Was haben Gentherapie und – Abtreibungspille, Kosmologie und Ackerbau gemeinsam? Welcher Zusammenhang besteht zwischen Regenwald und Golfkrieg, zwischen der Zukunft der Nasa und dem Berufsbild von Zahnärzten, zwischen Frauen in der Wissenschaft und der Verbreitung von Atomwaffen?

All diese Themen und mehr werden auf einer einzigen Mammut-Konferenz besprochen. Die Rede ist von der Tagung der Amerikanischen Akademie zur Förderung der Wissenschaften (AAAS), die heute in Washington zu Ende geht. Fast 6000 Teilnehmer nutzten mehr als 1000 Vorträge, um ihren Wissensdurst zu stillen. Zusammen beanspruchte die Schar interessierter Laien, Studenten, Professoren und Journalisten gleich mehrere Hotelkomplexe in der amerikanischen Hauptstadt.

Fast eine Woche dauerte der alljährliche „Supermarkt der Wissenschaften“, der in diesem Jahr zum 157. Mal stattfand und damit zu einer der traditionsreichsten Veranstaltungen der USA zählt. Die 1848 gegründete Akademie ist mit 132.000 Mitgliedern die weltweit führende wissenschaftliche Vereinigung. 290 individuelle Gesellschaften sind ihr angeschlossen. Die Akademie veröffentlicht mit „Science“ eines der angesehensten (und auflagenstärksten) Wissenschaftsmagazine und bietet ihren Mitgliedern weltweite Exkursionen unter fachkundiger Leitung an.

Aber auch sonst macht die Vereinigung zur Förderung der Wissenschaft ihrem Namen alle Ehre. Eine bessere Schulbildung zählt genauso zu ihren Zielen wie die Förderung von Minderheiten, Frauen und Behinderten in der Wissenschaft. „Wichtigste Aufgabe unserer jährlichen Treffen ist es, die Kontroversen in der Forschung an die Öffentlichkeit zu tragen“ erklärt Joan Wrather, die mit ihren Kollegen eine Heerschar von etwa 700 Medienvertretern betreute.

Kontroversen in der Wissenschaft, die gibt es auch im eher fortschrittsgläubigen Amerika reichlich. Gleich mehrere Vorträge widmeten sich der „Abtreibungspille“ RU-486, einem Präparat, welches das Einnisten einer bereits befruchteten Eizelle in der Gebärmutter verhindert und dem bislang nur in Frankreich – und dies nach langer Debatte – die Zulassung erteilt wurde. US-Wissenschaftlern ist derzeit jegliche Forschung mit dem Präparat verboten, welches noch für mehrere andere Anwendungen im Gespräch ist. So könnte RU-486 eingesetzt werden, um den Gebärmutterhals bei der Geburt zu erweitern und damit die Zahl der Kaiserschnitte zu reduzieren.

Auch bei der Bekämpfung bestimmter Tumoren, die von der Zufuhr des Schwangerschaftshormons Östrogen abhängig sind, könnte RU- 486 hilfreich sein. Durch die öffentliche Diskussion dieser Thematik sollen Fakten von Emotionen getrennt werden. Gesetzgebung und Politik werden darauf aufmerksam gemacht, daß amerikanische Wissenschaftler von einem breiten Forschungsgebiet praktisch ausgeschlossen werden.

Neben brisanten Themen wie der Aids-Epidemie, oder dem Zusammenhang zwischen Drogen, Erziehung und Gewalt steht auch zur Debatte, wofür Forschungsgelder am sinnvollsten einzusetzen sind. Viele Forscher fürchten, daß prestigeträchtige Großobjekte wie die geplante Raumstation oder die Sequenzierung des menschlichen Erbgutes sich zu schwarzen Löchern entwickeln könnten, in denen all das Geld verschwindet, welches besser in eine Vielzahl kleiner Objekte zu investieren wäre.

Auch wenn viele Teilnehmer angesichts des überwältigenden Informationsangebotes hin- und hergerissen wurden zwischen harter Forschung und spielerischem Entdecken, Ethik und Esoterik, ist eines gewiß: Die Veranstaltung der AAAS ist immer ein faszinierendes Schaufenster der Wissenschaft und Paradebeispiel für den viel beschworenen Dialog mit der Öffentlichkeit.

(erschienen in „DIE WELT“ am 19. Febuar 1991)

Was wurde daraus? Aus RU-486 wurde Mifepriston (Handelsname Mifegyne), es darf seit dem Jahr 2007 in der EU und in der Schweiz für einen Schwangerschaftsabbruch bis zur 9. bzw. Woche eingesetzt werden. Unterdessen hat man sich in Europa von der AAAS inspirieren lassen und 2004 mit dem Euroscience Open Forum (ESOF) ebenfalls eine interdisziplinäre Wissenschaftskonferenz ins Leben gerufen.