Es soll ja Menschen geben, für die das Internet immer noch Neuland ist, die lieber Kommissionen einberufen, statt zu Digitalisieren, und die lieber Daten schützen, statt Menschen. Da kann es dann schon einmal passieren, dass man im Erdgeschoss des Klinikums vom Röntgengerät durchleuchtet wird, und die Kollegen im dritten Stock Stunden später die gleiche Prozedur nochmals anordnen, weil man die vollständigen Patientendaten nicht kennt (so erlebt in Offenburg, anno 2019). Der folgende Artikel ist vor bald 30 Jahren erschienen. Heute würde ich bei dem Thema wohl eher „Verpasste Chancen“ im Titel schreiben.

Über drei Millionen Menschen arbeiten in Deutschland mit vernetzten Personal-Computern. Ein Großteil von ihnen, ohne es zu wissen. Die 25 Angestellten im Standesamt von Braunschweig profitieren dabei ebenso von den Vorzügen dieser Technologie wie die weltgrößte Hotelkette Holiday Inn oder Tausende von Wissenschaftlern am europäischen Laboratorium für Teilchenphysik in Genf.

Die Vorteile liegen auf der Hand: Daten, die für alle Mitarbeiter wichtig sind, müssen nur noch einmal zentral abgespeichert werden, teure Ausgabegeräte wie Laserdrucker oder Faxmaschinen können von allen Angestellten gemeinsam genutzt werden. Darüber hinaus ermöglichen vernetzte Rechner Empfang und Versand elektronischer Mitteilungen direkt vom Arbeitsplatz. Einladungen zu einer Konferenz der Abteilungsleiter müssen dann nicht mehr per Hauspost verteilt werden. Durch den Zugriff auf die elektronischen Terminkalender aller Untergebenen kann die Chefsekretärin sicherstellen, daß nicht die Hälfte der Eingeladenen wegen Zeitkonflikten passen muß.

Im Gesundheitswesen etwa kann der konsequente Einsatz vernetzter Computer gewaltige Summen einsparen. Voraussetzung ist allerdings der gemeinsame Wille, die angebotenen Möglichkeiten auch zu nutzen. Eines der vielen Vorzeigeobjekte des weltweit größten Anbieters Novell ist das Krankenhaus Reinbek/St. Adolf Stift bei Hamburg. Dort hat man es geschafft, eine fast einhundertprozentige Auslastung der 300 Planbetten zu erreichen. Der durchschnittliche Krankenhausaufenthalt dauert in Reinbek zwölf Tage und liegt damit deutlich unter dem bundesdeutschen Mittel.

Ausschlaggebend für diesen Erfolg ist die blitzschnelle Informationsübertragung zwischen den mehr als 70 PC’s der Klinik. Neben dem eigentlichen Netzwerk spielt dabei ein Programmpaket namens „Forum Klinikum“ eine entscheidende Rolle, welches von der Firma PU-Partnerschaftliche Unternehmensberatung Reinbek für den Einsatz im Krankenhaus maßgeschneidert wurde.

In der Aufnahme werden die Daten der Patienten zunächst erfaßt. Ungewöhnlich ist allerdings, daß Pflegepersonal und Ärzte auf der Station die Fragen der Aufnahme nicht wiederholen. Dank Datentransfer wissen sie nämlich schon beim Eintreffen des Kranken Bescheid. Allein die Einsparungen im Formularwesen addieren sich auf über 70.000 Mark jährlich. Damit sind die Möglichkeiten des Systems längst nicht ausgereizt. Fehler, die bei der Übertragung Tausender von Daten per Hand kaum zu vermeiden sind, gehören der Vergangenheit an. Sämtliche Eintragungen und Analysen müssen nur einmal erfolgen und stehen dann allen befugten Mitarbeitern zur Verfügung.

Für Sicherheit sorgen Plausibilitätsprüfungen, die ohne Zutun der Benutzer ablaufen. Dem Datenschutz wird dadurch Rechnung getragen, daß Diskettenlaufwerke an normalen Arbeitsplätzen fehlen und der Zugriff auf sensible Patientendaten nur denjenigen offensteht, die sich durch ein geheimes Paßwort legitimieren können.

Mittlerweile sind sogar die wichtigsten Laborgeräte in das Netzwerk eingebunden. Der Weg aller Medikamente kann verfolgt werden, außerdem informiert „Forum Klinikum“ auf Wunsch auch darüber, wo besonders teure Arzneimittel verbraucht werden.

Eine derartige „Seehofer“-kompatible Datenverarbeitungsstruktur können derzeit nur etwa 70 von 3500 bundesdeutschen Krankenhäusern vorweisen. Der Preis für den reibungslosen Datenfluß beträgt cirka 850.000 Mark, wobei auf Software und Dienstleistungen etwa 500.000 und auf die angeschlossenen Computer, Drucker und sonstigen Geräte 350.000 Mark entfallen.

Die schöne, neue Netzwerkwelt ist jedoch auch für den Kleinstbetrieb erschwinglich und in der Regel rentabel. Eine „Light“-Version der erforderlichen Software kostet bei der Firma Novell etwa 200 Mark pro Rechner, dazu kommen dann noch Netzwerkkarten, die in den Computer eingesteckt werden, sowie die Anschlußkabel. Ein Mini-Netzwerk aus zwei Rechnern ist somit schon für 1000 Mark zu haben.

(erschienen in der CEBIT-Beilage „DIE WELT“ am 24. März 1993)