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Die „Erklärung von Rio“ – Ein Papiertiger?

Präzise formuliert und völkerrechtlich verbindlich sollten die Prinzipien für den Umgang mit der Umwelt in einer „Erdcharta“ festgelegt werden. Die hochfliegenden Erwartungen an den Gipfel von Rio, die noch vor kurzem zu hören waren, haben sich mittlerweile verflüchtigt. Nach monatelangem zähen Ringen zwischen Nord und Süd wurde aus der Charta eine ebenso vage wie unverbindliche „Erklärung von Rio“.

Die Hoffnungen auf ein visionäres Dokument, das ähnliches Gewicht haben könnte wie die Allgemeine Erklärung der Menschenrechte, sind damit zerschlagen. Über die Frage, ob die größte Konferenz aller Zeiten damit schon vor ihrem eigentlichen Beginn am 3. Juni zum „Ökoflop“ wird, scheiden sich indes die Geister.

UNCED-Generalsekretär Maurice Strong, auf dessen Schultern die Vorbereitung und Organisation des Rio-Gipfels lastet, faßte seine Erwartungen folgendermaßen zusammen: „Die Konferenz muß das Verhältnis zwischen Arm und Reich, zwischen Nord und Süd, auf eine völlig neue Grundlage stellen. Dazu gehört auch ein gemeinschaftlicher Angriff gegen die Armut als oberste Priorität für das 21. Jahrhundert. Das ist das mindeste, was wir den kommenden Generationen schulden, von denen wir einen empfindlichen Planeten namens Erde geborgt haben.“

Auf kurzfristige Lösungen baut also selbst Strong nicht, der von Berufs wegen zum Optimismus verurteilt ist. Wozu dann diese Konferenz, für die das UNCED-Sekretariat 50 Millionen Mark, die brasilianische Regierung weitere 150 Millionen investiert; wozu dann eine Konferenz, deren Gesamtkosten aller Voraussicht nach die Milliardengrenze überschreiten werden?

Genau 20 Jahre nach der ersten UN-Konferenz über die menschliche Umwelt in Stockholm ist der Rio-Gipfel die erste globale Versammlung von Staatsoberhäuptern zum Thema Umwelt und Entwicklung. Neben den Regierungschefs fast aller 166 UN-Mitgliedstaaten werden etliche 1000 Vertreter regierungsunabhängiger Organisationen (NGOs) erwartet. Vorwiegend handelt es sich dabei um Umweltschutzverbände. Das Spektrum reicht jedoch von Frauenbewegungen bis zu den Indianern des tropischen Regenwaldes. Auch hochkarätige Industrielle, Banker und Manager haben ihre Teilnahme zugesagt.

Begleitet werden die rund 30.000 Teilnehmer von 5000 Medienvertretern. Während der zwölftägigen Konferenz kann also mit einer Nachrichtenflut gerechnet werden, wie sie die Welt zum Thema Umwelt und Entwicklung noch nicht erlebt hat. Alleine die ARD wird den Gipfel am Zuckerhut mit 40 Fernsehsendungen dokumentieren.

Am 15. Juni werden die Probleme des Planeten nicht gelöst sein; so viel steht jetzt schon fest. Fest steht aber auch, daß nach dem Umweltgipfel niemand mehr wird behaupten können, er habe vom Ausmaß der Bedrohung nichts gewußt.

(erschienen in „DIE WELT“ am 25. Mai 1992)

Umweltgipfel: Was die Experten empfehlen

Einen ,,Aktionsplan für die neunziger Jahre“ und darüber hinaus soll die Agenda 21 darstellen. Dieses Dokument wird zwar rechtlich unverbindlich bleiben, dafür aber auf rund 800 Seiten konkrete Vorschläge unterbreiten. Regierungen und Behörden, Industrie, Banken und Umweltschützer – jeder kann hier die gebündelte Weisheit der Experten zum Thema „Umwelt und Entwicklung“ nachlesen. Auf der letzten von vier Vorbereitungssitzungen zur UNCED-Konferenz konnten sich Anfang April in New York die Delegierten aus 160 Ländern allerdings noch nicht auf alle Programmpunkte einigen. Das Kapitel ,,Rettung der Wälder“ etwa ist noch offen, auch deshalb, weil eine für alle akzeptable Definition des Begriffes „Wald“ nicht zu finden war.

