Die amerikanische Weltraumbehörde Nasa steckt in Schwierigkeiten. Während in 600 Kilometern Höhe das zwei Milliarden Dollar teure Weltraumteleskop „Hubble“ als Zielscheibe für den Spott und die Enttäuschung der Astronomengemeinde dient, ist die Bodenmannschaft im Kennedy Space Center mittlerweile zum vierten Mal in fünf Monaten daran gescheitert, die Raumfähre „Columbia“ zu starten.

Musste jahrelang am Boden bleiben: Das Space Shuttle Discovery auf der Startrampe im Kennedy Space Center (Bild: NASA via Wikipedia)

Ingenieure und Techniker versuchen derzeit verzweifelt, ein Leck in der Treibstoffzufuhr unter Kontrolle zu bringen. Schmirgelpapier sei in den Treibstoffkreislauf der Columbia gelangt, vermutet ein Nasa-Mitarbeiter, der es vorzieht, anonym zu bleiben. Auch die beiden Schwesterschiffe „Atlantis“ und „Discovery“ liegen am Boden fest.

Mitglieder des amerikanischen Kongresses sind inzwischen auf die wiederholten Flops aufmerksam geworden. Nachdem sich abgezeichnet hatte, dass Hubble als teuerstes wissenschaftliches Gerät im Weltall nur einen Bruchteil seiner Aufgaben würde erfüllen können, erklärte Senator Al Gore: „Die Nasa schuldet den Steuerzahlern eine Erklärung und das Versprechen, dass so etwas nie wieder geschieht.“

Jetzt beginnen Politiker aller Parteien die Finanzierung der geplanten Raumstation – derzeitiger Kostenvoranschlag 37 Milliarden Dollar – in Frage zu stellen. Sie äußern Zweifel an der Fähigkeit der Nasa, dieses Prestigeobjekt zu bauen und zu unterhalten.

Für diese Zweifel gibt es handfeste Gründe: Jährlich 3800 Stunden Weltraumspaziergänge wären nötig, um alleine die Wartungsarbeiten an der Raumstation durchführen zu können, befand eine unabhängige Studie. Dies hätte eine unerwartet hohe Strahlenbelastung der Astronauten zur Folge. Aber: Die Entwicklung unempfindlicher Roboter steckt noch in den Kinderschuhen.

Die Nasa selbst hatte den Wartungsaufwand erheblich unterschätzt. Ursprünglich war man von 130 Stunden pro Jahr ausgegangen. Wenn es dem Expertenteam im Johnson Space Center im texanischen Houston nicht gelingen sollte, dieses Problem zu lösen, wird die Raumstation mit dem schönen Namen „Freedom“ nicht gebaut werden können. Dann wäre auch das europäische Raumlabor „Columbus“ nutzlos, das an die Raumstation gekoppelt werden soll und für dessen Planung ebenfalls bereits Milliardensummen ausgegeben worden sind.

Einige Weltraumhistoriker glauben, den Beginn der Misere auf den Tag genau festlegen zu können. Nicht einmal ein Jahr war seit der ersten Mondlandung vergangen, als der damalige Präsident Richard Nixon unter dem Eindruck des Vietnamkrieges und gewaltiger Haushaltsprobleme der Weltraumeuphorie einen Dämpfer versetzte. „Die Raumfahrt muss wieder ihren Platz zwischen den nationalen Prioritäten einnehmen“, bemerkte er am 7. März 1970 und wies damit das Ansinnen zurück, eine ständige Mondbasis einzurichten und eine bemannte Expedition zum Mars vorzubereiten.

„Damals entwickelte sich in der Nasa eine Festungsmentalität, erklärt Professor John M. Logsdon, Direktor des Instituts für Weltraumpolitik an der George-Washington-Universität. Man begann, um das große Geld zu kämpfen und schlug Programme vor, die jedem alles versprachen. Schwärme von Lobbyisten versuchten dem Weißen Haus, dem Kongress und dem Verteidigungsministerium das Shuttle-Programm schmackhaft zu machen.

Diese wiederverwendbaren Raumfähren sollten billig, sicher und vielseitig sein und – nicht zu vergessen – 24000 Arbeitslätze schaffen. Von den damals angepeilten bis zu 60 Missionen im Jahr erreichte die Nasa niemals mehr als neun. Unter dem steigenden Druck, die aufgeblähten Pläne doch noch zu realisieren, wurden Sicherheitsvorkehrungen missachtet und die Warnungen der Techniker in den Wind geschlagen.

Am 28. Januar 1986 ereignete sich dann die unvermeidliche Katastrophe: Bei der Explosion der „Challenger“ kamen sieben Astronauten ums Leben. Zweieinhalb Jahre lang musste man das Feld fast ganz den Sowjets überlassen, ehe die „Discovery“ am 29. September 1988 die Zwangspause der Amerikaner beendete.

Heute sind die Sowjets den Amerikanern in der bemannten Raumfahrt um Jahre voraus. Seit 1971 haben Kosmonauten rund 6000 Tage an Bord ihrer Raumstationen zugebracht und damit eine fast kontinuierliche Präsenz von Menschen im Weltall ermöglicht.

Gleichzeitig verfügt die UdSSR über ein breites Spektrum einsatzbereiter Transportraketen, einschließlich ihrer eigenen Raumfähre „Buran“ und deren Trägerrakete „Energija“, die bis zu 100000 Kilogramm Nutzlast in eine erdnahe Umlaufbahn bringen kann. Mehr als seinen Vorgängern scheint Präsident George Bush jetzt daran gelegen zu sein, der amerikanischen Raumfahrt wieder eine langfristige Perspektive zu vermitteln. Für 1991 ist eine Erhöhung des Budgets um 23 Prozent auf 15,2 Milliarden Dollar vorgesehen. Ob diese Finanzspritze ausreicht, um das angeknackste Selbstvertrauen der 24000 festangestellten Nasa-Mitarbeiter zu heben, bleibt abzuwarten.

(erschienen am 21. September 1990 in der WELT. Letzte Aktualisierung am 21. März 2017)

Was ist daraus geworden? Wer spricht heute noch über die bemannte Raumfahrt? Die großen Visionen aus dem vorigen Jahrhundert sind passé, ein Opfer von politischem Größenwahn, gepaart mit Wankelmut, Unfällen und nicht eingehaltenen Versprechen. Auch die Raumfähre Columbia explodierte drei Jahre nach meinem Artikel auf der Rückkehr von ihrer 28. Mission, alle sieben Besatzungsmitglieder starben dabei. Auch scheiterten die USA daran, die Raumstation „Freedom“ aus eigener Kraft zu bauen. Nun ja, dies hatte vielleicht auch sein gutes, denn so wurde daraus die Internationale Raumstation ISS. Die fliegt tatsächlich alle 90 Minuten über unsere Köpfe, auch wenn so manch einer den Nutzen dieser Einrichtung bezweifelt, die die Steuerzahler laut Europäischer Weltraumagentur etwa 100 Milliarden Euro kostet. Immerhin erwies sich das Hubble-Weltraumteleskop als später Erfolg, nachdem man die technische Defekte in mehreren bemannten Missionen korrigiert hatte.