumstößlich fest, daß die beobachteten Hirnschäden mit der Impfung nichts zu tun hatten, sondern auf verschiedene Stoffwechselerkrankungen zurückgingen. Seit 1991 wird die Keuchhusten-Impfung wieder für alle Kinder und Säuglinge empfohlen. Die entstandene Impflücke und die Furcht vor etwaigen Nebenwirkungen aber sind geblieben. Die in Salzburg versammelten Experten waren sich darin einig, daß daran nicht nur der falsche Alarm in den siebziger Jahren schuld ist, sondern auch der bisher gebräuchliche Impfstoff selbst.

Dieser besteht nämlich aus kompletten, abgetöteten Bakterien und mehreren Hilfsstoffen, die es dem menschlichen Immunsystem erleichtern sollen, beim „Wiedersehen“ mit lebenden Erregern deren entscheidende Merkmale zu erkennen und sie unschädlich zu machen. Alle Bestandteile zusammen verursachen bei neun von zehn Kindern Schmerzen an der Infektionsstelle und Fieber; Schwellungen und Rötungen werden fast bei fast jedem zweiten Fall beobachtet.

Neben diesen, in geringer Häufigkeit bei allen Impfungen auftretenden Unannehmlichkeiten, kann es in seltenen Fällen auch zu Krämpfen kommen und – für Mütter und Ärzte gleichermaßen irritierend – zu stundenlangem Schreien der Säuglinge. Trotzdem stehen diese und andere extrem seltene Nebenwirkungen in keinem Verhältnis zu den Folgen einer Infektion. Ein bis drei Wochen nachdem sich die Mikroben in den Schleimhäuten der Atemwege festgesetzt haben, führen die abgesonderten Gifte zu staccatoartigen Hustenanfällen mit schwerer Atemnot. Manchmal zwei Monate lang müssen die kleinen Patienten täglich bis zu 30 solcher Anfälle erdulden. Lungenentzündungen, innere Blutungen und eine Vielzahl weiterer Komplikationen führen dann etwa in jedem tausendsten Fall zum Tode.

Da selbst diese Gefahren allzuoft auf die leichte Schulter genommen werden, hofft der Keuchhusten-Experte Schmitt jetzt auf einen verbesserten Impfstoff, der nicht mehr aus ganzen Bakterien sondern nur noch aus drei hochgereinigten Eiweißen besteht. Dieser „azelluläre“ Pertussis-Impfstoff hat, wie Versuche in Japan, Schweden und den USA gezeigt haben, nur einen Bruchteil der Nebenwirkungen im Vergleich zur herkömmlichen Vakzine und schützt mindestens genauso gut.

Die Daten aus einer deutschen Studie, bei der innerhalb der letzten zwei Jahre rund 15000 Säuglinge geimpft wurden, werden Mitte des nächsten Jahres vorliegen und dann, so hofft Schmitt, eine schnelle Zulassung ermöglichen. Blut oder Blutprodukte, so stellte Hugues Bogaerts im Namen der Herstellerfirma klar, seien weder im alten, noch im neuen Impfstoff enthalten.

(erschienen in der Süddeutschen Zeitung am 16. Dezember 1993)

Quelle: Presse-Workshop Salzburg, 10. – 12.12.1993, besucht auf Einladung der Firma SmithKline Beecham)

Polio-Opfer lehnten Impfung aus Glaubensgründen ab

Bei der jüngsten Poliomyelitis-Epidemie in den Niederlanden sind bislang 68 Erkrankungen erfaßt worden, zwei dieser Patienten sind an der Krankheit gestorben. Das hat Dr. Tom van Loon aus Bilthofen auf einem Symposium, das im Hygieneinstitut der Universität Bonn stattfand, berichtet. Wie der Leiter der Virologischen Abteilung am Reichsinstitut für Volksgesundheit und Umwelthygiene Bilthofen erläuterte, wurden Lähmungen der Extremitäten bei 42 Kranken registriert, bei sieben Patienten war eine künstliche Beatmung erforderlich, außerdem erkrankten elf Infizierte an einer Meningitis.

Trotz eines mittleren Durchimpfungsgrades von 97 Prozent ist nach Angaben von van Loon in manchen eng begrenzten Regionen der Niederlande jeder zehnte ungeschützt. Außer Menschen, die während des Zweiten Weltkrieges geboren wurden und dadurch in eine „Impflücke“ fielen, handelt es sich vorwiegend um jene 80.000 Angehörigen verschiedener religiöser Gemeinschaften, welche Impfungen aus Glaubensgründen ablehnen. Bis auf eine Ausnahme zählten alle 68 Opfer der jüngsten Epidemie zu diesem Personenkreis. Bei der Epidemie des Jahres 1978 sei der gleiche sozio-geographische „Cluster“ betroffen gewesen, sagte van Loon. Damals habe es 110 Opfer gegeben.

Die Chronologie der jüngsten Ereignisse belegt nach Ansicht des Virologen außer der Notwendigkeit von Schutzimpfungen auch die Effizienz des niederländischen Gesundheitswesens: Am 17. September des vergangenen Jahres wurden Lähmungserscheinungen bei einem 14jährigen Jungen aus Streefkerk bei Rotterdam registriert.

Innerhalb weniger Tage ergaben epidemiologische und molekularbiologische Befunde die Diagnose „Polio Typ III“, so daß schon am 21. September allen Personen ohne ausreichenden Impfschutz in einem Umkreis von 55 Kilometern um Streefkerk die Poliovakzine angeboten werden konnte – womit laut van Loon Schlimmeres verhindert worden ist. Die Herkunft des Virus sei aber noch immer unbekannt, es weise lediglich eine entfernte Ähnlichkeit mit einem indischen lsolat auf.

