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Fünf Viren, die auf die Leber schlagen

Durch Viren verursachte Leberentzündungen (Hepatitis) haben weltweit jährlich über 500000 Todesfälle zur Folge, so schätzen, Experten. Mit den Waffen der modernen Biologie kämpft die Wissenschaft gegen mindestens vier verschiedene Erreger. Die Namen der Erreger (wie Hepatitis A, B oder C-Virus) suggerieren eine enge Verwandtschaft, doch einzige Gemeinsamkeit ist das betroffene Organ, die Leber.

Das Hepatitis A Virus (HAV) ist dabei noch vergleichsweise harmlos. Die winzigen Partikel tragen als Erbsubstanz ein kurzes, fadenförmiges Stück Ribonukleinsäure (RNA), verpackt in eine Eiweißhülle. Infektionen mit HAV sind meist auf verseuchte Nahrungsmittel zurückzuführen. Im letzten Jahr gelang es Prof. Bertram Flehmig vom Hygieneinstitut der Universität Tübingen und seinen Mitarbeitern, einen Impfstoff gegen diese „infektiöse“ Variante der Hepatitis herzustellen (siehe Bericht vom 23. Juni 1989). Die Vakzine, die aus abgetöteten Viren besteht, sollte in wenigen Jahren allgemein verfügbar sein. Allerdings dürfte der relativ hohe Preis die Anwendung auf Touristen beschränken, die in tropische Länder reisen.

Das Hepatitis B Virus (HBV) führt auf noch ungeklärte Weise zu 85 bis 90 Prozent aller Leberkrebsfälle in der Welt und fordert jährlich über eine halbe Million Opfer. Diese Karzinome sind regional sehr unterschiedlich verteilt: In den USA, Europa und Australien gibt es nur einen bis drei Fälle je 100000 Einwohner und Jahr; in Südostasien und weiten Teilen Afrikas sind es zwischen zehn und 150.

Bei einer HBV-Infektion – die Übertragung erfolgt über den Blutweg oder beim Sexualkontakt – vermehrt sich das Virus in der Leber. 95 Prozent dieser Infektionen werden vom Immunsystem gestoppt, diese Personen sind dann gegen weitere Angriffe gefeit. Bei fünf Prozent aber bleibt die Infektion ein Leben lang erhalten. Die meisten Betroffenen erleiden dennoch keinen Leberschaden. In wenigen Fällen aber kommt es zu einer chronischen Leberentzündung.

Der Krebs entwickelt sich meist in einem bereits vorgeschädigten Organ. Durch Experimente an Nagetieren konnte man zeigen, dass die Krankheit offenbar in zwei Schritten verläuft: Während der chronischen Hepatitis teilen sich die Leberzellen schneller als gewöhnlich, um abgestorbene Zellen zu ersetzen. Dabei kommt es zum Einbau viraler DNA in das menschliche Erbgut.

Diese Methode der „Integration“ hat HBV mit dem Aids-Erreger HIV gemein. Da der Einbau ungeregelt und in zufälliger Weise erfolgt, steigt die Wahrscheinlichkeit, dass die in der menschlichen DNA gespeicherte Information für die Zelle unleserlich wird. Wenn so Zellteilung und Zellwachstum außer Kontrolle geraten, kann 25 bis 30 Jahre nach der Infektion ein Krebs entstehen.

Bei der Therapie der B-Hepatitis kommt es vor allem darauf an, das Virus an der Vermehrung zu hindern und die virale DNA zu beseitigen. Erfolgreichstes Medikament ist dabei das Alpha-Interferon. Es darf aber nur von erfahrenen Ärzten nach sorgfältiger Abwägung gegeben werden, weil es schwere Nebenwirkungen hat.

Viruserkrankungen lassen sich im Prinzip durch vorbeugende Impfungen verhindern. Für die Hepatitis B war man bis vor kurzem auf Blutplasma von Erkrankten angewiesen, da sich das Virus nicht in Zellkulturen vermehren ließ. Diese Vakzine konnte den Bedarf aber nicht decken und war außerdem nur mit einem hohen Produktionsaufwand zu gewinnen.

