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Google-Technik soll Brustkrebs erkennen

Die Mammographie ist ein Verfahren, bei dem Röntgenbilder der weiblichen Brust angefertigt werden. Ziel ist es, eine Krebserkrankung möglichst früh zu erkennen, genauer zu erfassen, oder auszuschließen. Die schwierige Aufgabe erfordert ein langes Fachstudium, und selbst Radiologen mit großer Erfahrung liegen mit ihren Beurteilungen nicht selten daneben. Die Folge sind falsche Alarme („falsch Positive“), die zur Verunsicherung der Frauen führen und zu Nachuntersuchungen, die sich erst im Rückblick als unnötig herausstellen. Dazu kommen noch Tumoren, die übersehen werden („falsch Negative“), und die weniger gut behandelt werden können, wenn sie schließlich doch auffällig werden.

Genauere Diagnosen erhofft man sich von der Technik der künstlichen Intelligenz (KI), die von Firmen wie Google und Microsoft erforscht und zunehmend eingesetzt wird. Ein Schwerpunkt liegt dabei auf der selbstlernenden Computerprogrammen, die Anhand von Bildern und anderen Mustern Vorhersagen treffen sollen.

Eine Studie, die jetzt in der Fachzeitschrift „Nature“ veröffentlicht – und von Google finanziert – wurde zeigt, wohin die Reise gehen könnte: Ein Forscherteam trainierte die Software mit Mammographie-Bildern von 26.000 Frauen aus Großbritannien und 3000 aus den USA. Ob die Diagnosen richtig waren, konnte man überprüfen, weil die Frauen etwa 3 Jahre später erneut untersucht wurden.

Beim Vergleich der Vorhersage-Genauigkeit hatte die Software sowohl weniger falsche Alarme verursacht, als auch weniger Tumoren übersehen. Auch als die Forscher das KI-System lediglich mit den britischen Daten trainierten, und anschließend anhand der US-Daten testeten, war „Dr. Google“ überlegen. Gegenüber den US-Ärzten hatte die Software 3,5 Prozentpunkte weniger falsch Positive und 8,1 Prozentpunkte weniger falsch Negative. Dies zeigt, dass die Software länderübergreifend zum Einsatz kommen könnte und nicht nur in jenen Regionen, wo sie ursprünglich getestet wurde. Theoretisch könnten daher weltweit Engpässe in der Versorgung gelindert und vielerorts die Qualität verbessert werden.

Kritisch anzumerken ist allerdings, dass die Studie die Praxisbedingungen in vielen Ländern mit guter Versorgung ignoriert hat. So war die „statistisch signifikante“ Überlegenheit der Google-Software in Großbritannien nicht besonders ausgeprägt und bezog sich nur auf die jeweils ersten Radiologen, die dort die Mammogramme begutachtet haben. Üblich ist im britischen System – wie auch im deutschen – allerdings die Prüfung durch (mindestens) 2 Radiologen, von denen der zweite den Befund des ersten kennt. Legt man diesen Maßstab an, so war KI-System weniger gut als jeweils 2 Fachärzte. Der Unterschied war allerdings gering, und es ist abzusehen, dass lernfähige KI-Systeme wie das hier getestete schon bald zur Ausstattung einer modernen Praxis gehören werden. Wenn schon nicht als „Dr. Google“ dann vielleicht als „Assistent Google“.

Quelle:

McKinney SM, Sieniek M, Godbole V, et al. International evaluation of an AI system for breast cancer screening. Nature. 2020;577(7788):89–94. doi:10.1038/s41586-019-1799-6.

(Publikumsversion eines nur für Ärzte zugänglichen Fachartikels für Univadis.de, erschienen am 5. Januar 2020)

Mammographie: Weniger Schmerzen durch „Selbstbedienung“

Aus Frankreich kommt eine Studie die helfen könnte, Frauen bei der Röntgen-Untersuchung der Brust (Mammographie) Schmerzen zu ersparen. Überraschend dabei ist, dass dies offenbar ohne Qualitätsverluste möglich ist. Ein Nachteil könnte sein, dass die Röntgenassistentinnen mehr Zeit für die Untersuchung benötigen.

Das Verfahren nennt sich „Selbst-Kompression“, was bedeutet, dass die Frauen bei einer Mammographie selbst mitwirken, wenn die Brust für die Röntgenaufnahme zwischen zwei Platten eingeklemmt wird. Hier ist ein hoher Druck nötig, um ein möglichst scharfes Bild zu bekommen. Die Einstellungen, die in der Regel von einer Röntgenassistentin vorgenommen werden, sind aber für viele Frauen schmerzhaft, und manche verzichten deshalb sogar auf die Kontrolltermine.