Aus Genf lobte inzwischen Robert Kim-Farley, Direktor des WHO-lmpfprogrammes, die „effiziente und professionelle Arbeit der holländischen Kollegen“, fügte aber gleichzeitig eine Warnung hinzu: Die Lektion besteht darin, daß selbst die Länder mit dem besten Impfschutz dem Risiko importierter Infektionen und Epidemien ausgesetzt sind, solange das Poliovirus nicht völlig von diesem Planeten verschwunden ist.“

(erschienen in der Ärzte-Zeitung am 8. April 1993)

Schutz vor Hepatitis A

Ein Impfstoff gegen das Hepatitis-A-Virus wird in Kürze auch in der Bundesrepublik erhältlich sein. Nach Angaben der Herstellerfirma wird damit erstmals ein langanhaltender Schutz vor dieser infektiösen Variante der Leberentzündung möglich. Von besonderem Interesse dürfte der neue Impfstoff für die drei Millionen Tropenreisenden sein, die Deutschland alljährlich mit Reiseziel Afrika oder Asien verlassen.

Denn obwohl das Hepatitis-A-Virus (HAV) weltweit verbreitet ist, besteht doch ein deutliches Nord-Süd-Gefälle. Während hierzulande nur etwa jeder zwanzigste Jugendliche Kontakt mit dem Virus hatte, haben in den Tropen und Subtropen 90 Prozent aller Zehnjährigen bereits eine Infektion durchgemacht.

Die Bedeutung dieser Zahlen erläuterte Dr. Thomas Weinke vom Institut für Mikrobiologie der FU Berlin anläßlich eines Symposiums der Firma SmithKline Beecham im französischen Roquebrune. Obwohl die Anzahl der Hepatitis-A-Infektionen in der Bundesrepublik seit Jahren rückläufig ist (1989 wurden noch 5007 Fälle gemeldet), dürfe die Krankheit nicht unterschätzt werden.

Denn nur diejenigen sind vor der Erkrankung geschützt, die bereits eine Infektion hinter sich haben. Das hat die nur scheinbar paradoxe Folge, daß Einwohner von Ländern mit hohem Hygienestandard bei Reisen in die Tropen besonders gefährdet sind.

Verseuchtes Wasser, das mit menschlichen Fäkalien kontaminiert wurde, kann die Viruspartikel enthalten. Mit einem Durchmesser von etwa 30 Milliardstel Millimetern können sie nur durch aufwendige Filteranlagen beseitigt werden, die aber auch in Hotels der gehobenen Kategorie häufig nicht vorhanden sind. Weitere Infektionsquellen sind Eiswürfel oder auch Obst, Gemüse und Salate sowie nicht ausreichend gekochte Meeresfrüchte.

Etwa jeder tausendste Reisende in ein Entwicklungsland bringt nach Weinkes Angaben eine Hepatitis-A-Infektion mit nach Hause. Rucksack- und Abenteuerreisende haben dabei naturgemäß das größte Risiko. Was folgt, ist eine bis zu zwölf Wochen anhaltende Krankheit, die mit Arbeitsunfähigkeit und oft längerem Klinikaufenthalt einhergeht.

Fieber, Schwindelgefühl, Müdigkeit und Erbrechen sind die äußeren Anzeichen, ein Gewichtsverlust von fünf Kilogramm nicht selten. Dann erst setzt die Verfärbung der Haut ein, der die „infektiöse Gelbsucht“ ihren Namen verdankt.

Mit dem neuen Impfstoff stehen Urlaubern und Geschäftsreisenden jetzt zwei Möglichkeiten zur Verfügung, sich vor dem Hepatitis-A-Virus zu schützen: Bisher üblich war die „passive Impfung“, bei der kurz vor dem Abflug etwa fünf Milliliter Flüssigkeit in den Allerwertesten gespritzt werden. Die darin enthaltenen Antikörper stammen aus dem Blut von Tausenden von Spendern und sind nicht nur gegen das Hepatitis-A-Virus selbst gerichtet, sondern auch gegen eine Vielzahl anderer Krankheitserreger. Die Abwehrkraft soll dadurch insgesamt heraufgesetzt werden. Nachteil der circa 50 Mark teuren passiven Impfung ist die relativ große Flüssigkeitsmenge, die zu Schmerzen im Gesäß führen kann; auch hält die Wirkung nur etwa drei Monate vor, dann hat der Köper das fremde Eiweiß weitgehend abgebaut.

Der neue Impfstoff enthält dagegen Bestandteile abgetöteter Viren, die seit kurzem in ausreichender Menge aus Zellkulturen gewonnen werden können. Hier muß dreimal mit jeweils einem Milliliter geimpft werden. Zum Preis von voraussichtlich 180 Mark erhält man dafür einen zehn Jahre währenden Schutz.

Der Abstand zwischen dem ersten und dem dritten, „Schuß“‘ muß aber mindestens sechs Monate betragen. Das neue Produkt dürfte daher vor allem für Geschäftsreisende von Interesse sein, die sich häufiger in den Tropen aufhalten.

(Erschienen in „DIE WELT“ im September(?) 1992. Das Symposium in Roquebrun wurde besucht auf Einladung der Firma SmithKline Beecham)

Eine Impfaktion kann alliierte Truppen nur begrenzt schützen

Arsen und Anthrax, Blausäure und Botulinustoxin, Cholera und Chlorcyan; so könnte das furchterregende Abc des Aggressors lauten, wenn es wirklich in elf Tagen zu einem Krieg am Persischen Golf kommen sollte. Die Hoffnung auf eine friedliche Beilegung des Golfkonfliktes ist zwar noch nicht begraben, doch bereiten sich die multinationalen Streitkräfte auf alle Eventualitäten vor.

Nach Erkenntnissen des amerikanischen Geheimdienstes CIA muß in solch einer Auseinandersetzung mit dem Einsatz von weltweit geächteten Kampfstoffen seitens des Irak gerechnet werden, nämlich mit chemischen und eventuell auch biologischen Massenvernichtungsmitteln. Die Produktion von Impfstoffen, welche die Soldaten vor tödlichen Infektionen bewahren sollen, läuft in den Vereinigten Staaten bereits auf Hochtouren. Ob allerdings Gasmasken und Schutzanzüge, deutsche Spürpanzer und Dekontaminationseinrichtungen auch einen umfassenden Schutz der Zivilbevölkerung gewährleisten können, erscheint fraglich.

