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Neue Hinweise auf Alzheimer-Gene entdeckt

Die Pressestelle der Universität Bonn vermeldet, wozu mir die Zeit fehlt. Weil die Alzheimer´sche Krankheit einer meiner Schwerpunkte ist, und die Pressemitteilung leicht verständlich,  finden Sie hier den Bericht:

Ein internationales Forscherteam unter Federführung der Universität Cardiff hat zwei neue Gene entdeckt, die das Alzheimer-Risiko deutlich erhöhen. An der Studie waren auch Wissenschaftler der Universität Bonn beteiligt. Die Forscher hoffen nun besser verstehen zu können, welche Mechanismen zur Entstehung einer Alzheimer-Demenz beitragen.

80 Prozent des Risikos für eine Alzheimer-Erkrankung wird genetischen Einflussfaktoren zugeschrieben. Bisher kennt man allerdings nur eine einzige Erbanlage, die dabei mit Sicherheit eine wichtige Rolle spielt: das vor zwanzig Jahren entdeckte Gen für Apolipoprotein E, dessen Variante ApoE 4 die Erkrankungswahrscheinlichkeit um das zwei- bis vierfache erhöht. Das Gen für ApoE erklärt aber nur einen kleinen Teil der gesamten genetischen Risikos. Es muss also noch mehrere weitere Krankheitsgene geben. Weltweit suchen Forscher daher fieberhaft nach weiteren Erbanlagen – bislang ohne Erfolg: „Zwar gab es viele hoffnungsvolle Kandidaten“, sagt Professor Dr. Markus Nöthen, Direktor des Instituts für Humangenetik der Universität Bonn. „Bei keinem von ihnen konnte man den Zusammenhang zur Alzheimer-Demenz aber eindeutig nachweisen.“

Jetzt könnten zwei große internationale Forscherteams unabhängig voneinander einen Treffer gelandet haben: Demnach beeinflussen zwei neue Genorte mit sehr hoher Wahrscheinlichkeit das Risiko für die spät beginnende Alzheimer-Erkrankung. Das berichten die Wissenschaftler in getrennten Publikationen in „Nature Genetics“. Die Gene für Clustrin („Clu“, auch Apolipoprotein J genannt) und für das so genannte CR 1 spielen eine wichtige Rolle im Abtransport von Amyloid-beta. Dieser toxische Eiweißstoff ist der wichtigste Bestandteil jener Ablagerungen, die das Gehirn von Patienten mit der Alzheimer Erkrankung zerstören. Clustrin ist zudem auch selbst Bestandteil dieser Plaques.

An beiden Studien nahmen jeweils mehr als 10000 Personen teil – sowohl Erkrankte als auch Gesunde. „Das sind die größten bisher analysierten Stichproben“, erklärt Nöthens Kollege Professor Dr. Wolfgang Maier. „Derartige Großstudien sind nur in internationalen Konsortien von Klinikern, Humangenetikern und Biometrikern machbar.“ In beiden Studien erfolgte die Suche im gesamten menschlichen Genom. Dass die Untersuchungen völlig unabhängig voneinander durchgeführt wurden, verleiht den Resultaten zusätzliches Gewicht.

An einer der Untersuchungen unter Federführung der Universität Cardiff, England, waren auch deutsche Arbeitsgruppen beteiligt: das vom Bundesforschungsministerium geförderte Kompetenznetz Demenzen (mit den Standorten in Bonn, Erlangen, Essen, Freiburg, Hamburg, Mannheim, München), die Heinz-Nixdorf-Kohorte in Essen sowie die psychiatrische Uniklinik Bonn mit klinischen Patientenstichproben.

Die spät beginnende Alzheimer-Krankheit betrifft heute allein in Deutschland etwa eine Million Menschen. Die Demenzerkrankung führt zur fortschreitenden Pflegebedürftigkeit. Die Anzahl Betroffener wird mit steigender Lebenserwartung in naher Zukunft stark zunehmen. Eine wirkliche Therapie der Alzheimer-Krankheit gibt es bisher nicht, da man die Ursachen nicht genau kennt. Die aktuellen Behandlungsstrategien können den Krankheitsverlauf lediglich verzögern. „Aus den jetzt publizierten Ergebnissen ergeben sich neue potenzielle Anhaltspunkte für kausale Therapien“, betont Professor Maier. „Angesichts der enormen Bedeutung dieser Erkrankung sind derartige Fortschritte extrem wichtig.“