Die Sprachschwierigkeiten der Gesandten verblassen allerdings gegenüber dem Hauptproblem der Agenda 21: Die Finanzierung des Maßnahmenpakets hängt derzeit noch völlig in der Luft. Addiert man die geschätzten Kosten für alle Programmbereiche – auch diese Zahlen sind in dem Dokument enthalten -, kommt man auf die stolze Summe von jährlich 200 Milliarden Mark.

Dieser Betrag, so UNCED-Generalsekretär Maurice Strong, würde benötigt, um alle empfohlenen Aktivitäten sofort zu beginnen und bis zur Jahrtausendwende zum Abschluß zu bringen. Zwar rechnen auch die größten Optimisten nicht damit, daß die reichen Industrieländer sich zu Zahlungen in dieser Größenordnung verpflichten könnten, die Chancen für eine „Initialzündung“ stehen aber nicht schlecht.

Inzwischen mehren sich nämlich die Zeichen, daß Japan auf dem Umweltgipfel eine Führungsrolle übernehmen und jährlich mindestens fünf Milliarden Dollar bereitstellen könnte. Damit würde es immerhin die Hälfte jener zehn Milliarden bezahlen, welche die UN-Kommission für Umwelt und Entwicklung anvisiert, um ein völliges Scheitern der Konferenz zu verhindern.

Sollte die Finanzierung der Agenda 21 trotzdem scheitern, wäre dies keine Entschuldigung für die Industrienationen, die Empfehlungen der Experten zu ignorieren. Die USA, die EG und Japan könnten vieles bewegen, wenn sie nur – wie gefordert – Handelsbarrieren und Subventionen abbauten und damit den Entwicklungsländern neue Einnahmequellen erschlössen.

Bei der wirtschaftlichen Entwicklung wurden ökologische Gesichtspunkte weitgehend ignoriert, konstatiert das Dokument. Die Lösung: „Die Annahme, daß die Umwelt ein frei verfügbares Gut sei“ müsse korrigiert werden. Im Klartext: Die Umweltsünder sollen zur Kasse gebeten werden, bisher frei verfügbare Ressourcen wie Luft und Wasser müßten künftig bezahlt werden.

Quelle:

Agenda 21. Aktionsprogramm der Konferenz für Umwelt und Entwicklung der Vereinten Nationen (UNCED) in Rio de Janeiro 1992 (deutsche Übersetzung).

(erschienen in „DIE WELT“, 25. Mai 1992)

WHO: Alarm vor dem Umweltgipfel

„Bewahrung und Verbesserung der Gesundheit aller Menschen sollten im Zentrum der Diskussion um Umwelt und Entwicklung stehen.“ Der Appell der Weltgesundheitsorganisation (WHO) verhallte fast ungehört. Die Diskussion um den Umweltgipfel wird bestimmt von der Sorge um Ozonloch und Tropenwald, von Schlagworten wie „Öko-Kolonialismus“ und „CO2-Steuer“.

Vielleicht hätte die Schlagzeile „Jährlich 40 Millionen Tote …“ es vermocht, wahltaktische Überlegungen und lautstarke Geldforderungen zu übertönen. Jährlich fast 40 Millionen Tote, so ist es im Bericht „Our Planet, our Health“ der WHO-Kommission Gesundheit und Umwelt nachzulesen, gehen auf das Konto von Umwelteinflüssen und ungesunder Lebensweise, das sind 75 Prozent aller Sterbefälle.