Darüber hinaus besteht bei Impfungen das Problem, daß diese meist mehrmals erfolgen müssen. Häufig stellt sich der Körper erst nach Monaten auf den jeweiligen Krankheitserreger ein – er wird immun. Eine Impfkampagne für die derzeit 280.000 Amerikaner im Krisengebiet ist nach Auskunft des Pentagons zwar „innerhalb der nächsten Wochen“ geplant, doch fehlt es noch an Material für die US-Streitkräfte – von den Soldaten anderer Staaten und der Zivilbevölkerung Saudi-Arabiens ganz zu schweigen. Eine Impfung könnte zudem unterlaufen werden, wenn die gefährlichen Krankheitserreger in ihrer Erbsubstanz auch nur geringfügig verändert werden.

Auch ohne den Einsatz der Gentechnik sind selbst kleine Länder in der Lage, eine Vielzahl von tödlichen Bakterien und Viren zu Isolieren und in großen Mengen herzustellen. In sogenannten Kultursammlungen werden zudem weltweit unzählige von Mikroorganismen für die Wissenschaft bereit gehalten, darunter auch viele Krankheitserreger und die Produzenten hochgiftiger Substanzen wie Mykotoxine (Pilzgifte) und Botulinustoxin. Auch die Vereinigten Staaten haben eine derartige Mikrobensammlung in Form der „American Type Culture Collection„. Die gewünschten Bakterienstämme werden in einem Katalog aufgelistet; einzige Voraussetzung für eine Bestellung von Krankheitserregern ist eine schriftliche Bestätigung, daß „alle Risiken und Verantwortlichkeiten aus dem Umgang im Labor übernommen werden“.

Das deutsche Pendant dieser Einrichtung findet sich in Braunschweig bei der Deutschen Sammlung von Mikroorganismen und Zellkulturen (DSM). Deren Geschäftsführer Dieter Klaus teilte auf Anfrage mit, Mikroorganismen jenseits der Risikogruppe 2 (es gibt vier Risikogruppen, die nach steigender Bedrohung für den Menschen nummeriert werden) seien in Braunschweig nicht erhältlich. Der Export von Mikroorganismen in bestimmte Länder, darunter auch der Irak, ist der DSM per Gesetz untersagt. Allerdings, warnt Klaus: „Diese Mikroorganismen zu bekommen ist kein Problem. Wenn einer Pilze haben will, die hochgiftige Substanzen produzieren, so kann er sie aus dem Dreck vorm eigenen Haus isolieren.“

Amerikanischen Militärzeitschriften zufolge könnte der Irak über verschiedene Stämme von Milzbrandbakterien, Typhus- und Choleraerregern verfügen. Der Milzbrand (Anthrax) ist eigentlich eine Tiererkrankung und wird von einem sehr widerstandsfähigen Bakterium (Bacillus anthracis) hervorgerufen, das sich von der Umwelt regelrecht abkapseln kann und in der Erde über Jahrzehnte hinweg überdauert.

Eine Infektion des Menschen mit Milzbrandbakterien kann durch die Haut oder über die Atemwege erfolgen. Ist kein Impfschutz vorhanden, so treten innerhalb von zwölf Stunden rot-braune Pusteln auf, die zu Geschwüren führen und von Muskelschmerzen, Fieber und Erbrechen begleitet werden. Ohne eine Behandlung führt die Krankheit binnen drei bis fünf Tagen zum Tode. Die Erreger von Typhus und Cholera dagegen können unter normalen Umständen durch verseuchte Lebensmittel oder nicht desinfiziertes Wasser verbreitet werden, sie eignen sich also nicht für einen Angriffskrieg.

„Das ist mehr etwas für terroristische Anschläge“, beurteilt Klaus die Möglichkeiten des Einsatzes biologischer Waffen. Pilzgifte, sogenannte Mykotoxine, etwa ließen sich dem Trinkwasser beimengen und wären auch durch Desinfektionsmaßnahmen nicht auszuschalten. Im Bonner Verteidigungsministerium ist man ähnlicher Ansicht. Fregattenkapitän Reichenmüller betonte, daß es sich bei der biologischen Kriegsführung um keine neue Idee handelt. „Die Anwendung im militärischen Bereich ist allerdings sehr viel schwieriger, weil der Angreifer ein Risiko für sich selbst nicht ausschließen kann.“ C-Kampfstoffe hält Reichenmüller dagegen für möglich, doch werde die Abwehr dieser Substanzen bei der Bundeswehr bedacht und geübt.

(erschienen in DIE WELT am 4. Januar 1991)

Was wurde daraus? Die Sorgen waren berechtigt, denn in der Tat unterhielt der Irak neben seinem Chemiewaffenprogramm zu diesem Zeitpunkt ein umfangreiches Programm zur Entwicklung und dem Einsatz biologischer Waffen, wie man in der Wikipedia nachlesen kann. Erst nach dem verlorenen Golfkrieg wurde der Irak gezwungen, sein Arsenal zu vernichten. Wie oben beschrieben waren es allerdings wohl eher „praktische“, als moralische Gründe, die verhinderten, dass B-Waffen zum Einsatz kamen.

Impfung gegen Bio-Waffen

Amerikanische Soldaten am Golf sollen geimpft werden, um sie vor den Folgen eines Angriffs mit biologischen Waffen zu schützen. Wie die „New York Times“ berichtete, seien die Impfungen Teil eines umfassenden Programms gegen B-Waffen, zu dem auch der Gebrauch von Masken und Schutzkleidung gehöre. Erkenntnisse des CIA deuten darauf hin, dass der Irak über die Mittel zum Einsatz von Milzbrandbakterien, Typhus- oder Choleraerregern verfügt.

Die Konvention über biologische Waffen aus dem Jahre 1972 verbietet zwar die Produktion und Lagerung von B-Waffen, nicht aber die Forschung zu „defensiven Zwecken“. Unterzeichnet haben 103 Staaten, darunter auch die Vereinigten Staaten; nicht aber der Irak. Die Bakterien, die vermutlich in Salman Pak, 35 Kilometer südöstlich von Bagdad, produziert werden, könnten mittels Granaten verschossen oder aus Flugzeugen abgesprüht werden.