Quellen:

Anmerkung: Die Formulierung, man kenne bisher nur eine einzige Erbanlage, die bei der Alzheimer´schen Erkrankung eine wichtige Rolle spielt, mag angesichts zahlreicher Artikel über den Fund von „Alzheimer-Genen“ verwirren. Der Schlüssel sind hier die Worte „wichtige Rolle“ und man hätte vielleicht noch hinzu fügen sollen „für die gesamte Bevölkerung“. Zwar gibt es Erbanlagen, deren Beschädigung mit hoher Wahrscheinlichkeit zu einer frühen Erkrankung führt, doch sind davon nur verhältnismäßig wenige Familien betroffen. Bei der überwiegenden Zahl aller Fälle handelt es sich jedoch nicht um solche „vererbte“, sondern um „spontane“ Erkrankungen, die erst im hohen Alter auftreten. Alleine in den letzten zehn Jahren gab es hunderte von Berichten über mögliche Alzheimer-Gene und monatlich kommen etwa zehn weitere hinzu. Den wohl besten Überblick liefert die (englisch-sprachige) Datenbank AlzGene.

Ein Partner schützt vor Alzheimer

Menschen, die im mittleren Lebensalter alleine leben müssen, erkranken deutlich häufiger an Alzheimer und anderen Gedächtnisstörungen des Alters (Demenzen), berichtet die Fachzeitschrift British Medical Journal. Die Erkenntnisse der Wissenschaftler um den Psychologen Dr. Krister Hakannson von der schwedischen Växjö Universität wurden zwar bereits vor elf Monaten auf einer Fachkonferenz in Chicago vorgetragen, mit der Veröffentlichung in dem Fachjournal aber sind sie quasi amtlich.

Für ihre Studie hatten die Wissenschaftler Daten aus der Befragung von 2000 zufällig ausgewählten, etwa 50 Jahre alten Bewohnern der finnischen Regionen Kuopio und Joensuu ausgewertet, die in den Jahren 1972, 1977, 1982, oder 1987 erhoben worden waren. Durchschnittlich 21 Jahre später waren diese Menschen dann erneut befragt und medizinisch untersucht worden, um heraus zu finden, wer von ihnen an Alzheimer oder an einer möglichen Vorstufe – der leichten kognitiven Störung (MCI) – erkrankt war.

Der Vergleich der beiden Datensätze ergab, dass Menschen, die bereits im mittleren Alter alleine gelebt hatten, ein doppelt so hohes Demenz-Risiko hatten, wie diejenigen mit einem Partner. Für Witwen und Witwer, die nicht wieder geheiratet hatten, war das Risiko gegenüber den verheirateten oder zusammen lebenden Paaren sogar dreifach erhöht. Das bei weitem größte Risiko, an Alzheimer zu erkranken hatten schließlich jene Menschen, die nicht nur ihren Partner verloren hatten, sondern die auch noch den als „Risikogen“ bekannten Erbfaktor ApoE4 in sich trugen.

„Mit einem Partner zu leben könnte eine geistige und soziale Herausforderung sein, die im Alter vor Gedächtnisstörungen schützt“, deuten die Wissenschaftler ihre Ergebnisse. Dieser Zusammenhang müsse allerdings noch in weiteren Untersuchungen bestätigt werden.

Quelle: Hakkanson K. et al. Association between mid-life marital status and cognitive function in later life: population based cohort study. BMJ 2009;339:b2462

Schizophrenie: Tausende von „Risikogenen“

In drei Studien mit zusammen mehr als 27000 Teilnehmern haben Wissenschafter etwa 30000 Erbgutvarianten gefunden, die bei Menschen mit Schizophrenie häufiger vorkommen als bei Gesunden. Ein ähnliches Gen-Muster fanden die Forscher bei manisch-depressiven Menschen. Experten wie Thomas Insel vom US-Nationalen Institut für Geistige Gesundheit deuten die in der Fachzeitschrift Nature veröffentlichten Entdeckungen auch als Hinweis darauf, dass beiden Erkrankungen möglicherweise ähnliche Störungen bei der Entwicklung des Gehirns voran gehen.