Für ihre Studie (Interest of Self-compression Technique on Tolerance of Mammography) haben französische Röntgenärzte um Philippe Henrot am Institut de Cancérologie de Lorraine 549 Frauen zwischen 50 und 75 Jahren nach dem Zufallsprinzip in zwei Gruppen aufgeteilt. Während die Frauen in der einen Gruppe wie üblich untersucht wurden, durften die Frauen der anderen Gruppe unter Anleitung der Assistenten selbst bestimmen, mit wie viel Druck die Brust für die Röntgenaufnahme zusammengepresst wurde.

Die Forscher verglichen dann als Maß für den Druck, auf welche Dicke die Brust im Durchschnitt zusammengepresst wurde – und fanden in beiden Gruppen ziemlich genau 5,2 Zentimeter. Die Andruckstärke wurde ebenfalls bestimmt. Sie war bei den Frauen, die an der Untersuchung mitwirken durften, im Durchschnitt fast ein Kilogramm höher. Die Schmerzen dagegen waren auf einer Skala von 1 bis 10 für die Selbst-Kompression mit median 2 Punkten eindeutig geringer als beim assistierten Verfahren (median 3 Punkte) . Diese Verbesserung ging nicht zu Lasten der Bildqualität: In beiden Gruppen musste etwa jede sechste Aufnahme wiederholt werden, was für die Mammographie einen normalen Wert darstellt.

Der einzige Nachteil, den die Selbst-Kompression in dieser Studie mit sich brachte, war, dass die Untersuchung länger dauerte. Etwa in jedem dritten Fall mussten nämlich die Röntgenassistentinnen einschreiten und weitere Anweisungen geben, wobei sie die Frauen meist ermutigten. In einer nachträglichen Befragung beklagten annähernd 70 Prozent der Assistentinnen den höheren Zeitbedarf. Mehr als die Hälfte antwortete mit „unentschlossen“ ob sie die Technik der Selbst-Kompression routinemäßig einsetzen würden. Ob das Verfahren eines Tages routinemäßig angeboten wird, dürfte jedoch vor allem an den Röntgenärzten liegen – und ob die Krankenkassen bereit wären, den erhöhten Aufwand zu bezahlen.

Henrot P et al.: Self-compression Technique vs Standard Compression in Mammography: A Randomized Clinical Trial. JAMA Intern Med. 2019 Feb 4. doi:10.1001/jamainternmed.2018.7169

Gekaufte Patienten?

Habe mir gerade eine Reportage von Klaus Balzer in der ARD angesehen, zur der ich unbedingt meinen Senf geben möchte. Das Ganze hatte den Titel: Der gekaufte Patient? – Wie Pharmakonzerne Verbände benutzen und lief unter dem Etikett „Die Story“. Nun ja, Geschichten erzählen ist das Eine, Journalismus – investigativer zumal – ist eine andere Sache. Warum geht´s?

Die Firma Roche - hier der Hauptsitz in Basel - unterstützt wie viele andere Pharmaunternehmen Patientenorganisationen. (Foto Wladyslaw Sojka www.soyka.photo, Lizenz Freie Kunst 1.3)

Die Firma Roche – hier der Hauptsitz in Basel – unterstützt wie viele andere Pharmaunternehmen Patientenorganisationen. (Foto Wladyslaw Sojka, Lizenz Freie Kunst 1.3)

In Selbsthilfegruppen sollen Patienten Patienten beraten, sagt der Sprecher- „und zwar unabhängig“. Dies mache die Selbsthilfegruppen so attraktiv für die Pharmaindustrie. Vorgestellt wird zunächst die „Frauenselbsthilfe nach Krebs“, die etwa 40000 Patienten erreicht. Deren (damalige) Vorsitzende Hilde Schulze mache Lobbyarbeit für bessere Krebsmedikamente. Dafür bekomme sie von den Krankenkassen und aus anderen öffentlichen Töpfen wenig Geld. Das reiche aber nicht, um zum Beispiel Kongresse mit unabhängigen Experten zu finanzieren.

Einer Patientin wurde aus der Klinik heraus die Teilnahme an einer klinischen Studie mit dem neuen, aber auch sehr teuren Wirkstoff Letrozol (Handelsname Femara) nahegelegt und sie wurde von dort an mamazone – Frauen und Forschung gegen Brustkrebs, verwiesen. „Was nicht in der Broschüre steht: mamazone erhält auch Spenden von der Pharmaindustrie.“

Man filmt auf einem Kongress von mamazone, wo binnen drei Tagen „Diplompatientinnen“ ausgebildet werden. Die Vorsitzende Ursula Goldmann-Posch räumt ein, dass Diplompatientinnen teurer sind für das gesamt Gesundheitswesen, weil sie mehr einfordern. „Gewinner dieses Drucks ist die Pharmaindustrie.“

Die Unternehmen zahlen auf der Veranstaltung Standgebühren an mamazone. Goldmann-Posch spricht von der Kooperation mit dem Pharmakonzern Roche, „eine gute Möglichkeit, unsere Stimme in einen Konzern einzubringen.“ Dafür habe mamazone in 2014 von Roche 100000 Euro bekommen, sagt der Reporter – knapp die Hälfte aller Einnahmen. In der Bilanz seien aber nur 1600 Euro direkte Spenden von der Pharmaindustrie ausgewiesen.