Der Einsatz dieser Mikroben erscheint allerdings unwahrscheinlich, da der Irak kaum in der Lage sein dürfte, die eigene Bevölkerung durch eine groß angelegte Impfkampagne vor einer drohenden Ansteckung zu schützen. Anders dagegen die USA, die schon im Zweiten Weltkrieg mit der Erforschung biologischer Waffen begonnen haben. Sie dürften daher für eine derartige Auseinandersetzung verhältnismäßig gut gerüstet sein.

(erschienen in der WELT am 29. Dezember 1990)

Ein Impfstoff braucht noch Zeit

Mit allen Tricks kämpfen die Forscher heute gegen das Aids-Virus (HIV). Ohne Übertreibung lässt sich wohl behaupten, dass noch niemals innerhalb so kurzer Zeit so viel über einen Krankheitserreger gelernt worden ist. Warum, so fragt sich die sensibilisierte Öffentlichkeit, gibt es dann aber „noch immer“ keinen Impfstoff gegen Aids?

Das AIDS-Virus unter dem Elektronenmikroskop (Von CDC/Dr. Edwin P. Ewing, Jr via Wikipedia)

Eine
ganze Reihe von Viren lassen sich in
abgetöteter oder abgeschwächter Form
direkt als Impfstoff verwenden. Sie
verpassen der Immunabwehr einen
regelrechten „Denkzettel“, indem sie
den weißen Blutzellen ihre
Bestandteile präsentieren. Da diese
Bestandteile (es handelt sich um
kurze Abschnitte der Eiweiße, aus
denen die Impfviren zusammengesetzt
sind) im Körper normalerweise nicht
vorhanden sind, werden sie als
„fremd“ erkannt und von Freß- und
Killerzellen attackiert.

Das Immunsystem „merkt“ sich diese
Begegnungen und hält sich ein Arsenal
spezialisierter Zellen auf Vorrat,
die bei einer nochmaligen Begegnung
mit den Fremdeiweißen sofort
losschlagen: Alles Fremde wird von
Macrophagen aufgefressen,
Killerzellen können die Feinde ebenso
durchlöchern wie befallene
Abwehrzellen, Antikörper hängen sich
an die Eindringlinge und machen sie
bewegungsunfähig; Bakterien können
mit Hilfe körpereigener Eiweiße (dem
Komplementsystem) gar vollständig
aufgelöst werden. Mit dieser Methode
war man gegen Masern und die
Kinderlähmung erfolgreich, die Pocken
wurden damit als bisher einzige
Krankheit offiziell ausgerottet.

Das Aids-Virus allerdings versteckt
sich genau in den Zellen, welche eine der Säulen der körpereigenen Abwehr sind: Bereits kurz nach dem Eindringen ist das Überleben des Virus direkt mit dem seines Wirtes gekoppelt. Es kommt also darauf an, möglichst schon diesen Vorgang zu verhindern. Dabei helfen die sehr genauen Vorstellungen, die man in den letzten Jahren über die Moleküle gewonnen hat, welche bei diesem Prozess eine Schlüsselrolle spielen.

Um die Kopplung von Virus und Immunzelle zu verhindern, welche mit dem Eindringen von HIV endet, werden heute massenhaft sogenannte CD4-Moleküle aus gentechnischer Produktion in das Blut bereits befallener Patienten gespritzt, welche die Ankerstelle des Virus blockieren und den fatalen Erstkontakt mit der Wirtszelle verhindern.

In einem besonders raffinierten Verfahren wurden auch „molekulare Zwitter“ hergestellt, deren eine Hälfte von CD4 gebildet wird und deren andere Hälfte dem Bruchstück eines Antikörpers entspricht. Bei diesen „Immunadhäsinen“, die sich ebenfalls bereits in der Erprobung befinden, bindet der CD4-Teil an das Virus, und der freibleibende Antikörperteil lockt eine ganze Reihe von Eiweißen an, die das Virus unter günstigen Umständen zerstören können. Beide Methoden hätten den Vorteil, dass sie von dem hochvariablen Aids-Virus nicht umgangen werden könnten. Jede Veränderung nämlich, die eine Bindung von CD4 verhindert, würde gleichzeitig dem Virus den Eintritt in die Wirtszelle verwehren.

Dennoch liegt das Fernziel der Forscher natürlich darin, einen wirklichen Impfstoff zu produzieren und nicht nur das Fortschreiten der tödlichen Krankheit zu verlangsamen. Eine ganze Reihe von Viren lassen sich zwar in abgetöteter Form als Impfstoff verwenden. Bei HIV allerdings hätten einzelne Viren, welche die Neutralisation unbeschadet überstehen, fatale Folgen. Es ist also höchste Vorsicht geboten.

Prinzipiell scheint die Methode aber auch bei HIV aussichtsreich zu sein. So gelang es, Makaken vor dem Affenvirus SIV zu schützen, einem nahen Verwandten des menschlichen Aids-Virus. Eine amerikanische Forschergruppe benutzte in diesem Versuch Formalin, um gereinigte Viren zu inaktivieren. Kurz nach der Impfung wurden zehn Tiere mit einer hohen Dosis intakter Viren beimpft, von denen neun die normalerweise tödliche Infektion überlebten.

In Rotchina war man bei einem weiteren nahen Verwandten von HIV erfolgreich. Es handelt sich um ein EAV genanntes Pferdevirus, das ebenso wie das menschliche Aids-Virus der Familie der Lentiviren angehört. Die infektiöse Pferdeanämie, die vor 25 Jahren noch ein großes Problem darstellte, ist heute in China kein Thema mehr. Bemerkenswerterweise wurde die Vakzine durch Dr. R. X. Chen schon in den siebziger Jahren entwickelt, fast 15 Jahre vor der Entdeckung von HIV.

