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Mangelware Organspender

Ein Kind – Ausdruck der Liebe und des Vertrauens zwischen zwei Menschen, Ausdruck auch der Hoffnung in die Zukunft. Ein Baby – gezeugt und geboren, weil sein Blut oder seine Organe das Leben eines anderen Menschen retten sollen. Kann es einen größeren Gegensatz geben?

Die enormen Fortschritte der biomedizinischen Grundlagenforschung haben dazu geführt, daß heute mehr Transplantationen durchgeführt werden als je zuvor. Die Erfolgsquoten steigen, auch Eingriffe, die noch vor wenigen Jahren als unmöglich galten, werden zur Routine. Doch zusammen mit dieser erfreulichen Entwicklung wächst die Angst vor Organhandel und dem Mißbrauch der neuen Techniken.

Während Organe in der Vergangenheit zumeist von toten Spendern gewonnen wurden, hat in den Vereinigten Staaten jetzt ein Fall für Schlagzeilen gesorgt, in dem ein Kind erklärtermaßen gezeugt und geboren wurde, um das Leben eines anderen Familienmitgliedes zu retten.

Trotz aller Fortschritte in der Transplantationsmedizin fehlt es nämlich in den USA wie überall an Organen, um den rapide gestiegenen Bedarf zu befriedigen. Obwohl jährlich rund 15000 Operationen vorgenommen werden, stehen mehr als 23000 Menschen auf der Warteliste der zuständigen US-Behörde. Zu häufig verlieren die Patienten das Rennen gegen die Zeit; wahrscheinlich werden 2000 unter ihnen sterben müssen, weil kein geeigneter Spender gefunden werden kann.

Ein Einzelfall veranschaulicht das menschliche Leiden hinter den nackten Zahlen: Vor drei Jahren hatten die Ärzte der 16-jährigen Anissa Ayala die Diagnose „chronische myeloische Leukämie“ gestellt, eine Form des Blutkrebses, die binnen fünf Jahren zum Tode führt (Anmerkung: heutzutage liegt die 5-Jahres-Überlebensrate bei 90 %). Die einzige Chance für das Mädchen bestand in einer Knochenmarktransplantation, doch war trotz verzweifelter Suche in den gesamten USA kein geeigneter Spender zu finden.

Mehr als bei allen anderen Geweben kommt es bei Transplantationen des Knochenmarks darauf an, daß die blutbildenden Zellen von Spender und Empfänger sich möglichst ähnlich sehen. Eiweißstrukturen auf der Oberfläche dieser Zellen werden sonst als fremd erkannt, es kommt zum „Krieg“ zwischen den vermeintlichen Eindringlingen und den Immunzellen des Empfängers.

Eine Art Zufallsgenerator im Erbgut sorgt dafür, daß nur etwa zehn unter einer Million Menschen identische Eiweißstrukturen auf den Oberflächen ihrer Zellen aufweisen. Nur zwischen diesen Menschen ist ein Krieg der Abwehrzellen mit Sicherheit auszuschließen. Die einzige Ausnahme von dieser Regel bilden nahe Verwandte: Weil die väterlichen und mütterlichen Erbanlagen nach der Befruchtung der Eizelle gemäß fester Spielregeln neu gemischt werden, haben Geschwister eine 25prozentige Chance auf „baugleiche“ Abwehrzellen.

Ausgehend von dieser Überlegung beschlossen Anissas Eltern, diese Chance zu nutzen. Nachdem der Vater Anissas eine Vasektomie hatte rückgängig machen lassen wurde Mary Alaya im Alter von 43 Jahren schwanger und brachte im April 1990 Marissa zur Welt, deren Immunzellen sich glücklicherweise als passend erwiesen.