Sowohl die Firma Roche als auch der Verband forschender Arzneimittelhersteller (VfA), dessen Mitgieder insgesamt 5,6 Millionen Euro pro Jahr an Patientenorganisationen spenden, wollen dazu nicht vor laufender Kamera Stellung nehmen.

Spätestens ab hier verlässt die Reportage meines Erachtens den Boden einer soliden Berichterstattung zugunsten einer Vorabverurteilung. Kritisiert wird beispielsweise, dass die Patienten auf der VfA-Webseite „vor allem auf Arzneimittelstudien verwiesen werden, die ausschließlich von der Industrie finanziert werden“. Man „vergisst“ aber zu erwähnen, dass aus öffentlichen Mitteln fast keine derartige Studien bezahlt werden, und dass es den Krankenkassen nur in Ausnahmen erlaubt ist, solche Studien zu unternehmen.

Statt nun aber die Politik zu kritisieren, die mit ihren Weichenstellungen diese vermeintliche Schieflage erst geschaffen hat, geht es munter weiter mit dem Pharma-Bashing: 70000 Patienteninitiativen gibt es in Deutschland, hat Reporter Klaus Balzer herausgefunden und fragt: „machen diese sich abhängig?“. Das scheint mir ziemlich unwahrscheinlich, zumal eine einfache Rechnung ergibt, dass jede dieser Initiativen im Durchschnitt gerade einmal 80 Euro pro Jahr erhält (5,6 Millionen durch 70000).

Am Institut für Qualitätssicherung im Gesundheitswesen (IQWiG) in Köln spricht man mit Klaus Koch, den ich als früheren Kollegen schätze und der sich seit Jahren mit der Problematik beschäftigt. Ja, dies sei gängige Praxis und Teil des Marketings, bestätigt er. Zitiert wird eine Untersuchung des IQWiG, wonach neue Medikamente zu 60 % „keine neue Wirksamkeit gegenüber Alten hätten“. Wir lernen, dass die Pharmakonzerne sich schon sehr früh Gedanken machen, wie sie ihre Produkte vermarkten und zu welchen Gruppen sie dafür Kontakt aufnehmen müssen.

Dr. Jutta Scheiderbauer begründet für die Selbsthilfegruppe TIMS (Trierer Informationsstelle Multiple Sklerose), warum man keine Kooperationen mit der Pharmaindustrie betreibt: „man sollte sich nicht in Verdacht bringen.“ Eine direkte Bestechung sieht sie nicht, befürchtet aber einen Gewöhnungseffekt.

Befragt wird auch die Bundesgeschäftsführerin der Deutschen Multiple Sklerose Gesellschaft (DMSG) die ihre Zusammenarbeit verteidigt und auf die hauseigenen Leitlinien verweist: Unterstützung wird angenommen, ein Mitspracherecht gibt es aber nicht. Der Anteil der Unterstützung am Gesamtbudget der Gesellschaft liegt demnach bei 1 – 1,8 Prozent für die Jahre 2012- 2014.

Auch ein Patient mit Myasthenie dient zur Illustration des Verdachts: Hans Rohn von der Deutschen Myasthenie Gesellschaft (DMG). Aus eigener Erfahrung spricht er über die Nebenwirkungen der vielen Medikamente, die er einnehmen muss. Jetzt lautet der Vorwurf, die Pharmaindustre entwickle zu wenige Medikamente gegen Krankheiten wie die Myasthenie, weil nur wenige Menschen daran leiden und damit kein Geld zu verdienen wäre. Auf den Veranstaltungen der DMG liegen auch Informationsmaterialen über neue bzw. (noch) nicht zugelassen Medikamente aus und solche, die über klinische Studien informieren.

Bin ich der Einzige, dem diese Aneinandereihung widersprüchlich erscheint? Jedenfalls hat die DMG ein Konzept erstellt, wonach ihre Patienten ohne Einfluss der Industrie in Zusammenarbeit mit ausgewählten Kliniken an Studien mitwirken sollen – und ich bin gespannt, zu welchem Ergebnis diese Initiative führen wird.

Am Schluss steht das Fazit: „Geld von der Industrie zu nehmen macht es schwer, unabhängig zu bleiben.“ Die Frauenselbsthilfe nach Krebs unter Hilde Schulte hat deshalb die Zusammenarbeit mit der Pharmaindustrie aufgekündigt. Deren Dachverband, die Deutsche Krebshilfe, lehnt derartige Kooperationen ohnehin an.

