In der Wüste Arizonas entsteht derzeit eine „Erde im Westentaschenformat“. Es handelt sich dabei um das größte selbsterhaltende Ökosystem, das je gebaut wurde. Wenn das 60 Millionen Dollar teure Projekt im Dezember fertiggestellt wird, werden vier Männer und vier Frauen einziehen, denen die „Biosphäre II“ die Welt bedeuten wird.

Und das ist wörtlich zu verstehen, denn die „Bionauten“ werden volle zwei Jahre lang hermetisch von der Außenwelt abgeriegelt sein. Abgesehen von Strom, Sonnenlicht und Informationen muss die Crew um den deutschen Projektleiter Bernd Zabel ab dem 5. Dezember völlig ohne fremde Hilfe zurechtkommen. An diesem Tag nämlich werden die Luftschleusen vor den laufenden Kameras des US-Fernsehens verriegelt.

Außer Zabel werden zwei Amerikanerinnen und zwei Amerikaner, zwei Engländerinnen und ein Belgier alles selbst erzeugen müssen, was sie verbrauchen. Doch damit nicht genug; sie werden auch lernen müssen, nicht im eigenen Abfall zu ersticken, wobei gegenwärtig noch nicht abzusehen ist, welche Herausforderung hier die größere ist.

Das Experiment, welches hauptsächlich vom texanischen Milliardär Edward Bass getragen wird, verfolgt zweierlei Ziele: Zum einen handelt es sich um eine Art Test für einen längeren Raumflug. Sollten wirklich einmal Menschen auf dem Mars landen, so werden sie allein für die Anreise fast ein Jahr brauchen. Auch für eine Kolonie auf dem roten Planeten oder dem Mond wäre es erstrebenswert, möglichst unabhängig von der Außenwelt zu sein. Ein ständiger Nachschub von der Erde aber ist aus technischen und praktischen Gründen wenig sinnvoll. Ob sich ein geschlossener Kreislauf wirklich über mehrere Jahre hinweg aufrechterhalten lässt, ist eine der Fragen, die das Projekt Biosphäre 11 beantworten soll.

Das Bibliotheksgebäude der Biosphere 2 heute (Foto von Gleam CC BY-SA 3.0 via Wikipedia)

Außerdem erhofft man sich von dem Langzeitexperiment neue Erkenntnisse über die Funktion der Biosphäre I – wie die Erde im Projektjargon liebevoll genannt wird. Dazu wurden auf nur 1,3 Hektar Fläche eine ganze Reihe von Ökosystemen nachgebaut: Unter einer 26 Meter hohen Glaskuppel dominiert tropischer Regenwald die Anlage, der entlang eines Flusses allmählich in die Savanne übergeht. Durch dorniges Gestrüpp führt der Weg schließlich in eine Wüstenlandschaft, während der Fluss durch einen Brackwassersumpf in den „Ozean“ gelangt.

Diese Lebenszone wiederum setzt sich zusammen aus einer Lagune samt Korallenriff und einer „Tiefseeregion“, in die nur wenig Licht gerät. Elf Meter ist der Ozean der Bionauten tief und kann Wellen schlagen, die über einen Meter hoch sind. All diese Vielfalt findet sich auf einer Länge von nur 150 Metern, eine Leistung, auf die Margret Augustine vom federführenden kanadischen Unternehmen „Space Biosphere Ventures“ besonders stolz ist.

Die acht – unverheirateten – Biosphärenbewohner werden ihren Lebensraum mit einer Vielzahl von Pflanzen und Tieren teilen, die nur dank der ausgefeilten Architektur und hochmoderner Techniken in dieser „Arche Noah“ Platz finden. Sechs Jahre lang haben Wissenschaftler daran gearbeitet, für buchstäblich Tausende verschiedener Arten ein Heim zu schaffen.

Dabei wurde die ganze Erde durchsucht, um geeignete Spezies ausfindig zu machen. Das Sammelsurium der Organismen erstreckt sich über die gesamte Leiter der Evolution: Von Affen, Kaninchen und Kolibris über Frösche, Schildkröten, Schlangen und Fische bis hin zu Bienen, Spinnen, Kakerlaken und Termiten reicht das Spektrum – nicht zu reden von den Mikroorganismen, die gar nicht zu erfassen sind. Wie viele dieser Arten nach Ablauf der zwei Jahre ausgerottet sein werden, ist nicht abzusehen; ein Ziel von Biosphäre II ist es schließlich, die optimale Zusammensetzung an Lebewesen für ein stabiles Okosystem zu erkunden.