Vor wenigen Wochen war es dann soweit: Ärzte entnahmen der 14 Monate alten Marissa in einer Routineoperation etwa einen achtel Liter Knochenmark, das direkt anschließend der kranken Schwester injiziert wurde. Die Operation am City of Hope National Medical Center im kalifornischen Duarte war für die Spenderin völlig ungefährlich, wenn auch mit vorrübergehenden Schmerzen verbunden. Die behandelnden Ärzte beziffern Alayas Chancen auf eine vollständige Genesung jetzt mit 70 Prozent.

Im Gefolge des aufsehenerregenden Falles ist in den Vereinigten Staaten die Diskussion über die ethischen Aspekte der Transplantationsmedizin neu entbrannt. Eine Umfrage für das Nachrichtenmagazin „Time“ ergab, daß 47 Prozent der Bevölkerung keine moralischen Bedenken dagegen haben, wenn Eltern ein Kind empfangen, um damit das Leben eines anderen Kindes zu retten. 37 Prozent der Befragten hielten diese Vorgehensweise dagegen für unmoralisch.

Als wesentlich problematischer wird dagegen die Verwendung von embryonalem Gewebe zur Behandlung von Krankheiten angesehen. Die Zellen, die sich noch in einem sehr frühen Entwicklungsstadium befinden, sind sehr anpassungsfähig. Transplantate werden vom Immunsystem des Empfängers meist nicht als fremd erkannt.

Eine ganze Reihe von medizinischen Untersuchungen haben ergeben, daß Zellen aus dem Gehirn eines frühzeitig abgetriebenen Föten den Zustand von Patienten verbessern können, die an der Parkinson´schen Schüttellähmung leiden. Knapp die Hälfe der Amerikaner hält derartige Experimente allerdings für unakzeptabel, nur 36 Prozent würden ein solches Vorgehen befürworten.

Der sehr begrenzte Einsatz fötalen Gewebes hat bereits Anlaß zu heftigen Auseinandersetzungen gegeben. Während die Kritiker mit Schrecken feststellen, daß Aldous Huxleys utopischer Roman „Schöne neue Welt“ bereits eingeholt wird vom biomedizinischen Alltag, sehen Patienten mit unheilbaren, aber weit verbreiteten Leiden wie der Alzheimer´schen Krankheit einen Silberstreifen am Horizont.

„Warum“, so fragen sie, „sollte das Gewebe aus einem totgeborenen Fötus nicht benutzt werden dürfen, um das Leiden schwerkranker Menschen zu mildern?“ In den USA aber besteht zur Zeit ein gesetzliches Verbot, öffentliche Gelder zur Erforschung dieser Möglichkeit bereitzustellen. In Deutschland schließt das Embryonenschutzgesetz diese Forschung ebenfalls aus.

Auch Neugeborene, die mit einer tödlichen Mißbildung des Gehirns – einer Anenzephalie – zur Welt kommen, wurden bereits als mögliche Organspender ins Gespräch gebracht. Diese „Gehirnlosigkeit“ tritt bei etwa drei von 10000 Neugeborenen auf und führt in den allermeisten Fällen zu einem Schwangerschaftsabbruch.

Nur in seltenen Ausnahmefällen (etwa bei Zwillingsschwangerschaften, in denen das zweite Kind gesund ist) kommen diese Kinder lebend zur Welt; doch sie sterben dann nach wenigen Tagen im Krankenhaus. Ihre Körper werden anonym bestattet oder enden im Krematorium. Nun wären einige Eltern prinzipiell bereit gewesen, die Organe ihrer hirnlosen Kinder zur Transplantation freizugeben in der Hoffnung, dem schrecklichen Schicksal der Anencephalen doch noch einen Sinn zu geben.

Von dieser Möglichkeit wurde auch in der Vergangenheit schon mehrmals Gebrauch gemacht, in Einzelfällen auch in der Bundesrepublik. Zu den wenigen Ärzten, die sich offen zu dieser Vorgehensweise bekannten, gehört der Münsteraner Gynäkologe Fritz Beller, der aber mit seiner Vorstellung unter den Kollegen überwiegend auf Ablehnung traf. 1989 erklärte die Arbeitsgemeinschaft der Transplantationszentren der Bundesrepublik, anencephale Kinder nicht als Organspender in Betracht zu ziehen.

