Wie von Geisterhand gesteuert, bewegen sich die beiden Zellen aufeinander zu; ein Kampf David gegen Goliath bahnt sich an. Die kleine „Killerzelle“ berührt schließlich die viel größere Tumorzelle und beginnt sofort, den Kontrahenten mit winzigen Giftpfeilen zu beschießen. Diese Giftpfeile – es handelt sich um den Eiweißstoff Perforin – ordnen sich in der Hülle der Tumorzelle zu Kanälen an. Wasser strömt in die Tumorzelle, unter dem Mikroskop schwillt Goliath an und droht zu zerplatzen.

Doch noch ist der Zweikampf nicht beendet; die Tumorzelle wehrt sich und scheint die eingedrungene Flüssigkeit abzupumpen, wie der verminderte Durchmesser erkennen lässt. Minutenlang tobt der Kampf um Leben und Tod, am Ende aber stirbt die Tumorzelle: David bleibt Sieger. Regisseur dieses faszinierenden Schauspiels ist der Diplomchemiker Stefan Seeger am Physikalisch-Chemischen Institut der Universität Heidelberg. Unverzichtbares Hilfsmittel: ein Infrarotlaser, mit dem die Hauptdarsteller nach Belieben über die Bühne geschoben werden können, die in diesem Fall aus einem Objektträger besteht.

Schon länger ist es möglich, Materie mit Laserlicht zu bewegen oder festzuhalten – die Fachleute sprechen vom „Beamen“ und haben bereits bewiesen, dass dieses Thema mehr ist als nur Science-Fiction. Arthur Ashkin, ein Mitarbeiter in den Labors der amerikanischen Telefongesellschaft AT &T, berichtete 1987 als erster von Versuchen, Bakterien und Viren mit gebündeltem Licht einzufangen. Möglich wurde dies durch den Einsatz neuartiger Geräte, sogenannter Nd:YAG·Laser (Neodymium-Yttrium-Aluminium-Granat), die ein Licht relativ schwacher Intensität mit einer Wellenlänge von 1064 Nanometern (milliardstel Meter) aussenden.

Im Gegensatz zu anderen Lasertypen, die als Schneidewerkzeuge oder Bohrer eingesetzt werden, zeigt der Nd:YAG·Laser nur eine schwache Wechselwirkung mit biologischen Materialien. Dennoch lässt sich der Laserstrahl so fokussieren, dass in seinem Brennpunkt Kräfte bis zum 700000fachen der Erdbeschleunigung auftreten. In den Händen des Experten wird der Infrarotlaser zu einer unglaublich feinen und überdies noch sterilen „optischen Pinzette“.

In der Heidelberger Arbeitsgruppe um Privatdozent Dr. Karl-Otto Greulich arbeiten Physiker, Chemiker und Molekularbiologen Hand in Hand. Dabei war der Erfolg dieses LABIO-Programmes (für Laser in der Biologie) keineswegs von Anfang an garantiert. Heute bilden die Heidelberger eine der wenigen Gruppen weltweit, die auf große Erfahrungen bei der Laserchirurgie an einzelnen Zellen verweisen kann.

Die Einsatzmöglichkeiten sind vielfältig und könnten beispielsweise die Immunologie um neue Erkenntnisse bereichern. Mit der optischen Pinzette lassen sich nicht nur einzelne Zellen steuern. Auch die Kräfte, die bei Wechselwirkungen zwischen den verschiedenen Zellen wirken, kann man messen. Beispielsweise ließen sich die Anziehungskräfte zwischen Abwehrzellen und Tumorzellen messen und mit der Anzahl von Rezeptormolekülen auf der Zelloberfläche vergleichen. Die Zahl dieser Ankerplätze schwankt nämlich zwischen einigen hundert und mehreren hunderttausend.

