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Training reduziert Sturzgefahr bei Älteren

Ältere Menschen, die mindestens ein Jahr lang zwei bis drei Mal wöchentlich trainieren, erleiden weniger Stürze und Sturzverletzungen. Dies berichten Dr. Philipe de Souto Barreto von der Universitätsklinik Toulouse und seine Kollegen in der Fachzeitschrift JAMA Internal Medicine.

Die Wissenschaftler haben allerdings keine eigene Untersuchung gemacht, sondern die Ergebnisse anderer Leute in einer sogenannten Meta-Analyse zusammengefasst.

In fünf verschiedenen Literaturdatenbanken suchten sie nach Studien mit Menschen ab 60 Jahren, die mindestens ein Jahr lang trainiert hatten, und bei denen man die Zahl der Stürze, Verletzungen, Brüche, Klinikeinweisungen und die Sterblichkeit mit einer Kontrollgruppe ohne solch ein Training verglichen hatte.

Die Ergebnisse von insgesamt 40 solcher Studien wurden bislang veröffentlicht. Sie hatten zusammen 21868 Teilnehmer (zwei Drittel davon Frauen), die im Durchschnitt 73 Jahre alt waren. Typischerweise waren diese Senioren drei Mal pro Woche für jeweils etwa 50 Minuten ins Training gegangen und hatten dort mit mittlerer Intensität Aerobic, Balance- und Kraftübungen gemacht.

Heraus kam, dass Senioren, die trainierten, ein zwölf Prozent niedrigeres Risiko hatten, zu stürzen. Stürze mit Verletzungen waren sogar um mehr als ein Viertel seltener (26 Prozent), und das Risiko für einen Knochenbruch schien um 16 Prozent kleiner. Hinweise auf schädliche Effekte des Trainings gab es keine. Damit wurde auch die Befürchtung entkräftet, dass der Sport bei den Senioren zu mehr Klinikeinweisungen oder gar Todesfällen führen könnte – etwa weil sie einen Herzinfarkt erleiden.

Besonders überraschend ist das Ergebnis nicht, denn andere Studien hatten zuvor schon gezeigt, dass weniger lange Fitnessprogramme die Sturzrate bei Senioren senken können. Neu ist jedoch die Erkenntnis, dass die längerfristigen Übungen auch für Menschen mit Herzerkrankungen und Nervenkrankheiten sinnvoll sein können.

Die Forscher selbst sprechen von einer „bescheidenen“ Verringerung des Sturzrisikos. Um dies zu erreichen sollten Senioren demnach zwei bis drei Mal pro Woche für jeweils 50 Minuten trainieren. Ein absoluter Schutz ist das allerdings nicht. In einem Kommentar zur Studie rechnen die US-Ärzte Ryan R. Kraemer und C. Seth Landefeld vor, dass für jeweils eine vermiedene Sturzverletzung 27 Senioren mindestens ein Jahr trainieren müssten. Und zur Verhinderung eines Bruches müssten sogar 100 Alte ein Jahr lang Sport treiben. Trotzdem sind Kraemer und Landefeld sich in ihrer Empfehlung an die Kollegen einig: „Ärzte sollten sportliches Training mittlerer Intensität in einer Häufigkeit von zwei bis drei Mal pro Woche verschreiben.“

Quellen:

Computer gegen Retinitis pigmentosa

Mit den unterschiedlichsten Ansätzen versuchen Forscher, die Ursache für die Augenkrankheit Retinitis pigmentosa (RP) aufzuhalten: den fortschreitenden Zerfall der Fotorezeptor-Zellen in der Netzhaut auf der Rückseite des Auges. Erste Anzeichen sind meist eine Verkleinerung des Gesichtsfeldes und eine Verschlechterung der Nachtsicht

Zwar gibt es einige Erfolgsmeldungen aus frühen Versuchen, das Leiden mit einer Gentherapie zu lindern. Auch die Transplantation von Stammzellen ins Auge wird erprobt. Und man hat man herausgefunden, dass die Einnahme von Vitamin A das Fortschreiten der RP womöglich verlangsamen kann. Einige einige Patienten haben durch sogenannte Retina-Implantate sogar einen Teil ihres Sehvermögens zurückgewonnen.