Europaweit könnte der Trend jedoch in eine andere Richtung gehen. Die European Patients´ Academy on Therapeutic Innovation (EUPATI) mit Sitz in Bern wird nur etwa zur Hälfte aus Steuern finanziert, die andere Hälfte – nämlich 5 Millionen Euro kommen wiederum von der Industrie. Und das ist gut so, befindet David Hans-U. Haerry. Der ist nicht nur Mitglied eines Verbandes von AIDS-Betroffenen, sondern wird auch noch von EUPATI bezahlt, stellt der Sprecher fest.

Haerry erklärt, dass die Pharmaindustrie nunmal diejenigen seien, die einen Wirkstoff am schnellsten zum marktreifen Medikament entwickeln könnten. Auch dass diese Zusammenarbeit es den Patienten erleichtert, in klinische Studien aufgenommen zu werden, sei absolut richtig.

Ja aber… kommt es erneut aus dem Off: Auch neue, zugelassene Medikamente seien in zwei Drittel aller Fälle nicht besser, als schon vorhandene. Das ist bedauerlich, denke ich mir. Solange man aber nicht im Voraus weiß, welches Drittel der Arzneien nicht nur neu und teuer ist, sondern auch noch besser als der Standard, ist der Einwurf wenig hilfreich.

Fast schon im Abspann höre ich: „Forschung ist ja nicht grundsätzlich schlecht für den Patienten. Es geht auch nicht um eine pauschale Verurteilung.“ Eine Selbstverpflichtung, die Zahlungen offenzulegen sei aber nicht genug, moralisiert der Sprecher noch aus dem Off, und dann sind sie vorbei die 45 Minuten Reportage, von der ich mir neue Erkenntnisse erhofft hatte. Vergeblich.

Denn immer wieder schoß mir bei dieser Reportage die Frage durch den Kopf: „Ja und?“. Warum sollten Pharmafirmen denn nicht mit den Patienten reden? Wer hat denn die aktuellsten Informationen über die neusten Medikamente? Und welchen konkreten Beweis gibt es dafür, dass irgendjemand bestochen wurde oder durch den Informationsaustausch zu Schaden gekommen wäre?

Nein, liebe Kollegen, kritisieren alleine genügt mir nicht. Es fehlen mir Ideen, wie man das System besser machen kann und ich würde mir wünschen, dass ihr mit meinen Zwangsgebühren einen ganz alltäglichen Interessenkonflikt nicht ohne harte Beweise zu einem Skandal hochstilisiert. Das Ganze lief ja unter dem Etikett „Die Story im Ersten“ und das war leider ein ganz schön dünne Story. Eurer Forderung im letzten Satz des Films stimme ich dennoch zu: „Das Mindeste wäre es, dass jeder Patient in einer Initiative erfährt, wer sie mitfinanziert.“

Debatte über Tamoxifen-Studie

Über die Notwendigkeit einer deutschen Präventionsstudie zum Einsatz des Antiöstrogens Tamoxifen bei Frauen mit erhöhtem Brustkrebsrisiko konnte auf einem Symposium der Dr. Mildred Scheel Stiftung keine Einigkeit erzielt werden. Entsprechende Studien laufen bereits in den Vereinigten Staaten, Australien, Italien und – nach einer fünfjährigen Diskussion – in Großbritannien.

Für das 9. Treffen der Stiftung waren über 90 Krebsforscher aus elf Ländern zusammengekommen, um ihre Erfahrungen zur Entstehung und Behandlung hormonabhängiger Tumoren auszutauschen. „Ein ganz wesentlicher Schwerpunkt“, so Prof. Dr. Walter Jonat, „war die Nutzen/Risiko-Analyse für solch eine Studie.“

In Deutschland muß statistisch gesehen jede zehnte Frau damit rechnen, an Brustkrebs zu erkranken, das entspricht jährlich über 30000 Fällen, erläuterte der Leitende Oberarzt der Universitäts-Frauenklinik Hamburg. Für etwa 15 bis 25 Prozent der weiblichen Bevölkerung ist dieses Risiko mehr oder weniger stark erhöht, etwa dann, wenn die Menarche noch vor dem zwölften Lebensjahr eintrat, bei Kinderlosigkeit, einem Lebensalter von über sechzig Jahren oder bei einer genetischen Prädisposition.

