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Ende des Traums vom Fliegen

Vorbei sind die Zeiten, da man guten Gewissens in den – mehr oder weniger – wohlverdienten Urlaub fliegen konnte. Auch Geschäftsleute, die derzeit noch auf Kurzstrecken wie Köln-Frankfurt durch die Lüfte schweben, müssen sich auf kritische Fragen ihrer umweltbewußten Zeitgenossen gefaßt machen.

Der Traum vom Fliegen? Klimaforscher und Umweltschützer sind skeptisch: „Der Flugverkehr ist bereits heute ein spürbarer Faktor im Klimageschehen der Atmosphäre“, erklärte Professor Ulrich Schuhmann am Mittwoch auf einem Seminar des Forschungszentrums für Umwelt und Gesundheit in Frankfurt.

Schuhmann, der sich bei der Deutschen Forschungsanstalt für Luft und Raumfahrt (DLR) in Oberpfaffenhofen von Berufs wegen mit der Auswirkung des Luftverkehrs auf die Umwelt befaßt, präsentierte eine Studie, wonach jährlich rund 1700 Milliarden „Passagierkilometer“ zurückgelegt werden, Tendenz steigend.

Die Zahl, welche sich aus der Multiplikation der Flugpassagiere mit den zurückgelegten Kilometern ergibt, belegt, daß das Linienflugzeug längst zum Massenverkehrsmittel geworden ist. Bei jährlichen Zuwachsraten von annähernd sechs Prozent wird sich der zivile Flugverkehr bis zum Jahr 2005 verdoppeln.

Die Treibstoffmengen, die dabei verbrannt werden, sprechen ebenfalls für sich: 176000 Tonnen Kerosin jährlich, wobei der Anteil der Militärs auf etwa ein Viertel veranschlagt wird. 20 Mal mehr Treibstoff wird allerdings für den Verkehr insgesamt verbraucht, wobei Kraftfahrzeuge den weitaus größten Anteil haben. Die neuesten Zahlen der Deutschen Lufthansa belegen, daß Flugpassagiere noch verhältnismäßig sparsam unterwegs sind: Im Durchschnitt benötigen sie 6,2 Liter Kerosin für 100 Reisekilometer.

Auch ein flüchtiger Blick auf die Schadstoffbilanz läßt die Airlines in einem günstigen Licht erscheinen: Nach einer Untersuchung des TÜV Rheinland betragen die Emissionen durch Zivilflugzeuge nur einen kleinen Bruchteil dessen, was im Verkehr insgesamt in die Luft geblasen wird. 0,7 Prozent lautet der Wert für Kohlenmonoxid, 0,8 Prozent für Kohlenwasserstoffe, und auch bei den Stickoxiden macht der Anteil der Luftfahrt nur ein Sechzigste! der verkehrsgebundenen Belastungen aus.

Dennoch ist Vorsicht geboten. Die Verweilzeit der Schadstoffe wächst mit der Höhe, in der diese Substanzen entstehen. In bodennahen Schichten werden sie durch eine Vielzahl chemischer Reaktionen in etwa zwei Tagen umgewandelt; in zehn Kilometer Höhe muß man schon mit 30 Tagen rechnen.

In der darüber liegenden Luftschicht, die von der Concord ebenso durchflogen wird wie von einer Unzahl Militärjets, wird die Verweilzeit sogar in Jahren gemessen. Bedenklich ist auch, daß Stickoxide und Wasserdampf, der ebenfalls bei der Verbrennung entsteht, in den höheren Luftschichten normalerweise nur als Spurengase vorhanden sind. Das bedeutet, daß die Freisetzung dieser Gase die Zusammensetzung der Luft in diesen Schichten deutlich verändern kann.

