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Warum Allergien zunehmen

Die Zunahme allergischer Erkrankungen in den letzten Jahrzehnten ist nicht mehr wegzudiskutieren. Welche Rolle dabei den Luftschadstoffen zukommt, ist zwar noch nicht zweifelsfrei geklärt, doch mehren sich die Hinweise darauf, daß unter anderem Feinstäube und Dieselrußpartikel eine Rolle spielen. Weniger eindeutig ist die Datenlage beim Tabakrauch. Hier stehen scheinbar überzeugenden Befunden, mit denen ein solcher Zusammenhang belegt werden soll, solche gegenüber, die Passivrauchen als Ursache allergischer Reaktionen nahezu ausschließen. Dies waren einige der Aussagen, die Anfang September beim Kongreß „Fortschritte der Allergologie, Immunologie und Dermatologie“ in Davos die Diskussion beherrschten.

Professor Dr. Brunello Wüthrich, Leiter der Allergiestation der Dermatologischen Klinik am Universitätsspital Zürich, legte Daten vor, die einen starken Zuwachs der Pollinose in diesem Jahrhundert eindeutig belegen. In der Schweiz wurden dazu erstmals 1926 Untersuchungen an 77.000 Personen angestellt, die eine Prävalenz von 0,82 Prozent ergaben. 1958 hatte sich dieser Wert bereits auf fünf Prozent erhöht; mittlerweile liegt er nach Wüthrichs eigenen Erhebungen bei rund zehn Prozent. Auch aus Japan, Schweden und der Bundesrepublik liegen gut gesicherte Erkenntnisse vor, die diesen Trend bestätigen.

„Die immer wieder diskutierte Frage, ob allergische Krankheiten in den letzten Jahrzehnten wirklich zugenommen haben, kann für die Pollinose eindeutig mit ja beantwortet werden. Klinische und tierexperimentelle Beobachtungen deuten darauf hin, daß, nebst genetischen Faktoren Luftschadstoffe entscheidend das Manifestwerden der Pollenallergie beeinflussen“, so Wüthrich.

Als mögliche Gründe für den Anstieg der Heuschnupfenprävalenz zog Wüthrich mehrere Faktoren in Betracht. Durch eine gezielte Bewirtschaftung von Äckern und Weideland kommt es heute zu wesentlich stärkeren Schwankungen der Pollenkonzentrationen für einzelne Arten. Auch gibt es Hinweise darauf, daß die Einführung neuer Arten zumindest lokal einen Anstieg der Pollinose bewirkte. Erwiesen ist auch, daß die Zunahme der Luftschadstoffe eine erhöhte Permeabilität der Epithelien für Allergene zur Folge hat.

Die Frage „Sind die Pollen selbst aggressiver geworden?“ untersucht Professor Dr. Heidrun Behrendt vom Medizinischen Institut für Umwelthygiene der Heinrich-Heine-Universität in Düsseldorf. Ein neues Forschungsgebiet, die Allergotoxikologie, beschäftigt sich mit dem Einfluß und der Wirkung von Schadstoffen auf die Induktion, die Auslösung und die Unterhaltung allergologischer Erkrankungen. Erschwert werden diese Untersuchungen dadurch, so Behrendt, daß die Schäden sich oft erst nach Jahren oder Jahrzehnten eindeutig bemerkbar machen. „Eine weitere Schwierigkeit ist, daß die biologische Wirkung von Umweltschadstoffen in der Regel keine akute ist, sondern durch die wiederholte Aufnahme kleiner Dosen hervorgerufen wird und das Zusammenwirken mehrerer Schadstoffe entweder gleichzeitig oder in Folge auftritt. Diese Kombinationswirkung macht es schwer, ursächliche Faktoren herauszuarbeiten.“

Als mögliche Übeltäter werden derzeit vor allem Luftschadstoffe wie Schwefeldioxid (SO2), Stickoxide (NOX), organische Kohlenwasserstoffe und Feinstaub verdächtigt. Diese Substanzen werden in den alten Bundesländern teilweise in Größenordnungen von mehreren Millionen Tonnen jährlich freigesetzt. Bei Dieselrußpartikeln beläuft sich diese Zahl auf 70.000 Tonnen, und auch die jährlich 32.000 Tonnen Pestizide könnten eine wichtige Rolle spielen.

