Die Raumfahrt ist nicht gerade mein Spezialgebiet. Umso mehr bin ich meinem damaligen Ressortleiter Anatol Johansen dankbar, dass er diese Einladungsreise an mich weitergereicht hat. So durfte ich neben Pleiten, Pech und Pannen auch den Start der Raumfähre Atlantis erleben und das Kontrollzentrum in Houston besuchen:

Alles andere als reibungslos verläuft die Mission der US-Raumfähre „Atlantis“. Am fünften Tag im Orbit gelang es dem siebenköpfigen Team an Bord des Spaceshuttle „Atlantis“ erst im elften Versuch, den italienischen Fesselsatelliten „TSS-1“ von einem widerspenstigen Verbindungskabel zu befreien. Bei dem Kabel handelte es sich um eine von zwei „Nabelschnüren“, die vor der Stationierung von TSS-1 den Datentransfer zum Shuttle und die Energieversorgung sicherstellen sollten.

Nachdem mehrere Funkbefehle ignoriert wurden und auch das Aufwärmen des Verschlusses in der Sonne erfolglos war, begannen Commander Loren Shriver und Pilot Andy Allen allerlei Manöver, bei denen TSS-1 und die Raumfähre immer wieder gedreht und beschleunigt wurden. Dies in der Hoffnung, den Satelliten freizuschütteln. Im elften Versuch gelang es schließlich, den 450 Kilogramm schweren Satelliten loszureißen, begleitet vom Applaus der Bodenmannschaft.

Anschließend sollte die italo-amerikanische Gemeinschaftsproduktion in eine höhere Umlaufbahn gebracht werden. Ein nur 2,5 Millimeter dünnes Kabel von 20 Kilometer Länge dient dabei als ständige Verbindung von Satellit und Raumfähre. Dieser „größte Jo-Jo der Welt“, so ein NASA-Sprecher, sollte richtungweisend sein für eine neuartige Methode der Energiegewinnung im Weltraum. Nach den Vorstellungen von Professor Guiseppe Colombo von der Universität Padua sollten die zwei mit einem Kabel verbundenen Masten, die in unterschiedlicher Höhe um die Erde kreisen, sich gegenseitig stabilisieren.

Beim Flug durch das Magnetfeld der Erde mit über 25.000 Stundenkilometern sammelt das kupferhaltige Verbindungskabel geladene Teilchen (Elektronen) ein und erzeugt letztlich einen Stromfluß. Bei der amerikanischen Weltraumbehörde Nasa und dem italienischen Gegenstück, der ASI, hofft man diesen Effekt künftig nutzen zu können, um Raumstationen mit Energie zu versorgen. Vorerst allerdings fehlt der Beweis, daß diese Theorien auch in die Praxis umgesetzt werden können.

Als TSS-1 gestern nach langen Mühen schließlich 120 Meter von der Raumfähre entfernt war, blockierte der Motor, der das Abspulen des Kabels bewerkstelligen sollte. Frustrierter Kommentar der Astronauten nach 20 Stunden ununterbrochener Arbeit: „Houston, wir haben keine Freude mit diesem System.“

Nach sieben Stunden Schlaf, verordnet vom Kontrollzentrum im texanischen Houston, sollte am Abend ein erneuter Versuch unternommen werden. Falls die Astronauten TSS-1 wegen der Knoten in der Leine nicht steigen lassen, aber auch nicht mehr bergen können, müssen sie auf die Problemlösungstechnik von Alexander dem Großen zurückgreifen: den Knoten durchzuschlagen.

Ein weiterer Fehlschlag könnte das Scheitern der gesamten Mission zur Folge haben: Die Raumfähre „Atlantis“ wird bereits am Freitag, spätestens jedoch am Samstag, wieder im Kennedy Space Center in Florida landen müssen. Auch die bereits am vergangenen Sonntag ausgesetzte europäische Weltraumplattform „Eureca“ hat noch immer nicht die geplante Umlaufbahn erreicht. Sie ist somit weiterhin in Gefahr, die Erde bis zum Verglühen als 600 Millionen Mark teurer Schrotthaufen zu umrunden.

(erschienen in „DIE WELT“ am 6. August 1992)