Eine vorbeugende Behandlung dieser Frauen mit Antiöstrogenen erscheine sinnvoll, weil etwa die Hälfte aller Brustkrebserkrankungen hormonell regulierbar seien, sagte der Leitende Oberarzt der Universitäts-Frauenklinik Heidelberg, Prof. Dr. Manfred Kaufmann. Als positive Nebenwirkung würden kardiovaskuläre Erkrankungen signifikant – nämlich um 20 Prozent – reduziert; außerdem lasse sich das Osteoporose-Risiko eventuell verringern. „Andererseits könnte es sein, daß sich die Rate an induziertem Gebärmutterkrebs unter der Behandlung erhöht.“

Die Aussage, daß der klinische Nutzen ganz sicher überwiege, sei derzeit nicht möglich, bilanzierte Jonat. Kaufmann folgerte dagegen nach „gewinnbringender, kontroverser Diskussion“: „Ich hoffe und würde mir wünschen, daß solch eine Untersuchung auch bald in Deutschland anläuft.“ Die Kosten würden bei einer Laufzeit von fünf Jahren und 5000 Probandinnen je nach Zahl der erhobenen Parameter zwischen vier und 18 Millionen Mark liegen. Für die deutsche Krebshilfe erklärte deren Vorstandsvorsitzender Dr. Helmut Geiger, daß der Wille, solch ein Projekt zu fördern, „prinzipiell vorhanden“ sei.

Im Gegensatz zur präventiven Gabe von Tamoxifen ist der postoperative Nutzen des Hormonblockers beim Brustkrebs unumstritten. Jonat schätzt, daß mit dieser Indikation weltweit etwa 200000 Frauen pro Jahr behandelt werden. Unter ihnen würden 10000 bis 20000 dank Tamoxifen vor einem Rückfall bewahrt. „Vor zehn bis zwanzig Jahren wären diese Frauen noch gestorben“, sagte der Gynäkologe.

(geschrieben für das Deutsche Ärzteblatt, Erscheinungsdatum unbekannt.)

Neue Medikamente in der Onkologie

Ein neuer Kunde bot mir die Chance, die neuesten Entwicklungen in der Krebsmedizin ausführlich zu recherchieren und auf relativ breitem Raum darzustellen. So entstand 1993 im Kontakt mit annähernd 30 Gesprächspartnern diese Momentaufnahme zu einigen Wirkstoffen, die mittlerweile Therapiestandard sind – aber auch von mehreren Kandidaten, die letztendlich erfolglos blieben.

„Wir haben nichts in der Pipeline“, gesteht Hoechst-Pressesprecher Joachim Pietzsch ebenso freimütig wie seine Kollegin Christina Sehnert von der Bayer AG. Auch bei den Marburger Behringwerken hat man kein Pillen gegen den Krebs vorzuweisen; setzt stattdessen eher auf das boomende Feld der Immuntherapien.

Angesichts der Datenlage scheint Vorsicht angebracht, wenn von „Durchbrüchen in der Krebstherapie“ die Rede ist. Obwohl viele seltenere Krebsformen in den letzten 20 Jahren behandelbar wurden, blieb die Sterblichkeit bei den „großen Killern“ Magen-, Darm- Lungen- und Brustkrebs seit 1960 fast konstant.

Erst bei näherer Betrachtung hellt das düstere Bild sich auf. Nach langer Stagnation zeichnen sich zum Ende der neunziger Jahre endlich auch auf diesem Gebiet deutliche Verbesserungen ab. Die vielleicht wichtigste Neuentdeckung ist dabei das aus Eiben gewonnene Zytostatikum Taxol und dessen Derivat Taxotere.

Bei der Zellteilung bewirken sie die komplette Verknüpfung aller Tubulinmoleküle zu fadenförmigen Röhren, den Mikrotubuli. Das innere „Skelett“ der Zelle wird dadurch praktisch eingefroren. Nach der Verdopplung der Chromosomen können diese dann nicht mehr auf die Tochterzellen verteilt werden, da hierfür die Neubildung einer komplizierten Struktur aus Mikrotubuli erforderlich ist.

Wie wirksam Taxoide auch im Vergleich zu herkömmlichen Zytostatika sind, wurde auf dem diesjährigen Treffen der Amerikanischen Gesellschaft für Klinische Onkologie in Orlando, Florida, belegt. Dort präsentierte man  eine ganze Reihe von Studien der klinischen Phase II, wonach sowohl beim Nicht-kleinzelligen Lungenkrebs als auch beim Ovarialkarzinom ein teilweises Ansprechen in jedem dritten Fall verzeichnet wurde und zwar auch bei Patienten, bei denen das Standardchemotherapeutikum Cisplatin keine Wirkung zeigte.

„Sehr beeindruckende Zahlen“ gab es vor allem für die Therapie des Brustkrebses zu vermelden, sagte Dr. Ulrich Erfort, Produktmanager für Taxotere bei Rhone-Poulenc Rorer. „Die Remissionsraten sind teilweise sehr sehr gut, auch beim fortgeschrittenem Mammakarzinom liegen sie in manchen Studien bei 60 bis 70 Prozent“, unterstrich Erfort.