Schließlich besteht bei der Verwendung von Blutprodukten immer die Gefahr einer Ansteckung mit schwer nachweisbaren Krankheitserregern. Vor drei Jahren wurde dann erstmals ein gentechnisch hergestellter Impfstoff gegen HBV zugelassen. Bei dem neuen Verfahren werden Bruchstücke des Virus in Hefezellen produziert, die dann nach dreimaliger Impfung vor einer Infektion schützen.

Die Zahl der Träger des Hepatitis B Virus wird global auf rund 300 Millionen geschätzt. Vermutlich ist HBV nach dem Rauchen die häufigste Krebsursache. Die Weltgesundheitsorganisation (WHO) hat es sich daher zum Ziel gesetzt, diese Krankheit bis zum Jahr 2010 weltweit auszurotten.

Allerdings steht der immer noch hohe Preis der Vakzine Massenimpfungen entgegen. Kosten von über 100 Mark pro Impfung mögen hierzulande akzeptabel sein, für die Entwicklungsländer ist schon ein Dollar zu viel. Die Aussichten der WHO Kampagne auf Erfolg erscheinen daher begrenzt, solange es nicht gelingt, die Zahl der nötigen Impfungen und die Kosten drastisch zu reduzieren.

Mindestens zwei weitere Viren können bei der Hepatitis eine Rolle spielen. Früher als „Nicht-A-Nicht-B-Hepatitis- Erreger“ zusammengefasst, hat man in den letzten Jahren einiges über diese Parasiten dazugelernt. Das Hepatitis C Virus (HCV) ist für die meisten Fälle von Leberentzündung nach Bluttransfusionen verantwortlich. Bislang müssen noch etwa vier bis fünf Prozent der Blutempfänger mit einer Gelbsucht rechnen. Ein neu entwickelter Test, der den Ärzten hierzulande in diesem Jahr zur Verfügung stehen wird, soll die Infektionsgefahr nochmals auf ein Fünftel reduzieren. Eine Interferon-Behandlung zeigt bei ungefähr der Hälfte der Patienten Erfolg.

Das andere „Nicht-A-Nicht-B-Virus“, auch als „E“ bezeichnet, hat den gleichen Übertragungsweg wie HAV. Das E-Agens befällt vor allem jüngere Menschen in Mexiko, Indien, Teilen Afrikas und Südostasiens. Diese Form der Hepatitis hat in der Regel eine gute Prognose, kann aber in der Schwangerschaft mit dem Tod enden. Eine Therapie existiert für dieses Virus bisher nicht.

Ein Sonderling schließlich ist das Hepatitis Delta Virus, HDV. Normalerweise tritt HDV in Kombination mit HBV auf, wobei sich die Hepatitis durch die Anwesenheit von HDV erheblich verschlimmert. Delta hat große Ähnlichkeit mit Krankheitserregern, die als Viroide bezeichnet werden und ausschließlich in Pflanzen vorkommen.

Nach John Germ von der Georgetown- Universität im US-Distrikt Washington stellt HDV den bisher einzigen Vertreter einer völlig neuen Klasse von Erregern dar. Für die Übertragung, nicht aber für die Vermehrung ist HDV auf die Hilfe von HBV angewiesen. Man schätzt, dass etwa 15 Millionen Menschen das Delta-Virus in sich tragen.

(erschienen in der WELT am 20. Januar 1990)

Was ist seitdem passiert? Enorme Fortschritte gab es bei der Bekämpfung fast aller Formen der Virus-Hepatitis. Es gibt Impfstoffe gegen A und B, sogar als Kombination in einer Spritze. Als echter Durchbruch gilt auch die Entwicklung von gut verträglichen und hoch wirksamen Arzneien gegen Hepatitis C. Die Tabletten wirken in kurzer Zeit und erreichen Heilungsraten von mehr als 90 Prozent. 

