Die Weibchen der Grünen Meeresschildkröte (Chelonia mydas) werden auf der Wanderung zu ihren Legeplätzen wahrscheinlich von ihren Genen geleitet. Rund 30 Jahre nach ihrer Geburt suchen die geschlechtsreifen Weibchen ihre Eiablageplätze in der Karibik oder am Atlantik auf, wobei manchmal Tausende von Kilometern zurückgelegt werden.

Grüne Meeresschildkröte im Ozean vor der thailändischen Küste (Von Schuetze77 aus der deutschsprachigen Wikipedia, CC BY-SA 3.0)

Wie man aus Untersuchungen an markierten Tieren weiß, kehren die Weibchen dann in jeder Saison an „ihren“ Legeplatz zurück. Dieses faszinierende Verhalten ließe sich sowohl durch schlichte Vererbung als auch durch eine „soziale“ Theorie erklären, wonach jungfräuliche Weibchen auf dem offenen Meer mit erfahrenen Artgenossen zusammentreffen, von denen sie zur ersten Eiablage geleitet werden. Gemäß der sozialen Theorie halten die Schildkröten dann an dem Ort fest, wo sie das Brutgeschäft erstmals erfolgreich bestreiten.

Anne Meylan vom Florida Meeresforschungsinstitut und ihre Kollegen Brian Bowen und John Avise von der Universität Georgia haben nun das Erbmaterial in den Mitochondrien der Tiere untersucht. Diese Zellbestandteile werden nur von mütterlicher Seite vererbt, es findet also bei der Befruchtung keine Durchmischung des mitochondrialen Erbmaterials (mtDNA) statt. Spontane Veränderungen in der mtDNA, die sich im Laufe der Zeit ansammeln, geben deshalb Hinweise auf die Verwandtschaftsbeziehungen zwischen den Organismen.

Den Biologen gelang es, eingefangene weibliche Schildkröten anhand ihrer mtDNA den verschiedenen Brutkolonien zuzuordnen. Dies aber spricht gegen die soziale Theorie, nach der ein Austausch des Erbmaterials zwischen den Kolonien stattfinden müsste. Dies hat Auswirkungen auf Schutzbemühungen für die Schildkröten: Sollte die Wahl der Brutplätze genetisch festgelegt sein, so ist jegliche Umsiedelung von Zuchttieren an neue Eiablageplätze zum Scheitern verurteilt.

(gekürzte Version erschienen in der WELT am 7. Juli 1990. Letzte Aktualisierung am 13. März 2017)

OriginalliteraturMeylan AB, Bowen BW, Avise JC. A genetic test of the natal homing versus social facilitation models for green turtle migration. Science. 248(4956):724-7