Eizellen können jetzt auf Erbschäden untersucht werden, bevor eine Befruchtung im Reagenzglas erfolgt. Die Methode erlaubt es Frauen, die einen genetischen Defekt haben, die Weitergabe dieses Schadens an ihre Kinder zu verhindern. Die Untersuchung wird auch für Abtreibungsgegner akzeptabel sein, weil Embryonen davon unberührt bleiben, glauben die Entdecker der Methode am amerikanischen Illinois Masonic Medical Center.

Der am 16. Juli 2009 verstorbene gebürtige Russe Yuri Verlinsky gilt heute als einer der Pioniere der Pränataldiagnostik (Foto: Reproductive Genetics via Wikimedia / fair use)

Der am 16. Juli 2009 verstorbene gebürtige Russe Yuri Verlinsky gilt heute als einer der Pioniere der Präimplantationsdiagnostik (Foto: Reproductive Genetics via Wikimedia / fair use)

Wie der Biologe Yuri Verlinsky erklärte, wird zur Untersuchung eine Hälfte des Erbmaterials der Eizelle herangezogen, die während der natürlichen Eireifung ohnehin verloren geht. Zur „Vorbereitung“ der Befruchtung wird nämlich die normalerweise in Körperzellen doppelt vorhandene Erbinformation halbiert; bei der Befruchtung verschmelzen dann mütterliche und väterliche Keimzellen und es entsteht wieder ein doppelter Satz an Erbinformation. Verlinsky und seinen Kollegen gelang es nun, die ungenutzte Hälfte des weiblichen Erbmaterials – das sogenannte Polkörperchen – mit einer sehr feinen Pipette zu entfernen, ohne die Eizelle zu beschädigen.

Die im Polkörperchen enthaltene DNA kann dann unter anderem auf Erbschäden untersucht werden, die für die Mukoviszidose, die Tay-Sachs-Krankheit oder verschiedene Blutkrankheiten charakteristisch sind. Daraus lässt sich ableiten, ob die in der Eizelle verbliebene DNA noch intakt ist. Gesunde Eizellen können dann künstlich befruchtet und in die Gebärmutter eingepflanzt werden. Allerdings hält Verlinsky die neue Methode nur bei Befruchtungen im Reagenzglas für sinnvoll, und auch dann nur für Paare, in deren Familien bestimmte Erbkrankheiten verbreitet sind.

(erschienen in der WELT am 13. Januar 1990)

Quelle: Joyce C. Test finds defects in unfertilised human eggs. New Scientist 25. November 1989.

Was ist daraus geworden? Die von Yuri Verlinsky entwickelte Analyse der Polkörperchen konnte sich nicht durchsetzen. Statt entnimmt man heute dem Embryo nach wenigen Teilungen eine oder zwei Zellen, die dann auf genetische Defekte oder Unregelmäßigkeiten bei der Zahl der Chromosomen untersucht werden. Laut Wikipedia wurden mit dieser Präimplantationsdiagnostik (PID) bislang weltweit mehr als 10000 Kinder gezeugt, um die Weitergabe von Erbkrankheiten zu verhindern. Während die PID in vielen Ländern bereits seit den 1990er Jahren praktiziert wird, ist sie in Deutschland durch das Embryonenschutzgesetz verboten. Erst Ende 2011 wurde dieses Gesetz derart geändert, dass die PID nunmehr ausnahmsweise erlaubt ist, und zwar wenn aufgrund der genetischen Veranlagung der Eltern eine schwerwiegende Erbkrankheit beim Kind oder eine Tot- oder Fehlgeburt wahrscheinlich ist.

Wie ich Ende 2015 vom 6. Kongress des Dachverbandes Reproduktionsbiologie und -medizin (DVR) in Hamburg berichtet habe, kam es nach der Gesetzesänderung nicht zu dem von Kritikern befürchteten Dammbruch, und die Experten erwarten nicht mehr als 200 Fälle pro Jahr.