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Gentherapie gegen AIDS?

Ausgerechnet mit Hilfe von Aids-Viren, die im Labor ihrer todbringenden Eigenschaften beraubt wurden, wollen amerikanische Wissenschaftler einen neuen Versuch starten, der noch immer unheilbaren Immunschwächekrankheit beizukommen. Die brisante Idee, die selbst unter Experten Stirnrunzeln hervorruft, entpuppt sich erst bei näherer Betrachtung als wohldurchdachte Strategie, das Aidsvirus mit den eigenen Waffen zu schlagen.

Um nämlich diejenigen Abwehrzellen zu schützen, von deren Überleben das Schicksal aller Infizierten abhängt, müssen die Forscher erst einmal an die richtigen Blutzellen herankommen. Warum also nicht das Aidsvirus selbst benutzen, um schützende Gene in die gefährdeten Makrophagen und T-4-Helferzellen zu transportieren?

Wenn man zuvor die gefährlichen Erbanlagen des Erregers mit molekularbiologischen Methoden herausschneiden und durch nützliche Gene ersetzen würde, erhielte man ein ideales Vehikel für die Gentherapie. Dieser Ansicht ist zumindest Joseph Sodroski vom Dana-Farber Cancer Institute, der kürzlich auf einem Symposium des renommierten Cold Spring Harbor Labors bei New York versuchte, die Idee seinen Kollegen schmackhaft zu machen.

„Ich glaube nicht, daß die Öffentlichkeit bereit ist, einer Gentherapie mit modifizierten Aidsviren zuzustimmen“, konterte dagegen der Brite Robert Williamson, seines Zeichens ebenfalls Gentherapeut in spe. Viren – ob HIV oder Andere – haben trotzdem eine gute Chance, ihren schlechten Ruf als Krankheitserreger wieder wettzumachen. Schon lange werden harmlose Varianten von Pocken- oder Polioviren bei Schutzimpfungen eingesetzt. Für die Gentherapie interessant sind dagegen die mehr oder weniger harmlosen, im Labor quasi kastrierten, Retro- und Adenoviren. „Sie funktionieren wie kleine Lastwagen, die sich selbst beladen, ihre Fracht an den Zielort bringen und dort auch noch auspacken“, begeistert sich Williamson.

Ähnlich argumentiert auch Karin Mölling vom Berliner Max-Planck-Institut für molekulare Genetik: „Wie lernt man fliegen? Man macht es den Vögeln nach!“ In ähnlicher Weise haben Biologen und Mediziner durch genaue Beobachtung von Viren einiges darüber gelernt, wie man ein bestimmtes Gen in ausgewählte Zellen hineinschmuggeln kann. Auch bei der Frage, welche Gene für eine Blockade des Immunschwächevirus in Frage kommen, tappt man nicht länger im Dunkeln.

Im Mittelpunkt des Interesses stehen derzeit die sogenannten frühen regulatorischen Gene des Erregers, TAT und REV. TAT, das Transaktivator Gen, gilt als Hauptschalter, dessen Stellung darüber entscheidet, ob die komplette virale Erbinformation kopiert wird oder nicht. Mit defekten TAT-Genen ist es Clay Smith vom Memorial Sloan-Kettering Cancer Center in New York bereits gelungen, die Bildung neuer Viren in Zellkulturen drastisch zu reduzieren.

Der Erfolg war allerdings nicht von langer Dauer; wie so oft bildeten sich innerhalb kurzer Zeit neue Virusvarianten, die sich auch in Gegenwart defekter TAT-Gene ungestört vermehren können. Andere Arbeitsgruppen werden nun zeigen müssen, ob man mit REV mehr Glück hat. Das REV-Gen dient als molekulare Blaupause zur Herstellung eines Eiweißes – Rev – das vermutlich für den Transport des viralen Erbfadens aus dem Zellkern in das umgebende Zytoplasma zuständig ist. Die dort gelegenen Eiweißfabriken der befallenen Zelle befolgen dann artig die Befehle zur Produktion neuer Virusbestandteile – der Erreger kann sich weiter ausbreiten.