(letzte Aktualisierung 27. Februar 2017)

Harald Varmus und Michael Bishop gewinnen den Nobelpreis für Medizin 1989

Harald E. Varmus (Quelle: Wikipedia Commons)

Harald E. Varmus (Quelle: Wikipedia Commons)

Ausgezeichnet werden in diesem Jahr die beiden amerikanischen Mediziner Harald E. Varmus und J. Michael Bishop. Varmus wurde am 18. Dezember 1939 in Oceanside im Staat New York geboren. Er besuchte das Amherst College in Massachusetts und studierte dann in Harvard. 1966 promovierte er an der Columbia-Universität. Michael Bishop wurde am 22. Februar 1936 in York im US-Staat Pennsylvania geboren. Er studierte in Gettysburg und Harvard und arbeitete danach an den National Institutes of Health bei Washington. Gemeinsam arbeiten die Preisträger an der Abteilung Mikrobiologie und Immunologie der Universität von Kalifornien in San Francisco

Michael Bishop und Harold Varmus wurden für ihre Entdeckung des „zellulären Ursprungs der retroviralen Onkogene“ ausgezeichnet. In der Begründung für die Vergabe des Medizin-Nobelpreises heißt es: „Die Entdeckung betrifft eine große Menge von Genen, die das normale Wachstum und die Teilung der Zellen kontrollieren. Störungen in einem oder einigen dieser Gene verwandeln sie in Onkogene (Griechisch: onkos – Geschwulst, Tumor). Dies kann dazu führen, dass eine normale Zelle in eine Tumorzelle verwandelt wird und eine Krebsgeschwulst veranlasst.“

Bestimmte Viren können die normalen Gene in ihre Erbsubstanz aufnehmen. Dabei können diese in Onkogene umgewandelt werden. Bei der Vermehrung der Viren werden die veränderten Gene wieder in das menschliche Erbgut eingebaut.

Schon um die Jahrhundertwende wurde erstmals der Verdacht geäußert, dass Viren Krebs verursachen können. Peyton Rous vom amerikanischen Rockefeller Institut gelang es 1910, Tumoren zwischen Hühnern zu übertragen. Rous benutzte dazu einen Extrakt aus den Zellen befallener Tiere. Er äußerte damals die Vermutung, dass hier Viren im Spiel seien, stieß damit aber bei seinen Kollegen auf taube Ohren.

Erst Jahrzehnte später – das Elektronenmikroskop war in der Zwischenzeit erfunden worden – konnte das Virus zweifelsfrei nachgewiesen werden. Im Alter von 85 Jahren erhielt Rous mit dem Nobelpreis des Jahres 1966 eine späte Anerkennung seiner Arbeiten.

 J. Michael Bishop (Quelle: General Motors Cancer Research Foundation, via Wikipedia Commons)

J. Michael Bishop (Quelle: General Motors Cancer Research Foundation, via Wikipedia Commons)

Natürlich war man nicht damit zufrieden, nur zu wissen, dass Viren Tumoren hervorrufen können. Wie genau erreicht das Virus die drastischen Änderung in Form und Eigenschaften der befallenen Zellen? Die Beantwortung dieser Frage wurde erheblich erleichtert, als man fand, dass bestimmte Tumorviren, die sogenannten Retroviren, in Gewebekulturen Veränderungen an lebenden Zellen hervorrufen können, die denen in Tumorzellen ähneln. Als die moderne Biologie das Zerlegen der Erbsubstanz in kleinere Abschnitte ermöglichte, konnte man fragen, welcher Teil des Virus für die krebsartigen Veränderungen der Wirtszellen verantwortlich war.

Beim Rous-Sarkoma Virus entdeckte Steven Martin von der Universität Berkeley das erste „Krebsgen“. Viren bestehen im wesentlichen aus einigen wenigen Genen, verpackt in einer Hülle aus Eiweißen. Nach dem Eindringen in ihre Wirtszellen werden gemäß den Anweisungen der  retroviralen Gene Eiweißstoffe produziert, die das Virus zu seiner Vermehrung benötigt. Eine andere Vermehrungsmöglichkeit für diese „Parasiten der Zelle“ besteht darin, das Erbmaterial des Virus in das zelleigene Erbmaterial einzuschmuggeln. Mit jeder Zellteilung wird dann das Virus vermehrt und kann sogar, wenn es sich in einer Keimzelle einnistet, auf die nächste Generation übertragen werden.