Die komplexe Chemie der Atmosphäre führt dann zu einem scheinbar widersprüchlichen Verhalten der Stickoxide (NOx): In hohen Konzentrationen fördert NOx die Bildung von Ozon. Dies führt dazu, daß am Boden und bis in eine Höhe von etwa 15 Kilometern das für uns giftige Gas deutlich zugenommen hat. In niedrigen Konzentrationen fördern Stickoxide dagegen den Abbau von Ozon (O3), ein Vorgang, der schon seit geraumer Zeit in der hochliegenden Stratosphäre beobachtet wird. Diese Reaktion hat mit dazu beigetragen, daß der Vorrat an O3, welches in der Stratosphäre als Schutzschild vor krebserregenden UV-Strahlen wirkt, ständig abnimmt.

Als klimabildender Faktor könnte jedoch der von Flugzeugen abgegebene Wasserdampf noch weit drastischere Folgen haben. Wasserdampf spielt im Haushalt der Natur unter allen Treibhausgasen die wichtigste Rolle. Die zusätzlichen Wassertropfen aus den Triebwerken unserer Passagierjets entfalten ihre Wirkung vorwiegend als Kondensationskeime für die Bildung von Eiswolken (Cirruswolken). „Die Bewölkungszunahme aufgrund des Luftverkehrs ist heute bereits sichtbar“, erklärte Schuhmann, der diese Behauptung auch mit eindrucksvollen Satellitenaufnahmen belegen konnte.

Einige der gemessenen Kondensstreifen erreichten dabei Längen von bis zu 200 Kilometern bei einer Breite von zehn Kilometern. Die zusätzliche Bewölkung zwischen Frankfurt und Genua, gemessen an insgesamt 142 Tagen, betrug im Schnitt 0,4 Prozent.

„Diese Wolken aber haben einen weitaus größeren Einfluß auf den Treibhauseffekt als das Kohlendioxid“, betonte Schuhmann. Anders als „dicke“ Wolken können Cirruswolken die Temperatur am Boden erhöhen, weil sie für Sonnenlicht durchlässig sind, die von der Erde zurückgestrahlte Wärme aber nur zum Teil in den Weltraum entlassen. Modellrechnungen für die untersuchte Region gehen daher davon aus, daß die Temperatur dort im Mittel um 0,4 Grad Celsius erhöht wird.

Trotz dieses deutlichen Effekts war sich Schuhmann mit den anderen anwesenden Experten einig, daß die Diskussion um die ökologischen Auswirkungen des Flugverkehrs andere Probleme nicht verdrängen dürfe. Höchste Priorität sollte demnach ein weltweites Verbot der Fluorchlorkohlenwasserstoffe haben, die als Treibgase und Kühlmittel Verwendung finden. Sehr dringend sei auch die Verminderung der CO2-Massen aus Verbrennungsvorgängen, dann folge die Reduktion der Schadstoffe aus dem Verkehr am Boden, dann erst der Flugverkehr.

(erschienen in „DIE WELT“ am 9. August 1991)

Auch am Nordpol fehlt das Ozon

Der Schutzschild gegen die krebserregenden UV-Strahlen zeigt auch am Nordpol erste Risse. Für die Entstehung dieses zweiten „Ozonloches“ gab es bisher nur vage Hinweise; genauere Messungen wurden durch die gewaltigen Luftströme über der Arktis erschwert. Michael Proffitt von der Universität Colorado und seine Kollegen haben diese Schwierigkeiten nun überwunden und die Befürchtungen der Klimaforscher bestätigt.

Zwei Forschungsflugzeuge, vollgepackt mit 23 Messgeräten, hatten Anfang 1989 insgesamt 28 Flüge unternommen, die zum Teil bis zum Nordpol führten. Die hochfliegende ER-2, ein Umbau des Spionageflugzeuges U-2, nahm dabei direkte Messungen in der Stratosphäre vor. Während ein einsamer Pilot die vorgegebenen Messpunkte ansteuerte, übernahmen Computer die vollautomatische Datenerfassung.

Im Gegensatz dazu flog das Wissenschaftlerteam der „arktischen Stratosphärenmission 1989“ in einer DC-8, von der aus Messungen über weite Entfernungen hinweg vorgenommen wurden. Die Analyse der Datenflut, die jetzt im britischen Wissenschaftsmagazin „Nature“ veröffentlicht wurde, deutet auf erhebliche Ozonverluste auch in der arktischen Lufthülle hin.