Bei dieser Entscheidung spielte auch die Tatsache eine Rolle, daß selbst die „hirnlosen“ Kinder nicht hirntot im medizinischen Sinne sind und damit die gesetzliche Voraussetzung für eine Organspende nicht erfüllen. Da nach dem Hirntod dieser Kinder allenfalls noch die Nieren zu nutzen wären, wollte man diese Überlegung trotz des akuten Organmangels in Deutschland nicht weiter verfolgen.

Obwohl noch in weiter Zukunft besteht dennoch die Hoffnung, daß weitere Fortschritte in der Grundlagenforschung es eines Tages ermöglichen könnten, Ärzte, Angehörige und Patienten aus dem ethischen Dilemma zu befreien, das letztlich durch die moderne Medizin heraufbeschworen wurde. Die Zucht großer Mengen spezialisierter Zellen im Reagenzglas etwa könnte die Abhängigkeit von lebenden oder toten Organspendern vermindern helfen.

Wissenschaftler der Universität Sussex im Süden Englands und der schottischen Universität Strathclyde arbeiten derzeit an diesem Problem: Die größte Schwierigkeit bei der Anzucht von Zellen besteht darin, daß diese nur dann zu vermehren sind, wenn sie sich in einem frühen Entwicklungsstadium befinden. Für Transplantationen würden aber spezialisierte Zelltypen wie Leber-, Pankreas- oder auch Nervenzellen benötigt. Dem steht entgegen, daß Zellen in der Regel mit der Spezialisierung ihre Teilungsfähigkeit einbüßen. Caroline MacDonald, Julien Burke und Lynne Mayne glauben, das Problem überwinden zu können, indem sie spezialisierten Zelltypen zur „Unsterblichkeit auf Widerruf“ verhelfen.

Dazu führen die Forscher fremde Gene in ihre Zellen ein. Eines dieser Gene (T) trägt die Anweisung, die Zellteilungen trotz Spezialisierung fortzusetzen – ein Vorgang, der sonst nur in entarteten Zellen beobachtet wird. Das Gen, ein Bruchteil der Erbinformation des Affenvirus SV40, ist schon lange Zeit bekannt und trägt die Bauanleitung für ein Eiweiß – das große T-Antigen -, welches offensichtlich in die Regulation der Zellteilung eingreift.

Die größte Herausforderung besteht für die britischen Wissenschaftler darin, das Fremdgen nach Gutdünken wieder abzuschalten, so daß die Zellen nach einer Transplantation aufhören, sich zu vermehren und den Platz im Körper einnehmen, der ih1en von den behandelnden Ärzten zugewiesen wird. Auch dieses Ziel scheint im Bereich des Machbaren zu legen: Versehen mit einem „genetischen Schalter“ – einem Promotor – kann das Gen für das große T-Antigen nach Belieben an- und ausgeschaltet werden, einfach indem bestimmte Hormone oder Antibiotika zur Nährflüssigkeit der Zellen hinzugefügt werden.

Noch raffinierter ist ein Trick, den der New Yorker Forscher Harvey Ozer erproben will: Er will einen temperaturabhängigen Promotor benutzen, der beispielsweise bei 28 Grad in der Zellkultur den Befehl zur Teilung gibt und sich nach dem Transfer in einen menschlichen Körper bei 37 Grad selbständig abschalten würde.

Derzeit stecken diese Versuche noch in den Kinderschuhen. Die beteiligten Forscher aber könnten uns einen guten Schritt näher bringen an eine „schöne neue Welt“. Eine Welt vielleicht, in der lebensrettende Organe, Gewebe und Zellen in ausreichender Menge und für alle zur Verfügung stehen, ohne daß menschliche Körper als Ersatzteillager dienen müßten.