Wichtig sind vor allem Staubpartikel, weil hier mehr als 1000 organische und anorganische Stoffe adsorbiert werden, die dann in Partikelform durch die Makrophagen des Immunsystems aufgenommen werden und dort ihre Wirkung entfalten.

Die Kombination der Schadstoffe mit Allergenen kann offensichtlich auf zwei Ebenen stattfinden; nämlich im Bereich des Organismus, wo die Sensibilisierung gefördert werden kann, oder aber auf der Ebene der Allergenträger, da die Pollen selbst gleichfalls den Luftschadstoffen ausgesetzt sind. So zeigen neue Studien, daß die Expression des Birkenpollenallergens in städtischen Regionen mit starkem Automobilverkehr deutlich verstärkt ist.

Der wissenschaftliche Leiter der Veranstaltung, Professor Dr. Siegfried Borelli, bezeichnete es als „durchaus nachvollziehbar“, daß Luftschadstoffe als Wegbereiter von Allergien dienen könnten. Borelli, der gleichzeitig Direktor der Dermatologischen Klinik der TU München sowie der Klinik für Dermatologie und Allergie Davos ist, schilderte das derzeitige Gedankengebäude: „Die Vorstellung geht dahin, nach der Emission in den frühen Morgenstunden gelangten Pollenkörner auf Grund der Lufterwärmung in höhere Luftschichten. Am Nachmittag kehrten diese Pollen, wie kleine Igel von Schwebstaubpartikeln aus der verschmutzten Luft besetzt, in die unteren Luftschichten zurück.“

Wie Professor Behrendt anhand eindrucksvoller elektronenmikroskopischer Aufnahmen zeigen konnte, werden die Pollen an den Kontaktstellen mit den Schadstoffpartikeln präaktiviert, so daß Eiweiße aus dem Polleninneren unter die Oberfläche gelangen. Im Organismus würden die Allergene dann in modifizierter Form rasch und in großen Mengen freigesetzt. Sowohl die Proteinzusammensetzung als auch das IgE-Bindungsmuster dieser Allergene sind dann nachweislich verändert.

(erschienen in der Pharmazeutischen Zeitung am 28. November 1991)

Gesundheitsproblem Diesel

Der Diesel als Treibstoff der Zukunft? Jedem, der schon einmal das zweifelhafte Vergnügen hatte, auf engen Landstraßen stundenlang hinter einem Lkw her kriechen zu müssen, welcher unentwegt dichte Rußwolken ausstieß, muss diese Theorie Furchen der Skepsis auf die Stirn zaubern.

Derartige traumatische Erlebnisse seien Einzelfälle, die nicht den Blick auf die unbestrittenen Vorteile dieser Technologie trüben sollten, beschwichtigt die Diesellobby. Den eines ist sicher: mit herkömmlichen Otto-Motoren lassen sich die niedrigen Verbrauchwerte eines Diesels nicht erreichen. Pro gefahrenem Kilometer produzieren der Diesel deutlich weniger Kohlendioxid (C02) und weniger Stickoxide (NO) als die besten Ottomotoren heutiger Produktion.

Da C02 Hauptverursacher des Treibhauseffektes ist und Stickoxide nach einigen Zwischenreaktionen die Ozonkonzentrationen am Boden in die Höhe treiben können, bekam der Diesel auch flugs das Prädikat „umweltfreundlich“. Die Belohnung in Form einer deutlichen Steuerermäßigung für die „schadstoffarmen“ Fahrzeuge ließ nicht lange auf sich warten.

Eine andere Bewertung ergibt sich allerdings, wenn das Augenmerk auf die Emission von Partikeln (Ruß), Schwefeldioxid (SO2) oder die polyzyklischen aromatischen Kohlenwasserstoffe (PAH) gerichtet wird. Von all diesen Substanzen produziert der Diesel nämlich deutlich größere Mengen als der Ottomotor. „Von daher ist die Bewertung des Diesels als umweltfreundlich und steuerermäßigt nicht zu verstehen“, bilanzierte Dr. Uwe Heinrich vom Institut für Toxikologie und Aerosolforschung der Fraunhofergesellschaft. Auf einem Seminar der Gesellschaft für Strahlenforschung, das kürzlich in München stattfand, wurde eine ganze Reihe von Erkenntnissen präsentiert, die das Klischee vom sauberen Diesel zunichtemachen könnten.