Dem will Ernst Böhnlein am Sandoz Research Institute in Wien einen Riegel vorschieben. Auch Böhnlein bedient sich dazu eines Retrovirus für den Gentransfer in menschliche Zellen. Wie erhofft blockiert ein Überschuß defekter Rev-Moleküle die Vermehrung des Aidsvirus – jedenfalls im Labor.

Mit einer Blockade der Virusvermehrung geben sich manche Arbeitsgruppen jedoch nicht zufrieden. Sie wollen mehr erreichen als „nur“ den Stillstand der Infektion. Ziel ist es, die befallenen Zellen mitsamt den darin versteckten Aidsviren abzutöten. Dabei kommen sogenannte „Selbstmord-Gene“ zum Einsatz: Wie Tretminen sollen sie in den gefährdeten Abwehrzellen auf die Invasoren warten, um beim ersten Kontakt eine tödliche Kettenreaktion auszulösen.

Dazu haben Richard Morgan und seine Mitarbeiter am Nationalen Gesundheitsinstitut der Vereinigten Staaten die Erbinformation zur Herstellung des Diphterie-Giftes mit dem Abschnitt eines Virusgens verbunden. Sobald das Virusteil mit den Eiweißen Rev oder Tat in Berührung kommt, produziert die Zelle das Diphterie-Toxin, von dem ein einziges Molekül zur Selbstzerstörung ausreicht. Das gleiche Prinzip mit einem anderen Gift wird derzeit auch bei der Therapie bestimmter Hirntumoren erprobt. „Wunderbar, was mit solchen Suizid-Genen alles gemacht werden kann“, freut sich Karin Mölling.

Ein immer wieder vorgebrachter Einwand gegen die Gentherapie mit Retroviren lautet, die Gentaxis könnten beim „Einparken“ gesunde Gene beschädigen und dadurch langfristig die Entstehung von Tumoren begünstigen. Für einen todkranken Patienten jedoch sei dieses theoretische Risiko kein Argument, widerspricht Frau Mölling, die ihre eigenen Arbeiten auf diesem Gebiet demnächst in der Schweiz fortsetzen wird.

Vielleicht wird man den „natürlichen“ Gentransfer durch gezähmte Viren schon in wenigen Jahren ersetzten können. Mit „Genkanonen“ könnte dann die hochgereinigte Erbsubstanz direkt in den Patienten geschossen werden – eine Methode, welche die gebürtige Texanerin Priscilla Furth bereits an lebenden Mäusen und Schafen erprobt hat. Eine Stahlfeder katapultierte dabei die Gene mit solcher Geschwindigkeit aus dem Lauf, daß sie mehrere Zentimeter tief in die Haut eindrangen, angeblich ohne bleibende Schäden zu hinterlassen.

Bei einem Internationalen Symposium zur Gentherapie, das kürzlich im Berliner Max-Delbrück-Centrum stattfand, zeigten sich die anwesenden Experten trotzdem eher skeptisch. Die Mehrheit, so schien es, würde die „sanften“ Retroviren einem Schuß mit der Genkanone vorziehen.

Literatur:

PNAS Vol. 89, pp 9870-9874; Bevec, D, Dobrovnik, M., Hauber, J., Böhnlein, E.: Inhibition of human immunodeficiency virus type 1 replication in human T cells by retroviral-mediated gene transfer of a dominant-negative Rec trans-activator.

Aids Research and Human Retroviruses Vol. 8, pp 39-45; Harrison, G.S., Long, C.J., Maxwell, F., Glode, L.M., Maxwell, I.H.: Inhibition of HIV Production in Cells Containing an Integrated, HIV-Regulated Diphteria Toxin A Chain Gene.