„Das dringendste Problem, dem die Welt gegenübersteht, ist die Verschlechterung der Umwelt und der dadurch verursachte Tod von Millionen“, faßt WHO-Generaldirektor Hiroshi Nakajima die Studie zusammen, die von 22 unabhängigen Experten unter Leitung der ehemaligen Präsidentin des Europaparlaments, Simone Veil, erstellt wurde. „Erstmals“, so Nakajima, „stellt eine umfassende Analyse über Gesundheit, Umwelt und Entwicklung die Gesundheit der Menschen an die erste Stelle.“

Der Studie zufolge sind die Leidtragenden meist Neugeborene und Kinder, vorwiegend in Entwicklungsländern. Dort sterben jährlich vier Millionen an Durchfallkrankheiten, verursacht durch verseuchtes Essen und Wasser. Zwei Millionen Tote gehen auf das Konto der Malaria. Mehrere 100 Millionen Menschen werden von Parasiten befallen. Eine geschädigte Umwelt begünstigt die Übertragung gefährlicher Erreger.

Der Report soll aber auch auf Gesundheitsgefahren aufmerksam machen, die bisher ignoriert wurden. Offene Feuer etwa decken den Energiebedarf von 2,5 Milliarden Erdbewohnern. In den meist ungelüfteten Räumen sammeln sich Rauch und Chemikalien und erhöhen das Risiko für Herz-und Kreislaufkrankheiten sowie Krebs. 700 Millionen Frauen und ihre Kinder verbringen den größten Teil ihrer Zeit in dieser Umgebung.

Immer dringlicher wird das Problem der Verstädterung. Sie führt dazu, daß 1000 Millionen Menschen starker Luftverschmutzung ausgesetzt sind – Atemwegserkrankungen und hohe Bleiwerte im Blut von Kindern stehen nachweislich mit dieser Entwicklung in Zusammenhang. Die Ballungszentren der Dritten Welt haben mittlerweile mehr Einwohner als Europa, Japan und Nordamerika zusammen. Eine Milliarde Menschen leben in den Elendsvierteln der Großstädte. In Kalkutta und Colombo ist jeder zweite betroffen, in Bogota und El Salvador sind es zwei von dreien, und in Lima und der größten Stadt der Welt, Mexiko City, liegt ihr Anteil sogar noch höher. Selbst in den Vereinigten Staaten leben zwei Millionen Menschen auf der Straße.

Der Report beschränkt sich indes nicht auf die Schadenserhebung, sondern gibt Empfehlungen. An oberster Stelle steht die Ermahnung an Regierungen und internationale Organisationen, das Bevölkerungswachstum zu bremsen sowie Überkonsum und Abfallerzeugung zu reduzieren.

Damit kritisiert die WHO den Umgang der Industrieländer mit den begrenzten Ressourcen des Planeten. In Vorverhandlungen für den Umweltgipfel hatten Schwellen- und Entwicklungsländer unter Führung von Malaysia und Indien wiederholt, aber erfolglos die Aufnahme einer entsprechenden Passage in die erwartete ,,Erklärung von Rio“ gefordert.

Auf der Suche nach den Ursachen für die mangelhafte medizinische Versorgung weiter Teile der Erdbevölkerung enthüllte die Kommission aber auch Fehlleistungen der Vereinten Nationen, ja der WHO selbst. Selbstkritisch heißt es: „Gesundheit hängt ab von unserer Fähigkeit, Wechselwirkungen zwischen menschlichen Aktivitäten und der Umwelt zu verstehen und zu gestalten. Wir haben dieses Wissen, aber haben nicht danach gehandelt, obwohl wir über die Mittel verfügen, um gegenwärtige und zukünftige Bedürfnisse dauerhaft abzusichern.“

Bemängelt wird eine ungenügende Beteiligung der Hauptbetroffenen: „Menschen, die von natürlichen Ressourcen abhängig sind, sollten an Entscheidungen über deren Gebrauch und Schutz in vollem Umfang beteiligt sein.“ Und weiter: „Wir brauchen Menschen, deren Sorge über die Qualität ihrer nächsten Umgebung hinausgeht. Nur sie können ihre Regierungen bewegen, den internationalen Konsens zu erreichen, der für einen gesunden Planeten unerläßlich ist.“

Quelle:

WHO Commission on Health and Environment & World Health Organization. (‎1992)‎. Our planet, our health : report of the WHO Commission on Health and Environment. World Health Organization.

(erschienen in „DIE WELT“, 25. Mai 1992)