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D2-Mission: Eigenlob und Fremdkritik

Eine erste Bilanz der zweiten deutschen Spacelab-Mission D-2 zogen der Programmwissenschaftler Peter Sahm und Projektwissenschaftler Manfred Keller im deutschen Kontrollzentrum Oberpfaffenhofen bei München unmittelbar nach der Landung der Raumfähre Columbia in der vergangenen Woche. Dabei hatten die beiden Forscher nur Positives zu vermelden. Die D-2-Mission sei mit ihren 88 Experimenten die komplexeste und qualifizierteste Spacelab-Mission gewesen, die es je gegeben habe.

Außerhalb des Kreises der unmittelbar Beteiligten wurde die Bedeutung des elftägigen Raumfluges dagegen eher skeptisch beurteilt. Wieviel Neues die knapp 900 Mio. DM teure D-2 Mission wirklich erbracht hat und welche Ergebnisse von praktischem Nutzen sein werden, ist derzeit noch schwer abzusehen. Die intensive Auswertung der gespeicherten Daten wird bis zu einem Jahr in Anspruch nehmen, verlautbarte das DLR aus Oberpfaffenhofen.

Ein Novum für die kommende Weltraumfahrt war der Einsatz eines interaktiven Kommunikationssystems, bei dem Experimente an Bord des Spacelab vom Nutzerzentrum für Mikrogravitation (Muse) in Köln-Porz aus beeinflußt wurden. Die als „Telescience“ bezeichnete Methode erlaubt die Fernsteuerung und Neuprogrammierung von Versuchen anhand von Echtzeit-Daten. Per Telescience nutzten die bodenständigen Forscher in Köln unter anderem das Holografische Optiklabor Holop. Diese Experimentieranlage dient der Aufklärung von Wärme-Stofftransport und Erstarrungsvorgängen zum Beispiel in Salzschmelzen und Flüssigkeiten.

Hauptinteressenten der Holop-Experimente sind Metallurgen und Gießereiforscher. Letztlich dient die Telescience-Technologie auch dem Ziel, in Zukunft mit weniger Astronauten auszukommen. Erdgebundene Wissenschaftler, so die Vision der DLR, könnten dann zu Hause bleiben, während Experten des Muse die hochfliegenden Experimentieranlagen betreuen.

Angesichts der wachsenden Kritik am Kosten-Nutzen-Verhältnis der bemannten Raumfahrt dürften Roboter in Zukunft immer häufiger die Aufgaben „echter“ Astronauten übernehmen. Zumindest eines der 88 Experimente der D-2 Mission wurde denn auch von einem Robotergreifarm ausgeführt, der von einem Team um Gerhard Hirzinger am DLR-Institut für Robotik und Systemdynamik entwickelt wurde. Nachdem Rotex – so der Name des „achten Astronauten“ – einen freischwebenden Aluminiumwürfel im Weltraum wieder eingefangen hatte, konnte Hirzinger nicht mehr an sich halten: „Wir sind begeistert, unsere kühnsten Erwartungen sind in Erfüllung gegangen!“ Das Ergebnis sei „eine Weltsensation“, man habe sich damit in der Robotertechnik einen Spitzenplatz gesichert.

Für Astronomen interessant sind die über 100 Aufnahmen der Ultraweitwinkelkamera Gauss. Mit einem Gesichtsfeld von 145 Grad wurden wie geplant Bilder der gesamten Milchstraße in sechs Spektralbereichen angefertigt. Die Aufnahmen vorwiegend junger Sterne und der von ihnen aufgeheizten Gasmassen liefern den Astrophysikern die Grundlagen für ein besseres Verständnis der Spiralarmstruktur der Milchstraße. Zusätzlich brachte die Gauss-Kamera mehrere stereoskopische Aufnahmen der Erdatmosphäre mit nach Hause.

Als „einzigartig in der Weltraumforschung“ bezeichnet die Deutsche Agentur für Raumfahrtangelegenheiten (Dara) ein mit fünf Objektiven bestücktes elektronisches Kamerasystem. „Mit dem Modularen Optoelektronischen Multispektral-Stereo Scanner Moms-02 erreicht die Beobachtung der Erdoberfläche eine neue Dimension“, sagt Heinz Stoewer, Dara-Geschäftsführer Nutzung, in Köln.