„Ich betrachte das Ganze als ein phantastisches und zugleich dem Gemeinwohl dienendes Abenteuer“, freut sich Zabel und fügt hinzu: „Je näher der Starttermin kommt, um so aufgeregter werde ich.“ Wer glaubt, Zabel und seine Kollegen müssten ein Dasein fristen wie seinerzeit Robinson Crusoe, befindet sich allerdings im Irrtum.

Die medizinische Versorgung des Teams wird durch den 66jährigen Roy Walford gewährleistet, der als Ältester an dem Projekt teilnimmt. Im äußersten Notfall könnten kranke Bionauten auch durch eine Luftschleuse geborgen werden, ohne das geschlossene System zu stören. Auch werden die Crewmitglieder nicht etwa im Urwald schlafen und sich nach Art von Survivalkünstlern von unappetitlichem Gewürm ernähren müssen. Vielmehr hat jeder seinen Privatraum von 34 Quadratmetern im Hauptgebäude der Biosphäre, wo komplett eingerichtete Labors mit Computern und Telekommunikationseinrichtungen zur Verfügung stehen.

Hier wird auch der größte Teil der Nahrung produziert. In Tanks schwimmen Reispflanzen und afrikanische Buntbarsche, die Algen fressen und selbst als Speisefische dienen. Auf diesem fünftel Hektar wachsen auch das Gemüse sowie Früchte und Gewürze für die Männer und Frauen der Biosphäre II.

Auch für eine gelegentliche handfeste Mahlzeit wurde vorgesorgt: Vietnamesische Hängebauchschweine dienen als Fleischlieferanten, dazu gibt es Ziegenmilch und Hühnereier. All dies muss den Pionieren der Biosphärenforschung wie ein Traum erscheinen: Während nämlich den Bionauten in der Wüste Arizonas 140000 Kubikmeter Raum zur Verfügung stehen, müssen sowjetische Kosmonauten im Experimentierkomplex „Bios- 3“ mit bescheidenen 300 Kubikmetern Vorlieb nehmen.

Das entspricht einem drei Meter hohen Quader auf einer Grundfläche mit zehn Metern Kantenlänge. Der steht im Institut für Biophysik der Sibirischen Abteilung der sowjetischen Akademie der Wissenschaften, wo man Biosphärenexperimente schon zu Beginn der sechziger Jahre aufgenommen hat.

Bios-3 bietet „Platz“ für bis zu drei Personen, hatte im jüngsten Experiment allerdings nur zwei Bewohner. Drei der vier Räume dienten als „Phytodrome“ der Pflanzenzucht und erwirtschafteten täglich rund 300 Gramm Weizenkorn sowie 500 Gramm Kraut, Wurzelfrüchte, Gurken und Tomaten je Bewohner. Beruhigende Bilanz nach fünf Monaten Aufenthalt: Man habe „weder direkte noch entfernte negative Änderungen des Gesundheitszustandes“ beobachtet – ein Grund mehr für die Crew der Biosphäre II, sich auf die zwei Jahre zu freuen, in denen sie alleinige Herrscher ihres Miniplaneten sein werden.

(erschienen in der WELT am 27.Oktober 1990. Letzte Aktualisierung am 26. April 2017)

Was ist daraus geworden? Für mich als Biologen wenig überraschend gab es eine ganze Reihe von Problemen, und die Biosphäre II erreichte niemals ein biologisches Gleichgewicht, das ihre Bewohner auf Dauer von der Außenwelt unabhängig gemacht hätte. Im zweiten Jahr musste Sauerstoff zugeführt werden, und ein 2. Anlauf wurde nach 6. Monaten beendet. Heute präsentiert sich Biosphere 2 als ökologisches Forschungszentrum, Konferenzort und Museum mit dem stolzen Eintrittspreis von 20 Dollar. Es war gut und richtig, dieses Experiment zu unternehmen, aber die wichtigste Lektion daraus lautet für mich, mit der Biosphäre I pfleglich umzugehen.