Mit ehrgeizigen Tiefseebohrungen versuchen sich die großen Erdölkonzerne derzeit aus ihrer Abhängigkeit von der krisengeschüttelten Golfregion zu befreien. Die verhältnismäßig leicht zugänglichen Quellen vor den amerikanischen Küsten beginnen sich zu erschöpfen; Ingenieure und Wissenschaftler sehen sich daher gezwungen, Bohrungen auch in großer Tiefe und weit vor der Küste vorzunehmen. Der rapide gestiegene Erdölpreis läßt jetzt auch solche Projekte lukrativ erscheinen, die noch vor kurzem als zu riskant oder teuer galten.

Vor allem im Golf von Mexiko haben die Ölgesellschaften, angeführt von Shell, Texaco, Conoco und Occidental, damit begonnen, Hunderte von Kilometern vor der Küste Bohrinseln zu errichten, die alles bisher Dagewesene in den Schatten stellen. Die dortigen Erdölvorkommen werden auf 36 Milliarden Barrel geschätzt, das entspricht etwa fünf Milliarden Tonnen.

Vor dem Beginn des industriellen Zeitalters hat es auf der Erde etwa 200 Milliarden Tonnen des schwarzen Goldes gegeben, deren Ausbeutung auch wirtschaftlich sinnvoll war. Mittlerweile sind aber bereits 40 Prozent dieser Vorräte erschöpft. Von den verbleibenden 120 Milliarden Tonnen befinden sich nach Angaben der Bundesanstalt für Geowissenschaften nur acht Milliarden Tonnen auf dem Terrain der westlichen Industrieländer. Eine Nutzung der Erdölvorkommen in den Tiefen des Golfes von Mexiko muß unter diesem Gesichtspunkt sehr lukrativ erscheinen, zumal die Vorräte etwa auf das Fünffache derjenigen Alaskas geschätzt werden.

Für die Ölgesellschaften ist das neue Eldorado aber auch aus einem anderen Grund interessant: Die Multis zählen in Texas und Louisiana zu den größten Arbeitgebern, Proteste von Umweltschützern sind hier noch vergleichsweise selten. Schon seit einem Jahr fördert eine Plattform, die von mehreren Gesellschaften gemeinsam betrieben wird, Öl aus 535 Meter Tiefe. Diese „Rekord-Bohrinsel“ befindet sich etwa 240 Kilometer südwestlich von New Orleans und ist mit Baukosten von etwa 600 Millionen Mark beileibe kein Einzelfall.

Derartige Großprojekte stellen höchste Anforderungen an die Ingenieure und Mannschaften der Plattformen. So mußten beispielsweise zwölf Schleppboote und ein Lastkahn von der Größe eines Flugzeugträgers eingesetzt werden, um die 750 Millionen Mark teure „Bullwinkle“¬Plattform der Firma Shell auf Position zu bringen.

Doch die Erdölförderung aus großen Meerestiefen stößt noch lange nicht an ihre Grenzen. Ferngesteuerte Roboter und kleine Unterseeboote übernehmen mittlerweile Aufgaben, die von Tauchern unter diesen Umständen nicht mehr bewältigt werden können. Schon haben die Projekte die Ein-Milliarden-Dollar-Grenze überschritten. Bereits im übernächsten Jahr könnte Shell beginnen, aus 872 Meter Tiefe zu fördern; und wenn die Ölpreise auf der derzeitigen Höhe bleiben, wird auch die magische 1000-Meter-Marke bald erreicht. Die ersten Probebohrungen hierzu sind bereits in Arbeit.

(erschienen in „DIE WELT“ am 9.1.1991)

Was wurde daraus? Zum Text gab es damals eine Grafik, wonach noch 119 Milliarden Tonnen Erdöl sicher übrig wären, nochmals 149 Mia. Tonnen seien „möglicherweise zusätzlich gewinnbar“. Nicht zum ersten Mal wurden diese Mengen offensichtlich unterschätzt. Obwohl mittlerweile fast 30 Jahre vergangen sind, gibt es laut Wikipedia aktuell noch 240 Milliarden Tonnen, die mit gegenwärtigen Preisen und mit heutigen Fördertechnologien gewonnen werden könnten – also mehr als doppelt so viel, wie 1991 geschätzt. Dazu kämen dann nochmals fast 450 Milliarden Tonnen, die theoretisch in der Zukunft mit neuen Techniken förderbar wären.