Anfänglich hatte es Schwierigkeiten mit der Kalibrierung des Instruments gegeben, die jedoch durch die Bodenkontrolle in Oberpfaffenhofen gemildert werden konnten. Als Testgebiete dienten während der D-2 Mission die südlichen USA und Mexiko, Nordafrika und Arabien sowie Australien und Südamerika. Im Rahmen eines UNO-Auftrags wurden außerdem kartographische Aufnahmen von Kambodscha gemacht. Begeisterung unter den beteiligten Wissenschaftlern rief vor allem die hohe Auflösung von bis zu 4,5 m hervor.

Moms-02 erlaubt die Erstellung digitaler Geländemodelle und entsprechender Karten im Maßstab bis zu 1:25 000. Dabei können wegen der hohen spektralen Auflösung sowohl Farben als auch Formen der Erdoberfläche erfaßt werden. Für die Umweltforschung interessant dürfte die Kartierung von Wald- und Flurschäden sein. Auch die EG-weit verordneten Flächenstillegungen für die Landwirtschaft könnten im Prinzip mit der Spezialkamera überwacht werden. Schließlich sollen auch Entwicklungsländer bei der Erschließung von Rohstoffen und der Infrastrukturplanung von der Weltraumkamera profitieren, die vom Forschungsministerium und der Dara seit 1977 gefördert wurde.

In Köln erklärte Heinz Stoewer, man wolle keine Datenfriedhöfe produzieren. Die Verteilung der Moms-Daten wird deshalb von der Deutschen Gesellschaft für Technische Zusammenarbeit (GTZ) unterstützt. Nach dem erfolgreichen Probelauf soll die Kamera ab Juni nächsten Jahres in deutsch-russischer Kooperation auf der Mir-Plattform Piroda zum Einsatz kommen. Im Gegensatz zur 11-tägigen D-2 Mission könnte Moms-02 Langzeitdaten liefern. Der Piroda-Einsatz ist auf bis zu 18 Monate ausgelegt.

Außerdem erreicht die russische Weltraumstation auf ihrer Umlaufbahn eine wesentlich höhere geographische Breite als die Raumfähre Columbia auf ihrer letzten Mission. Während Columbia nur Regionen zwischen 28,5 Grad südlicher und nördlicher Breite überflog – also etwa von Ägypten bis Südafrika – erreicht Mir 51,6 Grad, was der geographischen Breite von Berlin entspricht. Erst die Kooperation mit Rußland ermöglicht es also, die meisten interessanten Gebiete der Industrieund Entwicklungsländer zu beobachten.

Im Anthrorack, der fliegenden Miniklinik des Spacelab, untersuchten die deutschen Wissenschaftsastronauten Hans Schlegel und Ulrich Walter unter anderem das Herz-Kreislaufsystem, die Lunge und die Flüssigkeitsverteilung im Körper unter Schwerelosigkeit. Dabei wurde festgestellt, daß die Belüftung der Lunge entgegen der Lehrbuchmeinung nicht von der Schwerkraft abhängig ist.

Mit einem Akzelerometer, einem Meßgerät für Schwerefeldänderungen, wiesen die Astronauten nach, daß die Pumpleistung des Herzens im Prinzip auch ohne Eingriff gemessen werden kann. Ob aus dem spontan erdachten Versuch eine „wichtige und wegweisende medizinische Diagnostikmethode“ erwächst, bleibt abzuwarten; ebenso die Darstellung der DLR, wonach die Ergebnisse der D-2 Mission für die Aidsforschung von Bedeutung seien.

Unter Augenärzten umstritten ist die Behauptung, erst die D-1 Mission habe zur Entwicklung eines Selbsttonometers geführt. Das Tonometer ermöglicht die Messung des Augeninnendrucks, was die Diagnose des Grünen Stars erleichtert. Besonders umstritten sind die Versuche, an Bord des Spacelab Protein-Kristalle wachsen zu lassen.