Von der Schizophrenie sind weltweit bis zu einem Prozent aller Erwachsenen betroffen; die Krankheit bricht meist im späten Jugendalter aus, wenn sich Symptome wie Wahnvorstellungen, Angstzustände und Depressionen bemerkbar machen. Die genauen Ursachen sind noch unklar. Allerdings weiß man, dass bis zu 90 Prozent aller Erkrankungen erblicher Natur sind. Die Suche nach „Risikogenen“ für die Schizophrenie wurde deshalb mit großem Aufwand betrieben, sie war aber bisher nur wenig erfolgreich. So fand man zwar im vorigen Jahr mehrere Erbgutvarianten, die bei Betroffenen häufiger vorkamen, als bei Gesunden. Allerdings waren diese Genvarianten längst nicht bei allen Schizophrenen zu finden, sie konnten demnach nur einen kleinen Teil aller Erkrankungen erklären.

Die Vielzahl der in den neuen Studien entdeckten Genvarianten dagegen soll „ein Drittel oder möglicherweise sehr viel mehr“ des Krankheitsrisikos erklären, meint einer der Arbeitsgruppenleiter, Shaun Purcell von der Universität Harvard. Übereinstimmend haben alle drei Forscherteams Hinweise darauf gefunden, dass eine besonders wichtige Gruppe von Genen auf dem Chromosom Nr. 6 zu finden ist, und zwar in der Nähe des sogenannten Haupthistokompatibilitäskomplex  (kurz MHC nach dem englishen Major Histocomptatibility Complex). Diese Gengruppe spielt eine wichtige Rolle bei der Erkennung und Abwehr körperfremder Substanzen und sie beeinflußt wie ein Hauptschalter zahlreiche weitere Erbfaktoren. Für eine Beteiligung des MHC am Schizophrenierisiko spricht auch die Beobachtung, dass Kinder häufiger erkranken, wenn die Mutter während der Schwangerschaft eine Infektion mit Grippeviren erleidet.  Weitere Erbfaktoren, die bei der Entstehung der Schizophrenie eine Rolle spielen könnten, sind der Untersuchung zufolge das Gen für Neurogranin auf Chromosom 11 und der Transkriptionsfaktor TCF4 auf Chromosom 18. Beide Gene sind in Stoffwechselwege eingebunden, die eine Rolle bei der Gehirnentwicklung, dem Gedächtnis und der Denkleistung spielen. Auch dies passt ins Bild, denn Störungen des Gedächtnisses und der Kognition sind, neben Wahn und Halluzination, die wesentlichen Krankheitszeichen der Schizophrenie.

An einer der drei Studien waren auch drei deutsche Arbeitsgruppen beteiligt, die sich bereits im Nationalen Genomforschungsnetz zusammengeschlossen hatten, um die genetischen Grundlagen der Schizophrenie aufzuklären: Arbeitsgruppen am Institut für Humangenetik der Universität Bonn (Arbeitsgruppenleitung: Professor Markus Nöthen und Privat-Dozent Sven Cichon), an der Psychiatrischen Universitätsklinik der LMU München (Arbeitsgruppenleitung: Professor Dan Rujescu) sowie am Zentralinstitut für Seelische Gesundheit, Mannheim (Abteilungsleitung: Professor Marcella Rietschel). Diese drei Zentren waren schon im vorigen Jahr an der Entdeckung neuer, seltener genetischer Variationen, die zur Schizophrenie beitragen maßgeblich beteiligt und – wie Rujescu sagt „ist es uns wiederum gelungen, weitere neue, häufig vorkommende genetische Risikofaktoren zu finden“.

„Endlich kommen wir dem Ziel näher, bestehende Hypothesen zur Schizophrenie mit molekulargenetischen Methoden wissenschaftlich belegen zu können“, beschreibt Nöthen das Besondere dieser weltweiten genetischen Studie. Unmittelbare Auswirkungen auf die Behandlung und Diagnose der Schizophrenie werden die neuen Erkenntnisse wohl nicht haben. Auf dem Weg zu einem besseren Verständnis dieser komplexen Krankheit bedeuten die drei neuen Studien indes einen bemerkenswerten Fortschritt.

