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Wie giftig ist PVC?

Ein Verbot des chlorhaltigen Kunststoffes Polyvinylchlorid (PVC) fordert die Umweltschutzorganisation Greenpeace. Die zur Herstellung nötige Spaltung des Kochsalzes in Chlor und Natrium sei „die zweite Todsünde der Menschheit“. Als „organisierte Vergiftung“ wird gar die gesamte Chlorchemie angeprangert.

Ganz anderer Ansicht sind die „chlorreichen sieben“ Hauptproduzenten des Kunststoffes, die sich in Deutschland zur Arbeitsgemeinschaft PVC und Umwelt (AGPU) zusammengeschlossen haben. Eine „infame Verleumdung“ nennt ihr Vorsitzender Dr. Manfred Michel die Greenpeace-Kampagne. „Kochsalz enthält wie PVC – hochtoxisches Chlor, und wenn Sie davon nicht mindestens sieben Gramm täglich zu sich nehmen, können Sie nicht überleben.“

Derart schrille Töne lassen den Verbraucher verwirrt zurück. Einer millionenschweren Kampagne der deutschen PVC-Hersteller BASF, Buna und Hoechst, Hülls, ICI, Solvay und Wacker-Chemie steht jetzt eine – von Greenpeace in Auftrag gegebene – Studie gegenüber, die das PVC-Recycling als „Öko-Lüge“ brandmarkt.

Tatsache ist: Die Bundesbürger sind Weltmeister im Verbrauch von PCV. Als Verpackung, Fensterrahmen, Fußböden, Rohre und Kabel kommen jährlich 1,6 Millionen Tonnen in ihre Wohnstuben, ein Pro-Kopf- Verbrauch von 20 Kilogramm. Doch schon bei der Frage, ob die Produktion des vielseitigen Kunststoffes eine nennenswerte Umweltbelastung bedeutet, scheiden sich die Geister.

Bei der Synthese werden Vinylchlorid-Moleküle (VC) zu langen Ketten verknüpft – dem Polyvinylchlorid. Daß VC-Moleküle Krebs erregen, wird von den Herstellern nicht bestritten. Eine Studie an Beschäftigten der VC verarbeitenden Industrie hat ein vermehrtes Auftreten von Leberkrebs nachgewiesen. Dazu erklärte Dr. Reinhard Saffert von Solvay vor Journalisten in Berlin: „Daß die Chemikalie Krebs auslöst, wissen wir selbst erst seit ein paar Jahren.“

Allerdings sei die sichere Handhabung der Substanz für Techniker heute kein Problem mehr. Saffert wies darauf hin, daß das Endprodukt PVC völlig andere chemische Eigenschaften hat als VC-Monomere. Mit üblichen Methoden sei eine Freisetzung aus Verpackungen nicht nachweisbar. Auch das Fraunhofer-Institut in Braunschweig scheiterte daran, eine VC-Freisetzung aus Tapeten dingfest zu machen. Für den Verbraucher bestehe deshalb keine Gefahr.

PVC besteht allerdings nicht nur aus verknüpften Vinylchloridmolekülen: Eine Reihe von Hilfsstoffen sorgt dafür, daß die Eigenschaften des fertigen Kunststoffes den Anforderungen der Verbraucher gerecht werden. Im Extrem erreichen die Stabilisatoren, Weichmacher, Füll- und Farbstoffe einen Anteil von 50 Prozent. Ihr Anteil ist zwar rückläufig, im Falle des Schwermetalls Cadmium kommen aber jährlich noch immer 270 Tonnen zusammen. Auch 10.000 Tonnen Blei werden pro Jahr für die Herstellung von PVC benötigt.

Schließlich fällt bei Chlorgewinnung noch das hochgiftige Quecksilber an. Hier gibt es Fortschritte: Während 1972 noch 64 Gramm Quecksilber je produzierter Tonne Chlor in die Umwelt abgelassen wurden, waren es 1986 nur noch 2,5 Gramm. Damit verursacht die PVC-Produktion nur noch ein Hundertstel des Quecksilberausstoßes der deutschen Kohlekraftwerke. Würden die „chlorreichen Sieben“ jedoch ihre Produktion auf das im Ausland verbreitete Membranverfahren umstellen, ließe sich das Schwermetall ganz vermeiden.

