Noch keine 20 Jahre ist es her, daß ein körpereigener „Klebstoff“ an der Universitätsklinik Wien den ersten Patienten vor dem Tod rettete: Bei einer Herzoperation traten massive Blutungen aus einer Gefäßprothese auf. Die Blutgerinnung war gestört, die Arzte scheinbar hilflos. Dann erinnerte man sich, daß im gleichen Krankenhaus mit „Fibrinkleber“ experimentiert wurde. In einem verzweifelten letzten Versuch gelang es, die Prothese abzudichten. Der Patient konnte gerettet werden.

Heute ist Fibrinkleber aus der Medizin nicht mehr wegzudenken – von der Schönheitsoperation über die Behandlung innerer Blutungen bis zur Versorgung großflächiger Verbrennungen. Auf einem Kongreß in Wien überboten sich kürzlich rund 600 Teilnehmer mit immer neuen Vorschlägen zur Verwendung des biologischen Allzweckkleisters.

Daß der menschliche Körper kleinere Blutungen selbständig stillen kann, daß Wunden verschlossen werden und mitunter sogar Knochenbrüche kaum Spuren hinterlassen, verdanken wir der Bildung des Eiweißes Fibrin in der letzten Phase der Blutgerinnung. Mehrere Proteine müssen am Ort des Geschehens sein, um aus dem im Blut gelösten Vorläufermolekül Fibrinogen ein engmaschiges Netz von mikroskopisch kleinen Fibrinfasern entstehen zu lassen. In dieses Netz lagern sich Blutplättchen ein. Das Gerinnsel verklebt die Wundfläche und wird schließlich durch nachwachsendes Gewebe ersetzt.

Der natürliche Vorgang wird bei der Fibrinklebung nachvollzogen. Wie beim Zwei-Komponenten-Kleber werden die Reaktionspartner in getrennten Behältern angeliefert: die Proteine Fibrinogen, Aprotinin und Gerinnungsfaktor XIII in der einen Spritze, Thrombin und Kalziumionen in der anderen.

In Sekundenschnelle reagieren diese Substanzen miteinander und bringen die Blutung zum Stillstand. Gerade Unfallopfer mit schweren inneren Verletzungen profitieren von der schnellen Wirkung des Präparates. Bei Rissen an Milz und Leber oder Schäden an der Bauchspeicheldrüse ist die Klebung oft die einzige Möglichkeit, um das empfindliche Gewebe zu erhalten. Denn nur erfahrene Chirurgen sind in der Lage, die Blutungen mit Nadel und Faden zum Stillstand zu bringen.

Bei Milzverletzungen mußte in der Vergangenheit häufig das Organ entfernt werden, weil der Blutfluß nicht gestoppt werden konnte. Da die Milz eine wichtige Rolle für die Immunabwehr spielt, starben vor allem Kinder und Jugendliche nicht selten an bakteriellen Infektionen. Für Professor Hans-Werner Waclawiczek, Salzburg, ist der Einsatz des Bioklebers „die effizienteste und einfachste Methode der Milzerhaltung“.

Ein weiterer Vorteil der Fibrinklebung: Mit der vielseitigen Technik kommt der Arzt leichter an schwer zugängliche Stellen. Neben „Reparaturen“ an Milz und Bauchspeicheldrüse werden in letzter Zeit immer häufiger Blutungen im Magen-Darm-Bereich erfolgreich behandelt, wie Dr. Richard Salm, Freiburg, berichtete. „Weniger Patienten mußten operiert, die Sterberate konnte gesenkt werden.“

Wichtiges Hilfsmittel sind dabei endoskopische Instrumente. Sie erlauben es, durch dünne Kanülen zu operieren, ohne Brustkorb oder Bauchdecke zu öffnen. Nach einem kleinen Einschnitt in die Haut können etwa winzige Skalpelle, Scheren, Zangen oder Pinzetten in den Körper eingeführt werden – oder eben die zwei Komponenten des Fibrinklebers. Eine ausgefeilte Optik erlaubt es den Spezialisten, ihre Kunstgriffe auf dem Bildschirm zu überwachen.

Für den Patienten ist die sanfte Technik von doppeltem Nutzen: Er hat weniger Schmerzen und ist schneller wieder auf den Beinen als nach einem großen Eingriff. Die hohen Kosten für das Präparat, das aus Blutkonserven gewonnen wird, dürften durch kürzere Krankenhausaufenthalte und seltenere Komplikationen aufgewogen werden.

Quelle: Symposium Update and Future Trends in Fibrin Sealing in Surgical and Non-surgical Fields, Wien, November 1992. Besucht auf Einladung der Firma Immuno.

(erschienen in „DIE WELT“ am 25. November 1992. Von diesem Symposium sind zwei weitere Berichte erschienen: einer in der Ärzte-Zeitung, und einer in der Pharmazeutischen Zeitung)