Michael Bishop und Harald Varmus haben mit ihren Arbeiten herausgefunden, woher Retroviren wie das Rous-Sarkoma Virus ihre krebserregenden Gene haben. 1972 überprüften Bishop und Varmus mit Dominique Stehelin, die „Krebsgen-Hypothese“, die am Nationalen Krebsinstitut (NCI) aufgestellt worden war. Dort hatten Robert Huebner und George Todaro vermutet, dass die Krebsgene der untersuchten Viren zum genetischen „Gepäck“ aller Zellen gehören. Bei einer Virusinfektion, die weit in der Evolution zurückläge, hätten die Viren Kopien normaler zellulärer Gene „aufgepickt“.

Wenn diese Überlegung richtig ist, so dachten die Nobelpreisträger, müsste sich das „Krebsgen“ des Rous-Sarkoma Virus auch in normalen Zellen nachweisen lassen. Dieses Unternehmen allerdings glich der berühmten Suche nach der Stecknadel im Heuhaufen. Die Zellen von Wirbeltieren enthalten nämlich – anders als die untersuchten Viren – zehntausende verschiedener Gene. Stehelin war es, der eine Gen-Sonde herstellte, mit der sich das gesuchte Gen aus der großen Menge des restlichen Erbmaterials herausfischen ließ.

Er machte sich dabei die Tatsache zunutze, dass das Erbmaterial (DNA) in Form eines Doppelstranges vorliegt, dessen Hälften zueinander passen wie Schlüssel und Schloss. Nach dem Mischen der viralen Genkopie mit den Hälften des Doppelstranges findet das Krebsgen sein zelluläres Gegenstück und lagert sich an dieses an. Eine radioaktive Markierung der Gensonde erlaubte es den Forschern, diesen Vorgang zu beobachten. Der Beweis, das es in normalen Zellen Gene gab, die mit dem Krebsgen verwandt waren, war damit erbracht.101

1976 zogen dann Bishop, Varmus und Stehelin die Schlussfolgerung, dass das Onkogen im Virus kein wirkliches Virusgen ist, sondern ein normales Zellgen, welches das Virus in der Wirtszelle aufgegriffen und weitergeführt hat. Dies warf aber die Frage auf, warum dann nicht alle „normalen“ Zellen zu Tumorzellen werden. Hierauf fand man gleich zwei Antworten. Die viralen Krebsgene unterscheiden sich meistens nämlich doch von ihren zellulären Vorläufern, nur sind die Unterschiede so gering, dass sie erst nach einer sehr genauen Untersuchung des jeweiligen Erbmaterials zu Tage treten. Man kennt heute Dutzende von Onkogenen, zusammen mit den Eiweißstoffen (Proteine) die gemäß dieser Bauanleitungen in den Zellen gefertigt werden.

Bei den Hunderten von Bausteinen dieser Proteine kann ein einziger Austausch genügen, um die Eigenschaften des Proteins völlig zu verändern Die Kontrolle über Zellwachstum und Zellteilung geht verloren; ein Krebsgeschwür kann entstehen.

Als zweite Möglichkeit kann ein Virus, das Teile seines Erbmaterial in das „gesunde“ Erbmaterial einführt, auch die Regulation in der Zelle durcheinander bringen. Wird die Anzahl der gefertigten Moleküle dagegen von einem Virus bestimmt, kann es leicht zur Überproduktion mancher Stoffe kommen, ebenfalls mit fatalen Folgen.

Mittlerweile hat Stehelin die Auszeichnung seiner US-Kollegen als „sehr ungerecht“ verurteilt. „Ich habe die Arbeit ganz allein gemacht, von A bis Z“, äußerte der Franzose, der als Erstautor in dem Artikel geführt wird, mit dem die Ergebnisse des Teams 1976 erstmalig publik gemacht wurden.

(überarbeitete Fassung meines Artikel in der WELT vom 10. Oktober 1989)