Eine echte Heilung für das Gros der Patienten, deren Zahl alleine in Deutschland auf 30000 bis 40000 geschätzt wird, ist aber noch nicht in Sicht. Umso mehr freue ich mich über eine gute Nachricht, die ich von der Deutschen Ophthalmologischen Gesellschaft (DOG) erhalten habe, der wissenschaftlichen Vereinigung deutscher Augenärzte. Ich zitiere in Auszügen:

Tübinger Augenärzte haben … ein computerbasiertes Training entwickelt, das die Wahrnehmung und das Orientierungsvermögen der Betroffenen innerhalb von sechs Wochen deutlich verbessert. Die Deutsche Ophthalmologische Gesellschaft (DOG) sieht in der Software eine Chance, die Sicherheit und die Lebensqualität von Menschen mit Retinitis pigmentosa zu steigern und empfiehlt, das Training in die Behandlung dieser Patienten mit einzubinden.

„Die Patienten erkennen Hindernisse zu spät, sie stürzen häufiger, und das Risiko, als Fußgänger im Straßenverkehr zu Schaden zu kommen, ist erhöht“, sagt Professor Susanne Trauzettel-Klosinski, die an der Universität Tübingen die Forschungseinheit für visuelle Rehabilitation leitet. Darunter leidet die Lebensqualität: „Viele Menschen mit Tunnelblick trauen sich kaum mehr ihre Wohnung zu verlassen und am öffentlichen Leben teilzunehmen“, sagt sie.

Dagegen hilft offenbar ein Trainingsprogramm, bei dem die Patienten vor einem Bildschirm sitzen, auf dem zufallsgesteuert Zahlen erscheinen. Die Aufgabe besteht darin, die Zahlen mit der Maus wegzuklicken. Dabei erscheinen einige Zahlen auch außerhalb des Gesichtsfeldes der Patienten. Durch gezielte Bewegungen der Augäpfel lernen sie aber, auch diese Zahlen zu erfassen. Ein ähnliches Training nutzen bereits Schlaganfallpatienten, bei denen der Hirnschaden zu einem Gesichtsfeldausfall geführt hat.

In einer ersten klinischen Studie testeten 25 Patienten mit Retinitis pigmentosa das PC-Programm zu Hause am Laptop. Sie trainierten an fünf Tagen pro Woche für jeweils 30 Minuten. Die Ergebnisse wurden nun im Fachblatt PLOS One veröffentlicht: Nach sechs Wochen Training hatten die Patienten ihre Reaktionszeiten im PC-Training um 37 Prozent gesenkt. Die Patienten konnten danach einen Gehtest mit Hindernissen schneller und mit weniger Fehlern absolvieren als eine Vergleichsgruppe, die nur an einem Lesetraining teilgenommen hatte. Während des Gehtests trugen alle Teilnehmer ein Gerät, das die Augenbewegungen registrierte.

Die Ergebnisse zeigen, dass die Probanden vermehrt die Umgebung ihres eingeschränkten Gesichtsfeldes erkunden, erklärt Trauzettel-Klosinski: „Durch das Training haben sie gelernt, die Bewegung ihrer Augäpfel bewusst zu steuern – so nehmen sie Hindernisse besser wahr als untrainierte Patienten.“ Ein solches Training kann die Mobilität auch nach einem bereits erfolgten Orientierungs- und Mobilitätstraining mit dem Langstock verbessern. Die Tübinger Ophthalmologen arbeiten die Trainingssoftware nun zu einem benutzerfreundlichen Programm aus. Die Kosten dafür schätzt Trauzettel-Klosinski auf etwa 300 Euro und hofft, dass die Krankenkassen sich daran beteiligen.

Übertriebene Hoffnungen möchten die Tübinger Augenärzte trotzdem nicht aufkommen lassen. Das Training kann die RP weder aufhalten noch heilen. Aber es hilft offenbar, trotz des fortschreitenden Sehverlustes im Alltag besser zurecht zu kommen. „Die Übungen helfen den Betroffenen ihr verbliebenes Blickfeld effektiver zu nutzen und sich so im Alltag besser zurechtzufinden“, erklärt Professor Frank G. Holz vom Vorstand der Stiftung Auge, die die Tübinger Studie unterstützt hat. Für die Patienten böte das Training spürbare Vorteile: sie können aktiv etwas gegen die Folgen der Erkrankung unternehmen und gewinnen an Lebensqualität.

(veröffentlicht bei hirnstimulator.de am 11. August 2016)

Originalliteratur:

Ivanov IV, Mackeben M, Vollmer A, Martus P, Nguyen NX, Trauzettel-Klosinski S. Eye Movement Training and Suggested Gaze Strategies in Tunnel Vision – A Randomized and Controlled Pilot Study. PLoS One. 2016 Jun 28;11(6):e0157825.

Kraftwerke auf Rädern

Als „Medizinische Wunder auf Rädern“ werden Männer vom Schlage eines Miguel Indurain immer wieder beschrieben. Mit seinem rekordverdächtigen Kreislaufsystem ist der Baske auch in diesem Jahr wieder Favorit auf den Gewinn der Tour de France.