(Originalversion von „Selbstmord als Programm“, Bild der Wissenschaft, Juni 1993)

 

Harald Varmus und Michael Bishop gewinnen den Nobelpreis für Medizin 1989

Harald E. Varmus (Quelle: Wikipedia Commons)

Harald E. Varmus (Quelle: Wikipedia Commons)

Ausgezeichnet werden in diesem Jahr die beiden amerikanischen Mediziner Harald E. Varmus und J. Michael Bishop. Varmus wurde am 18. Dezember 1939 in Oceanside im Staat New York geboren. Er besuchte das Amherst College in Massachusetts und studierte dann in Harvard. 1966 promovierte er an der Columbia-Universität. Michael Bishop wurde am 22. Februar 1936 in York im US-Staat Pennsylvania geboren. Er studierte in Gettysburg und Harvard und arbeitete danach an den National Institutes of Health bei Washington. Gemeinsam arbeiten die Preisträger an der Abteilung Mikrobiologie und Immunologie der Universität von Kalifornien in San Francisco

Michael Bishop und Harold Varmus wurden für ihre Entdeckung des „zellulären Ursprungs der retroviralen Onkogene“ ausgezeichnet. In der Begründung für die Vergabe des Medizin-Nobelpreises heißt es: „Die Entdeckung betrifft eine große Menge von Genen, die das normale Wachstum und die Teilung der Zellen kontrollieren. Störungen in einem oder einigen dieser Gene verwandeln sie in Onkogene (Griechisch: onkos – Geschwulst, Tumor). Dies kann dazu führen, dass eine normale Zelle in eine Tumorzelle verwandelt wird und eine Krebsgeschwulst veranlasst.“

Bestimmte Viren können die normalen Gene in ihre Erbsubstanz aufnehmen. Dabei können diese in Onkogene umgewandelt werden. Bei der Vermehrung der Viren werden die veränderten Gene wieder in das menschliche Erbgut eingebaut.

Schon um die Jahrhundertwende wurde erstmals der Verdacht geäußert, dass Viren Krebs verursachen können. Peyton Rous vom amerikanischen Rockefeller Institut gelang es 1910, Tumoren zwischen Hühnern zu übertragen. Rous benutzte dazu einen Extrakt aus den Zellen befallener Tiere. Er äußerte damals die Vermutung, dass hier Viren im Spiel seien, stieß damit aber bei seinen Kollegen auf taube Ohren.

Erst Jahrzehnte später – das Elektronenmikroskop war in der Zwischenzeit erfunden worden – konnte das Virus zweifelsfrei nachgewiesen werden. Im Alter von 85 Jahren erhielt Rous mit dem Nobelpreis des Jahres 1966 eine späte Anerkennung seiner Arbeiten.

 J. Michael Bishop (Quelle: General Motors Cancer Research Foundation, via Wikipedia Commons)

J. Michael Bishop (Quelle: General Motors Cancer Research Foundation, via Wikipedia Commons)

Natürlich war man nicht damit zufrieden, nur zu wissen, dass Viren Tumoren hervorrufen können. Wie genau erreicht das Virus die drastischen Änderung in Form und Eigenschaften der befallenen Zellen? Die Beantwortung dieser Frage wurde erheblich erleichtert, als man fand, dass bestimmte Tumorviren, die sogenannten Retroviren, in Gewebekulturen Veränderungen an lebenden Zellen hervorrufen können, die denen in Tumorzellen ähneln. Als die moderne Biologie das Zerlegen der Erbsubstanz in kleinere Abschnitte ermöglichte, konnte man fragen, welcher Teil des Virus für die krebsartigen Veränderungen der Wirtszellen verantwortlich war.

Beim Rous-Sarkoma Virus entdeckte Steven Martin von der Universität Berkeley das erste „Krebsgen“. Viren bestehen im wesentlichen aus einigen wenigen Genen, verpackt in einer Hülle aus Eiweißen. Nach dem Eindringen in ihre Wirtszellen werden gemäß den Anweisungen der  retroviralen Gene Eiweißstoffe produziert, die das Virus zu seiner Vermehrung benötigt. Eine andere Vermehrungsmöglichkeit für diese „Parasiten der Zelle“ besteht darin, das Erbmaterial des Virus in das zelleigene Erbmaterial einzuschmuggeln. Mit jeder Zellteilung wird dann das Virus vermehrt und kann sogar, wenn es sich in einer Keimzelle einnistet, auf die nächste Generation übertragen werden.

