Sechs Monate vor der UNO-Konferenz „Umwelt und Entwicklung“ in Rio de Janeiro schrillen – wieder einmal – die Alarmglocken. „Wissenschaftlich gesichert“ und damit aktenkundig ist jetzt die Erkenntnis, daß die zunehmende globale Erwärmung, der schwindende Ozonschild, die Zunahme verheerender Wirbelstürme und die sich ständig ausbreitenden Waldschäden auf die Aktivitäten von rund sechs Milliarden Menschen zurückzuführen sind.

Wer hätte das gedacht? Während bisher von Befürchtungen und Wahrscheinlichkeiten die Rede war, sind sich die Wissenschaftler jetzt einig. Eine internationale Expertenrunde hat für die Enquetekommission des Bundestages zum Schutz der Erdatmosphäre den derzeitigen Stand der Forschung dargelegt. Dabei fiel das Wörtchen „sicher“, eine Vokabel, die Wissenschaftler nur äußerst selten benutzen.

Die Folgen anhaltender Tatenlosigkeit schilderte der Kommissionsvorsitzende in eindrucksvollen Worten. Hautkrebs, Sturmflut, Dürre, verseuchtes Wasser, Hunger und Krieg zählen zu den Faktoren, mit denen die Weltpolitik in nicht allzu ferner Zukunft rechnen muss.

Unterdessen sieht George Bush die Vereinigten Staaten in einer Rezession. Japaner und Europäer glauben ihre wirtschaftliche Konkurrenzfähigkeit gefährdet. Eine Milliarde Chinesen hätten gerne einen Kühlschrank. Ungezählte Hungernde wären gerne satt. Der Ruf nach einer politischen Lösung wird immer lauter, die Erfolgschancen des Umweltgipfels sinken.

Während fast jeder gewillt ist, der eigenen Gesundheit zuliebe auch einmal eine bittere Pille zu schlucken, scheint die Vernunft beim Thema Umwelt auf der Strecke zu bleiben. Es ist höchste Zeit für die Einsicht, daß saubere Luft, klares Wasser und eine intakte Tier- und Pflanzenwelt nicht zum Nulltarif zu haben sind.

(erschienen auf Seite 1, „DIE WELT“, 18. Januar 1992)