Einen weiterer Schritt vorwärts bei der Bekämpfung dieser zweithäufigsten Todesursache für Frauen überhaupt bedeutet der routinemäßige Einsatz des Hormonblockers Tamoxifen. Bereits vor zwei Jahren hatte eine Arbeitsgruppe um den Epidemiologen Richard Peto an der Universität Oxford 133 Studien an 75000 Patientinnen auf einen gemeinsamen Nenner gebracht. Mit einem hochkomplexen und ungewöhnlichen statistischen Verfahren, der sogenannten Metaanalyse, gelang der Nachweis, daß die Zehn-Jahres-Überlebensrate von 71 auf 75 Prozent steigt, wenn die Behandlung in einem frühen klinischen Stadium gegonnen wird. Außerdem verhindert Tamoxifen bei vergleichsweise geringen Nebenwirkungen das Übergreifen des Krebses auf die gesunde Brust in 40 Prozent aller Patientinnen.

Die Blockade der Östrogene, die beim Tumorwachstum offensichtlich eine große Rolle spielen, wird durch diese Studie zu einem heißen Forschungsgebiet. Gegenüber der Chemotherapie ist die Hormonblockade nicht nur für die Patientinnen wesentlich schonender, die Erfolgsaussichten für eine solche Behandlung können auch durch den Nachweis der entsprechenden Hormonrezeptoren in der Brust besser eingeschätzt werden.

Sogar bei der Krebsvorbeugung könnten Hormone bald eine wichtige Rolle spielen: Eine große Untersuchung mit 16000 Teilnehmerinnen, die im vergangenen Jahr in den USA angelaufen ist, soll die Frage klären, ob Tamoxifen das Brustkrebsrisiko besonders gefährdeter Frauen senken kann.

Einen Schritt weiter geht die sogenannte Differenzierungstherapie, mit der Tumorzellen nicht abgetötet sondern „resozialisiert“ werden sollen. Auch hier spielen Hormone eine Rolle. So konnten Martin R. Schneider und Horst Michna von der Berliner Schering AG zusammen mit Wolfgang Kühnel und Yokishige Nishino vom Anatomischen Institut der Medizinischen Universität Lübeck zeigen, daß die Progesteronantagonisten Onapriston und ZK 112.993 bei experimentellen Mammakarzinomas den Tumorzellen auf die Sprünge helfen: Diese entwickelten sich im Tierversuch bei Ratten und Mäusen teilweise zu sekretorischen Zellen oder starben den „induzierten Zelltod“.

Auch klinische Studien liegen bereits vor. Bei mehreren hundert Patienten mit akuter Promyelozytenleukämie (APL) genügte die Gabe des Vitamin-A-Derivates All-trans-Retinsäure, um die Zellen zu „überreden“, sich zu funktionsfähigen Granulozyten weiter zu entwickeln. Laut dem „Interpharma Forum“ konnten mit dieser Therapie in 85 Prozent der Patienten komplette Remissionen erreicht werden. Dr. Werner Bollag, der seit etwa fünf Jahren bei Hoffman-La Roche das Konzept einer „physiologischeren“ Krebstherapie verfolgt, hofft, daß durch diese Resultate „allmählich das Tor zu einer neuen, lang gesuchten Zukunft der Krebstherapie“ aufgehen könnte.

Ähnliches hatte man sich allerdings vor zehn Jahren auch von den Interferonen oder dem Tumor Nekrose Faktor erhofft, ohne daß sich die kühnen Prognosen bis heute bewahrheitet hätten. Beide Substanzen gehören zu der Gruppe der Zytokine, die als Botenstoffe des Immunsystems das komplexe Zusammenspiel dutzender verschiedener Typen von Abwehrzellen koordinieren. Eben diese Komplexität macht den Forschern zu schaffen. Durch die Gabe eines Zytokins wird oft eine ganze Kaskade weiterer Faktoren ausgelöst. Nicht nur die Abwehrzellen selbst, sondern auch das Zentrale Nervensystem und verschiedene innere Organe können dadurch in Mitleidenschaft gezogen werden. In vielen Fällen besteht überdies keine direkte Beziehung mehr zwischen Dosis und Wirkung einzelner Substanzen.

Trotz dieser Probleme haben sich manche Zytokine einen Platz bei der Therapie – meist seltener – Krebsformen erkämpft. In klinischen Studien werden derzeit verschiedener Vertreter dieser Substanzgruppe untereinander oder mit der konventionellen Chemotherapie kombiniert. Eine „exponentielle Zunahme des Wissens“ über die Wirkung von Zytokinen im Reagenzglas sieht jedenfalls Professor Karl Welte von der Abteilung für Pädiatrische Hämatologie und Onkologie der Medizinischen Hochschule Hannover. In der Praxis aber haben die Erfolge der jüngsten Zeit, etwa beim Nierenkarzinom oder beim schwarzen Hautkrebs, den Prozentsatz der Remissionen nur geringfügig erhöhen können.