Ob PVC der Umwelt mehr schadet als andere Stoffe, ließe sich möglicherweise durch eine „Ökobilanz“ klären. Für diese Kosten-Nutzen-Rechnung werden die Gefährdung der Gesundheit, Energie- und Rohstoffverbrauch, Haltbarkeit, Wiederverwertung und andere Faktoren herangezogen. Allerdings ist die Aussagekraft solcher Bilanzen bei Experten umstritten. Studien des Instituts für Chemie und Technik in Wien, des Umweltzentrums in Leiden und des Schweizer Experten Dr. Werner Thalmann-Graf zusammen mit dem Dachverband der europäischen Verpackungsindustrie sind deshalb mit Vorsicht zu genießen. In allen drei Analysen lag PVC vor den Konkurrenten.

(erschienen in „DIE WELT“ am 19. Juni 1992)

„Oostzee“: Nach Unfall schärfere Vorschriften?

Der Frachter „Oostzee„, auf dem es nach einem Seeunfall zur Freisetzung der krebserzeugenden Chemikalie Epichlorhydrin kam, wird nach erfolgter Entsorgung heute von Brunsbüttel aus seine Rückreise nach Rotterdam antreten. Über mögliche Konsequenzen der jüngsten Serie von Giftfrachtunfällen berichteten Expertengestern vor der Wissenschaftspressekonferenz in Bonn. Wie Ministerialdirektor Christoph Hinz vom Bundesministerium für Verkehr mitteilte, werde sein Haus eine Überprüfung einleiten, um festzustellen, ob internationale Gefahrgutvorschriften eingehalten worden seien, und diese gegebenenfalls verschärft werden müssten.

Bei Beachtung der Vorschriften zum Transport von Epichlorhydrin wäre der Unfall nach menschlichem Ermessen ausgeschlossen gewesen. Die Weltschifffahrtsorganisation, so Hinz, befasse sich zurzeit mit einem Übereinkommen für den Transport von Chemikalien als Massengut auf dem Seeweg, wie es für Öl bereits existiert.

Als Ursache des Unglücks, bei dem keine Menschen zu Schaden kamen, nannte Günter Hollmann, Mitglied des Krisenstabes „Oostzee“, die unsachgemäße Lagerung der Giftfässer, die entgegen den Vorschriften direkt auf dem Schiffsboden aufgestellt worden waren. Auch seien die Fässer nicht richtig gestapelt gewesen. Leergefäße sind bei schwerem Seegangzusammengedrückt worden und hatten dadurch das Verrutschen der Ladung ermöglicht.

Michael Hegenauer vom Verband der Chemischen Industrie hält eine Erweiterung der Gesetze zum Gefahrguttransport auf See nicht für nötig. Christoph Thies, der für Greenpeace als zeitweiliger Beobachter im Krisenstab war, betonte hingegen, das Beispiel Oostzee habe gezeigt, dass derartige Ereignisse prinzipiell nicht beherrschbar seien. Er plädierte dafür, durch eine Erhöhung der Transportkosten die Gefahrgüter auf kürzere und ungefährlichere Wege zu zwingen. Nur so könne erreicht werden, dass die Käufer solcher Güter sich nach dem nächstgelegenen Hersteller richteten und nicht nach dem billigsten.

(erschienen in der WELT am 9. August 1989)

59-info@2xWas ist daraus geworden? Unter den vielen Unfällen auf See sorgte dieser für besondere Aufregung, obwohl zumindest unmittelbar keine Menschen zu Schade kamen. Unter anderem berichteten damals auch der Spiegel und die Zeit. Zehn Jahre später wurden mehrere Krebserkrankungen und Todesfälle mit der Katastrophe in Verbindung gebracht, heißt es in einem Artikel der WELT. Laut einem Rückblick von Eige Wiese, der 2014 im Hamburger Abendblatt erschienen ist, hat die schleswig-holsteinische Landesregierung mittlerweile in Zusammenhang mit der „Oostzee“ allein 17 anerkannte Dienstunfälle bei Polizisten eingeräumt. Die Witwen zweier Wasserschutzbeamten, die an seltenen Krebserkrankungen verstorben waren, hätten jahrelang auf Entschädigung geklagt. Um auf ähnliche Katastrophen künftig besser vorbereitet zu sein, hatte das Verkehrsministerium seinerzeit den Auftrag zur Konstruktion spezieller Bergungsschiffe erteilt, auf denen vor allem die Rettungsmannschaften bei ihrer Arbeit besser geschützt sind. Vier solcher Schiffe sind mittlerweile im Dienst. Außerdem, berichtet Wiese, hätten 13 Feuerwehren in norddeutschen Küstenländern spezielle Teams für die Bekämpfung solcher Unfälle gebildet, die alle die gleiche Ausbildung erhalten haben und die gleichen Geräte benutzen.