Schließlich gelang es bereits mehreren Arbeitsgruppen, jeweils einige wenige Schimpansen erfolgreich zu impfen – teilweise mit kompletten abgetöteten Viren, teils auch mit Bruchstücken von HIV aus gentechnischer Produktion oder mit einer Kombination beider Impfungen. Versuche mit dem nächsten Verwandten des Menschen sind besonders aussagekräftig, auch wenn die Experten durch die Bank vor übertriebenen Erwartungen warnen. So ist es sehr problematisch aus der geringen Zahl der Versuchstiere (Schimpansen sind eine geschützte Art, ausgesprochen teuer im Unterhalt und nur langsam nachzuzüchten) zuverlässige Aussagen abzuleiten, wie sie für klinische Versuche am Menschen Voraussetzung sind.

Die Dauer des vermittelten Impfschutzes lässt sich zur Zeit ebenso wenig ermessen wie die Anzahl (und Kosten) der nötigen Impfungen. Selbst wenn diese Fragen geklärt sind müssen erst noch eine ganze Reihe ethischer Probleme gelöst werden, die von der Produkthaftung über die Auswahl der ersten Probanden bis zur Unterscheidung zwischen HIV-Infizierten und dem geimpften Personenkreis reichen. Eine weltweite Impfkampagne ähnlich der, die zur Ausrottung der Pocken führte, bleibt jedenfalls vorerst nur ein Traum.

(In gekürzter Form erscheinen in der WELT am 30. November 1990. Letzte Aktualisierung am 12. Mai 2017)

Immuntherapie – Schützenhilfe durch körpereigene Kräfte

Krebstherapien, die das menschliche Immunsystem aktivieren sollen, haben in klinischen Versuchen erste Erfolge vorzuweisen. Sollten sich die Ergebnisse, die amerikanische Wissenschaftler jetzt vorgelegt haben, bestätigen, wäre dies ein Silberstreif am Horizont für Patienten, die unter Krebs im fortgeschrittenen Stadium leiden.

Die Forscher selbst warnen jedoch vor übertriebenen Hoffnungen, besonders angesichts der Tatsache, dass diese Richtung der Krebsforschung bisher zu zahlreichen Fehlschlägen geführt hat. Bereits seit zwanzig Jahren bemüht man sich, körpereigene Abwehrmechanismen zu stärken, die Krebszellen erkennen und ausschalten können. Wie Jean-Claude Bystryn vom Medical Center der Universität New York erklärt, hängt das Wachstum eines Krebsgeschwürs nicht alleine von dem Krebs selbst ab, sondern auch davon, ob und wie der Körper auf diese Fehlfunktion reagiert.

Die neuen Therapien zeigen erste Erfolge bei so schwierig zu handhabenden Leiden wie dem bösartigen Hautkrebs (Melanom) sowie dem Krebs des Darms und der Nieren. Während alte Behandlungsversuche sich mit der unspezifischen Anregung des Immunsystems versuchten – etwa durch Injektion des Bazillus Calmette-Guerrin (BCG), wird heute ein neuer Ansatz erprobt.

Die Tumorzellen selbst sind es, die dem Patienten bei einer Operation entnommen werden. Sie dienen dann – durch Strahlung abgetötet und mit BCG vermischt – der Aktivierung bestimmter Zellen des Immunsystems. In Verbindung mit BCG oder anderen Immunstimulantien werden die weißen Blutkörperchen (Lymphozyten) dann in die Lage versetzt, auch solche Tumorzellen zu erkennen und anzugreifen, die sie bis dahin „übersehen“ haben. Eine andere Methode erprobt Professor Volker Schirrmacher am Deutschen Krebsforschungszentrum in Heidelberg. Durch Infektion mit Viren sollen Tumorzellen für das Immunsystem sichtbar werden.

Michael Hanna, der einen dieser Impfstoffe entwickelt hat, äußerte gegenüber dem Wissenschaftsmagazin „Science“, dass die Anzahl der Rückfälle nach der chirurgischen Entfernung eines Darmkrebses um mehr als die Hälfte verringert werden konnte. Bisher stand man der Metastasenbildung nach derartigen Eingriffen eher hilflos gegenüber. „Ich glaube, das ist sehr dramatisch“, sagte der Forscher, der seine gegenwärtigen Erfolge zum großen Teil auf Tierversuche an Meerschweinchen zurückführt. Dort gelang es schon Anfang der siebziger Jahre, Tumoren durch Injektion von BCG zu bekämpfen.

Obwohl die neuen Impfstoffe offensichtlich die Bildung von Tochtergeschwülsten verhindern können, ist noch nicht genug Zeit für ein endgültiges Urteil verstrichen. Erst wenn sich die 5-Jahres-Überlebensrate der Patienten verbessert, kann man wirklich von einem Erfolg sprechen.

Auch die „Krebsimpfstoffe“ haben jedoch ihre Nachteile. Um Tumorzellen aus einer bösartigen Geschwulst des Patienten zu gewinnen, ist immer ein operativer Eingriff erforderlich. Weil sich das Immunsystem nach einer solchen Operation erst einmal „erholen“ muss, kann die erste Injektion frühestens drei Wochen nach diesem Eingriff gegeben werden.

In der Zwischenzeit müssen die Zellen konserviert werden – eine Aufgabe, für die die meisten Chirurgen nicht vorbereitet sind. Beim Melanom besteht ein weiteres Problem darin, dass die primären Tumoren, aus denen die Krebszellen isoliert werden müssen, oft zu klein sind, um die erforderliche Anzahl an Zellen bereitzustellen.

Trotz aller Bedenken sind die Forscher optimistisch. Nach über zwei Jahrzehnten erfolgloser Anläufe, stehen die Chancen, doch noch eine Immuntherapie gegen den Krebs zu entwickeln, heute nicht mehr ganz so schlecht.