Wesentlich überzeugender ist da schon der Einsatz einiger anderer Familienmitglieder der Zytokine, der haematopoetischen Wachstumsfaktoren. Sie können einen wichtigen Beitrag leisten, um die oft lebensbedrohlichen Nebenwirkungen einer Chemotherapie in den Griff zu bekommen. Bereits zugelassen sind der Granulozyten-Kolonien stimulierenden Faktors (G-CSF) und des Granulozyten-Makrophagen-Kolonien stimulierenden Faktors (GM-CSF). Sie kurbeln die Produktion jener weißer Blutzellen an, die bei der Abwehr bakterieller Infektionen eine entscheidende Rolle spielen.

Professor Roland Mertelsmann hat die Behandlung mit den Bluthormonen G-CSF, GM-CSF und Interleukin-3 an der Universitätsklinik Freiburg weiter verbessert. Die Dauer der Abwehrschwäche konnte dadurch von etwa elf auf sechs Tage fast halbiert werden. Von neun auf drei Tage verkürzt wurde gar die Periode erhöhter Blutungsgefahr nach der Chemotherapie. Prinzipiell sollte es dank der Linderung der Nebenwirkungen auch möglich sein, die Dosierung bei der Chemotherapie zu erhöhen und somit die Heilungschancen der Patienten zu verbessern.

Auch die oberste Kommandeebene der Zellen, die DNA, wird mittlerweile ins Visier genommen. Einen indirekter Angriff auf die Struktur der Erbsubstanz ermöglicht die seit den sechziger Jahren bekannte Substanz Camptothecin (CPT). Sie hemmt die Topoisomerase I, ein Enzym, welches den DNA-Doppelstrang während des Ablesens der genetischen Information an einer Stelle auftrennt und anschließend wieder zusammenheftet. In Karzinomen des Darms, der Eierstöcke und der Speiseröhre sowie bei Lymphomen wurden erhöhte Topo-I Konzentrationen festgestellt, der Einsatz von CPT scheiterte jedoch zunächst an der enormen Toxizität des Naturstoffes.

Wie so oft könnten im Chemielabor entwickelte Analoga dieses Hindernis überwinden: Topodecan (TPT) und CPT-11 heißen die Kandidaten, die in Japan, den Vereinigten Staaten und Europa intensiv getestet werden. In klinischen Versuchen der Phase II zeigten sich ermutigende Ergebnisse unter anderem beim Lungenkrebs, wo 30 Prozent von 72 Patienten mit der nicht-kleinzelligen Form der Krankheit auf die Behandlung ansprachen. Beim kleinzelligen Lungenkrebs waren es sogar rund 40 Prozent in der Gruppe zuvor behandelter Patienten.

Die verwirrende Vielfalt neuer Arzneimittelkandidaten ruft bei Vertretern der Pharmaindustrie und bei Klinikern indes höchst unterschiedliche Reaktionen hervor. Während erstere meist eine Vielzahl von Gründen parat haben, warum gerade ihr Produkt besonders vielversprechend ist, wollen letztere sich nur höchst ungern festlegen. Die Tatsache, daß von einem guten Dutzend namhafter Onkologen kein einziger bereit war, gegenüber der Physis die Chancen einzelner Substanzen zu diskutieren, mag mit der kaum noch überschaubaren Zahl klinischer Studien und logisch erscheinender Ansätze zu tun haben. Das Zögern derjenigen, die jeden Tag Visite gehen, könnte aber auch ein deutlicher Hinweis darauf sein, daß schon zu viele todkranke Patienten in ihrer Hoffnung auf den großen Durchbruch im Kampf gegen den Krebs bitter enttäuscht wurden.

(Originalmanuskript eines Artikels für „Physis – Medizin und Naturwissenschaften“, erschienen in der Novemberausgabe 1993)

BH gegen Brustkrebs

Mit einem Büstenhalter voll moderner Messelektronik soll das Risiko, an Brustkrebs zu erkranken, ermittelt werden. Der von dem Pathologieprofessor Hugh Simpson an der Universität Glasgow entwickelte BH verfügt über 16 Temperaturfühler, die ihre Messungen im Abstand von 64 Sekunden vornehmen. Bis zu 4000 Messwerte können gespeichert und zur Auswertung direkt in einen Computer eingespeist werden.

Simpson und sein Kollege Keith Griffiths vom Tenovus Institut in Cardiff werteten die Temperaturschwankungen in der Brust während des weiblichen Zyklus aus, die bei 15 Probandinnen ermittelt wurden. Gemäß den Vorhersagen der Forscher hatten vorbelastete Frauen, denen bereits einmal Krebsgewebe entfernt worden war, eine Temperaturkurve, die sich deutlich von der unbelasteter Probandinnen unterschied.

