Zum Hauptinhalt springen

Schon zehn Kilo Uran reichen aus

Trotz gewaltiger Anstrengungen scheint Saddam Hussein nicht in der Lage zu sein, eigene Kernwaffen herzustellen. Nicht nur die Kontrollen der Internationalen Atomenergie-Organisation und die Aktivitäten des UN-Sicherheitsrates versperren dem Diktator den Weg zur Bombe; auch die technischen Schwierigkeiten sind nicht zu unterschätzen.

Zu diesem Urteil kommt Joachim Fechner, der im Bundesministerium für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit zuständig ist für die Sicherung kerntechnischer Anlagen. Fechner verweist Zeitungsmeldungen, nach denen Studenten aus öffentlich zugänglicher Literatur eine funktionsfähige Atombombe bauen könnten, in das Reich der Fantasie: „Hierbei handelt es sich nicht um eine Atombombe, vielmehr um eine kritische Anordnung spaltfähigen Materials. Damit können Sie keine Kettenreaktion aufrechterhalten, allenfalls Neutronenstrahlung erzeugen, die im Umkreis von bis zu 100 Metern tödlich wirkt.“

Für den Bau einer Atombombe werden theoretisch „nur“ zehn Kilogramm Plutonium oder angereichertes Uran benötigt. Dank eines geheimgehaltenen „Forschungsreaktors“ besitzt der Irak vermutlich jetzt schon 25 bis 40 Kilogramm. Die Anreicherung des Urans könnte mit Tausenden simpler Gaszentrifugen erfolgt sein und eine Reinheit von bis zu 90 Prozent erbracht haben – nicht „ideal“, aber ausreichend für den Bau einer Atombombe.

Allerdings bezweifelt der Sicherheitsexperte, daß im Irak genug „hochkarätiger Sachverstand“ vorhanden ist, um eine Bombe zu zünden. Das spaltbare Material muß dazu nämlich innerhalb von millionstel Sekunden gleichmäßig verdichtet werden, da sonst die atomare Kettenreaktion wieder abbricht. „Dies ist die eigentliche Schwierigkeit; die dafür nötigen Daten sind auch niemals veröffentlicht worden“, so Fechner.

(erschienen auf Seite 1 in „DIE WELT“ am 17. Juli 1991)

Schlacht kann auf Bildschirm verfolgt werden

Amerikanischen Spionagesatelliten wird in der allseits erwarteten Bodenoffensive der alliierten Streitkräfte im Golfkrieg eine entscheidende Rolle zufallen. Diese Ansicht vertraten mehrere hochkarätige Experten auf der Tagung der Amerikanischen Gesellschaft zur Förderung der Wissenschaft (AAAS) in Washington. Danach steht der irakischen Armee im besetzten Kuwait, die über keinerlei Möglichkeiten der Aufklärung verfügt, die bestinformierte Streitmacht aller Zeiten gegenüber.

Wie William Burrows von der Universität Washington erläuterte, gelang es den Vereinigten Staaten in jüngster Zeit, alle wesentlichen Herausforderungen an die Technik der Spionagesatelliten zu erfüllen. So sind die Satelliten des Typs Keyhole (Schlüsselloch) in der Lage, Bilder zu liefern, die von den Bodentruppen der Alliierten direkt empfangen werden können. Die Amerikaner, welche im Besitz der geeigneten Empfangsgeräte sind, könnten die Schlacht quasi am Bildschirm verfolgen – zumindest so, wie sie sich aus großer Höhe darbietet.

Die kleinsten Details, die so mit Unterstützung von bildverarbeitenden Computern noch ausgemacht werden können, haben eine Größe von etwa zehn Zentimetern. Für radargestützte Satelliten beträgt die Auflösung etwa 30 Zentimeter. Auf die Frage, warum es trotz dieser teuren High-Tech-Geräte nicht gelingt, etwa alle Abschußrampen für die sowjetischen Scud-Raketen zu entdecken oder gar Saddam Hussein selbst rund um die Uhr zu überwachen, bot Burrows eine einleuchtende Erklärung:

Das Nadelöhr ist schon lange nicht mehr die Aufzeichnung der Daten, sondern deren Auswertung. Praktisch alle Angehörigen der Nationalen Sicherheitsbehörde NSA, die des Arabischen mächtig sind, befinden sich derzeit am Persischen Golf. Dennoch können bei weitem nicht alle abgehörten Gespräche ausgewertet werden. Bei rund 11.000 Telefongesprächen, die der Satellit Rhyolite schon 1970 synchron aufzeichnen konnte, verwundert das nicht.