Diese sollten größer und reiner sein als auf der Erde hergestellte Bio-Kristalle, so jedenfalls die Hoffnung von Professor Volker Erdmann vom Institut für Biochemie der Freien Universität Berlin, der sich mit seinem Team bereits an fünf unbemannten Missionen beteiligt hat und auch auf der D-2 Mission zwei Gestelle mit jeweils 24 Kristallisationskammern an Bord hatte. Diese Eigenschaften erleichtern eine Röntgenstrukturanalyse, mit der sich der Aufbau der hochkomplexen Biokatalysatoren bis in die kleinsten Details erfassen läßt. Die Röntgendaten wiederum fließen heute schon ein in die Entwicklung neuer, maßgeschneiderter Medikamente.

Die Mehrheit der bodenständigen Biochemiker glaubt allerdings nicht an „Medikamente aus dem AII“. So resümierten amerikanische Wissenschaftler kürzlich in der Zeitschritt „Nature“, die Mikrogravitationsforschung habe bisher keinen wesentlichen Beitrag zur Analyse irgendeines Eiweißkörpers geleistet. Auch der Nobelpreisträger Robert Huber vom Max-Planck-Institut für Biochemie in Martinsried bei München stellte die Erfolgsmeldungen aus dem All in Frage. „Es gibt keinen Grund, warum Proteinkristalle unter Schwerelosigkeit besser wachsen sollten als auf der Erde. Es gibt keinen einzigen Fall, bei dem Kristalle aus dem Weltraum für die Analyse besser geeignet waren als solche, die auf der Erde gezogen wurden“, sagte der Nobelpreisträger. „Diese Experimente verlaufen erwiesenermaßen seit über zehn Jahren erfolglos, die Finanzierung sollte eingestellt werden.“

Huber verwies darauf, daß die Kosten der D-2 Mission in etwa dem gesamten Jahresetat der Max-Planck-Gesellschaft entsprechen, und forderte dazu auf, den wissenschaftlichen Nutzen beider Unternehmungen unter diesem Aspekt zu vergleichen.

(erschienen in den VDI-Nachrichten am 14. Mai 1993)

Ein Kunstplanet für Ökologen und Raumfahrer

In der Wüste Arizonas entsteht derzeit eine „Erde im Westentaschenformat“. Es handelt sich dabei um das größte selbsterhaltende Ökosystem, das je gebaut wurde. Wenn das 60 Millionen Dollar teure Projekt im Dezember fertiggestellt wird, werden vier Männer und vier Frauen einziehen, denen die „Biosphäre II“ die Welt bedeuten wird.

Und das ist wörtlich zu verstehen, denn die „Bionauten“ werden volle zwei Jahre lang hermetisch von der Außenwelt abgeriegelt sein. Abgesehen von Strom, Sonnenlicht und Informationen muss die Crew um den deutschen Projektleiter Bernd Zabel ab dem 5. Dezember völlig ohne fremde Hilfe zurechtkommen. An diesem Tag nämlich werden die Luftschleusen vor den laufenden Kameras des US-Fernsehens verriegelt.

Außer Zabel werden zwei Amerikanerinnen und zwei Amerikaner, zwei Engländerinnen und ein Belgier alles selbst erzeugen müssen, was sie verbrauchen. Doch damit nicht genug; sie werden auch lernen müssen, nicht im eigenen Abfall zu ersticken, wobei gegenwärtig noch nicht abzusehen ist, welche Herausforderung hier die größere ist.

Das Experiment, welches hauptsächlich vom texanischen Milliardär Edward Bass getragen wird, verfolgt zweierlei Ziele: Zum einen handelt es sich um eine Art Test für einen längeren Raumflug. Sollten wirklich einmal Menschen auf dem Mars landen, so werden sie allein für die Anreise fast ein Jahr brauchen. Auch für eine Kolonie auf dem roten Planeten oder dem Mond wäre es erstrebenswert, möglichst unabhängig von der Außenwelt zu sein. Ein ständiger Nachschub von der Erde aber ist aus technischen und praktischen Gründen wenig sinnvoll. Ob sich ein geschlossener Kreislauf wirklich über mehrere Jahre hinweg aufrechterhalten lässt, ist eine der Fragen, die das Projekt Biosphäre 11 beantworten soll.