(erschienen in „DIE WELT“ am 6. Juli 1991)

Was wurde daraus? Die Transplantationsmedizin hat sich ständig weiterentwickelt, doch der Organmangel kostet weiterhin unzähligen Menschen das Leben. Der spektakuläre Fall von Anissa und Marissa Alaya hatte ein Happy-End; beide sind heute wohlauf und die Geschichte wurde unter dem Titel „For the Love of my Child“ sogar verfilmt. Die chronisch myeloische Leukämie, die zum Zeitpunkt des Artikels noch beinahe einem Todesurteil gleichkam, wird heute in der Mehrzahl der Fälle erfolgreich behandelt. Die 5-Jahres-Überlebensraten liegen bei über 90 %.

Nobelpreis belohnt zwei Pioniere der Organtransplantation

Dem Fortschritt der Transplantationsmedizin verdanken tausende Patienten ein längeres oder lebenswerteres Dasein. Nierenkranke Menschen wurden von der Blutwäsche befreit; Patienten mit schweren Erkrankungen von Herz und Leber überlebten. Diese Entwicklung hat sich innerhalb der letzten 40 Jahre vollzogen. Das Nobel-Komitee hat jetzt zwei Forscher gewürdigt, die schon vor Jahrzehnten den Grundstein für den außerordentlichen Erfolg der Transplantations-Medizin gelegt haben: Der diesjährige Medizin-Nobelpreis wurde gestern den beiden amerikanischen Wissenschaftlern Joseph E. Murray und E. Donnall Thomas zuerkannt.

Copyright © The Nobel Foundation

Die Transplantations-Medizin hat in den letzten Jahrzehnten rasante Fortschritte gemacht: Waren vor 40 Jahren die Verpflanzung einer Niere oder gar von Herz oder Leber noch medizinische Utopie, so ist sie heute bereits zum Routineeingriff geworden. An diesem Fortschritt haben zahlreiche Wissenschaftler und Ärzte mitgewirkt.

Das schwedische Nobel-Komitee hat sich nun entschlossen, den diesjährigen Medizin-Nobelpreis an zwei Pioniere der Transplantationsmedizin zu vergeben: die amerikanischen Wissenschaftler Joseph E. Murray und E. Donnall Thomas. Damit ist der Medizin-Nobelpreis erstmals seit längerer Zeit wieder an zwei Forscher vergeben worden, die – als Chirurg und als Hämatologe – auch in der klinischen Medizin tätig waren. In den letzten Jahren wurden fast ausschließlich Entdeckungen von Grundlagenforschern gewürdigt, die mit Hilfe molekularbiologischer Methoden im Labor gemacht worden waren.

Wie das Karolinska-Institut in Stockholm gestern bekanntgab, wurden die beiden Forscher dafür ausgezeichnet, dass sie die Transplantation von Zellen und Organen als Behandlungsmethode eingeführt haben. Nach Ansicht des Nobel-Komitees waren die Entdeckungen der beiden Wissenschaftler „ausschlaggebend für zehntausende schwerkranker Menschen, die durch Transplantation entweder völlig geheilt wurden oder zu einem verhältnismäßig normalen Leben zurückkehren konnten, wo andere Methoden erfolglos waren“. Die Nobelpreise sind dieses Jahr mit jeweils 1,08 Millionen Mark dotiert.

Der einundsiebzigjährige Murray war bis zu seiner Pensionierung im Jahre 1985 am Medizinischen Zentrum für Kinderheilkunde in Boston tätig. Am 23. Dezember 1954 gelang es ihm erstmals, einem eineiigen Zwilling die Niere seines Zwillingsbruders zu übertragen. Die Transplantation war erfolgreich, da das genetisch identische Organ von der Immunabwehr des Empfängers nicht abgestoßen wurde.