(erschienen in „DIE WELT“ am 20. Februar 1991)

Die größte Ölpest aller Zeiten

Einen traurigen Rekord mußten Umweltschützer in dieser Woche aus der Kriegsregion am Persischen Golf vermelden: Noch nie wurde so viel Rohöl in die Natur entlassen wie in den vergangenen Tagen. Die Rede ist von etwa zwei Milliarden Litern, das entspricht dem Fassungsvermögen von sieben Supertankern oder der fast unvorstellbaren Anzahl von 100000 Tanklastzügen

Mittlerweile haben die Ölteppiche Ausmaße von mehreren tausend Quadratkilometern erreicht, und noch immer konnte der Zufluß nicht vollständig gestoppt werden. Zum Vergleich: Als die 300 Meter lange Exxon Valdez am 24. März 1989 vor Alaska auf ein Riff auflief, ergossen sich im Verlaufe weniger Tage mehr als 40 Millionen Liter Öl in den Prinz-William-Sund und verursachten die letzte große Ölpest. 36000 Vögel, darunter 150 Weißkopf-Seeadler, sowie 1000 Otter, über 30 Robben, fast 20 Grauwale und 5 Seelöwen waren in den Monaten nach der Katastrophe tot aufgefunden worden.

Die Zahl der Tiere, welche qualvoll verendeten, liegt aber wahrscheinlich noch viel höher, da viele Kadaver im Meer versanken. Noch heute finden sich Spuren der Katastrophe an Hunderten von Kilometern der ehemals unberührten Küste. Dies, obwohl die geologischen Verhältnisse das Abwaschen der Felsen eher begünstigen.

Die Materialkosten und die Löhne für die 11000 Arbeiter, die zeitweise eingesetzt wurden, beliefen sich für den Erdölkonzern Exxon bisher auf fast 2 Milliarden Dollar, wobei noch anstehende Schadensersatzforderungen diese Summe nochmals weiter erhöhen könnten. Sechs Monate hatten die Aufräumarbeiten gedauert, doch konnte in diesem Zeitraum kaum ein Zehntel des ausgelaufenen Öls beseitigt werden.

Allerdings bedeutet das nicht, daß die restlichen 90 Prozent noch immer in den Tiefen der arktischen Gewässer liegen müssen. Rohöl besteht aus einem Gemisch von über 500 verschiedenen Substanzen; in Raffinerien läßt sich das zähflüssige Ausgangsmaterial zu so verschiedenen Substanzen wie Teer oder Waschbenzin verarbeiten. Im Persischen Golf verflüchtigten sich manche Bestandeile wie etwa kurzkettige Alkane schon innerhalb der ersten Tage.

Was übrig bleibt, sind vorwiegend langkettige Moleküle, die im Prinzip biologisch abbaubar sind. Allerdings wird die Arbeit für die überall natürlich vorkommenden Mikroorganismen umso größer, je mehr Verzweigungen sich in den Ketten der Kohlenwasserstoffmoleküle finden. Ringförmige Moleküle gar, die sogenannten Zykloalkane, sind auch für die Vielfalt der natürlich vorkommenden Bakterienarten nur schwer abbaubar. Die verbleibenden Erdölreste verhalten sich unterschiedlich, je nachdem, wie stark sie in Wasser löslich sind. Die schlechtlöslichen (hydrophoben) Anteile, die etwa 15 Prozent ausmachen, bilden Klumpen, während der überwiegende Rest mit Wasser jenen wenig stabilen Ölschlamm ergibt, der aufgrund seiner Konsistenz als „Mousse“ bezeichnet wird.

Früher oder später gelangt ein Teil des Öls an der Küste; dann hängt die Verweilzeit stark vom Wellenschlag ab. Da der Persische Golf als Randmeer kaum Wellengang zeigt, muß man mit Jahren statt mit Monaten rechnen: andererseits wird der Abbau der Ölreste durch Mikroben bei den extrem hohen Temperaturen schneller vor sich gehen als in Alaska. Teilweise erreicht das Wasser im Golf über dreißig Grad.

Die größte Ölpest aller Zeiten – bis zu Saddam Husseins Wahnsinnstat – wurde am 16. März 1978 ausgelöst, als der steuerlose Supertanker „Amoco Cadiz“ in stürmischem Wetter vor der bretonischen Küste auf Grund lief. Die gesamte Ladung von 220 Millionen Litern hatte sich damals ins Meer ergossen.

Insgesamt wurde die Ölfirma Amoco zu Schadensersatzleistungen von fast 130 Millionen Dollar an 90 Kommunen und Interessenverbände verurteilt. Heute – nach dreizehn Jahren – sind die Spuren der Katastrophe fast völlig verschwunden. Zwar sind die bretonischen Austernfischer mit ihren Äußerungen sehr zurückhaltend, doch weiß man, daß jede diesbezügliche Aussage von der Firma Amoco als gefundenes Fressen für das laufende Berufungsverfahren angesehen würde. Auch wenn die Fischer bereits wenige Monate nach der Katastrophe ihre Arbeit wiederaufnehmen konnten, will niemand einen Persilschein ausstellen.