Das Bibliotheksgebäude der Biosphere 2 heute (Foto von Gleam CC BY-SA 3.0 via Wikipedia)

Außerdem erhofft man sich von dem Langzeitexperiment neue Erkenntnisse über die Funktion der Biosphäre I – wie die Erde im Projektjargon liebevoll genannt wird. Dazu wurden auf nur 1,3 Hektar Fläche eine ganze Reihe von Ökosystemen nachgebaut: Unter einer 26 Meter hohen Glaskuppel dominiert tropischer Regenwald die Anlage, der entlang eines Flusses allmählich in die Savanne übergeht. Durch dorniges Gestrüpp führt der Weg schließlich in eine Wüstenlandschaft, während der Fluss durch einen Brackwassersumpf in den „Ozean“ gelangt.

Diese Lebenszone wiederum setzt sich zusammen aus einer Lagune samt Korallenriff und einer „Tiefseeregion“, in die nur wenig Licht gerät. Elf Meter ist der Ozean der Bionauten tief und kann Wellen schlagen, die über einen Meter hoch sind. All diese Vielfalt findet sich auf einer Länge von nur 150 Metern, eine Leistung, auf die Margret Augustine vom federführenden kanadischen Unternehmen „Space Biosphere Ventures“ besonders stolz ist.

Die acht – unverheirateten – Biosphärenbewohner werden ihren Lebensraum mit einer Vielzahl von Pflanzen und Tieren teilen, die nur dank der ausgefeilten Architektur und hochmoderner Techniken in dieser „Arche Noah“ Platz finden. Sechs Jahre lang haben Wissenschaftler daran gearbeitet, für buchstäblich Tausende verschiedener Arten ein Heim zu schaffen.

Dabei wurde die ganze Erde durchsucht, um geeignete Spezies ausfindig zu machen. Das Sammelsurium der Organismen erstreckt sich über die gesamte Leiter der Evolution: Von Affen, Kaninchen und Kolibris über Frösche, Schildkröten, Schlangen und Fische bis hin zu Bienen, Spinnen, Kakerlaken und Termiten reicht das Spektrum – nicht zu reden von den Mikroorganismen, die gar nicht zu erfassen sind. Wie viele dieser Arten nach Ablauf der zwei Jahre ausgerottet sein werden, ist nicht abzusehen; ein Ziel von Biosphäre II ist es schließlich, die optimale Zusammensetzung an Lebewesen für ein stabiles Okosystem zu erkunden.

„Ich betrachte das Ganze als ein phantastisches und zugleich dem Gemeinwohl dienendes Abenteuer“, freut sich Zabel und fügt hinzu: „Je näher der Starttermin kommt, um so aufgeregter werde ich.“ Wer glaubt, Zabel und seine Kollegen müssten ein Dasein fristen wie seinerzeit Robinson Crusoe, befindet sich allerdings im Irrtum.

Die medizinische Versorgung des Teams wird durch den 66jährigen Roy Walford gewährleistet, der als Ältester an dem Projekt teilnimmt. Im äußersten Notfall könnten kranke Bionauten auch durch eine Luftschleuse geborgen werden, ohne das geschlossene System zu stören. Auch werden die Crewmitglieder nicht etwa im Urwald schlafen und sich nach Art von Survivalkünstlern von unappetitlichem Gewürm ernähren müssen. Vielmehr hat jeder seinen Privatraum von 34 Quadratmetern im Hauptgebäude der Biosphäre, wo komplett eingerichtete Labors mit Computern und Telekommunikationseinrichtungen zur Verfügung stehen.

Hier wird auch der größte Teil der Nahrung produziert. In Tanks schwimmen Reispflanzen und afrikanische Buntbarsche, die Algen fressen und selbst als Speisefische dienen. Auf diesem fünftel Hektar wachsen auch das Gemüse sowie Früchte und Gewürze für die Männer und Frauen der Biosphäre II.