Die dramatische Operation hatte damals großes Aufsehen erregt: Der 22jährige Patient litt nach einer Scharlach-Erkrankung an chronischem Nierenversagen, als sich das Ärzteteam um Murray entschloss, die erste Nierentransplantation zu wagen. Sechs Monate nach der Transplantation wurde der Patient nach Hause entlassen. Er begann bald wieder zu arbeiten und heiratete die Krankenschwester, die ihn gepflegt hatte.

Die Idee, Organe von einem Menschen auf den anderen zu übertragen, hatte man bereits in der Antike, erfolglose Transplantationsversuche wurden schon um die Jahrhundertwende unternommen. Alexis Carrel, Nobelpreisträger von 1912, postulierte eine „biologische Kraft“, welche die Organverpflanzung aussichtslos mache.

Nachdem Murray diese Theorie schon für genetisch identische Organe widerlegt hatte, wurde im April 1958 eine Methode bekannt, die zu einer wirksamen Unterdrückung der Abwehrkräfte führte und damit die Verpflanzung nicht identischer Organe in Aussicht stellte: Die Ganzkörperbestrahlung mit anschließender Injektion von Knochenmarkszellen, die bei dieser Bestrahlung zerstört wurden. Später kamen Medikamente wie 6-Mercaptopurin und Azathioprin und schließlich Cyclosporin, die die Immunabwehr unterdrückten. Mit ihrer Hilfe gelang es, auch genetisch unterschiedliche Nieren von Verstorbenen zu verpflanzen.

In der Bundesrepublik war es erst im Februar 1968 so weit: Die erste Patientin konnte die Heidelberger Rudolf-Krehl-Klinik wenige Wochen nach der Operation verlassen, nachdem ihr erstmals erfolgreich die Niere eines lebenden Spenders übertragen worden war. Die Transplantation von Nieren erwies sich als Organverpflanzung mit hoher Erfolgschance; sie ist, vor allem was die Lebensqualität anbelangt, der Blutwäsche, der sich die Nierenkranken unterziehen müssen, deutlich überlegen.

Mit der erfolgreichen Nierentransplantation war auch das Feld geöffnet für die Übertragung weiterer Organe wie Herz, Leber und Bauchspeicheldrüse und schließlich auch von Lungenflügeln. Das Hauptproblem bei der Verpflanzung von Organen besteht auch heute noch in den Abstoßungsreaktionen des Empfängers.

Mittlerweile weiß man auch mehr über die „biologische Kraft“ des Alexis Carrel. Die Zellen des menschlichen Körpers tragen nämlich auf ihrer Oberfläche Eiweißstrukturen – die sogenannten MHC-Antigene – die in hunderten verschiedener Varianten vorkommen. Das Immunsystem „lernt“ schon während seiner Entstehung, eigene von fremden Strukturen zu unterscheiden. Diese Fähigkeit unserer Abwehrzellen kann aber zum Verhängnis werden, wenn lebenswichtige Spenderorgane nicht toleriert werden, weil die Oberflächenstruktur der empfangenen Zellen sie als „feindlich“ ausweist.

Um die Immunabwehr gegen das fremde Organ zu unterdrücken, nutzten Murray und Thomas zwei medizinische Erkenntnisse: ionisierende Strahlung sowie Medikamente, die das Wachstum der Immunzellen hemmen, sind in der Lage, die Abstoßungsreaktionen des Körpers gegen fremdes Gewebe zu vermindern. Murray kombinierte eine Bestrahlung des ganzen Körpers mit der Einnahme des zellhemmenden Medikaments Azathioprin.

Thomas benutzte das Medikament Methotrexat, um auch die sogenannte Graft-versus-Host-Reaktion zu dämpfen. Bei dieser „GVH“-Reaktion sind es die Zellen des Spenders, welche die Gewebe des Empfängers angreifen. Im Transplantat finden sich nämlich immer eine Anzahl von T-Zellen, die in der fremden Umgebung des Empfängers großes Unheil anrichten können.

