Mit einem Eingriff in den Mechanismus der Zellteilung wollen deutsche und amerikanische Wissenschaftler das Wachstum von Brustkrebszellen hemmen. Wie die Forscher mitteilten, gelang es, ein Eiweißmolekül an der Weitergabe von Wachstumssignalen zu hindern. Das Molekül, der neu-Rezeptor, steckt in der Zellhülle und ist bei einem Viertel aller Brustdrüsen-Tumore vermehrt zu finden.

Wie viele andere Rezeptoren besteht dieser Eiweißstoff aus drei Abschnitten. Wird auf der Zelloberfläche ein Stoff gebunden, so leitet ein Teil, der die Zellhülle durchzieht, dieses Signal an den dritten Abschnitt des Rezeptors weiter, der im Zellinneren liegt. Verbunden mit diesem Vorgang ist eine Formänderung des Moleküls. Weitere Botenstoffe werden auf den Weg zum Kern geschickt, am Ende dieser Kaskade steht dann die Zellteilung.

Wird die Zellteilung zu häufig ausgelöst, kann es zu krebsartigem Wachstum kommen. Dennis Slamon von der Universität San Diego gelang es nun, das Wachstum von Tumoren in Mäusen zu verlangsamen, indem er den Tieren zelluläre Abwehrstoffe (Antikörper) verabreichte, die sich am neu-Rezeptor festsetzen. Dadurch wird vermutlich der Platz für einen löslichen Botenstoff besetzt, der bis jetzt noch nicht identifiziert werden konnte. Das Signal zur Teilung kann dann vom neu-Rezeptor nicht mehr in das Zellinnere weitergeleitet werden.

Eine andere Strategie verfolgt Axel Ullrich (Max-Planck-Institut für Biochemie in Martinsried). Ullrich stellte Teile des neu-Rezeptors im Reagenzglas her und benutzte diese dazu, den Botenstoff „wegzufangen“. Die gleiche Methode wird zur Zeit erprobt, um Aidsviren am Eintritt in ihre Wirtszellen zu hindern; viele andere Anwendungen sind denkbar. Für den Einsatz von Rezeptor-Bruchstücken gegen den Brustdrüsenkrebs muss deren Überlebenszeit innerhalb der Zelle aber noch verbessert werden, was durch den Austausch einzelner Bausteine des Rezeptors möglich sein sollte.

(erschienen in der WELT am 23. Dezember 1989)

Quelle: 7. Expertentreffen der Dr. Mildred Scheel-Stiftung über Onkogene und ihre Bedeutung in der Tumordiagnostik, Bonn, November 1989

Was ist daraus geworden? Dennis Slamon war mit seiner Forschung auf dem richtigen Weg. Der Rezeptor wurde inzwischen in „HER2/neu“ umbenannt und dient nicht nur zur Diagnose des Brustkrebs. Er ist auch ein wichtiger Angriffspunkt für jenes Fünftel aller Brustkrebserkrankungen, die als „HER2-positiv“ bezeichnet werden. Slamons Lebenswerk wurde 2008 verfilmt in der TV-Produktion Living proof , er gilt seit einigen Jahren als heißer Kandidat für den Medizin-Nobelpreis. Axel Ullrich wurde einer der erfolgreichsten deutschen Wissenschaftler. Er veröffentlichte an die 600 Publikationen, gründete fünf Biotech-Firmen – und war mit Slamon maßgeblich beteiligt an der Entwicklung des Antikörpers Trastuzumab (Herceptin), der bei HER2/neu-positiven Brustkrebserkrankungen eingesetzt wird. Und für mich als Journalisten bleibt das befriedigende Gefühl, diese faszinierende Geschichte über ein Viertel Jahrhundert begleitet zu haben.