Auch für eine gelegentliche handfeste Mahlzeit wurde vorgesorgt: Vietnamesische Hängebauchschweine dienen als Fleischlieferanten, dazu gibt es Ziegenmilch und Hühnereier. All dies muss den Pionieren der Biosphärenforschung wie ein Traum erscheinen: Während nämlich den Bionauten in der Wüste Arizonas 140000 Kubikmeter Raum zur Verfügung stehen, müssen sowjetische Kosmonauten im Experimentierkomplex „Bios- 3“ mit bescheidenen 300 Kubikmetern Vorlieb nehmen.

Das entspricht einem drei Meter hohen Quader auf einer Grundfläche mit zehn Metern Kantenlänge. Der steht im Institut für Biophysik der Sibirischen Abteilung der sowjetischen Akademie der Wissenschaften, wo man Biosphärenexperimente schon zu Beginn der sechziger Jahre aufgenommen hat.

Bios-3 bietet „Platz“ für bis zu drei Personen, hatte im jüngsten Experiment allerdings nur zwei Bewohner. Drei der vier Räume dienten als „Phytodrome“ der Pflanzenzucht und erwirtschafteten täglich rund 300 Gramm Weizenkorn sowie 500 Gramm Kraut, Wurzelfrüchte, Gurken und Tomaten je Bewohner. Beruhigende Bilanz nach fünf Monaten Aufenthalt: Man habe „weder direkte noch entfernte negative Änderungen des Gesundheitszustandes“ beobachtet – ein Grund mehr für die Crew der Biosphäre II, sich auf die zwei Jahre zu freuen, in denen sie alleinige Herrscher ihres Miniplaneten sein werden.

(erschienen in der WELT am 27.Oktober 1990. Letzte Aktualisierung am 26. April 2017)

Was ist daraus geworden? Für mich als Biologen wenig überraschend gab es eine ganze Reihe von Problemen, und die Biosphäre II erreichte niemals ein biologisches Gleichgewicht, das ihre Bewohner auf Dauer von der Außenwelt unabhängig gemacht hätte. Im zweiten Jahr musste Sauerstoff zugeführt werden, und ein 2. Anlauf wurde nach 6. Monaten beendet. Heute präsentiert sich Biosphere 2 als ökologisches Forschungszentrum, Konferenzort und Museum mit dem stolzen Eintrittspreis von 20 Dollar. Es war gut und richtig, dieses Experiment zu unternehmen, aber die wichtigste Lektion daraus lautet für mich, mit der Biosphäre I pfleglich umzugehen.

US-Raumfahrt in der Krise

Die amerikanische Weltraumbehörde Nasa steckt in Schwierigkeiten. Während in 600 Kilometern Höhe das zwei Milliarden Dollar teure Weltraumteleskop „Hubble“ als Zielscheibe für den Spott und die Enttäuschung der Astronomengemeinde dient, ist die Bodenmannschaft im Kennedy Space Center mittlerweile zum vierten Mal in fünf Monaten daran gescheitert, die Raumfähre „Columbia“ zu starten.

Musste jahrelang am Boden bleiben: Das Space Shuttle Discovery auf der Startrampe im Kennedy Space Center (Bild: NASA via Wikipedia)

Ingenieure und Techniker versuchen derzeit verzweifelt, ein Leck in der Treibstoffzufuhr unter Kontrolle zu bringen. Schmirgelpapier sei in den Treibstoffkreislauf der Columbia gelangt, vermutet ein Nasa-Mitarbeiter, der es vorzieht, anonym zu bleiben. Auch die beiden Schwesterschiffe „Atlantis“ und „Discovery“ liegen am Boden fest.

Mitglieder des amerikanischen Kongresses sind inzwischen auf die wiederholten Flops aufmerksam geworden. Nachdem sich abgezeichnet hatte, dass Hubble als teuerstes wissenschaftliches Gerät im Weltall nur einen Bruchteil seiner Aufgaben würde erfüllen können, erklärte Senator Al Gore: „Die Nasa schuldet den Steuerzahlern eine Erklärung und das Versprechen, dass so etwas nie wieder geschieht.“

Jetzt beginnen Politiker aller Parteien die Finanzierung der geplanten Raumstation – derzeitiger Kostenvoranschlag 37 Milliarden Dollar – in Frage zu stellen. Sie äußern Zweifel an der Fähigkeit der Nasa, dieses Prestigeobjekt zu bauen und zu unterhalten.