Doch auch seine Mitstreiter fallen – im medizinischen Sinne – aus dem Rahmen: „Ich bin mir ziemlich sicher, daß sie hier keine normalen Leute finden“, sagt Ulrich Hartmann vom Institut für Sportmedizin der Universität Köln.

Während auch Normalbürger mit einigem Trainingsaufwand in der Lage sein dürften, im Flachland 200 Kilometer an einem Tag mit dem Fahrrad zurückzulegen, wird etwa für die vorstehenden Bergetappen schon ein besonderes Rüstzeug braucht: Eine der Grundvoraussetzungen für diese ungeheure Ausdauerleistung ist, salopp formuliert, eine Sonderausstattung der Radprofis. Denn die meisten von ihnen tragen schon von Geburt an einen extrem hohen Anteil roter Muskelfasern mit sich. Diese Art von Kraftpaketen – sie bewirken die Ausdauer – machen bei den meisten Menschen kaum mehr als die Hälfte der Muskelmasse aus; der Rest ist für die Schnellkraft zuständig.

Die Top-Athleten der Tour de France dagegen verfügen über bis zu 90 Prozent roter Muskelfasern. Sie liegen mit diesem Wert in einem Bereich, der höchstens von jedem zwanzigsten Menschen erreicht wird. Während die Zahl der Fasern zeitlebens konstant bleibt, läßt sich deren Form und Inhalt sehr wohl beeinflussen. Über mindestens sieben Jahre sollte man dafür gut 40000 Trainingskilometer pro Saison abstrampeln, rät Ausdauerspezialist Hartmann. Nach dieser Strecke – sie entspricht etwa sechs Erdumrundungen – hat sich die Zahl der kraftspendenden Mitochondrien in jeder Zelle mehr als verdoppelt.

Doch auch das beste Kraftwerk ist nutzlos, wenn nicht genug Brennmaterial zur Verfügung steht: Energiequelle Nummer eins ist der Sauerstoff, der von den roten Blutkörperchen transportiert wird. So überrascht es kaum, daß die Athleten nicht nur mit straffen Waden beeindrucken: Nach drei bis vier Wochen Höhentraining haben sie ihre Blutmenge deutlich vermehrt. Der mithin verbesserte Sauerstofftransport (er kann auch durch die verbotene Eigenbluttransfusion erreicht werden) erhöht die Leistung um etwa drei Prozent – ein Vorteil, auf den heute kaum ein Radprofi verzichten kann.

Mit Sauerstoff beladen werden die Blutzellen in der Lunge. Auch sie ist bei Radprofis vergleichsweise oft überdimensioniert und faßt beim Ausnahmesportler Miguel Indurain mit 7,8 Litern ein Viertel mehr als bei den besten Amateuren. Schließlich ist auch das letzte Glied der Kette an die extremen Anforderungen hervorragend angepaßt: Radprofis haben große Herzen, manchmal sind sie doppelt so groß wie die 0,8 Liter eines, sagen wir, Büroangestellten.

Auch Sportmediziner sprechen hier allerdings seltener von Rekordmaßen, eher schon von krankhaften Veränderungen. Während des Rennens pumpen diese Herzen dann in jeder Minute bis zu 40 Liter Blut durch die Venen – das entspricht immerhin dem Inhalt eines mittleren Aquariums. Die 50 Liter, die Champion Indurain zugeschrieben werden, hält Hartmann allerdings für übertrieben. Auch Radprofis sind Menschen; spätestens in den Bergen werden sie durch die wachsende Zahl der Aussteiger daran erinnert. Zwischen zehn bis zwölf Liter Flüssigkeit schwitzen sie dann heraus. Nicht umsonst gibt es in jedem Team die Wasserträger, deren Aufgabe im Wortsinn auch darin besteht, im Viertelstundenrhythmus die Depots der Stars aufzufüllen.

Am Berg steigt der Energieverbrauch auf bis zu 10.000 Kilokalorien am Tag. Das ist nicht nur viermal so viel wie der Grundumsatz – es ist auch deutlich mehr als jene 6000 Kilokalorien, welche die Sportler in den kurzen Pausen in sich hineinschaufeln können. Anders als im Flachland reicht die Verbrennung mit Sauerstoff jetzt oft nicht mehr aus. Es wird umgeschaltet, zunächst auf die Kohlehydratreserve der Leber und schließlich – wie bei Verhungernden – auf die Eiweißbausteine der Muskeln. Wer auch diese Herausforderung noch besteht, hat gute Chancen, beim Endspurt der Tour auf den Champs Elysee dabei zu sein.

(erschienen in der WELT am 20. Juli 1993)