„Die ganze Crux ist das Dieselrußpartikel“, so Heinrich. Diese winzigen Teilchen entstehen bei der unvollständigen Verbrennung des Treibstoffes. Ein Kern aus Kohlenstoffatomen bildet die Grundlage auf dem sich die PAH mit ihrem bekanntesten Vertreter Benzo(a)pyren absetzen. Ein Teil dieser Partikel wird nach dem Einatmen in der Lunge abgelagert und kann dort – zumindest bei Ratten – Tumoren hervorrufen.

Ein Oxidationskatalysator, wie er von einigen Automobilherstellern bereits serienmäßig angeboten wird, soll da Abhilfe bringen. Doch lassen sich die freigesetzten Partikeln mit heutiger Technologie nur um ein Zehntel reduzieren – in den Entwicklungsabteilungen der großen Konzerne wird darum auch unter Hochdruck an der Verbesserung des Diesel-Kats gearbeitet. In der Zwischenzeit verweist man zum Beispiel bei BMW darauf, dass die Menge an PAH, welche sich auf den Partikeln niederschlägt, drastisch reduziert sei. Die Diskussion verlagert sich dadurch auf die Frage, ob es die krebserregenden Mitglieder der PAH-Familie sind, die für die beobachteten Lungentumoren verantwortlich sind, oder ob andere Mechanismen für die Krebsentstehung verantwortlich sind.

Arbeiter nämlich, die an Kokereiöfen tätig waren, mussten PAH-Konzentrationen verkraften, die um ein Vielfaches über dem liegen, was Dieselmotoren freisetzen. Dennoch konnte für diese Bevölkerungsgruppe keine Vermehrung der Krebsfälle nachgewiesen werden. Ratten dagegen entwickelten Tumoren, nachdem sie gezwungen wurden, über längere Zeiträume hinweg verdünnte Dieselabgase in verhältnismäßig geringen Konzentrationen einzuatmen.

Eine interessante Entdeckung verwies die Wissenschaftler dann auf die „nackten“ Partikel als die eigentlichen Übeltäter: Die Tiere entwickeln nämlich Lungenkrebs auch dann, wenn sie nur Aktivkohle einatmen; feinverteilter Kohlestaub also ohne jegliche weiteren Schadstoffe. Möglicherweise verursacht dann die große Oberfläche des Dieselrußes biologische Reaktionen auf den Zellen der Lunge; der Reaktionsmechanismus wäre dann ähnlich dem von Asbestfasern, welche laut Statistik in Deutschland für jährlich mehr als 1000 Fälle von Lungenkrebs und anderen Tumoren verantwortlich sind.

Sollten sich die Hinweise dafür erhärten, dass die „nackten“ Rußpartikel auch beim Menschen krebserregend sind, dann bleibt für die Ingenieure der Automobilfirmen nur eine Lösung: Ein Rußfilter muss her. Derzeit allerdings sind diese Vorrichtungen noch so teuer, dass sich der Einbau nur bei Lastkraftwagen lohnt. Der Einkaufspreis eines Golf Diesel würde sich durch solch eine Maßnahme beinahe verdoppeln; ein Opfer, das auch umweltbewusste Kraftfahrer wohl kaum auf sich nehmen werden.

(erschienen in der WELT am 12. Dezember 1990)

Was ist daraus geworden? Der Artikel ist so alt, dass darin noch nicht einmal das Wort „Feinstaub“ auftaucht. Dies ist jedoch, wie man spätestens nach dem VW-Skandal wissen sollte, ein ziemlich großes Gesundheitsproblem geworden. Das Umweltbundesamt hat vorgerechnet, dass er deutschlandweit jährlich etwa 45000 Menschen das Leben kostet. „Schuld“ sind daran allerdings nicht mehr in erster Linie Dieselfahrzeuge, sondern unsere Heizungen, Kohlekraftwerke, die Landwirtschaft und der Straßenverkehr, auch durch den Abrieb von Reifen. Für Dieselmotoren gibt es seit ca. 15 Jahren Partikelfilter, sodass diese heute sogar deutlich weniger Rußpartikel hinterlassen, als ein moderner Ottomotor mit Direkteinspritzung (siehe z.B. diesen Beitrag im Deutschlandfunk).