Für diese Zweifel gibt es handfeste Gründe: Jährlich 3800 Stunden Weltraumspaziergänge wären nötig, um alleine die Wartungsarbeiten an der Raumstation durchführen zu können, befand eine unabhängige Studie. Dies hätte eine unerwartet hohe Strahlenbelastung der Astronauten zur Folge. Aber: Die Entwicklung unempfindlicher Roboter steckt noch in den Kinderschuhen.

Die Nasa selbst hatte den Wartungsaufwand erheblich unterschätzt. Ursprünglich war man von 130 Stunden pro Jahr ausgegangen. Wenn es dem Expertenteam im Johnson Space Center im texanischen Houston nicht gelingen sollte, dieses Problem zu lösen, wird die Raumstation mit dem schönen Namen „Freedom“ nicht gebaut werden können. Dann wäre auch das europäische Raumlabor „Columbus“ nutzlos, das an die Raumstation gekoppelt werden soll und für dessen Planung ebenfalls bereits Milliardensummen ausgegeben worden sind.

Einige Weltraumhistoriker glauben, den Beginn der Misere auf den Tag genau festlegen zu können. Nicht einmal ein Jahr war seit der ersten Mondlandung vergangen, als der damalige Präsident Richard Nixon unter dem Eindruck des Vietnamkrieges und gewaltiger Haushaltsprobleme der Weltraumeuphorie einen Dämpfer versetzte. „Die Raumfahrt muss wieder ihren Platz zwischen den nationalen Prioritäten einnehmen“, bemerkte er am 7. März 1970 und wies damit das Ansinnen zurück, eine ständige Mondbasis einzurichten und eine bemannte Expedition zum Mars vorzubereiten.

„Damals entwickelte sich in der Nasa eine Festungsmentalität, erklärt Professor John M. Logsdon, Direktor des Instituts für Weltraumpolitik an der George-Washington-Universität. Man begann, um das große Geld zu kämpfen und schlug Programme vor, die jedem alles versprachen. Schwärme von Lobbyisten versuchten dem Weißen Haus, dem Kongress und dem Verteidigungsministerium das Shuttle-Programm schmackhaft zu machen.

Diese wiederverwendbaren Raumfähren sollten billig, sicher und vielseitig sein und – nicht zu vergessen – 24000 Arbeitslätze schaffen. Von den damals angepeilten bis zu 60 Missionen im Jahr erreichte die Nasa niemals mehr als neun. Unter dem steigenden Druck, die aufgeblähten Pläne doch noch zu realisieren, wurden Sicherheitsvorkehrungen missachtet und die Warnungen der Techniker in den Wind geschlagen.

Am 28. Januar 1986 ereignete sich dann die unvermeidliche Katastrophe: Bei der Explosion der „Challenger“ kamen sieben Astronauten ums Leben. Zweieinhalb Jahre lang musste man das Feld fast ganz den Sowjets überlassen, ehe die „Discovery“ am 29. September 1988 die Zwangspause der Amerikaner beendete.

Heute sind die Sowjets den Amerikanern in der bemannten Raumfahrt um Jahre voraus. Seit 1971 haben Kosmonauten rund 6000 Tage an Bord ihrer Raumstationen zugebracht und damit eine fast kontinuierliche Präsenz von Menschen im Weltall ermöglicht.

Gleichzeitig verfügt die UdSSR über ein breites Spektrum einsatzbereiter Transportraketen, einschließlich ihrer eigenen Raumfähre „Buran“ und deren Trägerrakete „Energija“, die bis zu 100000 Kilogramm Nutzlast in eine erdnahe Umlaufbahn bringen kann. Mehr als seinen Vorgängern scheint Präsident George Bush jetzt daran gelegen zu sein, der amerikanischen Raumfahrt wieder eine langfristige Perspektive zu vermitteln. Für 1991 ist eine Erhöhung des Budgets um 23 Prozent auf 15,2 Milliarden Dollar vorgesehen. Ob diese Finanzspritze ausreicht, um das angeknackste Selbstvertrauen der 24000 festangestellten Nasa-Mitarbeiter zu heben, bleibt abzuwarten.