(erschienen in der WELT vom 16. September 1989)

Was ist daraus geworden? Langsam, aber sicher sind die Forscher voran gekommen bei der Entwicklung von Immuntherapien gegen Krebs. Inzwischen gibt es tatsächlich eine Impfung, die Gebärmutterhalskrebs verhindern kann, und die ersten gentechnisch hergestellten Antikörper sind im Einsatz in der Klinik. Die Wikipedia widmet dem Thema einen sehr ausführlichen Beitrag und auch ich bleibe an dem Thema dran – versprochen.

Polio – Die Ausrottung bleibt ein Traum

In vielen Entwicklungsländern fordert die Kinderlähmung (Poliomyelitis) auch heute noch ihre Opfer. Schätzungen über die Zahl derjenigen, die von dieser Viruskrankheit betroffen sind, schwanken zwischen 250000 und zwei Millionen Menschen.

In den industrialisierten Ländern dagegen, wo schon seit Ende der fünfziger Jahre umfassende Impfprogramme zum Schutz der Bevölkerung‘ eingeführt wurden, tritt die grausame Krankheit nur noch sehr selten auf. Nach Angaben des Berliner Bundesgesundheitsamtes (BGA) sowie des Statistischen Bundesamtes in Wiesbaden erkrankte im letzten Jahr in der Bundesrepublik nur noch eine einzige Person an der Poliomyelitis. Auch für die Jahre davor lässt sich die Zahl derjenigen, die nach einer Infektion mit dem Virus erkrankten, an zwei Händen abzählen.

Wie Dr. Klaus-Dieter Zastrow vom Institut für Sozialmedizin und Epidemiologie des BGA betonte, handelte es sich dabei ausschließlich um eingeschleppte Fälle: Die Betroffenen hatten sich jeweils während eines Auslandaufenthaltes infiziert. Auch diese Ansteckungen hätten sich wohl zum größten Teil vermeiden lassen, wenn die Reisenden rechtzeitig an einer Auffrischungsimpfung teilgenommen hätten. Zumeist waren die Betroffenen nämlich noch nie geimpft worden; in anderen Fällen lag die Impfung schon mehr als 20 Jahre zurück. Die Mediziner warnen daher vor einer völlig unberechtigten Impfmüdigkeit in der Bevölkerung.

Prominentes Opfer: Der US-Präsident Franklin Roosevelt wurde 1921 ein Opfer der Poliomyelitis und war seitdem von der Hüfte ab weitgehend gelähmt (Foto: Margaret Suckley via Wikimedia Commons) Prominentes Opfer: Der US-Präsident Franklin Roosevelt erkrankte 1921 an der Poliomyelitis und war seitdem von der Hüfte ab weitgehend gelähmt (Foto: Margaret Suckley via Wikimedia Commons)

Prominentes Opfer: Der US-Präsident Franklin Roosevelt erkrankte 1921 an der Poliomyelitis und war seitdem von der Hüfte ab weitgehend gelähmt (Foto: Margaret Suckley via Wikimedia Commons)

Selten wurde eine schwere Krankheit so schnell unter Kontrolle gebracht wie die Kinderlähmung in Nordamerika und Europa nach Einführung des ersten Impfstoffes. Zahlen für die USA belegen den drastischen Rückgang der Infektionen: Fast 40000 Erkrankungen pro Jahr lautete die Bilanz, als 1954 eine landesweite Kampagne gestartet wurde, in der eine von Dr. Jonas Salk entwickelte Vakzine aus abgetöteten Krankheitserregern zum ersten Mal zum Einsatz kam. Wenige Jahre später war die Anzahl der Kinderlähmungen schon auf unter 600 Fälle gesunken.

Nachdem Albert Sabin Anfang der sechziger Jahre einen Impfstoff aus abgeschwächten lebenden Polioviren entwickelt hatte, ging die Zahl der Kinderlähmungen in den USA nochmals zurück – auf mittlerweile kaum mehr als ein Dutzend Erkrankungen pro Jahr.

Das ursprüngliche „wild type“-Virus war von Sabin und seinen Kollegen so lange in Zellkulturen gehalten worden, bis sich schließlich eine Variante isolieren ließ, die zwar die fatale Krankheit nicht mehr hervorrief, die das Immunsystem aber noch in vollem Umfang stimulierte. Dieser „Sabin“-Impfstoff zählt heute zu den sichersten Vakzinen überhaupt und wurde von der Bevölkerung bislang voll akzeptiert. Dazu trug sicher auch die einfache und schmerzlose Art der „süßen“ Schluckimpfung bei.

In extrem seltenen Fällen – etwa bei einer unter drei Millionen Impfungen – treten jedoch Komplikationen auf, die unter anderem dadurch zustande kommen, dass die – lebenden – Viren durch spontane Genveränderungen ihre krankmachende Eigenschaft zurückgewinnen. Auch Geimpfte können dann unter Umständen an der Kinderlähmung erkranken. Mit gentechnischen Tricks „umgebaute“ Polioviren sollen in Zukunft dazu beitragen, das Impfrisiko noch einmal zu senken.

Die Weltgesundheitsorganisation (WHO) ist von der Wirksamkeit der Poliomyelitis-Impfung so überzeugt, dass sie 1976 ein Programm startete, das sich neben anderen Krankheiten auch die Ausrottung der Kinderlähmung bis zum Jahre 1990 zum Ziel gesetzt hatte. Leider wurde der schöne Traum, Krankheiten weltweit auszurotten, bisher nur für die Pocken verwirklicht. Im Falle der Poliomyelitis stehen dem jedoch die mangelhaften hygienischen Verhältnisse in den Entwicklungsländern entgegen: Das Virus wird nämlich häufig durch Fäkalien übertragen, die ins Trinkwasser gelangen.

Der Lebendimpfstoff muss auch dort versagen, wo Durchfall (Diarrhö) eine weitverbreitete Erscheinung ist. In Indien sind etwa 30 Prozent der Neuerkrankungen darauf zurückzuführen, dass die Impfviren, die den Schutz vermitteln sollen, ausgeschieden werden, bevor sie sich im Darm ansiedeln können. Es wird daher auch die Frage diskutiert, ob sich für diese Länder nicht die gute alte – inzwischen mehrfach verbesserte – Vakzine aus abgetöteten Erregern besser eignet, die mittels Spritzen injiziert wird.