Michael Bishop und Harald Varmus haben mit ihren Arbeiten herausgefunden, woher Retroviren wie das Rous-Sarkoma Virus ihre krebserregenden Gene haben. 1972 überprüften Bishop und Varmus mit Dominique Stehelin, die „Krebsgen-Hypothese“, die am Nationalen Krebsinstitut (NCI) aufgestellt worden war. Dort hatten Robert Huebner und George Todaro vermutet, dass die Krebsgene der untersuchten Viren zum genetischen „Gepäck“ aller Zellen gehören. Bei einer Virusinfektion, die weit in der Evolution zurückläge, hätten die Viren Kopien normaler zellulärer Gene „aufgepickt“.

Wenn diese Überlegung richtig ist, so dachten die Nobelpreisträger, müsste sich das „Krebsgen“ des Rous-Sarkoma Virus auch in normalen Zellen nachweisen lassen. Dieses Unternehmen allerdings glich der berühmten Suche nach der Stecknadel im Heuhaufen. Die Zellen von Wirbeltieren enthalten nämlich – anders als die untersuchten Viren – zehntausende verschiedener Gene. Stehelin war es, der eine Gen-Sonde herstellte, mit der sich das gesuchte Gen aus der großen Menge des restlichen Erbmaterials herausfischen ließ.

Er machte sich dabei die Tatsache zunutze, dass das Erbmaterial (DNA) in Form eines Doppelstranges vorliegt, dessen Hälften zueinander passen wie Schlüssel und Schloss. Nach dem Mischen der viralen Genkopie mit den Hälften des Doppelstranges findet das Krebsgen sein zelluläres Gegenstück und lagert sich an dieses an. Eine radioaktive Markierung der Gensonde erlaubte es den Forschern, diesen Vorgang zu beobachten. Der Beweis, das es in normalen Zellen Gene gab, die mit dem Krebsgen verwandt waren, war damit erbracht.101

1976 zogen dann Bishop, Varmus und Stehelin die Schlussfolgerung, dass das Onkogen im Virus kein wirkliches Virusgen ist, sondern ein normales Zellgen, welches das Virus in der Wirtszelle aufgegriffen und weitergeführt hat. Dies warf aber die Frage auf, warum dann nicht alle „normalen“ Zellen zu Tumorzellen werden. Hierauf fand man gleich zwei Antworten. Die viralen Krebsgene unterscheiden sich meistens nämlich doch von ihren zellulären Vorläufern, nur sind die Unterschiede so gering, dass sie erst nach einer sehr genauen Untersuchung des jeweiligen Erbmaterials zu Tage treten. Man kennt heute Dutzende von Onkogenen, zusammen mit den Eiweißstoffen (Proteine) die gemäß dieser Bauanleitungen in den Zellen gefertigt werden.

Bei den Hunderten von Bausteinen dieser Proteine kann ein einziger Austausch genügen, um die Eigenschaften des Proteins völlig zu verändern Die Kontrolle über Zellwachstum und Zellteilung geht verloren; ein Krebsgeschwür kann entstehen.

Als zweite Möglichkeit kann ein Virus, das Teile seines Erbmaterial in das „gesunde“ Erbmaterial einführt, auch die Regulation in der Zelle durcheinander bringen. Wird die Anzahl der gefertigten Moleküle dagegen von einem Virus bestimmt, kann es leicht zur Überproduktion mancher Stoffe kommen, ebenfalls mit fatalen Folgen.

Mittlerweile hat Stehelin die Auszeichnung seiner US-Kollegen als „sehr ungerecht“ verurteilt. „Ich habe die Arbeit ganz allein gemacht, von A bis Z“, äußerte der Franzose, der als Erstautor in dem Artikel geführt wird, mit dem die Ergebnisse des Teams 1976 erstmalig publik gemacht wurden.

(überarbeitete Fassung meines Artikel in der WELT vom 10. Oktober 1989)