Vielleicht, so argumentieren einige Forscher, werden bestimmte Tumorzellen deswegen vom Abwehrsystem „übersehen“, weil nicht genug Rezeptoren vorhanden sind, um die Zellen der Immunabwehr an sich zu binden – eine Theorie, die sich jetzt überprüfen lässt.

Einer amerikanischen Arbeitsgruppe gelang es kürzlich sogar, die Kraft zu messen, mit der sich eine menschliche Samenzelle fortbewegt. Zeugungsunfähigkeit wird in schätzungsweise einem Prozent der Fälle mit schwächlichen Spermien in Verbindung gebracht, die unfähig sind, die Hülle der weiblichen Eizelle zu durchstoßen. In den Vereinigten Staaten denkt man deshalb schon daran, diesen Samenzellen den Weg „freizuschießen“. Ein gezielter Laserpuls auf die Membran einer Eizelle könnte sie kurzfristig für den Samen durchlässig machen.

Die Heidelberger haben allerdings nicht die Absicht, ihre Laser auf dem Gebiet der künstlichen Befruchtung einzusetzen oder gar menschliches Erbmaterial zu manipulieren. Stattdessen verweist Greulich auf andere Einsatzmöglichkeiten für seine Werkzeuge. Monoklonale Antikörper etwa, jene hochspezifischen Abwehrmoleküle des Immunsystems, müssen derzeit noch mit der unfreiwilligen Hilfe von Mäusen hergestellt werden. Dazu werden kurzlebige, antikörperproduzierende B·Zellen aus der Maus im Reagenzglas „blind“ mit unsterblichen Tumorzellen verschmolzen. In einem aufwendigen Suchverfahren müssen dann jene äußerst seltenen Hybride gefunden werden, die den Anforderungen der Wissenschaftler entsprechen: Unsterblich und somit beliebig vermehrbar sollen sie sein und Antikörper produzieren, die möglichst nur ein Ziel erkennen – in der Praxis sind das häufig die Tumoren menschlicher Krebspatienten.

Mit Hybridzellen menschlichen Ursprungs erhofft man sich eine bessere Erfolgsquote, doch können Patienten – anders als Mäuse – nicht mit Tumorzellen vorgeimpft werden, um die B-Zellen auf ihr Ziel zu programmieren. Darum sind B-Zellen mit der gewünschten Spezifität im menschlichen Blut nur sehr schwer zu finden, Die Lasertechnik bietet jetzt die Möglichkeit, die wenigen aussichtsreichen Kandidaten gezielt mit Tumorzellen zu verschmelzen.

Als „Schweißbrenner“ dient ein Laser, der kurzfristig auf die Stelle gerichtet wird, an der sich die beiden Zelltypen berühren. Die so entstandene Hybridzelle kann unter dem Mikroskop mit der optischen Pinzette herausgegriffen werden, eine zeitraubende Suche ist im Gegensatz zur „blinden“ Fusion nicht mehr nötig. Ein Nadelöhr müssen die Heidelberger Wissenschaftler allerdings noch durchqueren, bevor ihre Methode zur Routinetechnik wird: Die Hybridzellen weigern sich derzeit hartnäckig, die begehrten Antikörper zu produzieren.

(erschienen in der WELT am 11. August 1990. Letzte Aktualisierung am 18. März 2017)

Was ist daraus geworden? Ich erinnere mich noch an ein Seminar, das ich während des Diplomstudiums über das Thema „Laserpinzetten in der Biologie“ gehalten habe. Der Professor hielt diese Versuche für nutzlose Spielereien und meinen Vortrag für ziemlich überflüssig. In der Redaktion wurde es dagegen dankbar angenommen und im Rückblick bin ich stolz, dieses zukunftsträchtige Thema schon früh aufgegriffen zu haben. Über die Lasermanipulation von Zellen und Geweben gibt es inzwischen zahlreiche Lehrbücher, und eine Literatursuche zu „Optical Tweezers“ lieferte mir in der Datenbank PubMed 2750 Einträge.