Quellen (mit Entschuldigung an die Experten für fehlende Links, da noch nicht in Pubmed gelistet)

  • Jianxin S, et al. Common variants on chromosome 6p22.1 are associated with schizophrenia. July 1, 2009, Nature
  • Stefansson H, et al. Common variants conferring risk of schizophrenia. July 1, 2009, Nature
  • Purcell SM, et al. Common polygenic variation contributes to risk of schizophrenia and bipolar disorder. July 1, 2009, Nature
  • Pressemitteilung des Zentralinstituts für Seelische Gesundheit via idw

Tipp:

Schizophrenie: Tausende von "Risikogenen"

In drei Studien mit zusammen mehr als 27000 Teilnehmern haben Wissenschafter etwa 30000 Erbgutvarianten gefunden, die bei Menschen mit Schizophrenie häufiger vorkommen als bei Gesunden. Ein ähnliches Gen-Muster fanden die Forscher bei manisch-depressiven Menschen. Experten wie Thomas Insel vom US-Nationalen Institut für Geistige Gesundheit deuten die in der Fachzeitschrift Nature veröffentlichten Entdeckungen auch als Hinweis darauf, dass beiden Erkrankungen möglicherweise ähnliche Störungen bei der Entwicklung des Gehirns voran gehen.

Von der Schizophrenie sind weltweit bis zu einem Prozent aller Erwachsenen betroffen; die Krankheit bricht meist im späten Jugendalter aus, wenn sich Symptome wie Wahnvorstellungen, Angstzustände und Depressionen bemerkbar machen. Die genauen Ursachen sind noch unklar. Allerdings weiß man, dass bis zu 90 Prozent aller Erkrankungen erblicher Natur sind. Die Suche nach „Risikogenen“ für die Schizophrenie wurde deshalb mit großem Aufwand betrieben, sie war aber bisher nur wenig erfolgreich. So fand man zwar im vorigen Jahr mehrere Erbgutvarianten, die bei Betroffenen häufiger vorkamen, als bei Gesunden. Allerdings waren diese Genvarianten längst nicht bei allen Schizophrenen zu finden, sie konnten demnach nur einen kleinen Teil aller Erkrankungen erklären.

Die Vielzahl der in den neuen Studien entdeckten Genvarianten dagegen soll „ein Drittel oder möglicherweise sehr viel mehr“ des Krankheitsrisikos erklären, meint einer der Arbeitsgruppenleiter, Shaun Purcell von der Universität Harvard. Übereinstimmend haben alle drei Forscherteams Hinweise darauf gefunden, dass eine besonders wichtige Gruppe von Genen auf dem Chromosom Nr. 6 zu finden ist, und zwar in der Nähe des sogenannten Haupthistokompatibilitäskomplex  (kurz MHC nach dem englishen Major Histocomptatibility Complex). Diese Gengruppe spielt eine wichtige Rolle bei der Erkennung und Abwehr körperfremder Substanzen und sie beeinflußt wie ein Hauptschalter zahlreiche weitere Erbfaktoren. Für eine Beteiligung des MHC am Schizophrenierisiko spricht auch die Beobachtung, dass Kinder häufiger erkranken, wenn die Mutter während der Schwangerschaft eine Infektion mit Grippeviren erleidet.  Weitere Erbfaktoren, die bei der Entstehung der Schizophrenie eine Rolle spielen könnten, sind der Untersuchung zufolge das Gen für Neurogranin auf Chromosom 11 und der Transkriptionsfaktor TCF4 auf Chromosom 18. Beide Gene sind in Stoffwechselwege eingebunden, die eine Rolle bei der Gehirnentwicklung, dem Gedächtnis und der Denkleistung spielen. Auch dies passt ins Bild, denn Störungen des Gedächtnisses und der Kognition sind, neben Wahn und Halluzination, die wesentlichen Krankheitszeichen der Schizophrenie.

An einer der drei Studien waren auch drei deutsche Arbeitsgruppen beteiligt, die sich bereits im Nationalen Genomforschungsnetz zusammengeschlossen hatten, um die genetischen Grundlagen der Schizophrenie aufzuklären: Arbeitsgruppen am Institut für Humangenetik der Universität Bonn (Arbeitsgruppenleitung: Professor Markus Nöthen und Privat-Dozent Sven Cichon), an der Psychiatrischen Universitätsklinik der LMU München (Arbeitsgruppenleitung: Professor Dan Rujescu) sowie am Zentralinstitut für Seelische Gesundheit, Mannheim (Abteilungsleitung: Professor Marcella Rietschel). Diese drei Zentren waren schon im vorigen Jahr an der Entdeckung neuer, seltener genetischer Variationen, die zur Schizophrenie beitragen maßgeblich beteiligt und – wie Rujescu sagt „ist es uns wiederum gelungen, weitere neue, häufig vorkommende genetische Risikofaktoren zu finden“.

