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Parvoviren – Verbündete gegen Krebs?

Die Verbündeten von Jörg Schlehofer sind alles andere als groß. Rund fünf Millionen Parvoviren müßte man aneinanderreihen, um auf eine Strecke von nur einem Zentimeter zu kommen. Selbst unter dem Elektronenmikroskop sind die Winzlinge nur als kleine graue Pünktchen zu erkennen.

Dennoch hoffen Schlehofer und sein belgischer Kollege Jean Rommelaere darauf, Parvoviren als hochpräzise Werkzeuge für die Krebstherapie zu nutzen. Immerhin schädigen die Parasiten unter den hunderten verschiedener Zelltypen des Menschen fast ausschließlich jene Irrläufer, die in Form von Tumoren und Metastasen das Leben der Patienten bedrohen.

In gesunden Zellen können sich die Zellpiraten dagegen nicht vermehren. Mit Tierversuchen an Hamstern und Nacktmäusen konnten die Wissenschaftler am Forschungsschwerpunkt Angewandte Tumorvirologie außerdem zeigen, daß Tumorzellen gegenüber einer Bestrahlung empfindlicher reagieren, wenn sie zuvor mit Parvoviren infiziert wurden.

„Das interessiert natürlich die Strahlentherapeuten sehr“, sagt Schlehofer, für den Internationale Zusammenarbeit mehr ist als nur ein Schlagwort: Die zurückliegenden Monate hat der DKFZ-Angestellte größtenteils am Pasteur-Institut im französischen Lille verbracht. Gleichzeitig pflegt er die Verbindungen zur Radiologischen Universitätsklinik Heidelberg, wo das Konzept schon bald auch an den ersten Krebspatienten erprobt werden soll.

Zuvor gilt es allerdings, mögliche Risiken auszuschließen. „Kann das Virus, mit dem wir hier arbeiten, wirklich keine Krankheiten beim Menschen auslösen?“, lautet die Frage, die für Schlehofer im Mittelpunkt steht. Außerdem wird überprüft, ob Parvoviren vielleicht sogar gesunde Menschen vor Krebs schützen können. Beim Gebärmutterhalskrebs deutet jedenfalls alles darauf hin, „daß die Patientinnen sich seltener mit dem Virus auseinandergesetzt haben, als die Normalbevölkerung“.

Weltweit beginnt man zu erkennen, daß Viren mehr sind als Krankheitserreger und lästige Parasiten. Als Lastenträger für Therapiegene könnten sie in jene Winkel des Körpers vordringen, die für das Skalpell des Chirurgen unerreichbar sind. Selbst Tumoren des Gehirns haben amerikanische Forscher mit Hilfe solcher Gen-Taxis schon attackiert. Auch wenn der Ausgang dieses Experiments noch ungewiß ist, stehen die Chancen gut, daß den Ärzten schon bald ein neues „Instrument“ zur Verfügung steht, an dessen Einsatz noch vor zehn Jahren allenfalls Science-Fiction Autoren zu denken wagten.

(erschienen in Ausgabe 3/4 1993 des „einblick“, der Zeitschrift des Deutschen Krebsforschungszentrums)

Antisense-RNS: Blockade mit System

Manchmal zahlt es sich aus, der Herde nicht zu folgen: Als Georg Sczakiel vor sieben Jahren von den ersten Versuchen erfuhr, Gene mit „Gegen-Genen“ zu hemmen, wurden Forschungen auf diesem Gebiet noch als „sehr riskant für den persönlichen Werdegang“ eingestuft.

Heute ist Sczakiel Leiter einer sechsköpfigen Arbeitsgruppe am Zentrum für angewandte Tumorvirologie des DKFZ. Er zählt zur einer schnell wachsenden Schar von Wissenschaftlern, die daran arbeiten, einzelne Erbanlagen mit bisher unerreichter Präzision zu blockieren.

Der gelernte Chemiker macht sich dabei eine wesentliche Eigenschaft des fadenförmigen Erbmoleküls DNS zunutze, welches eigentlich aus zwei „zusammengeklebten“ Hälften besteht: Alle Informationen sind in der Regel nur auf einem Strang verschlüsselt. Dessen spiegelbildliches Gegenstück dient lediglich zur Stabilisierung, verdeckt dabei aber die eigentliche molekulare Botschaft. Erst wenn die anhänglichen Partner durch ein ganzes Arsenal von Biomolekülen für Sekundenbruchteile voneinander gelöst werden, kann die Zelle eine Kopie des molekularen Bauplans erstellen. Diese Boten-RNS dient dann außerhalb des Zellkerns als Vorlage für die Produktion eines Biokatalysators.

Hier aber kann Sczakiel mit seinen „molekularen Bremsklötzen“ einen Riegel vorschieben. Es handelt sich dabei um Antisense-RNS, ein mit gentechnischen Methoden hergestelltes Spiegelbild der Boten-RNS. Beide Moleküle schmiegen sich aneinander und verknäulen dabei zum unlesbaren Doppelstrang, ganz ähnlich dem DNS-„Muttermolekül“. Der Clou der Methode besteht darin, daß es für jedes Gen nur einen RNS-Typ gibt, der sich mit einer maßgeschneiderten Antisense-RNS lahmlegen läßt.

Daß Sczakiel mit dieser Technik ausgerechnet am Krebsforschungszentrum versucht, die Vermehrung des Aids-Virus zu blockieren versucht, mag zunächst verblüffen. DKFZ-Chef Harald zur Hausen läßt den Nachwuchswissenschaftler trotzdem gewähren, denn das Prinzip der Genhemmung durch Antisense-Moleküle ist universell anwendbar. Dank der weltweiten Bemühungen zur Entschlüsselung der menschlichen Erbanlagen sind inzwischen eine ganze Reihe von Genen bekannt, deren Überaktivität das Krebswachstum begünstigt. In den Vereinigten Staaten wurden die ersten Kandidaten bereits ins Visier genommen.

(erschienen in Ausgabe 3/4 1993 des „einblick“, der Zeitschrift des Deutschen Krebsforschungszentrums)