Bei Frauen, die keiner Risikogruppe angehören, ändert sich demnach die Brusttemperatur mit der Menge des Schwangerschaftshormons Progesteron im Blut. Dies führt dazu, dass die Brüste ihre höchste Temperatur vier Tage nach dem Hormonmaximum erreichen. In den vorbelasteten Frauen allerdings war dieser Zusammenhang zwischen Hormonzyklus und Brusttemperatur verloren gegangen.

Simpson und Griffiths halten es für möglich, dass ihre Erfindung Frauen mit erhöhtem Krebsrisiko schon Jahre vor der Entwicklung einer Geschwulst erkennen kann. Allerdings dämpften die Forscher allzu hohe Erwartungen mit dem Hinweis, dass die bisherigen Erkenntnisse noch durch weitere Forschungen bestätigt werden müssen.

(erschienen in der WELT vom 24. Juni 1990)

Quelle: Vines, G: Bra measures younger women’s risk of cancer. New Scientist, 17. März 1990

 

Krebsforschung: Angriff auf den neu-Rezeptor

Mit einem Eingriff in den Mechanismus der Zellteilung wollen deutsche und amerikanische Wissenschaftler das Wachstum von Brustkrebszellen hemmen. Wie die Forscher mitteilten, gelang es, ein Eiweißmolekül an der Weitergabe von Wachstumssignalen zu hindern. Das Molekül, der neu-Rezeptor, steckt in der Zellhülle und ist bei einem Viertel aller Brustdrüsen-Tumore vermehrt zu finden.

Wie viele andere Rezeptoren besteht dieser Eiweißstoff aus drei Abschnitten. Wird auf der Zelloberfläche ein Stoff gebunden, so leitet ein Teil, der die Zellhülle durchzieht, dieses Signal an den dritten Abschnitt des Rezeptors weiter, der im Zellinneren liegt. Verbunden mit diesem Vorgang ist eine Formänderung des Moleküls. Weitere Botenstoffe werden auf den Weg zum Kern geschickt, am Ende dieser Kaskade steht dann die Zellteilung.

Wird die Zellteilung zu häufig ausgelöst, kann es zu krebsartigem Wachstum kommen. Dennis Slamon von der Universität San Diego gelang es nun, das Wachstum von Tumoren in Mäusen zu verlangsamen, indem er den Tieren zelluläre Abwehrstoffe (Antikörper) verabreichte, die sich am neu-Rezeptor festsetzen. Dadurch wird vermutlich der Platz für einen löslichen Botenstoff besetzt, der bis jetzt noch nicht identifiziert werden konnte. Das Signal zur Teilung kann dann vom neu-Rezeptor nicht mehr in das Zellinnere weitergeleitet werden.

Eine andere Strategie verfolgt Axel Ullrich (Max-Planck-Institut für Biochemie in Martinsried). Ullrich stellte Teile des neu-Rezeptors im Reagenzglas her und benutzte diese dazu, den Botenstoff „wegzufangen“. Die gleiche Methode wird zur Zeit erprobt, um Aidsviren am Eintritt in ihre Wirtszellen zu hindern; viele andere Anwendungen sind denkbar. Für den Einsatz von Rezeptor-Bruchstücken gegen den Brustdrüsenkrebs muss deren Überlebenszeit innerhalb der Zelle aber noch verbessert werden, was durch den Austausch einzelner Bausteine des Rezeptors möglich sein sollte.

(erschienen in der WELT am 23. Dezember 1989)

Quelle: 7. Expertentreffen der Dr. Mildred Scheel-Stiftung über Onkogene und ihre Bedeutung in der Tumordiagnostik, Bonn, November 1989

Was ist daraus geworden? Dennis Slamon war mit seiner Forschung auf dem richtigen Weg. Der Rezeptor wurde inzwischen in „HER2/neu“ umbenannt und dient nicht nur zur Diagnose des Brustkrebs. Er ist auch ein wichtiger Angriffspunkt für jenes Fünftel aller Brustkrebserkrankungen, die als „HER2-positiv“ bezeichnet werden. Slamons Lebenswerk wurde 2008 verfilmt in der TV-Produktion Living proof , er gilt seit einigen Jahren als heißer Kandidat für den Medizin-Nobelpreis. Axel Ullrich wurde einer der erfolgreichsten deutschen Wissenschaftler. Er veröffentlichte an die 600 Publikationen, gründete fünf Biotech-Firmen – und war mit Slamon maßgeblich beteiligt an der Entwicklung des Antikörpers Trastuzumab (Herceptin), der bei HER2/neu-positiven Brustkrebserkrankungen eingesetzt wird. Und für mich als Journalisten bleibt das befriedigende Gefühl, diese faszinierende Geschichte über ein Viertel Jahrhundert begleitet zu haben.