„Endlich kommen wir dem Ziel näher, bestehende Hypothesen zur Schizophrenie mit molekulargenetischen Methoden wissenschaftlich belegen zu können“, beschreibt Nöthen das Besondere dieser weltweiten genetischen Studie. Unmittelbare Auswirkungen auf die Behandlung und Diagnose der Schizophrenie werden die neuen Erkenntnisse wohl nicht haben. Auf dem Weg zu einem besseren Verständnis dieser komplexen Krankheit bedeuten die drei neuen Studien indes einen bemerkenswerten Fortschritt.

Quellen (mit Entschuldigung an die Experten für fehlende Links, da noch nicht in Pubmed gelistet)

  • Jianxin S, et al. Common variants on chromosome 6p22.1 are associated with schizophrenia. July 1, 2009, Nature
  • Stefansson H, et al. Common variants conferring risk of schizophrenia. July 1, 2009, Nature
  • Purcell SM, et al. Common polygenic variation contributes to risk of schizophrenia and bipolar disorder. July 1, 2009, Nature
  • Pressemitteilung des Zentralinstituts für Seelische Gesundheit via idw

Tipp:

Parkinson-Krankheit: Neurologen ziehen Bilanz

Die Kenntnisse über Entstehung und Diagnose der Parkinsonschen Krankheit sind in den letzten Jahren enorm angewachsen, erklärten Experten auf der Jahrestagung der Deutschen Gesellschaft für Neurologie in Aachen. Zwischen 150 000 und 240 000, meist ältere Menschen leiden nach Schätzungen unter der Krankheit, deren wichtigste Merkmale verlangsamte Bewegungen, Zittern und Muskelstarre sind. Gegen diese Beschwerden stehen nicht nur eine Vielzahl von Medikamenten zur Verfügung, sondern neuerdings auch die Methode der Tiefen Hirnstimulation zur Behandlung besonders schwerer Fälle, betonten die in Aachen versammelten Spezialisten.

Ein vom Bundesforschungsministerium mit 17 Millionen Mark gefördertes „Kompetenznetzwerk“ steckt allerdings auch nach zwei Jahren noch in der Startphase. Mehr als die Hälfte der bislang verausgabten Gelder sind alleine für die Planung und Erstellung einer vielfach gesicherten Datenbank für standardisierte wissenschaftliche Untersuchungen verbraucht worden, sagte Projektkoordinator Professor Wolfgang Oertel von der Universität Marburg. Die Abstimmung mit den zuständigen 13 Datenschutzbeauftragten habe 18 Monate gedauert. Im Prinzip könne jetzt aber „jeder Doktor von jedem Internet-Cafe der Welt“ zu dem Projekt beitragen, so Deutschlands bekanntester Parkinson-Experte. Oertel erwartet, dass die Investitionen sich langfristig auszahlen und das Datenbanksystem innerhalb von zwei Jahren EU-weit übernommen wird.

Erklärtes Ziel des „Kompetenznetz Parkinson-Syndrom“ ist es, die Versorgung der Patienten zu verbessern und den Wissenstransfer von der Forschung in die Praxis zu beschleunigen. Zu den acht Forschungsschwerpunkten gehören Studien zur Früherkennung sowie zur Wirksamkeit neuer Medikamente und Operationsverfahren ebenso wie Kosten-Nutzenrechnungen und der Aufbau von Datenbanken mit Gewebeproben und genetischen Informationen.

Durch Vergleiche zwischen den Erbinformationen Betroffener und gesunder Menschen haben Wissenschafter in aller Welt mittlerweile sieben Gene gefunden, die mit den Parkinson-typischen Krankheitszeichen in Zusammenhang stehen. Eines dieser Gene – es enthält den molekularen Bauplan für das Eiweiß Alpha-Synuklein – könnte vielleicht den Tod spezialisierter Nervenzellen in einem winzigen Teil des Kleinhirns erklären. Diese Zellen, die mit Hilfe des Botenstoffes Dopamin Bewegungssignale übertragen, beginnen bereits viele Jahre vor dem Ausbruch der Krankheit zu sterben. Bei Gewebeuntersuchungen Verstorbener fanden Pathologen in den Zellen immer wieder Klümpchen aus Alpha-Synuklein. Bei einer Handvoll Familien, die unter einer erblichen Form von Parkinson leiden, sind die fatalen Klümpchen offensichtlich die Folge eines Defekts im Gen für Alpha-Synuklein.