Thomas ist heute stellvertretender Direktor der Forschungsabteilung des Fred Hutchinson Krebsforschungszentrums in Seattle und hat auch in den letzten Jahren noch mit einer Vielzahl von Forschungsarbeiten geglänzt, die in verschiedenen Fachzeitschriften veröffentlicht wurden. Der 70-jährige beschäftigte sich auch in letzter Zeit vorwiegend mit der Transplantation von Knochenmarkzellen.

Die Übertragung dieser blutbildenden Zellen kann Blutkrebs (Leukämie), schwere Erbkrankheiten oder Störungen des Immunsystems heilen, erklärte das 50köpfige Nobelkomitee gestern in der Begründung der Preisverleihung.

Derzeit werden in den Vereinigten Staaten die ersten Versuche unternommen, gentechnisch veränderte Blutzellen zu verabreichen. An den National Institutes of Health in Bethesda setzen French Anderson, Michael Blaese und Kenneth Culver die Arbeit von Murray und Thomas fort. Im September behandelten sie ein vierjähriges Mädchen mit einer äußerst seltenen Erbkrankheit (ADA), der veränderte T-Zellen injiziert wurden. Idealerweise würde man statt T-Zellen Knochenmarkszellen benutzen, die sich im Mark des Empfängers etablieren und neue Blutzellen produzieren.

Auch diese Erkenntnis verdankt man den Arbeiten von Thomas. Darüber hinaus zeigte er, dass sich die Knochenmarkstransplantationen auch ohne chirurgischen Eingriff vornehmen lassen. Vor den entscheidenden Arbeiten von Thomas und seinen Mitarbeitern hatte man versucht, das fremde Knochenmark direkt in die Knochenhöhle einzuspritzen. Seine Technik, die heute in allen Behandlungs-Zentren angewendet wird, erwies sich als überraschend einfach: Das Knochenmark wird dazu meist aus dem Beckenknochen des Spenders gewonnen, ohne dass er stark beeinträchtigt wird oder Nebenwirkungen zu erleiden hat. Die entnommene Kochenmarkssuspension wird dann dem Empfänger in die Vene injiziert.

Die wichtigen Stammzellen aus denen alle Blutzellen entstehen, finden – dies konnte Thomas zeigen – selbständig ihren Weg in das Knochenmark. Schon nach zwei bis drei Wochen werden die ersten Blutzellen gebildet. Das kranke Knochenmark wird zuvor durch Ganzkörperbestrahlung und Medikamente abgetötet.

Thomas, der verheiratet ist und drei Kinder hat, wurde am 15. März 1920 in Mart (Texas) geboren. Murray wurde am 1. April 1919 in Milford (Massachusetts) geboren. Der Wissenschaftler, der als Hobbys Badminton und Tennis angibt, ist verheiratet und hat sechs Kinder.

(geschrieben mit meiner damaligen Kollegin Dr. Annette Tuffs, erschienen in der WELT am 9. Oktober 1990. Letzte Aktualisierung 14. April 2017)

Was ist daraus geworden? Beide Mediziner sind inzwischen verstorben, doch ihr Erbe wirkt fort. So wurden in 2014 – dem letzten Jahr, für das ich Zahlen finden konnte – weltweit fast 120000 Organe verpflanzt. Darunter waren ca. 80000 Nieren, 26000 Lebern, 6500 Herzen, 4700 Lungen und 2300 Bauchspeicheldrüsen. Der Bedarf ist allerdings nach Schätzungen noch immer etwa zehn mal so hoch. In Deutschland wird im internationalen Vergleich eher wenig transplantiert, obwohl mittlerweile jeder dritte einen Organspendeausweis trägt. Die Zahlen gehen seit 2010 zurück. Schuld sei die mangelnde Meldebereitschaft vieler Krankenhäuser, sagte Wolfgang Fleig, der Medizinische Vorstand des Universitätsklinikums in Leipzig, gegenüber dem Nachrichtenmagazin Focus.