(erschienen am 21. September 1990 in der WELT. Letzte Aktualisierung am 21. März 2017)

Was ist daraus geworden? Wer spricht heute noch über die bemannte Raumfahrt? Die großen Visionen aus dem vorigen Jahrhundert sind passé, ein Opfer von politischem Größenwahn, gepaart mit Wankelmut, Unfällen und nicht eingehaltenen Versprechen. Auch die Raumfähre Columbia explodierte drei Jahre nach meinem Artikel auf der Rückkehr von ihrer 28. Mission, alle sieben Besatzungsmitglieder starben dabei. Auch scheiterten die USA daran, die Raumstation „Freedom“ aus eigener Kraft zu bauen. Nun ja, dies hatte vielleicht auch sein gutes, denn so wurde daraus die Internationale Raumstation ISS. Die fliegt tatsächlich alle 90 Minuten über unsere Köpfe, auch wenn so manch einer den Nutzen dieser Einrichtung bezweifelt, die die Steuerzahler laut Europäischer Weltraumagentur etwa 100 Milliarden Euro kostet. Immerhin erwies sich das Hubble-Weltraumteleskop als später Erfolg, nachdem man die technische Defekte in mehreren bemannten Missionen korrigiert hatte.

Fahrplan zum roten Planeten

Die amerikanische Weltraumbehörde Nasa hat einen Zeitplan für die Erforschung des Sonnensystems vorgelegt. Demnach werden Menschen frühestens im Jahr 2011 auf dem Planeten Mars landen.

Der Mars ist der zweitnächste Planet zur Erde. (Foto: NASA / USGS, PIA04304 catalog page, via Wikimedia Commons)

Der Mars ist der zweitnächste Planet zur Erde. (Foto: NASA / USGS, PIA04304 catalog page, via Wikimedia Commons)

Eine ständig besetzte Mondbasis wird nicht vor dem Jahr 2002 erwartet. Auch die notwendigen Technologien für diese Projekte werden in dem Bericht beschrieben, der dem National Space Council vorgelegt wurde. Neue Raumfähren und Trägersysteme sollen Lasten zwischen 50 und 140 Tonnen in den Orbit bringen – ein Vielfaches der gegenwärtigen Nutzlast von 17 Tonnen.

Als Stufen auf dem Weg zum Mars sind mehrere unbemannte Raumsonden vorgesehen, die zunächst die Oberfläche des roten Planeten genau erforschen sollen. Dann will die Nasa durch einen Roboter etwa fünf Kilogramm Gestein, Erde und Gase einsammeln lassen, die zur Erde transportiert werden müssen. Im Verlauf dieser Missionen sollen auch Daten über Sonneneruptionen und energiereiche kosmische Strahlen gesammelt werden, die den Astronauten gefährlich werden könnten.

Angaben zur Finanzierung der umfangreichen Projekte sind in der Nasa-Studie nicht enthalten. Experten gehen aber davon aus, dass für die anvisierten Ziele mindestens 30 Milliarden Dollar benötigt werden.

(erschienen in der WELT vom 13. Januar 1990)

Was ist daraus geworden? Wir schreiben das Jahr 2016 und noch immer waren keine Menschen auf dem Mars. Eine ständig besetzte Mondbasis gibt es auch nicht, nicht einmal eine temporäre. Dabei hatte ich in meiner Jugend ernsthaft geglaubt, selbst einmal auf den Mond zu fliegen. Daher sehe ich auch die Ankündigungen bemannter Marsmissionen sehr skeptisch, die unter anderem auch von der Europäischen Raumfahrt-Agentur ESA, dem russischen Pendant Roskosmos und der privaten Firma SpaceX gemacht wurden. Ich bin 54 und zu meinen Lebzeiten wird das wohl nichts mehr…