Zwar haben die weitaus meisten Parkinson-Kranken das Leiden nicht geerbt, doch könnten zufällige Mutationen auch bei ihnen eines der bekannten oder unbekannten „Parkinson-Gene“ beschädigt haben. Außerdem halten es viele Wissenschaftler es für wahrscheinlich, dass normales Alpha-Synuklein sich in Gegenwart bestimmter, Drogen, Medikamente oder anderer Umwelteinflüsse in die giftige, klümpchenbildende Variante umwandelt.

Die Suche nach Substanzen, welche die Klümpchenbildung verhindern könnten, ist bereits in vollem Gange. In Verbindung mit einer verbesserten Früherkennung könnte diese Strategie den Ausbruch der Krankheit verzögern oder gar verhindern. Denn noch immer vergehen zwischen fünf und zehn Jahren zwischen dem Beginn des Nervenzerfalls und der Diagnose der Krankheit, berichtete Oertels Mitarbeiter Günter Höglinger. Zu diesem Zeitpunkt sind etwa achtzig Prozent der Dopamin bildenden Nervenzellen im Bereich der so genannten Substantia nigra untergegangen. Ob die viel diskutierten Stammzellen den Verlust ersetzen können, wird man erst in vielen Jahren beurteilen können, räumt einer der prominentesten Verfechter dieser Forschungsrichtung ein, Otmar Wiestler vom Institut für Neuropathologie der Universität Bonn.

Helfen können die Ärzte ihren Patienten derzeit nur mit Arzneien, die den Verlust des Botenstoffes Dopamin vorrübergehend ausgleichen. Zusätzlich verschreibt man oft Psychopharmaka gegen Schlafstörungen, Depressionen und anderer Gemütsschwankungen, die sowohl eine Folge der Krankheit sein können als auch eine Nebenwirkung der Dopamin-Behandlung.

Probleme bereitet die Ersatztherapie auch deshalb, weil ihre Wirksamkeit mit zunehmender Krankheitsdauer nachlässt. Das Zittern wird immer stärker, kontrollierte Bewegungen sind mitunter kaum mehr möglich. Mehr noch fürchten viele das „OFF“, einen Starrezustand, der völlig unberechenbar eintritt und bis zu zwei Stunden anhalten kann.

Die einzige verbleibende Möglichkeit für diese Patienten sind komplizierte Operationen am Denkorgan. Mit millimetergenauen Eingriffen schalteten Neurochirurgen früher die betroffenen Hirnregionen unwiderruflich durch Hitzeeinwirkung aus (Pallidotomie). Heute bevorzugt man das Verfahren der Tiefen Hirnstimulation (auch Tiefhirnstimulation), bei dem in spezialisierten Kliniken eine Elektrode samt programmierbarem Minicomputer implantiert wird. Der lässt sich dann per Knopfdruck vom Patienten aktivieren, um die zappelnden Gliedmaßen binnen Sekunden zu beruhigen. Videoaufnahmen, die den dramatischen Effekt der Tiefen Hirnstimulation dokumentieren, wurden auch in Aachen gezeigt und gehören sicher zu den eindrucksvollsten Belegen für die Fortschritte der Neurologie. Um durchschnittlich 80 bis 90 Prozent ließen sich die Bewegungsstörungen verringern, berichtete beispielsweise Jens Volkmann von der Neurologischen Klinik der Universität Kiel. Der Medikamentenverbrauch sinke nach dem Eingriff im Mittel um 60 Prozent. Etwa jeder zehnte Parkinson-Patient könnte durch die Tiefhirnstimulation von seinem Leiden befreit werden, schätzt Professor Volker Sturm, der solche Operationen an der Kölner Universitätsklinik durchführt.

Wunder können allerdings auch die Neurologen nicht vollbringen: Die Wirkung der Tiefen Hirnstimulation hält zwar über mindestens neun Jahre an, wie die Daten der ersten Patienten belegen. Die Lebensqualität scheint aber nicht im gleichen Maße zuzunehmen, fand die Arbeitsgruppe um Volker Tronnier an der Universität Heidelberg heraus. Die Ärzte beobachteten vermehrte Sprech- und Schluckstörungen und notierten außerdem häufige Depressionen bei gleichzeitiger Abnahme von Initiative und Motivation. Damit werde „ein Teil des Zugewinns aufgewogen“, mussten die Experten in Aachen bekennen.

Quelle:

  • 74. Kongress Deutsche Gesellschaft für Neurologie. Aachen

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