Bis zu einem Drittel des Ozons, so lautet die Bilanz, wird während des arktischen Winters zerstört – vorige Studien hatten „nur“ zwölfprozentige Verluste ergeben. Die unterschiedlichen Ergebnisse werden auf ozonreiche Luftströme zurückgeführt. Diese fließen laut Proffitt in die Messgebiete ein und gleichen die Verluste an Ozon teilweise wieder aus.

Die Theorie, dass verbrauchtes Ozon nachströmt und damit die bisherigen Messergebnisse verfälschte, hat allerdings einen kleinen Schönheitsfehler: Bisher war man nämlich der Ansicht, dass der arktische Luftwirbel weitgehend isoliert sei, ein „Nachschub“ an Ozon also nicht stattfindet. Proffitt ist da ganz anderer Meinung. Während normaler Winter sinkt nämlich die Luft in der Nordpolarregion ab, ein Vorgang, der in oberen Regionen der Atmosphäre durch Zustrom von Luftmassen ausgeglichen werden müsse.

Ozon-Loch über der Antarktis im Jahr 2010: Die Wunde ist noch lange nicht verheilt (Von Nasa.gov via Wikipedia)

Der Nachweis eines Ozonloches am Südpol war dagegen relativ einfach. Hier dreht sich nämlich im antarktischen Winter ebenfalls ein gigantischer Luftwirbel. Dieser Wirbel allerdings, so weiß man, steht wirklich allein, so dass die Voraussetzungen für einen schnellen Abbau des Ozons gegeben sind, weil der Nachschub aus den sonnigen Randgebieten, in denen das Ozon gebildet wird, oft bis weit in den antarktischen Frühling unterbrochen ist. Aus dieser Situation erklären sich auch die drastischen Ozonverluste innerhalb kurzer Zeit, welche die Weltöffentlichkeit 1987 erstmals auf die Gefährdung unseres atmosphärischen Schutzschildes aufmerksam machten.

Die klimatischen Verhältnisse am Nordpol unterscheiden sich allerdings teilweise erheblich von denen am Südpol: Selbst die kältesten arktischen Winter sind wärmer als die wärmsten antarktischen Winter. Da Temperaturen von fast minus neunzig Grad am Nordpol nur selten erreicht werden, bilden sich polare stratosphärische Wolken dort erst gegen Ende der monatelangen Polarnacht.

Diese Wolken aus winzigen Eis- und Säurekristallen starten dann die Ozonvernichtung, indem sie Chlorgas freisetzen. Die ersten Sonnenstrahlen des arktischen Frühlings zerlegen das Chlorgas, wobei aggressive Zerfallsprodukte entstehen. Diese Chlorradikale zerbrechen dann die Ringstruktur des Ozons in einem schier endlosen Zyklus – bis zu 100000 Ozonmoleküle können so durch ein einziges Chlorradikal zerstört werden.

Unbestritten ist übrigens die Herkunft der Chlorabkömmlinge: Sie sind fast ausschließlich menschlichen Ursprungs.

(erschienen in der WELT vom 22. September 1990. Letzte Aktualisierung 21. März 2017)

OriginalliteraturProffitt, MH.,Margitan JJ, Kelly KK, Loewenstein M, Podolske JR, Chan KR. „Ozone Loss in the Arctic Polar Vortex Inferred from High-Altitude Aircraft Measurements.” Nature 347, no. 6288 (September 6, 1990): 31–36.

Was ist daraus geworden? Das Ozonloch ist eines der wenigen Beispiele dafür, dass die Politik auf Warnungen von Wissenschaftlern gehört und entsprechende Maßnahmen ergriffen hat. Im Protokoll von Montreal wurden Ozonkiller größtenteils verboten, und 30 Jahre später sehen wir Zeichen für eine Erholung der Ozonlöcher über beiden Polen. Bis diese Wunden in unserer Atmosphäre verheilt sind, werden aber nach Schätzungen noch etwa 80 Jahre vergehen.