Für die Bundesrepublik jedoch halten es Fachleute wie Dr. Horst- Günther Weber, Medizinischer Direktor des Gesundheitsamtes Hannover, für erforderlich, die gegenwärtige Praxis der Poliomyelitis-Schluckimpfung beizubehalten. Diese solle auch weiterhin vom öffentlichen Gesundheitsdienst und niedergelassenen Ärzten gleichermaßen angeboten werden, betont der Experte in einem Beitrag für die Zeitschrift „Sozialpädiatrie“.

Wiederholungsimpfungen sollten im Abstand von etwa zehn Jahren durchgeführt werden, um einen hohen Durchimpfungsgrad zu gewährleisten. Die einstmals gefürchtete Kinderlähmung kann so auch weiterhin in Schach gehalten werden.

(erschienen in der WELT vom 26. August 1989)

59-info@2xWas ist daraus geworden? Noch immer ist die Kinderlähmung nicht ausgerottet. Seit dem Erscheinen meines Artikels ist die Zahl der Fälle zwar weltweit um 99 % gesunken, und die letzte Ansteckung in Deutschland gab es im Jahr 1990. Zu oft wurden jedoch Impfkampagnen durch Kriege und neuerdings auch religiöse Fanatiker verhindert oder abgebrochen.

Malaria – Mit einem Cocktail gegen die Verwandlungskünstler

Plasmodien, die einzelligen Erreger der Malaria, haben eine Vielzahl von Mechanismen entwickelt, mit denen sie der Immunabwehr des Menschen immer wieder entkommen.

Die Parasiten verstecken sich im menschlichen Organismus innerhalb von Zellen. Als „Sporozoiten“, die mit der Speichelflüssigkeit der weiblichen Anophelesmücke in die Blutbahn gelangen, erreichen sie innerhalb von nur 30 Minuten die Leber. Jeder einzelne Sporozoit, der hier eindringt, produziert bis zu 40000 Nachkommen, „Merozoiten“ genannt, die dann ausschwärmen und binnen zehn Minuten die ersten roten Blutkörperchen (Erythrozyten) befallen.

Malaria-Zyklus - Wikipedia

Komplizierter Zyklus: So vermehren sich Plasmodien, die Erreger der Malaria. (Von Chb, Wikipedia)

 

Die Nachkommen dieser Blutstadien befallen dann in regelrechten Angriffswellen immer neue Erythrozyten und lösen damit die Fieberschübe aus, die mit der Malaria einhergehen. Innerhalb einer Woche vollendet sich der fatale Kreislauf, wenn – bei einem erneuten Stich – geschlechtliche Formen des Parasiten in die Mücke gelangen, um dort den Lebenszyklus abzuschließen.

Dem Immunsystem bleibt also wenig Zeit, seine Abwehrwaffen zu mobilisieren. Außerdem deutet vieles darauf hin, dass die Plasmodien gelernt haben, nur solche Oberflächenstrukturen zu präsentieren, die sich die körpereigene Abwehr nicht „merken“ kann. Die Zellen des Immunsystems erkennen nicht die kompletten Eiweiße, wie sie auf der Hülle des Parasiten vorkommen, sondern immer nur kurze Bereiche (Epitope).

Ein Großteil der Forschung konzentriert sich heute darauf, diejenigen Epitope zu finden, die das Immunsystem optimal stimulieren. Dazu werden die Eiweißstrukturen auf den Parasiten durchgemustert und in einzelne Bruchstücke zerlegt. Computervorhersagen sollen dabei helfen, besonders markante (immunogene) Epitope zu finden. Diese können dann im Labor nachgebaut oder mit gentechnischen Mitteln vervielfältigt werden.

Obwohl die B-Zellen des Immunsystems bei der Infektion Antikörper in großen Mengen produzieren, ist der betroffene Mensch dennoch nicht geschützt. Durch Anregung der T-Zellen hoffen viele Wissenschaftler, die noch ungenutzten Kräfte der menschlichen Immunabwehr wecken zu können. T-Zellen zerfallen in mehrere Untergruppen, von denen z. B. die ‚Killerzellen in der Lage sind, von Erregern infizierte Zellen zu zerstören. Ihren Einsatzbefehl hierfür bekommen sie von den T-Helferzellen.

Die Helferzellen können die Bruchstücke des Parasiten aber nicht alleine erkennen. Fresszellen (Makrophagen) fallen über die Parasiten her, kurz danach tauchen die Bruchstücke (Antigene) der Eindringlinge wieder an deren Oberfläche auf. Die Bruchstücke hängen dabei an einer Eiweißstruktur, die von den Experten kurz MHC-Antigene genannt wird. Die Kombination aus MHC-Antigen und fremdem Antigen dient schließlich als Signal für die Helferzellen, die Fresszellen zu aktivieren.

Erschwert wird die Suche der Wissenschaftler nach den „besten“ Epitopen dadurch, dass es vermutlich Hunderte verschiedener MHC-Moleküle gibt. Sie kennzeichnen körpereigenes Gewebe und sind auch für die Abstoßungsreaktionen nach Transplantationen verantwortlich. Es gilt also, Epitope zu finden, die mit möglichst vielen MHC-Antigenen eine Bindung eingehen können.

Ein zusätzliches Problem besteht darin, dass die Sporozoiten auf dem Weg in die Leber einen Teil ihrer Hülle abwerfen. Antikörper, die an diese Hülle binden, können dem Parasiten daher nichts anhaben. Die Merozoiten, die die Leber verlassen, erscheinen sogar in völlig neuer Verkleidung. Ein Impfstoff wird also aus einem „Cocktail“ bestehen und eine Vielzahl von Epitopen enthalten müssen, die für die verschiedenen Entwicklungsstufen des Parasiten charakteristisch sind.

Man wird sich dabei bemühen, vor allem solche Oberflächenstrukturen anzugreifen, die für die Plasmodien lebenswichtig sind. Infrage kämen etwa Bruchstücke der Eiweiße, mit denen die Erreger an Leberzellen und rote Blutkörperchen binden.