Wie bei jeder Ölkatastrophe ist es äußerst schwierig, zuverlässige Angaben über die langfristigen Auswirkungen auf Tier- und Pflanzenwelt zu erhalten. Bisher liegen nur sehr wenige Untersuchungen zu diesem Thema vor. Eine Ausnahme bildet eine Ölpest, die 1986 an der Karibikküste des Panamakanals entstand und deren Folgen von Wissenschaftlern über mehrere Jahre hinweg verfolgt wurden. Wie die Forscher in der Zeitschrift „Science“ beschrieben, starben alle Bodenbewohner wie Seegras, Algen und Schwämme innerhalb kurzer Zeit ab. Fische konnten sich größtenteils der Katastrophe entziehen und in saubere Meeresregionen abwandern. Doch auch bei diesen Tieren war die Fortpflanzungsrate stark erniedrigt. Die Wiederbesiedlung mit Muscheln und Krebsen dauerte Jahre, wohingegen sich Schnecken mit ihren verschließbaren Gehäusen vor einer Ölpest besser zu schützen vermochten.

Besonders empfindlich auf eine Wasserverschmutzung reagieren Korallen, die an einen festen Standort gebunden sind. Bei der erwähnten Ölpest starben bis in eine Wassertiefe von drei Metern 75 Prozent aller Steinkorallen ab. Am Persischen Golf brachte der saudische Minister für Land- und Wasserwirtschaft, Abderrahman Ibn Abdelasis, den Plan vor, noch lebende Korallenbänke mit Hilfe besonderer Techniken ins Rote Meer zu transportieren, wo ähnliche Lebensbedingungen wie im Persischen Golf herrschten.

Ob dieser Plan sich in die Tat umsetzen läßt, muß jedoch angesichts der kriegerischen Auseinandersetzungen stark bezweifelt werden. Verschiedene Inseln mit besonders schützenswerter Fauna wie Dschana, Kurain und Safanyeh sollen durch Barrieren vor dem Öl geschützt werden, doch wird die Priorität sicherlich dem Schutz der Trinkwasserversorgung gelten.

Professor Wilfried Gunkel von der biologischen Bundesanstalt Helgoland gibt sich angesichts der Dimensionen von Saddams Ölteppich eher pessimistisch, was die Möglichkeiten technischer Eingriffe angeht. Letztendlich wird man die Arbeit der Natur überlassen müssen. Dennoch sieht Gunkel einen Silberstreif am Horizont. „Ich glaube, daß unter den gegebenen Umständen 80 bis 95 Prozent des ausgeflossenen Öls innerhalb von ein bis zwei Jahren verschwinden werden. Bei allen bisherigen Ölkatastrophen waren die Folgen nicht so dramatisch, wie sie ursprünglich geschildert wurden. Öl ist eine natürliche Substanz und daher prinzipiell abbaubar.“

Ob dies für die Muschelbänke und Korallenriffe, für Krabben und Seekühe, für Schildkröten und Wasserschlangen oder für die Vielzahl der einheimischen und durchziehenden Vögel am Persischen Golf noch rechtzeitig geschieht, bleibt allerdings dahingestellt. Schon vor Ausbruch der Kämpfe galt die Region als einer der meistverschmutzten Seefahrtswege der Welt. Nicht nur die langjährigen Kämpfe zwischen Iran und dem Irak waren dafür verantwortlich. Während sich beispielsweise 1983 nach irakischen Bombenangriffen auf das Nowruz-Ölfeld eine Flut von 175 Millionen Litern in den Golf ergoß, nutzten viele Tankerkapitäne die Situation aus: Sie vergrößerten den Schaden für die Umwelt noch zusätzlich, indem sie durch die illegale-Reinigung der Öltanks weitere Millionen von Litern zu der „schwarzen Pest“ hinzuaddierten.

(erschienen in „Die WELT“ am 2. Februar 1991 unter meinem Pseudonym Claudia Sahler)

Was wurde daraus? Auf Wikipedia findet sich eine lange Liste von Tankerunfällen und anderen Verursachern einer Ölpest. Die Schätzung zum Golfkrieg lautet 800.000 bis 1,7 Millionen Tonnen. Das ist deutlich weniger, als die 2 Milliarden Liter in meinem Artikel, aber immer noch mehr als bei jedem anderen Ereignis freigesetzt wurden.