Hier taucht ein weiteres Problem für die Forscher auf: Zwischen den vielen verschiedenen Malariastämmen, die in den betroffenen Ländern vorkommen, existieren wiederum Unterschiede in den Oberflächen-Proteinen. Ein Impfstoff müsste aber gegen Erreger-Stämme auf der ganzen Welt wirksam sein.

(erschienen in der WELT am 28 Juni 1989)

59-info@2xWas daraus geworden ist: Die Vorstellung eines Impfstoffes, der so wie bei vielen Kinderkrankheiten mit einer Spritze 100-prozentigen Schutz verleiht, hat sich bei der Malaria als reines Wunschdenken erwiesen. Schon auf der Wissenschaftspressekonferenz in Bonn, die diesem Bericht zugrunde lag, waren durchaus kritische Töne zu hören, etwa von Professor Hanns Seitz, damals Direktor am Institut für Medizinische Parasitologie der Universität Bonn. „Mehr als ein Jahrzehnt intensiver Forsschung lassen erkennen, dass die Immunologen sich mit ihren Prognosen verschätzt haben, und dass ihre Voraussagen zu optimistisch waren“, sagte Seitz damals meiner Kollegin Dr. Vera Zylka.

Es gibt aber auch gute Nachrichten: Die Zahl der Toten ist von jährlich ca. drei Millionen auf etwa 600000 gesunken, seit die Weltgesundheitsorganisation und Stiftungen wie die Bill & Melinda Gates Foundation begonnen haben, den Erreger mit Insektiziden und Moskitonetzen in Schach zu halten. Und im Juli 2015 hat die Europäishe Arzneimittelbehörde dann die Zulassung eines Impfstoffes empfohlen, der für Babys in Risikogebieten gedacht ist und der in Studien zwischen 27 und 48 Prozent der Erkrankungen verhindern konnte, wie die Frankfurter Allgemeine Zeitung berichtet. Folgt die EU-Kommission der behördlichen Empfehlung, wäre „Mosquirix“ der erste zugelassene Malaria-Impfstoff überhaupt.

 

Tübinger Wissenschaftler entwickeln neuen Impfstoff gegen Hepatitis A

Einen Impfstoff gegen die infektiöse Variante der Leberentzündung (Hepatitis A) zu entwickeln, ist jetzt Prof. Bertram Flehmig vom Hygieneinstitut der Universität Tübingen und seinen Mitarbeitern gelungen.

In der Bundesrepublik sind nach einer Studie 96 Prozent der jungen Erwachsenen ohne Schutz gegen die Krankheit, die durch das Hepatis-A-Virus (HAV) verursacht wird und sich durch verunreinigte Lebensmittel rasch ausbreiten kann. Die einzige Möglichkeit, Risikogruppen zu schützen, war bislang die passive Immunisierung, das heißt die Gabe von Antikörpern, die aus dem Blut von Hepatitiskranken gewonnen wurden. Das Krankheitsbild der Hepatitis A ist dem der Serumhepatitis (Hepatitis B) sehr ähnlich, jedoch in den meisten Fällen nicht chronisch.

Die Tübinger Wissenschaftler impften Freiwillige mit zuvor durch Formalinbehandlung abgetöteten und daher nicht mehr vermehrungsfähigen Viren. Nach dreimaliger Impfung wiesen die Testpersonen – es handelt sich um Studenten der Universität Tübingen – große Mengen an schützenden Antikörpern auf. Wie Flehmig mitteilte, waren diese auch ein Jahr nach der Impfung nicht wesentlich verringert. Bei der passiven Impfung dagegen ist der Schutz nur von kurzer Dauer, da die fremden Antikörper rasch wieder abgebaut werden.

Die Arbeitsgruppe, die sich seit 1980um Verfahren zur Vermehrung des Hepatitis-A-Virus (HAV) bemühte, umfasst nur vier Mitglieder. Um so erstaunlicher ist es, dass die Forscher den großen Pharmaunternehmen zuvorkamen.

Während andere versuchten, das komplette Virus oder dessen Teile mit gentechnischen Mitteln zu vervielfältigen, setzte Flehmig auf die Vermehrung einer abgeschwächten Variante in Kulturen menschlicher Zellen. „Ich habe immer geglaubt, dass man es mit Zellkulturen machen kann“, erklärt der Forscher seinen Erfolg.

Verschiedene Impfstoffhersteller haben bereits Interesse an einer Produktion des Impfstoffes angemeldet. Wenn alles gutgeht, könne die Zulassung bereits in einem Jahr erfolgen. Ein allgemeines Impfprogramm gegen die Krankheit hält Flehmig nicht für sinnvoll. Auch die Weltgesundheitsorganisation hatte sich bereits früher gegen ein umfassendes und daher entsprechend kostenaufwendiges Programm ausgesprochen. In Afrika, Südamerika und Asien ist die Infektion weit verbreitet.

Profitieren von dem neu entwickelten Impfstoff könnten vor allem Touristen aus den westlichen Nationen, die in Länder reisen, in denen die Hepatitis A häufig auftritt.

(erschienen am 23. Juni 1989 in der WELT)

59-info@2xWas ist daraus geworden? Einen Impfstoff gegen Hepatitis A gibt es mittlerweile Allerdings wurde er nicht wie angekündigt 1990 von der Tübinger Arbeitsgruppe auf den Markt gebracht, sondern erst 1995 durch die Firma Merck, wo Maurice Hilleman ebenfalls einen Formalin-inaktivierten Virusstamm genutzt hatte. Flehmig ist mittlerweile einer von sechs Gesellschaftern der Biotechfirma Mediagnost, wo er sich immer noch mit Hepatitis A beschäftigt. Als Forschungsdirektor zielt er nun darauf, eine Variante des Impfstoffes zu schaffen, die auch für Entwicklungsländer erschwinglich wäre, berichtete im Juli 2012 das Schwäbische Tageblatt.